D-Q175808

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Commentary

Neefes Frau beschreibt ab dem Jahr 1784 bzw. seiner Anstellung als Hofdirekter deren gemeinsames Leben bis zu Neefes Tod.
Dabei geht sie vor allem auf die beruflichen Veränderungen ihres Mannes, ihre Umzüge und finanzielle Lage sowie am Ende auf die Krankheit Neefes ein.

Transcript

Im Jahr 1784 wurde meinem seligen Manne die einstweilige Direktion über Kirchen- und die andere Musik bey Hofe übertragen, weil der Churfürstliche Kapellmeister Lucchesi auf einige Monathe verreiste. Während dieser Zeit hatten wir das Unglück, unsern wahrhaft guten alten Churfürsten zu verlieren.

So sehr dieser gute Fürst auch von Jedermann beklagt wurde, so fühlten doch wenige seiner Unterthanen seinen Verlust so sehr, als wir: denn wir verloren zugleich jährlich 1000 Gulden von unserm Gehalt, weil das Theater, welches er auf seine eigenen Kosten unterhalten hatte, aufhörte. Es blieb uns also nichts übrig, als der feste Gehalt, welchen mein Mann als Hoforganist hatte. Davon allein konnten wir aber nicht leben; es mußten also Lectionen dabey gegeben werden, um das Fehlende herbey zu bringen. Es dauerte auch nicht lange, so hatte er die Lectionen von vielen der ersten Häuser in Bonn. Zu seinem Vergnügen kaufte er sich einen kleinen Garten vor dem Thore, worinne er die wenigen Stunden, welche ihm zu seiner Erholung übrig blieben, zubrachte. Doch war er auch hier keinen Augenblick müßig. Er besäete und bepflanzte sein Gärtchen selbst, wartete und pflegte seine jungen Bäume und Pflanzen mit so viel Sorgfalt, daß jeder, der vorbey gieng, stehen blieb und sich des ordentlichen und fleißigen Gärtners freuete. Wie süß schmeckten uns die selbstgezogenen Gemüse und die ersten Früchte der selbstgepflanzten Bäumchen! So verlebten wir unsere Zeit ziemlich ruhig, bis nach einigen Jahren der jetzige Churfürst von Cölln abermals ein Hoftheater errichtete, wobey mein Mann seine schon seit vielen Jahren begleitete Stelle als Musikdirektor und ich die meinige als Hofschauspielerin wieder bekam. Dadurch wurde freylich unsere Einnahme, aber auch die Arbeit meines Mannes dergestalt vermehrt, daß er gezwungen war, seine Lektionen wieder aufzugeben, und alle seine Kräfte dem Theater zu widmen. Nichts belebte ihn dabey mehr, als die Hoffnung, daß hier für uns im Alter Brod wachse. Armer Mann, wie traurig wurdest du getäuscht! —

Der französische Krieg brach aus. Die Franken kamen uns immer näher, das Theater wurde eingestellt, der Gehalt hörte auf, und die Lektionen waren aufgegeben. Unser ältester Sohn [Karl], der uns zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und der die Stütze unsers Alters werden sollte — starb jetzt gleichfalls! — Nun bekam mein Mann Briefe aus Amsterdam vom Herrn Schauspieldirektor Hunnius,[1] welcher unsere älteste Tochter Luise von 15 Jahren, welche schon seit einigen Jahren in der Musik unterrichtet worden war, und öffentlich Proben ihres Talents abgelegt hatte, zu seiner Gesellschaft als Sängerin begehrte. Da für sie in Bonn nun weiter keine Aussicht und nicht einmal Gelegenheit war, ihr Talent vollends auszubilden, so wurden mein Mann und Herr Direktor Hunnius bald über die Bedingungen einig, unter welchen sie kommen sollte. Um sie recht sicher an Ort und Stelle zu bringen, nahm es der zärtliche Vater, ohngeachtet seines schwächlichen Körpers auf sich, sie selbst dahin zu bringen, und reiste 1794 mit unserer Tochter ab, welche auch, zwey Tage nach ihrer Ankunft in Amsterdam, zur Zufriedenheit des Direkteurs und des Publikums als Konstanze in Mozarts Entführung auftrat. Nach vier Wochen kehrte mein guter Mann wieder in unsere Arme zurück. Nunmehr wäre Zeit genug für die Lektionen da gewesen, aber alles war in Furcht und Schrecken über die immer näher und näher kommenden Franken. Da sie zu gleicher Zeit auch ihren Marsch nach Holland nahmen, so gieng Herr Direktor Hunnius mit seiner Gesellschaft nach Düsseldorf. Er besuchte uns, und da er fand, daß mein Mann kein anderes Geschäft hatte, als zweymal in der Woche die Orgel in der Hofkapelle zu spielen, so bot er ihm eine ansehnliche Gage, wenn er zu ihm kommen und seine Oper dirigiren wollte. Mein Mann, dessen musikalischer Geist jetzt ohnehin zu wenig Nahrung hatte, gieng zum Churfürsten und begehrte auf einige Zeit Urlaub, auch war er schon mit einem Freunde überein gekommen, der seinen Dienst einstweilen versehen wollte. Der Churfürst schlug ihm seine Bitte ab und verlangte, daß er seinen Dienst so lange thun sollte, als die Franken den Gottesdienst nicht störten. Es vergiengen kaum 14 Tage, so reisten Se. Durchl. von Bonn weg, der ganze Adel folgte ihm nach, die Franken rückten ein, der Rhein und alle A- und Zugänge waren gesperrt: wir mußten nun bleiben.

Der Churfürst hatte vor seiner Abreise seiner Dienerschaft noch drey Monate Gehalt voraus bezahlen lassen, und sich und seinen Unterthanen mit der Hoffnung geschmeichelt, binnen dieser Zeit wieder in Bonn zu seyn. Aber es vergieng ein Monat und ein Vierteljahr nach dem andern — wir bekamen Tag vor Tag Einquartierung, eine Lieferung über die andere, die Lebensmittel stiegen mit jedem Tage, viele dringende Nothwendigkeiten konnte man für Geld nicht einmal mehr bekommen, und dabey kein Heller Einnahme! Bey Einrichtung einer neuen Municipalität fiel es den Franken noch gar ein, meinen Mann in Requisition zu nehmen, und ihn, ohngeachtet seiner Kränklichkeit und seines Mangels an den dazu gehörigen Kenntnissen, zum Municipalbeamten zu machen. Dafür bezahlten sie ihm aber auch monatlich 200 Livres in Papier, wofür mir Niemand nur ein Brod gab. Desto mehr belud man meinen Mann mit Arbeiten. Der Vormittag wurde jeden Tag, und oft auch der Nachmittag auf dem Rathhause zugebracht, die übrigen Stunden verstrichen zu Hause mit Durchlesung ganzer Stöse Akten. Dabei mußten wir ein Stück nach dem andern verkaufen, um nur leben zu können! Dieses dauerte beynahe ein Jahr, als in der Administration noch ein zweyter Registrator verlangt wurde. Da dort mit Gelde und hier blos mit Papier bezahlt wurde, so zog mein Mann diesen Dienst vor, und wurde vom Ratsherrn zum — Registrator. Hier gab es nun wieder ein neues Studium. So viele Mühe ihm dies anfänglich machte, so überwand er doch, da er von jeher an Fleiß und Ordnung gewöhnt war, auch diese Schwierigkeiten: und nun befanden wir uns einige Monate ziemlich leidlich! — Kaum fiengen wir an zuweilen eine heitere Stunde zu genießen, so traf uns ein euer Schlag: die ganze Administration wurde mit einem mal abgesezt. Während dieser Zeit war Herr Direktor Hunnius mit seiner Gesellschaft in Wetzlar und beynahe ein Jahr in Mainz gewesen, wo er sie aus einander gehen ließ, und unsere Tochter hatte Engagement bey Herrn Bossang, Direktor bey der Hofschauspielergesellschaft in Dessau, angenommen. Diesem gieng im August 1796 sein Musikdirektor ab, er schrieb deswegen an meinen Mann und bot ihm diese Stelle an. Wir konnten nicht länger in Bonn bleiben, wenn wir als rechtschaffene Menschen handeln und den guthen Leuten, welche uns in der Noth geholfen hatten, nichts schuldig bleiben wollten. Wir befriedigten ihre Forderungen mit allem, was wir hatten, und reiseten von Bonn nach Leipzig, wo unsere Bestimmung war, die Bossangische Gesellschaft zu erwarten. Wie glücklich fühlten wir uns beym Eintritt in diese schöne Stadt! Wir glaubten nunmehr alles über uns verhängte Elend überstanden zu haben, und hatten auch noch die große Hoffnung von unserm lieben Churfürsten, welchen wir das Glück hatten, eben daselbst zu treffen, den noch rückständigen sieben vierteljährigen Gehalt zu bekommen, da mein Mann auf seinen ausdrücklichen Befehl, seinen Dienst in der Hofkapelle bis zum Tage seiner Abreise richtig versehen hatte. Es wurde dem Churfürsten eine Supplik dieserhalb übergeben, mein Mann gieng darauf selbst zu ihm, wurde augerordentlich gnädig aufgenommen, und wir erwarteten mit Sehnsucht die Antwort. Sie kam — mit zitternder Freude öffneten wir, und fanden nichts, als einen förmlichen Abschied!

Wir blieben zwey Monate in Leipzig, und reisten den 1. Dec. 1796 von da nach Dessau. Den ersten Winter verlebten wir hier sehr vergnügt. Wir fühlten das Glück, aus dem Elende des Krieges errettet zu seyn, und dankten es mit innigster Rührung der Vorsehung. Doch auch dies Glück sollte bald gestört werden. Ich verfiel in ein hitziges Gallenfieber, gerieth in Wahnsinn und Raserey und verursachte meinem guten Mann also neues Leiden. Wider alles Vermuthen wurde ich durch die Kunst des hiesigen Herrn D. Olbergs vollkommen wieder hergestellt, und ich ergreife diese Gelegenheit, diesem würdigen Manne öffentlich meine herzlichste Dankbarkeit zu bezeigen.

Nach einigen Monaten überfiel meinen Mann ein ganz ungewöhnlicher Katharrh. Der Husten dauerte Tag und Nacht fort, und verursachte seiner ohnehin schwachen Brust viel Schmerzen. Er konnte weder liegen noch sitzen. Diese Unruhe dauerte einige Tage immerwährend fort. Den 26. Jan. 1798 fieng endlich der Husten an ein wenig nachzulassen; der Kranke bekam Lust zum schlafen, verlange seine Arzeney und bat, daß man ihn ja nicht im Schlafe stören möchte. Er schlief auch wirklich bald darauf ganz ruhig ein, aber ohne jemals die Augen wieder zu öffnen. Sein Ende war so ruhig und sanft, als sein Leben unruhig und kummervoll gewesen war. Er brachte sein Alter auf fünfzig Jahr weniger neun Tage und hinterließ am Leben drey Töchter und einen Sohn.

Susanna Maria Neefe.

Wittwe.

Notes

  1. Friedrich Wilhelm Hermann Hunnius Item:Q176036, * 1762 in Kapellendorf, + 17. Februar 1835, deutscher Theaterschauspieler, Sänger, Theaterleiter und Theaterregisseur.