D-Q175810: Difference between revisions

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In meinen Kinder Jahrn wurde ich streng behandelt. Kein Spiel, keine Erhohlung wurde mir erlaubt, deßfals war ich blöde, furchtsam, schüchtern und verlohr viel von der Liebe die Kinder für Eltern haben sollen. Auch das Zutrauen verlohre sich und ich konnte meinen Vater nie als meinen Freund ansehen. Den Augenblick da ich mich aus aus seiner Gewalt loßmachen konnte sahe ich als die gröseste Glückseligkeit an. Ich ging darum recht gern als Unter Chirurgus in meinem dreÿzehnten Jahr beÿ ein preußisch Dragoner Regiment, weil ich aber von einem Faulfieber in einem Lazareth angestekt wurde brachte man mich ohne Bewußtseÿn zu meinen Eltern zurück, wo ich mich zu meinem grösten Verdruß beÿ der Besserung wieder fand. Weil Sie beÿ dieser Krankheit aber viel Sorge für mich trugen gewann ich sie lieb. Mein Vater der immer grose Entwürfe  mit mir hatte, stande von seinem Vorsatz mich zum Dr. der Medizin machen zu lassen ab, denn er sahe daß man dabeÿ von bösartigen Krankheiten befallen werden kann. Dagegen fassete er den Entschluß einen Ingenieur und Kriegs Mann aus mir zu bilden. Ich lernte Zeichnen, Risse machen und studirte unter dem treflichen Professor Spangenberg<ref>Johann Conrad Spangenberg [[Item:Q183823]]</ref> in Marburg Mathematik. Dies war mein Glück. Spangenberg, an den ich nicht ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit denken kann, lehrte nicht nur mich zusammenhängend denken, sondern läuterte auch mein Herz; flösete warme Liebe zu Gott in meine Brust, und lehrte mich das Wahre und Gute kennen und schätzen. Dies waren die Jahre worinnen man auf das andere Geschlecht aufmerksam zu werden anfängt; auch ich wurde verliebt, aber ein drolligter Verliebter! Furchtsam von meiner ersten Erziehung her, fromm von der zweÿten, wagte ich nicht mein Klagen auszuschütten. Was geschah, ich weÿdete meine Augen am Sontag[,] seufzte und betete für meine Dulzinea – einstmahlen wäre ich fast des Todtes gewesen, da sie mich küssete. Als sie sich nach einiger Zeit verheurathete, stellte ich auch meine frühe und späte Gebete ein.
In meinen Kinder Jahrn wurde ich streng behandelt. Kein Spiel, keine Erhohlung wurde mir erlaubt, deßfals war ich blöde, furchtsam, schüchtern und verlohr viel von der Liebe die Kinder für Eltern haben sollen. Auch das Zutrauen verlohre sich und ich konnte meinen Vater nie als meinen Freund ansehen. Den Augenblick da ich mich aus aus seiner Gewalt loßmachen konnte sahe ich als die gröseste Glückseligkeit an. Ich ging darum recht gern als Unter Chirurgus in meinem dreÿzehnten Jahr beÿ ein preußisch Dragoner Regiment, weil ich aber von einem Faulfieber in einem Lazareth angestekt wurde brachte man mich ohne Bewußtseÿn zu meinen Eltern zurück, wo ich mich zu meinem grösten Verdruß beÿ der Besserung wieder fand. Weil Sie beÿ dieser Krankheit aber viel Sorge für mich trugen gewann ich sie lieb. Mein Vater der immer grose Entwürfe  mit mir hatte, stande von seinem Vorsatz mich zum Dr. der Medizin machen zu lassen ab, denn er sahe daß man dabeÿ von bösartigen Krankheiten befallen werden kann. Dagegen fassete er den Entschluß einen Ingenieur und Kriegs Mann aus mir zu bilden. Ich lernte Zeichnen, Risse machen und studirte unter dem treflichen Professor Spangenberg<ref>Johann Conrad Spangenberg [[Item:Q183823]]</ref> in Marburg Mathematik. Dies war mein Glück. Spangenberg, an den ich nicht ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit denken kann, lehrte nicht nur mich zusammenhängend denken, sondern läuterte auch mein Herz; flösete warme Liebe zu Gott in meine Brust, und lehrte mich das Wahre und Gute kennen und schätzen. Dies waren die Jahre worinnen man auf das andere Geschlecht aufmerksam zu werden anfängt; auch ich wurde verliebt, aber ein drolligter Verliebter! Furchtsam von meiner ersten Erziehung her, fromm von der zweÿten, wagte ich nicht mein Klagen auszuschütten. Was geschah, ich weÿdete meine Augen am Sontag[,] seufzte und betete für meine Dulzinea – einstmahlen wäre ich fast des Todtes gewesen, da sie mich küssete. Als sie sich nach einiger Zeit verheurathete, stellte ich auch meine frühe und späte Gebete ein.


Aus Spangenbergs Händen kam ich in die Hände eines in Göttingen verstorbenen Georg Philip Schroeder<ref>Philipp Georg Schröder [[Item:Q183822]]</ref>. beÿ diesem studirte ich Physic, er führte mich aber auch wieder zur Medizin. Diesem gründlichen Gelehrten bin ich meine ganze Bildung als Arzt schuldig, nie habe ich einen würdigeren Schüler des Grafen Boerhave kennen lernen. Ich begleitete ihn nach Goettingen und blieb 1/2 Jahr beÿ ihm, hierauf gieng ich nach Cassell [und] studirte die Entbindungskunst unter Stein und die Wundarztneÿ unter Huber<ref>Johann Jacob Huber [[Item:Q183824]]</ref>. Es wurde aber meinen Eltern kostbahr darum muste ich zurück. In dieser Zeit war mir das Frömmeln vergangen die mechanische Philosophie, Kentniß der Würkung des Körpers auf die Seele, der Dauung aufs Gewissen, machten daß ich eine Bangigkeit lieber durch Rhabarber als Gebet vertrieb. Den Teufel konnte ich mit Wurmsamen austreiben, und für GewissensBisse glaubte ich wären Klystiere die besten Mittel. Ich war um diese Zeit 22 Jahr alt, wegen der Jugend hatte man kein Zutrauen in meine Heilkunde, meine Eltern waren indessen arm worden. Ich nahm darum eine Stelle als Steuer Rectificator an die 200 fl. eintrug. Diese Besoldung ließ ich meinen Eltern und  suchte meinen nöthigen Aufwand durch Unterricht in der MeßKunst, Zeichnen, Mahlen; welches ich in Cassel gelernt hatte, nebenher zu verdienen. Dies konte ich aber länger nicht als dreÿ Jahre ausstehen, ich verzehrte [mich], wurde Hypochonder und s[k]rupulos. Durch meine Amts Arbeit kamen die Unterthanen in höhere Auflagen. Daraus machte ich mir ein Gewissen und dankte ab. Zu dieser Zeit war ein anderer Prof. Med. nach Marburg kommen der auch Schroeder hieß von jenem aber sehr zerschieden war; dieser Mann liebte GespensterGeschichten, GeisterSehereÿ, Alchÿmie, und Phielistereÿ[,] hatte mit dem Geist Gottes viel zu thun und hielte Betstunden. Weil ich nun Hypochonder war so war nichts leichter als daß der Mann sich meiner bemächtigte; ich betete in fest gesetzten Stunden und war nahe dran Eingebungen zu bekommen. Als ich aber bemerkte daß der Geistige Mann seine Frau prügelte und viel Schulden machte[,] so verwiese ich ihm dies und blieb hinweg. Anstatt der Betstunde ging ich früh auf die Reitbahn, Fechtschule, Kegelbahn und so wichen die Gespenster, Böse Geister Bangigkeiten, mit schwarzgalligten Ausleerungen alle von mir hinweg. Nun war ich 26 Jahr alt, studierte [und] practisirte Medizin[,] lies mich examiniren promovieren, und andere Leute Klystieren. Das dauerte etwa anderthalb Jahre. Weil aber ich nichts vor mich bringen konte faste ich den Entschluß meinen Stab weiter zu setzen. Ich reisete nach Frankfurth wurde aber bald gewahr daß mann hier ohne Geld und Freunde oder Verwande nichts ausrichten kann. Indessen starb in Hanau der Physicus[,] ich wanderte mit zerrissenen Schuhen und löcherichten Strümpfen hin, lies mich noch einmahl examinieren und siehe es gieng gut[;] ich wurde physicus und bekam Arbeit. Nun glaubte ich eine Frau ernähren  zu können und heirathete ein Mädchen die noch sehr jung war, und lebte mit ihr in Hanau acht Jahre recht glücklich. Als aber der ehemahlige Leibarzt Socin nach seinem Vaterlande zurück reisete, glaubte ich das Recht zu haben etwas mehreres fordern zu dürfen. Der Prinz sagte mir die Medizinische Professur beÿ dem Gimnasio auch ohne Bedingung zu[,] allein das hochfürstlich evangelisch reformirte Consistorium dozirte daß ein Lutheraner beÿ dem Gimnasio nicht angestellt werden könnte und dörfe. S. Durchlaucht legte mir 60 Fl zu und troesteten mich mit Gedult. Indessen wurde die Stelle eines Leibarztes beÿm H. Grafen v Neuwied vacant[;] ich bekam durch Empfehlung mehrerer Freunde den Ruf; nahm ihn an und lebe hier nun wiederum dreÿ Jahre im Zirkel mehrerer ächter Freunde ganz vergnügt so lang Gott will.
Aus Spangenbergs Händen kam ich in die Hände eines in Göttingen verstorbenen Georg Philip Schroeder<ref>Philipp Georg Schröder [[Item:Q183822]]</ref>. beÿ diesem studirte ich Physic, er führte mich aber auch wieder zur Medizin. Diesem gründlichen Gelehrten bin ich meine ganze Bildung als Arzt schuldig, nie habe ich einen würdigeren Schüler des Grafen Boerhave kennen lernen. Ich begleitete ihn nach Goettingen und blieb 1/2 Jahr beÿ ihm, hierauf gieng ich nach Cassell [und] studirte die Entbindungskunst unter Stein und die Wundarztneÿ unter Huber<ref>Johann Jacob Huber [[Item:Q183824]]</ref>. Es wurde aber meinen Eltern kostbahr darum muste ich zurück. In dieser Zeit war mir das Frömmeln vergangen die mechanische Philosophie, Kentniß der Würkung des Körpers auf die Seele, der Dauung aufs Gewissen, machten daß ich eine Bangigkeit lieber durch Rhabarber als Gebet vertrieb. Den Teufel konnte ich mit Wurmsamen austreiben, und für GewissensBisse glaubte ich wären Klystiere die besten Mittel. Ich war um diese Zeit 22 Jahr alt, wegen der Jugend hatte man kein Zutrauen in meine Heilkunde, meine Eltern waren indessen arm worden. Ich nahm darum eine Stelle als Steuer Rectificator an die 200 fl. eintrug. Diese Besoldung ließ ich meinen Eltern und  suchte meinen nöthigen Aufwand durch Unterricht in der MeßKunst, Zeichnen, Mahlen; welches ich in Cassel gelernt hatte, nebenher zu verdienen. Dies konte ich aber länger nicht als dreÿ Jahre ausstehen, ich verzehrte [mich], wurde Hypochonder und s[k]rupulos. Durch meine Amts Arbeit kamen die Unterthanen in höhere Auflagen. Daraus machte ich mir ein Gewissen und dankte ab. Zu dieser Zeit war ein anderer Prof. Med. nach Marburg kommen der auch Schroeder<ref>Friedrich Joseph Wilhelm Schröder [[Item:Q183825]]</ref> hieß von jenem aber sehr zerschieden war; dieser Mann liebte GespensterGeschichten, GeisterSehereÿ, Alchÿmie, und Phielistereÿ[,] hatte mit dem Geist Gottes viel zu thun und hielte Betstunden. Weil ich nun Hypochonder war so war nichts leichter als daß der Mann sich meiner bemächtigte; ich betete in fest gesetzten Stunden und war nahe dran Eingebungen zu bekommen. Als ich aber bemerkte daß der Geistige Mann seine Frau prügelte und viel Schulden machte[,] so verwiese ich ihm dies und blieb hinweg. Anstatt der Betstunde ging ich früh auf die Reitbahn, Fechtschule, Kegelbahn und so wichen die Gespenster, Böse Geister Bangigkeiten, mit schwarzgalligten Ausleerungen alle von mir hinweg. Nun war ich 26 Jahr alt, studierte [und] practisirte Medizin[,] lies mich examiniren promovieren, und andere Leute Klystieren. Das dauerte etwa anderthalb Jahre. Weil aber ich nichts vor mich bringen konte faste ich den Entschluß meinen Stab weiter zu setzen. Ich reisete nach Frankfurth wurde aber bald gewahr daß mann hier ohne Geld und Freunde oder Verwande nichts ausrichten kann. Indessen starb in Hanau der Physicus[,] ich wanderte mit zerrissenen Schuhen und löcherichten Strümpfen hin, lies mich noch einmahl examinieren und siehe es gieng gut[;] ich wurde physicus und bekam Arbeit. Nun glaubte ich eine Frau ernähren  zu können und heirathete ein Mädchen die noch sehr jung war, und lebte mit ihr in Hanau acht Jahre recht glücklich. Als aber der ehemahlige Leibarzt Socin nach seinem Vaterlande zurück reisete, glaubte ich das Recht zu haben etwas mehreres fordern zu dürfen. Der Prinz sagte mir die Medizinische Professur beÿ dem Gimnasio auch ohne Bedingung zu[,] allein das hochfürstlich evangelisch reformirte Consistorium dozirte daß ein Lutheraner beÿ dem Gimnasio nicht angestellt werden könnte und dörfe. S. Durchlaucht legte mir 60 Fl zu und troesteten mich mit Gedult. Indessen wurde die Stelle eines Leibarztes beÿm H. Grafen v Neuwied vacant[;] ich bekam durch Empfehlung mehrerer Freunde den Ruf; nahm ihn an und lebe hier nun wiederum dreÿ Jahre im Zirkel mehrerer ächter Freunde ganz vergnügt so lang Gott will.





Revision as of 11:13, 6 November 2020

Commentary

Transcript

Es scheint mir nicht daß die E. O. Oberen, blos aus Neugierde sich mit tausend kleinen Vorfällen Ihrer Brüder bekannt machen wollen, wenn sie die Lebens Geschichte Ihrer Mitglieder einfordern; sondern Sie wollen vermuthlich oder sollten doch aus der treuen Erzählung, der Erziehung, Bildung, Aufklärung, und dem Verhalten in wichtigen Vorfällen sich begreiflich zu machen suchen; wie dieser sonderbahre Mann, (und sonderbahr ist jeder) so hat werden können. Warum er just eine solche und keine andre Richtung hat. Sie wollen im voraus sicher seÿn: wie er in diesem Fall denken, mithin handeln und würken wird. Was man eben (der O) von ihm fordern und nicht fordern kann; Auch wie, und wo endlich dieser Mann zu seinem und des E. O. Besten in Thätigkeit gesezt werden muß.

Betrachte ich aus diesem Gesichts-Punkt nun mein Ich: so wird die Geschichte davon sehr kurz ausfallen[,] manches hinweg bleiben, was sonst wichtig zu seÿn scheint; dagegen muß manche Kleinigkeit hinzu kommen weil sie Einfluß gehabt hat. Es muß eine Geschichte vielmehr, vom Herzen, von denen Gründen seÿn warum man so gehandelt hat als der Sachen selbst.

In meinen Kinder Jahrn wurde ich streng behandelt. Kein Spiel, keine Erhohlung wurde mir erlaubt, deßfals war ich blöde, furchtsam, schüchtern und verlohr viel von der Liebe die Kinder für Eltern haben sollen. Auch das Zutrauen verlohre sich und ich konnte meinen Vater nie als meinen Freund ansehen. Den Augenblick da ich mich aus aus seiner Gewalt loßmachen konnte sahe ich als die gröseste Glückseligkeit an. Ich ging darum recht gern als Unter Chirurgus in meinem dreÿzehnten Jahr beÿ ein preußisch Dragoner Regiment, weil ich aber von einem Faulfieber in einem Lazareth angestekt wurde brachte man mich ohne Bewußtseÿn zu meinen Eltern zurück, wo ich mich zu meinem grösten Verdruß beÿ der Besserung wieder fand. Weil Sie beÿ dieser Krankheit aber viel Sorge für mich trugen gewann ich sie lieb. Mein Vater der immer grose Entwürfe  mit mir hatte, stande von seinem Vorsatz mich zum Dr. der Medizin machen zu lassen ab, denn er sahe daß man dabeÿ von bösartigen Krankheiten befallen werden kann. Dagegen fassete er den Entschluß einen Ingenieur und Kriegs Mann aus mir zu bilden. Ich lernte Zeichnen, Risse machen und studirte unter dem treflichen Professor Spangenberg[1] in Marburg Mathematik. Dies war mein Glück. Spangenberg, an den ich nicht ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit denken kann, lehrte nicht nur mich zusammenhängend denken, sondern läuterte auch mein Herz; flösete warme Liebe zu Gott in meine Brust, und lehrte mich das Wahre und Gute kennen und schätzen. Dies waren die Jahre worinnen man auf das andere Geschlecht aufmerksam zu werden anfängt; auch ich wurde verliebt, aber ein drolligter Verliebter! Furchtsam von meiner ersten Erziehung her, fromm von der zweÿten, wagte ich nicht mein Klagen auszuschütten. Was geschah, ich weÿdete meine Augen am Sontag[,] seufzte und betete für meine Dulzinea – einstmahlen wäre ich fast des Todtes gewesen, da sie mich küssete. Als sie sich nach einiger Zeit verheurathete, stellte ich auch meine frühe und späte Gebete ein.

Aus Spangenbergs Händen kam ich in die Hände eines in Göttingen verstorbenen Georg Philip Schroeder[2]. beÿ diesem studirte ich Physic, er führte mich aber auch wieder zur Medizin. Diesem gründlichen Gelehrten bin ich meine ganze Bildung als Arzt schuldig, nie habe ich einen würdigeren Schüler des Grafen Boerhave kennen lernen. Ich begleitete ihn nach Goettingen und blieb 1/2 Jahr beÿ ihm, hierauf gieng ich nach Cassell [und] studirte die Entbindungskunst unter Stein und die Wundarztneÿ unter Huber[3]. Es wurde aber meinen Eltern kostbahr darum muste ich zurück. In dieser Zeit war mir das Frömmeln vergangen die mechanische Philosophie, Kentniß der Würkung des Körpers auf die Seele, der Dauung aufs Gewissen, machten daß ich eine Bangigkeit lieber durch Rhabarber als Gebet vertrieb. Den Teufel konnte ich mit Wurmsamen austreiben, und für GewissensBisse glaubte ich wären Klystiere die besten Mittel. Ich war um diese Zeit 22 Jahr alt, wegen der Jugend hatte man kein Zutrauen in meine Heilkunde, meine Eltern waren indessen arm worden. Ich nahm darum eine Stelle als Steuer Rectificator an die 200 fl. eintrug. Diese Besoldung ließ ich meinen Eltern und  suchte meinen nöthigen Aufwand durch Unterricht in der MeßKunst, Zeichnen, Mahlen; welches ich in Cassel gelernt hatte, nebenher zu verdienen. Dies konte ich aber länger nicht als dreÿ Jahre ausstehen, ich verzehrte [mich], wurde Hypochonder und s[k]rupulos. Durch meine Amts Arbeit kamen die Unterthanen in höhere Auflagen. Daraus machte ich mir ein Gewissen und dankte ab. Zu dieser Zeit war ein anderer Prof. Med. nach Marburg kommen der auch Schroeder[4] hieß von jenem aber sehr zerschieden war; dieser Mann liebte GespensterGeschichten, GeisterSehereÿ, Alchÿmie, und Phielistereÿ[,] hatte mit dem Geist Gottes viel zu thun und hielte Betstunden. Weil ich nun Hypochonder war so war nichts leichter als daß der Mann sich meiner bemächtigte; ich betete in fest gesetzten Stunden und war nahe dran Eingebungen zu bekommen. Als ich aber bemerkte daß der Geistige Mann seine Frau prügelte und viel Schulden machte[,] so verwiese ich ihm dies und blieb hinweg. Anstatt der Betstunde ging ich früh auf die Reitbahn, Fechtschule, Kegelbahn und so wichen die Gespenster, Böse Geister Bangigkeiten, mit schwarzgalligten Ausleerungen alle von mir hinweg. Nun war ich 26 Jahr alt, studierte [und] practisirte Medizin[,] lies mich examiniren promovieren, und andere Leute Klystieren. Das dauerte etwa anderthalb Jahre. Weil aber ich nichts vor mich bringen konte faste ich den Entschluß meinen Stab weiter zu setzen. Ich reisete nach Frankfurth wurde aber bald gewahr daß mann hier ohne Geld und Freunde oder Verwande nichts ausrichten kann. Indessen starb in Hanau der Physicus[,] ich wanderte mit zerrissenen Schuhen und löcherichten Strümpfen hin, lies mich noch einmahl examinieren und siehe es gieng gut[;] ich wurde physicus und bekam Arbeit. Nun glaubte ich eine Frau ernähren  zu können und heirathete ein Mädchen die noch sehr jung war, und lebte mit ihr in Hanau acht Jahre recht glücklich. Als aber der ehemahlige Leibarzt Socin nach seinem Vaterlande zurück reisete, glaubte ich das Recht zu haben etwas mehreres fordern zu dürfen. Der Prinz sagte mir die Medizinische Professur beÿ dem Gimnasio auch ohne Bedingung zu[,] allein das hochfürstlich evangelisch reformirte Consistorium dozirte daß ein Lutheraner beÿ dem Gimnasio nicht angestellt werden könnte und dörfe. S. Durchlaucht legte mir 60 Fl zu und troesteten mich mit Gedult. Indessen wurde die Stelle eines Leibarztes beÿm H. Grafen v Neuwied vacant[;] ich bekam durch Empfehlung mehrerer Freunde den Ruf; nahm ihn an und lebe hier nun wiederum dreÿ Jahre im Zirkel mehrerer ächter Freunde ganz vergnügt so lang Gott will.


Averroes.

Politischer Character

Nahme – Johann George Wendelstadt alt 38 Jahr

Eltern – Vater Joh. George Wendelstadt Stadt Capit in Marburg

Verwande – Wenige Verwandte, wenige Freunde, keine Feinde.

Gesundheit – Befindet sich recht wohl.

Kleidung – Kleidet sich einfarbig nach Orts Gebrauch

Wissenschaft – Ist Arzt

Bücher – besitzt blos Handwerks bücher

Lieblings Sache – Arzterey-Kunst, Chymie, Mathematik, und Mahlerey

Erziehung, war über seinem Stand.

Stand Verheurathet. Hat sechs Kinder

Amt Ist Leibarzt kam durch guten Ruf und Empfehlung seiner Freunde hierzu –

mann ist mit ihm zufrieden


Physischer Zustand

Statur, unter Mittel Größe, Klein Gliedrig

Gebärden Glückliche Phisionomie

Gang – ungleich, {...}, weitschreitend,

Kopf – Ist mehr lang als rund, trägt ihn vorhängend.

Stirn – groß, {...}

Blick – ist offen frey sieht jedem in die Augen

Stimme – tief, schwach, fließend

Sprache – rein, nicht provinzial, deutlich

Haare – blond, weich, schlicht


Moralischer Character

Ruf – dermahlen gut

– vormahlen gut

– bey niederen beschuldigen ihn Stolzes

– bey hohen gut

– bey Geistlichen schlecht

– Warum Ist bishero nicht in die Kirche gegangen

Wie ist er gegen Eltern Der Vater ist nicht bey ihm

Kinder streng

Wohltäter, Gönner, dankbar

Feinde erverachtet sie

Wie ist er gegen Große hohe! Ehrerbietig

Seines gleichen! freundschaftlich

Niedere! herablassent

Geistliche! mißtrauisch

Frauenzimmer höflich

seine Frau freundschaftlich gebietend

Kinder hat alle Kinder lieb

Im Gespräch lebhaft, munter,

In Gesellschaft mit vertrauten vertraut, mit lustigen lustig etc.

Einsamkeit ist seine Sache nicht, außer wenn er todtliche Kranke hat oder studiert

Der Umgang mit seinen Freunden zieht er allem andren vor

In der Liebe die Zeit ist vorbey fest sehr beständig.

Bey Beleidigungen empfindlich heftig

Im Glück nicht sehr frölich

Im Unglück nicht zu traurig

Beym Unglück oder Glück anderer theilnehmend

Bey unerwarteten Zufällen hat er Gegenwart des Geistes

Notes

  1. Johann Conrad Spangenberg Item:Q183823
  2. Philipp Georg Schröder Item:Q183822
  3. Johann Jacob Huber Item:Q183824
  4. Friedrich Joseph Wilhelm Schröder Item:Q183825