D-Q4504

From FactGrid
Revision as of 13:19, 8 October 2020 by Isabel Heide (talk | contribs)
(diff) ← Older revision | Latest revision (diff) | Newer revision → (diff)
Jump to navigation Jump to search

Commentary

Transcript


Curriculum vitae.

Ich bin den 10. Junius 1728 zu Bilzingsleben, einem
im Chursächsischen Thüringen und zwar im Sachsenbur-
gischen Amtsbezirke gelegenen Dorfe gebohren. Mein
rechtschafner seeliger Vater Christian Ludwig be-
saß daselbst ein Rittergut, deßen Besitzer noch der-
malen mein zweyter Bruder kraft des väterlichen
Testamentes ist. Seine Vermögensumstände waren
so beschaffen, daß er sich selbst leben konte. Daher
suchte er keine Dienste, hatte nur den bloßen Titel
eines Cammer- und Jagdjunkers von dem ausgestorbenen
Herzoglich-Sachsen Weißenfelsischen Hause, und wid-
mete sich gäntzlich der Landwirthschaft. Er heyrathete,
so bald er sich mit seinen zwey andern Brüdern ab-
getheilt hatte, und ihm das Gut zu Bilzingsleben
durchs Looß aus der großväterlichen Erbschaft zu
Theil geworden war, den edlen Gegenstand seiner
treusten Liebe, Johannen Christianen von Meusebach
aus dem Hause Vokstädt im Mansfeldischen. Ich
bin der erstgebohrne aus dieser glüklichen und gesegne-
ten Verbindung von 11 Kindern, nemlich von 7 Ge-
schwistern aus der ersten, und von 4 Geschwistern
aus der zweyten Ehe meines lieben Vaters mit Louisen
von Berbißdorf aus dem Hause Schweinsburg im
Vogtlande, wovon außer mir nur noch zwey vollbür-
tige Schwestern, ein vollbürtiger und ein Halbbruder|<2>
gegenwärtig am Leben sind. Meine verehrungswerthen
guten Eltern verabsäumten nichts, durch ihr Beyspiel,
und durch den faßlichsten Unterricht in den Anfangs-
gründen der Religion und in den meiner Jugend ange-
meßnen ersten Begriffen der reinsten Moral, mein
Hertz gut zu machen. Von jungen und gesunden El-
tern gebohren, erhielt mein Cörper durch eine freye
ländliche Erziehung schon in der ersten Jugend so
viel Kraft und Stärke; daß mich mein gantzes übri-
ges Leben hindurch sehr wenig Krankheiten heimge-
sucht haben. Besonders übernahm es meine gute
Mutter mir die ersten Grundsätze der Religion
selbst beyzubringen, wie sich meine Eltern in
meinem 6ten Jahre genöthiget sahen, einen Führer
meiner Jugend der mich zu hart behandelte, und
mir einmal in der ersten Hitze ein großes Buch an
den Kopf warf, aus dem Hause zu entfernen.
Mit innigst-gerührtem Herzen errinnere ich mich noch
der gantz außerordentlichen Wachsamkeit meiner
besten Mutter, mit welcher Sie auch die kleinste Un-
wahrheit aus meinem Munde ahndete, und mich
sorgfältig anhielt, von meinem Neben-Menschen
niemals übel zu denken, vielweniger übel zu
sprechen. Dieses Glüks der mütterlichen Aufsicht
und Führung genoß ich nicht lange. Schon im Jahr
1735 wurde mir die treuste und frömmste der Mütter|<3>
bey ihrem 7den Kindbette durch den Todt entrißen.
Schreklich war meiner Kindheit der Anblik der sterbenden
Mutter, wie sie uns kurtz vor ihrem Ende mütterlich ein-
seegnete; und die schleunige Verwandelung ihres blü-
henden Rosen-Gesichts am Abend ihrer Niederkunft,
wie sie mich Tags vorher alleine zu sich kommen ließ,
gegen die fürchterliche Todten-Bläße des Sterbe-
Moments. Mein guter Vater, ein Mann in seinen
besten Jahren, sahe sich seiner häuslichen Umstände,
und der Erziehung 6. unerzogner Kinder wegen ge-
nöthiget, das Jahr drauf zur zweyten Ehe zu schreiten.
Auch meine Stiefmutter war eine von den seltenen
guten Seelen, die sich in früher Jugend entschließen
konte, mit der Übernahme einer ziemlich weitläuf-
figen Oekonomie, die Erziehung 6 mutterloser Waysen
zu verbinden, und ihre Pflicht treu und redlich zu
erfüllen. Nunmehr wurde meine Führung und
Unterricht gantz gewöhnlichen Haußlehrern auge-
tragen, welche mich brav auswendig lernen ließen,
ohne meine Aufmerksamkeit durch richtige Erklärung
der Sachen die ich laß und lernte, zu üben und zu
schärfen. Es gieng folglich unerhört langsam mit
der ersten Ausbildung meines Geistes biß endlich
mein guter Vater auf Anrathen meines Mutter-Bruders,
eines sehr gelehrten und ehrlichen Mannes, welcher nie Für-
sten dienen wollte, wohl aber von Fürsten und Seines-
gleichen geschätzt und sehr oft zu Rathe gezogen wurde,|<4>
sich entschloß, mich in meinen 14ten Jahre auf das Pae-
dagogium Regium nach Halle zu bringen. Meiner
Erziehung auf dieser öffentlichen Schule, so wie sie damals
beschaffen war, habe ich ungemein viel zu verdanken.
Ich blieb drittehalb Jahre daselbst, war außerordentlich
fleißig, und machte, wie sich meine Geisteskräfte ein-
mal zu entwikkeln anfiengen, ungemein geschwinde
Fortschritte in Erlernung nöthiger und nützlicher
Kentniße. Zwey Züge aus meinen Schuljahren, die
ich auf dem Paedagogio zubrachte, muß ich hier an-
führen, weil sie dazu dienen können, einiges Licht
über meinem Character zu verbreiten. Ein junger,
zu Dargun im Meklenburgischen, an dem Hofe einer
verwittibten Fürsten, im Pietismo erzogener Edel-
mann, fand daselbst bey seiner Ankunft einige An-
hänger. Mit diesen verfügte er sich alle Abende, in das
obere Stok, wo am Tage über unsere Lehrstunden ge-
halten wurden, um ein paar Stunden mit Beten und
Singen in der Einsamkeit zuzubringen. Es wurde bloß
aus dem Herzen mit lauter Stimme gebetet. Meine
Neugierde reitzte mich eines Abends an, dieser kleinen
Gesellschaft von Betern heimlich nachzuschleichen, und
mich vor der Thür des Zimmers, worinnen sie ihre An-
dacht hatten, nieder zu setzen. Man öfnete mir die Thür,
und nahm mich in den frommen Cirkel auf. Ich war|<5>
der 9te an der Zahl, welcher unserm neuen Apostel
folgte. Die kleine Schwärmerey griff so sehr um sich,
daß sich endlich eine Anzahl von beynahe 60 jungen
Leuten, an dem gewöhnlichen VersammlungsOrte ver-
sammelte; und den grösten Theil der Nächte mit Beten
und Singen verbrachte. Vors erste wurde ein all-
gemeiner Gesang und Gebet in der gantzen Ver-
sammlung gehalten. Alsdenn trennte man sich in
kleinere Haufen, und betete kniend, einer nach dem
andern aus dem Herzen mit lauter Stimme. Meine
jugendliche Schwäche, die sich sehr ofte, wenn meine
Mitbrüder beteten, des Schlafs nicht enthalten konnte,
kostete mir gantze Ströme von Thränen der Reue
über meine Laulichkeit im Guten. Lange erhielt
sich freylich dieser zahlreicher Haufe junger Beter
nicht zusammen. Einige derselben giengen auf
Akademien; und die andern fielen nach und nach
wieder ab, wie wir es damals zu nennen pflegten.
f, dergestalt, daß am Ende nur 4 derselben übrig
blieben, welche die kleine Schwärmerey ununter-
brochen fortsetzten. Ich war von der Zahl der
letzteren. Zu unserm Glükke, verließ ein artiger
junger Mann, welcher unser Anführer war, das
Paedogium[sic!] und gieng auf die Akademie. Dieser|<6>
Vorfall trennte endlich auch das kleine Häufchen. Ich
verehre hierinnen die Fügung der allweisen Vorsicht.
Herr von Lüdeke[1] wurde sogleich ein Herrenhuter,
und ist es noch. Wer weiß, was aus mir geworden
wäre, wenn er länger an unsrer Spitze gebetet
hätte, oder ich zugleich mit ihm auf die Akademie ge-
gangen wäre. Einen großen Nutzen brachte mir in-
deßen mein Pietisten-Stand zuwege in Ansehung
des Fleißes zuwege. Ich that in dieser Zeit würk-
lich nichts anders als Beten und Lernen. Aber
ebenderselbe war es auch, welcher mich nöthigte,
das Paedagogium eher, als ich anfänglich wollte,
zu verlaßen. Einige guthertzige Schwärmer hielten
mich in dieser Verfaßung für einen wahren Hei-
ligen. Die Einbildungskraft verführte einen der
Stuben-Hofmeister, nahmens Otto[2], sogar so weit;
daß er einsmals, wie er mich recht inbrünstig beten
hörte, in dem Nebenzimmer an der Wand, den Licht-
Schatten einer menschen-ähnlichen Figur zu erblik-
ken glaubte. Ich mochte von dieser Erscheinung,
als ein von Natur muntrer und flüchtiger Mann,
nachdem ich auch, nach der Pietisten-Sprache, abgefal-
len war, als ein ungläubiger Thomas gesprochen
haben. Dies schmerzte den guten Herrn Otto zu
empfindlich, daß er sich, an mir zu rächen, nicht Gele-|<7>
genheit hätte suchen sollen. Er fand sie bey der un-
beträchtlichsten Kleinigkeit, die ich, unnöthige Weit-
läufigkeit zu vermeiden, hier nicht anführen will;
und gab mir in Gegenwart verschiedener andrer
StubenHofmeister, ohnerachtet ich auf meinem eigent-
lichen Richter, den seeligen Inspektor Freyer[3], in
dieser Sache provocierte, einen einzigen Schlag
auf dem Rükken mit einem häselnen Stokke. Die-
ses war die erste und einzige Strafe, welche ich
die gantze Zeit meines SchulLebens auf dem Pae-
dagogio erhalten hatte. Sie that aber auch eine
so kräftige Würkung auf mich, daß ich so gleich
in den ersten empfindlichen Augenblikken an mei-
nen guten Vater schrieb, ihm diesen Vorfall mel-
dete, und zugleich inständigst bat, das Paedago-
gium verlaßen zu dürfen. Meine Bitte wurde
mir gewähret, und in wenigen Tagen darauf,
verließ ich, so sehr mir auch der alte verehrungs-
werthe Inspector Freyer anlag, länger zu bleiben,
einen Ort, an welchen ich noch immer mit wahren
Vergnügen denke, weil ich daselbst sehr viel gutes
und nützliches für mein gantzes Leben einge-
sammelt habe. Ich war etwas über 16 Jahr alt, wie
ich Michelis 1744 von dem Paedagogio Abschied nahm.
Mein guter Vater behielt mich 6 Monate bey sich,
ehe er mich auf die Akademie schikte. In dieser Zeit|<8>
hatte ich Gelegenheit, meinem Cörper durch die
Jagd, welche ich damals außerordentlich liebte, sehr
viel Bewegung zu geben, und ihm seine angestammte
Kraft und Stärke, die vielleicht durch mein mehr
sitzendes Leben auf dem Paedagogio ein wenig ab-
genommen hatte, wieder zu verschaffen. Ostern
1745 gieng ich auf die Akademie nach Jena; wo
ich bis Ostern 1749 studierte. Meine sonst gute
Erziehung auf dem Paedagogio war dabey so strenge
gewesen, daß ich hernach auf der Universität, wie
ich mir selbst überlaßen war, und meine ganze
Freyheit genoß, wenigstens anfänglich keinen
klugen Gebrauch davon machte. Im ersten halben
Jahre wurde an nichts weniger als an Collegia ge-
dacht. Ich überließ mich mit der grösten Jugend-
Flüchtichkeit allen möglichen Zeitvertreiben des
Studenten-Lebens; doch ohne meinen Cörper durch
Débauchen[4] zu entkräften, und den Geist für das
edle und nützliche unempfindlich zu machen.
Mit dem Beschluße dieses ersten halben Jahres,
schien ich aber auch, wie man zu sagen pflegt,
ausgerast zu haben. Die übrige Zeit von 31/2 Jahren
wurde als denn so verwendet, wie es einem fleis-
sig Studierenden, dem es um seine Bildung ein
Ernst ist, gebühret, wozu mich die Gesellschaft|<9>
eines Herrn von Dewitz[5] der gegenwärtig Minister
in Meklenburg-Strelitz ist, welchen ich wie Bruder
liebte, und mit ihm auf einem Zimmer wohnte, nicht
wenig ermunterte. Ihm und einem andern meiner
Freunde, nahmens Posewitz aus Quedlinburg,[6] deßen
Schiksal mir unbekant ist, habe ich es zu verdanken,
daß mich die zärtliche Neigung gegen das Frauenzimmer
nicht auf Abwege führte. Freund Posewitz zerbrach
besonders einmal, wie er uns von Halle aus besuchte,
die zärtlichsten Feßeln, in welchen ich schmachtete.
Ich muste ihm versprechen, meine Schöne nie wieder zu
sehen; und ich hielt standhaft Wort. Ein gewißer
Orden der grünen Bergmänner,[7] der mich mit ebenge-
nannten beyden Freunden verband, gab ihnen das
Recht mich zu beobachten, und über mein Bestes
zu wachen. Von diesem Orden habe seit meinen Uni-
versitäts-Jahren nichts wieder gehört. Ein gewißer
ziemlich bejahrter, großer, schwartzbrauner Mann von
sehr ernsthaften Ansehen, welcher sich durch seine
Tracht von grüner Farbe ziemlich auszeichnete, und
auch Privat-Collegia der Rechtsgelahrheit[sic!] laß;
brachte uns in diese Verbindung, die nichts
weniger als geldschlitternd war. Es wurde nach Vor-
schriften auf die verschiedenen Menschen-Charakter
gearbeitet; und bey jeder Versammlung, muste sich|<10>
ein Mitglied, an dem die Reyhe war, auf einige Minuten
aus der Gesellschaft entfernen, und erhielt, wenn
es wieder eintrat von dem Ober-Bergmann eine
Art von Ermahnungs-Zeddel, nach deßen Vorschrift
er seine Aufführung und Handlungen einzurichten und
zu verbeßern sich bestreben muste. Freund Dewitz
und ich legten uns neben unsern gewöhnlichen
Studien, besonders auch auf die französische, ita-
lienische und englische Sprache; und zwar mit vor-
züglichen Eifer auf die letztere; weil wir beyde
schon damals hertzlich wünschten, dereinst einmal
England zu besuchen. Und beyden ist in der Folge
dieser Lieblingswunsch auch gewähret worden.
Während meinen Universitäts-Jahren verlor ich
meine gute Stiefmutter. Ein unersetzlicher Verlust
für meinen rechtschafnen Vater, und für seine
sämtlichen Kinder. Auch verfiel auf der Akademie
in eine schwere Krankheit, die mich dem Tode sehr
nahe brachte. Ich hatte mir bey Gelegenheit eines
Besuchs in meines Vaters Hause, von meinen
Geschwistern die Masern gehohlet. Zu diesen ge-
sellte sich der weiße Friesel[8], von welchen endlich
nach 3 hofnungslosen Tagen, wieder genesete.
Ostern 1749 verlies ich die Akademie, und gieng wieder|<11>
zu meinem Vater nach Hause. Mein guter Vater war
zwar anfänglich willens, mich noch ein Jahr nach Göttin-
gen zu schikken. Wie er aber den lieben Sohn, deßen
Aufenthalt zu Jena ihm schon viel Geld gekostet, einmal
wieder bey sich hatte, so dachte er nicht mehr dran, ihn
von sich zu entfernen, oder in Dienste gehen zu laßen.
Drittehalb Jahre verfloßen auf diese Weise in wahrer
Unthätigkeit für mich, in meines Vaters-Hause.
Eine gefährliche Zeit für einen jungen Mann, der nach
Beendigung seiner Studien, gleich in Arbeit hätte ge-
setzt werden sollen, um seinen Weg in der Welt zu
machen. Mit der grösten Abneigung gegen alle land-
wirthschaftlichen Beschäftigungen, und dem gantz ge-
wöhnlichen Ekel für die trokne Rechtsgelahrheit, wenn
man sie nicht zugleich ausüben kann, plagte mich
die Lange-Weile nicht wenig. Liebe, Jagd, Gärtnerey
und Bienen-Wirthschaft, machten mir meinen Zu-
stand erträglicher[.] Wenn ich ja noch dann und
wann etwas laß, so war es schöne Litteratur, Ge-
schichte, und in ausländischen Sprachen geschriebene
Bücher. Ich hätte in dieser Zeit eine recht schöne
Versorgung in Baden-Durlachischen Civil-Diensten
durch die Empfehlungen meines Mutter-Bruders, eines
Herren von Meusebach, deßen ich oben gedacht habe,
erhalten können; aber mein guter Vater beharrete da-
rauf, mich nicht wieder von sich zu laßen. Zu|<12>
meinem Glükke lernete mich der damahlige Sachsen-
Gothaische Hauptmann, nunmehr aber General Major
von Berbißdorf[9], welcher meinen Vater und meine
Verwandten im Jahre 1751 besuchte, mich persönlich
kennen. Meine äußerliche Figur muste ihm gefallen,
oder mein Zustand als ein junger Mann von Kentnißen
ohne Hofnung einer Versorgung sich auf dem Lande
zu verliegen,[10] ihn gerührt haben. Genung er schrieb
nach seiner Zurükkunft in Gotha, an mich, und meldete
mir, daß ich bey Vermehrung des dortigen Militärs
wohl noch die Stelle eines Lieutenants bey der In-
fanterie zu erhalten hoffen könnte, wenn ich mich
dieserhalbst selbst zu melden den Entschluß faßen
wollte. Es schien Fügung der gütigen Vorsicht
zu seyn, daß ich nunmehr meines Vaters Hauß
verlaßen sollte. Ich hatte mein gantzes Leben über
nicht die geringste Lust gehabt, den Militär-Etat
zu ergreifen. In diesem Augenblikke überwand
ich alle Abneigung gegen demselben; gieng mit mei-
nem ältesten VatersBruder von Schloß-Cannawurf,
der ein großes Gewichte bey meinem guten Vater
hatte, meines zu faßenden Entschlußes wegen zu
Rathe. Dieser fiel dahin aus; daß ich sogleich ohne
meines Vaters Vorwißen nach Gotha gehen, und
daselbst Dienste suchen sollte. Wäre ich einmal|<13>
der Versorgung daselbst sicher, so wolle er es auf
sich nehmen, die gantze Sache bey meinem Vater zu ver-
antworten, und ihn gewiß dahin zu bewegen, meinen
Schritt zu billigen. Ich reiste also nach Gotha, wurde
Lieutenant bey dem Leib-Infanterie-Regimente; und
meinem Onkel kostete es bey meiner Zurükkunft nur
wenige Worte, meines guten Vaters völlige Zufrie-
denheit mit diesem Schritte, zu gewinnen. Nun fieng
sich freylich die merkwürdigste Epoke meines Lebens
an. Meine äußerliches Ansehen hatte mir ver-
muthlich den Eintritt in Sachsen-Gothaische Dienste
erleichtert. Ich kam in eine neue Welt, wo ich gantz
einzeln, ohne Verwandte und Gönner, da stand.
Außerordentlich furchtsam und zurükhaltend. Ich
war auf Schulen strenge gehalten worden; und
das Universitäts-Leben hatte mihr ohnmöglich
die gehörige Bildung für die große Welt geben
können. Man gab mir anfänglich einige Hofnung
mit der Zeit vielleicht bey Hof oder bey einem Collegio
angestellet werden zu können. Es verstrichen aber
einige Jahre ohne meine sehnlichen Wünsche erfüllt
zu sehen. Indeßen hatte den Vortheil, als Grenadier-
Lieutenant so wohl Wachten am Hofe, als bey der
Herrschaft auf den Landhäusern zu thun. Dies ver-
schafte mir die schönste Gelegenheit mich der Herrschaft
nähern zu dürfen, und von ihnen gesehen und gekant zu werden.|<14>
Die ersten Jahre meiner Gothaischen Dienste waren
also meine eigentlichen Erziehungs-Jahre für die
größere Welt, und schaften mir besonderes sehr
fleißige Übung in der französischen und italie-
nischen Sprache. Das Jahr 1757 war ein vorzügli[ch]
ausgezeichnetes Jahr für mein künftiges Schiksal.
In demselben wurde ich Cammerjunker, Lieutenant und
Adjutant bey der LeibGarde zu Pferde, und lernte
in eben diesem Jahr mein theuerstes Weib kennen,
welche mit der gantzen Familie ihres Onkels, weil die
gantze combinierte französische und ReichsArmee
bey Gotha stand, nach der Stadt geflüchtet war.
Damals begann unsere wechselseitige zärtliche Liebe,
welche erst im Jahre 1764 durch die seeligste Ver-
bindung mit dieser guten Seele belohnt wurde.
Im Jahr 1758 wurde ich nebst unsern Herzoglichen Prin-
tzen und Printzeßin, von einem französischen Offici[er]
Vicomte de Gréaulme, in dem Orden des vrais
amis aufgenommen. Dieser Mann mochte politische Ab-
sichten bey der Stiftung dieser Gesellschaft haben, wie
damals noch die Rede ging, unsere seelige Prinze[ßin]
könnte vielleicht Königin von Engelland werden.
Man behauptete nicht ohne Grund, der Vicomte des [Gé]
auline sey ein Affilie der Jesuiten; und ich wurde
hernach von unsrer höchstseeligen Herzogin dazu gebracht|<15>
die Gleichheit der Grundsätze des Ordens der vrais amis,
mit den Einrichtungen des Jesuiten-Ordens, aus dahin
einschlagenden Schriften heraus zu ziehen, und darzu-
thun. Mein Avancement gieng nun mehr ziem-
lich geschwinde. Denn ich reiste schon im Jahr 1763. als
zwey-jähriger Cammerherr und als Major von der
LeibGarde mit der Herrschaft nach Altenburg auf den
Landtag; und wurde alsdenn im Jahr 1769., wie ich
mit unserm jetztregierenden besten Herzoge auf
Reisen, und eben in Paris war, Obristlieutnant der
Cavallerie und Commandante der Leib-Garde zu Pferde.
Im Jahr 1763. verlor ich meinen rechtschafnen
Vater. Der leidige siebenjährige Krieg und seine Un-
ruhen hatten diesen starken und gesunden Mann, der
seiner Constitution nach länger leben könte, mürbe gemacht.
Er hinterlies mir, meinen zwey nochlebenden Brüdern,
und meiner noch ledigen Schwester, sein Rittergütchen
zwar un ohne Schulden. Seine Capitalien aber waren
durch den Aufwand auf die Versorgung seiner Söhne, die
insgesamt in ausländischen Diensten waren, und
wovon zwey in dem siebenjährigen Kriege, einer
in Kayserlichen, der andre in Preußischen diensten
todtgeschoßen wurden, durch die Ausstattung meiner
jüngsten Schwester, durch den für die armen Chur-
sachsen so kostspieligen Krieg, und durch die nach|<16>
dem Ableben meiner Stiefmutter, immermehr rükgän-
gige innerliche Wirthschaft gäntzlich geschmoltzen.
Im Jahre 1764. war ich endlich so glüklich, mich mit meiner
geliebten Gattin Sophien Christianen Franzisken Emilien
von Lengefeld zu verbinden: Tausend Unruhen und
anhaltenden Muth hat es uns wechselseitig gekostet,
unsern Zwek zu erreichen. Ich hatte es mit ihrem
Onkel einem harten und dem Trunke ergebenen Man-
ne zu thun, welcher sie als Mündel seit ihrem zweyten
Jahre, da sie beyde Eltern verlor, im Hause gehabt und
erzogen; ihre Sachen aber dabey nicht sonderlich ordentlich
gehalten hatte: daß ihm sogleich die Ablegung der Vor-
mundschaftsRechnung ungemein schwer geworden
seyn würde. Er suchte unsrer Verbindung auf alle
mögliche Art heimlich zu hintertreiben, wenn gleich
sein Mund mir sie niemals abschlug. Am Tage
unserer Verheyrathung, eben wie der Prediger,
der uns copulieren sollte auf dem Hof fuhr, starb
sein liebstes Kind an den Blattern. Wir haben nach
unserer Verbindung niemals Rechnung von ihm
gefordert, und wir blieben seine hinterlaßenen
guten und rechtschafnen Kinder, würklich wie unsre
leiblichen Geschwister. Mein gutes Weib ist die see-
gensvolle Schöpferin meiner dauerhaftesten Zufrie-
denheit. Sie hat mir drey fürtrefliche Kinder, zwey
nunmehr erwachsene Töchter, und einen Sohn, welcher|<17>
in das 14te Jahr gehet, geschenket, Gute, tugendhafte
und wohlgestaltete Kinder, denen Gott reine Seelen
und gute Herzen gab. Der Ewige sey ferner mit ihnen
und wache über sie. Im Jahr 1767. hatte der Gothaische
Hof durch das Ableben der höchstseeligen regierenden Frau
Herzogin einen empfindlichen Verlust, der alles mit Trau-
ren erfüllte. Einige Monate nach diesem Vorfalle
wurde ich durch den einigermaßen zu starken und unvor-
sichtigen Gebrauch der Eau de Cancelot gegen schmertz-
haftes Zahnweh, womit ich sonst zu weilen heimgesucht
wurde, an einem Zahngeschwür kränker, als ich es an-
fänglich glaubte; und sahe mich genöthiget, einige
Wochen das Zimmer zu hüten. Ich beschäftigte mich
diese Zeit über, mit Lesen nützlicher Bücher, und be-
sonders englischer Schriften, welche ich immer vorzüglich
liebte. Eine Art von Melankolie verbreitete sich
während dieser Unpäßlichkeit über mein gantzes
Wesen, deren nicht zu entledigen mir die gröste Mühe
von der Welt kostete. Der Grund davon lag vermuthlich
in meiner Körperlichen Verfaßung, und in dem
Mangel der mir höchstnöthigen Bewegung. Die
allgütige Vorsicht riß mich aber gar bald aus dieser
traurigen Lage. Gantz unvermuthet, wie es sich micht
mir zur Beßerung anlies, besuchte mich ein Mann, wel-
chen ich noch jetzt sehr verehre, und kündigte mir zu
meiner größten und freudigsten Verwunderung von Seiten
unsers höchstseeligen Herzogs an, daß ich darzu be-|<18>
stimmt wäre, als Cavalier mit unsern jetzt regierenden
gnädigsten Herzoge, als damaligen Erbprintzen eine
Reise zu thun. Ich erfuhr dieses nur wenige Tage vor
dem festgesetzten Tage unserer Abreise; und muste
doch versprechen, es so gar meinem besten Weibe
nicht zu entdekken. Das setzte mich in nicht wenig
Verlegenheit: meine unvermuthete Entfernung
von einer geliebten Gattin, die ich mit zwey kleinen
Kindern zurükkließ, kostete ihr destomehr Thränen,
und ich selbst war nicht im Stande, auch nur die ge-
ringsten Reise-Anstalten für meine eigene Person
zu machen. Diese meine Bestimmung war mir eben
so unerwartet, als die meisten HofCavalliers
darüber erstaunten, daß eine solche Wahl auf
mich gefallen war. Die Reise beyder Printzen
war äußerst geheim gehalten worden. Im Monat
Februarius 1768. traten wie unsre Reise an. Wir
gingen über Meinungen, Würtzburg, Hanau, Frankfurt
am Mayn[,] Darmstadt, Mayntz; den Rhein hinauf biß
Bonn, und von da zu Lande nach Holland und zwar
fürs erste nach dem Haag. Hier gefiel es mir recht
wohl; und ich hatte noch das besondre Vergnügen, in
dem Hause des seeligen Graf Rhoon-Bentink , Pre-
mier Noble de la Hollande, als Kind aufgenommen
zu seyn, zu aller Zeit freyen Zutritt zu haben.
Nachdem wir etwas über 3. Monat in dem Haag zu-|<19>
gebracht hatten, sandte den höchstseeligen Herzog den
seeligen Geheimden-Rath, Oberstallmeister und Obristen
der LeibGarde zu Pferde von Benkendorf noch zu dem
Erbprintzen: und nunmehr erfuhr ich mit Freuden,
daß mein Lieblingswunsch, England zu sehen, gantz
gewiß erfüllet werden würde. Im Junius ebendeßelben
Jahres, giengen wir durch die Niederlande, über
Herzogen-Busch, Breda, Berg-op-Zoom, Antwerpen,
Brüßel, Lille pp nach Calais und von da nach
Dover über. In England und zwar in Londen überfiel den Herrn
von Benkendorf ein kränkliches Wesen, welches
in eine Art von Melancholie ausartete. Durch
fleißige Bewegung erhielt ich meinen Körper ge-
sund und munter, und den Geist bey Kraft, dem
armen Leidenden, so viel mir möglich beyzusthen,
und zu ermuntern. Alle Mittel waren vergebens.
Er machte sich auf Anrathen seines Artztes auf
die Rükreise, um vielleicht bey vaterländischer
Luft wieder zu genesen; stürtzte sich aber, aller
angewandten Aufsicht ohnerachtet, in Calais
zum Fenster heraus, welches seinen schleunigen
Todt verursachte. Ich wurdevpn London nach Dover geschikt,
den entseelten Leichnam, nachdem er wieder nach
England zurükke gebracht worden, daselbst gegra-
ben zu laßen, welches auch würklich in der dasigen Haupt-
kirche geschah. Zu Ende September begleitete|<20>
gantz allein unsern jetztregierenden durchlauchtig-
sten Herzog nach Frankreich. Wir gingen gerades
Weges über Dover und Calais nach Paris, wo wir
bis in Januarius 1769. verblieben; und alsdenn wie-
der nach Gotha zurükke kehrten. Diese schöne Reise
ist mir ungemein nützlich gewesen. Nur Schade,
daß man das erstemal, alles, was man merkwür-
diges sieht, mehr anstaunt, als recht siehet und
beobachtet. Die gleichzeitige Anwesenheit des
Königs in Dännemark[11] so wohl England als in
Frankreich, gab uns Gelegenheit sehr vielen und
großen Feyerlichkeiten beyzuwohnen. Ohnerachtet
dieses Geräusch meinem Geiste, welcher die stillen
Ge gesellschaftlichen Freuden, und die Gelegenheit
nützliche Kenntniße zu erlangen, weit höher schätzte,
nicht sonderlich behagte; so gewann ich doch so
viel dabey, die große Welt in ihrem blendenden
Glantze auch einmal gesehen und angestaunt zu
haben. Und die Gegenwart des Königs von Dän-
nemark brachte mir noch den Vortheil, seinen
verehrungswürdigen Minister den seeligen Grafen
von Bernstorf,[12] und den guten seeligen Sturz[13]
kennen zu lernen. In England hat es mir
bey meinen Reisen vorzüglich gefallen. Zwey
Freunde, der seelige Graf John Bentink,[14] einer der|<21>
der geschiktesten und ältesten englischen SchifsCapitäns,
deßen Bekantschaft ich in dem Haag gemacht hatte,
und ein liebenswürdiger Artzt Dr. Turton,[15] machten
mir durch ihre Freundschaft und treuen Beyrath, meinen
Aufenthalt daselbst so wohl nützlich als angenehm.
Unser Aufenthalt zu Paris war mir ebenfalls von
sehr großen Nutzen. Der H[err] Geheimderath Baron von
Grimm,[16] gab sich alle Mühe, unserm jetztregierenden
guten Herzoge nicht allein das sehens- und merkwür-
digste täglich beobachten zu machen, sondern ver-
schafte uns auch den unbezahlbaren Vortheil, wö-
chentlich, zwey mal bey der seeligen Madame Geofrin,[17]
einmal bey dem seeligen Helvetis,[18] und einmal
bey dem Baron Hollbach,[19] in der Gesellschaft der
artigsten, besten und gelehrtesten Männer zu Mit-
tage zu speisen. Die Schauspiele habe in Paris
und London sehr gerne besucht. Den unnach-
ahmbahren Garrik[20] habe in verschiedenen Haupt-Rollen
mit Vergnügen bewundert. Bey unserer
Rükkunft in Gotha, im Januarius 1769. trafen
wir unsern höchstseeligen Herzog von Gichtschmer-
zen gantz entkräftet und bey sehr schwächlicher
Gesundheit an. Er entschlief endlich zu Anfange
des Jahres 1773. Seine langwierige Krankheit
bereitete natürlicher weise eine gewiße Stille am Gothaischen
Hofe aus. Ich wandte den letzten traurigen Winter|<22>
darzu an, noch etwas Griechisch zu lernen, um mir
das Linneische System, nach welchem ich nunmehr meine
Pflantzen-Sammlung einrichten muste, leichter zu machen.
Ich hatte meine Anfangsgründe in der Botanik auf
dem Paedagogio zu Halle gelegt. Der nöthigen cörper-
lichen Bewegung wegen, und zugleich das Leere bey mei-
nen fleißigen Spatziergängen auszufüllen, suchte
ich dieses Liebelingstudium in meinen männlichen
Jahren immer wieder hervor.
Unser jetztregierender bester Herzog, den ich von gan-
tzen Herzen liebe und verehre, bestätigte mich bey dem
Antritt seiner Regierung in allen meinen bisherigen
Aemtern, und gab mir eine kleine Pension, welche ich
bisher aus des höchstseeligen Herzogs Chatouille
erhalten hatte, ebenfalls fort. Ein Jahr drauf bekam
das Patent als Obrist der Cavallerie. Im Jahr 1775
wurde Freymaurer. Die gute Freymaurerey hat mich
zu einem thätigern und beßern Manne gemacht.
Unserm seeligen Vice-Consistorial-Präsidenten
Klüpfel[21] bin ich unendlich dankschuldig, daß er mich
bewog, an den Auszügen in der Gothaischen gelehrten
Zeitung Theil zu nehmen. Ich laß die Schriften, wovon
ich Auszüge liefern muste, mit weit mehr Auf-
merksamkeit und Nutzen, als vorher, und erwarb
mir dadurch weit|mehr nützliche Kentniße. Seit
einem Jahr bin ich ein unwürdiger Mitarbeiter bey
der allgem[einen] teutschen Bibliothek im ökonomischen|<23>
Fache. Ich war von jeher ein großer Liebhaber der
Musik, und spielte auf der Querflöte mit gutem An-
satze, nicht gantz schlecht. Ein paar Jahre daher habe die-
ses Instrument, welches nicht mehr für mein Alter
zu seyn scheint, mir auch jetzt viel Zeit die ich beßer anwen-
den muß, wegnehmen, und mir dabey, da es ohne Ac-
compagnement nicht bestehen kann, Kosten, die ich
auf Ausbildung meiner guten Kinder anwenden muß,
verursachen würde, vernachläßiget. In meinen
feurigen Jahren liebte ich die teutsche Dichtkunst; und die
Liebe macht mich dann und wann zu einem sehr
mittelmäßigen Dichter, welches meine im Jahr
1759 in Alexandrinischen Versen im Druk erschienene
teutsche Übersetzung der Epitre d'Héloise à Abelard
vom Collardeau,[22] am besten bezeigen kann.
Nachdem ich die meisten Pflantzen um Gotha herum
und auf dem Thüringer-Walde eingesammelt und
aufgetrocknet hatte, fieng es an, mir an einem Ne-
ben-Zwekke der mir so nöthigen körperlichen
Bewegung zu halten. Ich wählte als hierzu von
neuen die Jagd. Mein gütigster Herzog erlaubte
mir, drey Herbste hinter einander, den gantzen Monat
September und die Helfte des Octobers, in dieser Ab-
sicht auf dem Lande zu verbringen. Ein angenehmes, auf einer
Anhöhe liegendes Dorf, Ebenheim genannt, wurde für
mich und meine gantze Familie diese Zeit über der vergnüg-
teste Aufnethalt; und ich gieng, ohne paßionierter Jäger|<24>
zu seyn, meist alle Tage 6 biß 7. Stunden ganttz alleine
mit meinem Hühner-Hunde in 5. gepachteten Land-
fluhren auf die Jagd. Diese starke Bewegung erhielt
meinen Körper bey Kräften, und ich sammelte auf
dem Lande Gesundheit ein für die kommenden Winter.
Im Jahr 1780. wurde mir gantz unvermuthet ein rui-
niertes Rittergut in Chursachsen, welches schon bey un-
ser Familie war, für einen leidlichen Preiß zum
Erkauf angeboten. Er kostete mir zwey schlaf-
lose Nächte ehe ich mich entschließen konte, auf
Anrathen meiner guten Gattin, welche sehr
viel Lust zur Landwirthschaft bezeigte, diesen
vorgeschlagenen Handel einzugehen. Ein Haupt-
BewegungsGrund entschied mich endlich dafür.
Es schien mir ein Wink der gütigen Vorsicht zu seyn
auf diese Weise durch durch eifrige Landwirthschaft
und fleißigen Akkerbau vielleicht mehr zu verer-
ben, als mir mein dermaliger, nicht außerordentlich
einträglicher aber dennoch von mir unendlich ge-
liebter Dienst, mir gewähren kann; bey welchem
eigentlich, mit meiner Familie, auf deren Erziehung
und Bildung ich allerdings viel verwenden muß,
mehr zusetze, als erwerbe. Ich kaufte sogleich
im October 1780. den sogenannten Flanshof
in Cannawurf von meinem Vetter den Preußischen
Lieutenant von Helmolt. Mein Anfang in der|<25>
Landwirthschaft war ungemein schwer und drük-
kend für mich; weil ich beynahe alle meine baa-
ren Einkünfte im ersten Jahre darauf verwenden muste. Gott
schenkte mir aber in dem ersten Jahre gleich eine
seegensville Erndte; die zweyte war ebenfalls
gut; und auch in der dritten scheint der Herr
seine Hand nicht von uns abziehen zu wollen.
Bey diesen Umständen prosperiert unsere kleine
Landwirthschaft zusehends, so wohl innerlich
als äußerlich. Mein gnädigster Herzog erlaubt
mir gerne, so ofte mein Gegenwart in Canna-
wurf nöthig ist, dahin zu gehen. Jetzt ist es schon
der dritte Sommer, in welchen ich mit seiner väterlich
gütigen Genehmigung, die Aerndte-Zeit daselbst
zubringen darf. Die glüklichste Zeit meines gan-
tzen Lebens. Hier bin ich ein arbeitsamer thatiger
Mann, bey den stillen häuslichen Freuden, und in
dem Schooße der besten Familie unendlich froh
und zufrieden. Mein Cörper ist noch stark genug,
den Weg von Cannawurf nach Gotha von 11. Stun-
den, in einem Tage gantz bequem zu Fuße zu machen,
wenn es nöthig seyn sollte. Einfache ländliche
Kost behagt mir weit beßer, als die reichlich auf-
geschüßelten Tafeln bey Hofe. Ich war sonst
ein sehr starker Eßer, aber nie ein Trinker.
Jenes ist vielleicht Ursach, daß ich zweymal in meinem|<26>
Leben das kalte Fieber gehabt habe. Ich bin 5. Fuß
8 und ½ Zoll nach Preußischen Maaße lang; und da-
bey ziemlich breitschuldrich. Mein Körper hat strarke
Muskeln und Knochen, ist aber sonst gerade gebaue[t.]
Mein Blut ist rein und gesund. Außerliche Wunden
heylen bey mir ohne den geringsten Zufall, sehr
geschwinde. Ich habe noch nie Ader gelaßen. Mein
Haar ist blond; und meine nicht allzugroßen
Augen, blau. Die übrigen Gesichtszüge giebt
meine Silhouette zu erkennen. Tägliche Bewe-
gung zu Fuße erhält mich bey körperlicher Kraft
und Stärke, und bey heitern Geiste. Ich glaube
meinem Temperamente nach ein Sanguineo-Cole-
ricus zu seyn. Die Leidenschaft der Liebe hat mich
in meinen feurigen JünglingsJahren ungemein
herumgetrieben: biß ich endlich an der Seite mei-
ner besten Gattin, Ruhe und Zufriedenheit für
mein gantzes Leben fand. Ich bin von Natur zum
Jähzorn geneigt: Vielleicht ein kleines Erbstük
meines rechtschafnen seeligen Vaters: die zeitige
Entfernung aus meines Vaters Hause hat
ihn gemäßiget, und die Erziehung am Hofe
mich in diesem Stükke vorsichtiger und biegsamer
gemacht. Zu diesem freyen Bekentniß darf ich|<27>
wohl hinzufügen, daß ich von den weichgeschafnen
Seelen bin, die gleich ihre ernste Hitze bereuen; und
überhaupt sehr vieler Herzens-Rührung fähig sind.
Ich bin kein gründlich gelehrter Mann. Meine meisten
Kenntniße sind superficiell: ebenfalls eine Folge
meiner natürlichen Flüchtigkeit, welche erst
das Alter hat verbeßern müßen. Mein wahres
Glükke ist, daß ich Bücher lesen, und daß ich folglich
in meinen jetzigen Jahren nicht kenne, was man
Lange-Weile heist. Meiner Erziehung auf dem
Paedagogio zu Halle hat mir Vortheile geschaft,
daß ich auch noch die guten alten lateinischen
Claßiker zu lesen, so ziemlich im Stande bin.
Von ausländischen Sprachen liebe ich vorzüglich die
Englische. Meine Lieblings Wißenschaften sind
gegenwärtig Natur- und LandwirthschaftsKunde,
 und alles was dahin Bezug hat. Von erstern
besonders die Botanik, und die mit ihr so genau
verbundene höhere Gärtnerey. Ich lieb
eigentlich das Kartenspielen gar nicht. Hazard-Spiele habe ich jederzeit gehaßet. Ich spiele nur die
gewöhnlichen Commerce-Spiele, weil es von mir
als Hofmann verlangt wird, zu spielen. Ich habe
in meiner Jugend außerordentlich gerne getantzt;
auf Universitäten eben so gerne gefochten;|<28>
das Reiten aber niemals so sehr, wie Tanzen
und Fechten geliebt. Alle mit starker LeibesÜbung
verknüpften Spiele, als Billard, BallSpiel in und
außer dem Ballhause, Ballon, und Criquet
waren mir immer sehr angenehm. Das Schach-
Spiel würde ich lieben, wenn ich so weit Herr über
mich seyn könnte, gantz kaltblütig dabey zu bleiben.
Chrysostomus

Cannawurf den 6. August
1783. am neunzehenden
Jahrestage der glüklichen
Verbindung mit meiner
guten Gattin.

Notes

  1. Günther Urban Anton von Lüdecke (1723–1788), 1741–43 Besuch des Pädagogiums in Halle, seit 1750 in der Herrnhuter Brüdergemeinde Niesky (Oberlausitz).
  2. Wahrscheinlich Johann Friedrich Otto (*1718 Greifenhagen/Pommern), 1741 Informator am Pädagogium zu Halle.
  3. Hieronymus Freyer (1675–1747), 1698 Lehrer, 1705 Inspektor am Pädagogium zu Halle.
  4. Ausschweifungen
  5. Stephan Werner von Dewitz, (1726 – 1800), 1784 Staatsminister in Schwerin Item:Q77203
  6. Christian Heinrich Posewitz (*1732 Quedlinburg), 1746 Schüler der lateinischen Schule zu Halle Item:Q77233
  7. Orden der grünen Bergmänner Item:Q77232.
  8. Fieber mit Ausschlag.
  9. August von Berbisdorf (1726 – 1810), Generallieutenant und Schloßkommandant Item:Q28052
  10. Durch Unthätigkeit Schaden erleiden (Grimm).
  11. Christian VII. (1749-1808), König von Dänemark und Norwegen.
  12. Johann Hartwig Ernst Graf von Bernstorff (1712 Hannover – 1772 Hamburg), Studium in Göttingen und Tübingen, 1732 Eintritt in dänische Dienste und Gesandter in Dresden, 1738 in Regensburg, 1744 in Paris, 1751 Kgl. dänischer Außenminister und Präsident der Deutschen Kanzlei (für Schleswig und Holstein), 1770 pensioniert.
  13. Helferich Peter Stürz (Sturz) (1736 Darmstadt – 1779 Bremen), Studium in Jena u. Gießen, 1760 Privatsekretär in Glückstadt, 1762 fürstl. Bernburgischer Rat, 1764 Sekretär im Außenministerium in Kopenhagen, 1765 Wirkl. Kanzleirat, 1768 Legationsrat, 1773 Rat in Oldenburg; Dramendichter im Kreis um Klopstock.
  14. John Albert Bentinck (1737 – 75), brit. Kapitän, 1761–68 Parlamentsmitglied, nautischer Fachschriftsteller.
  15. John Turton (†1805), Leibarzt des Königs Georg III. von England.
  16. Friedrich Melchior Freiherr von Grimm (1723 Regensburg – 1807 Gotha), Studium in Leipzig, danach Sekretär u. Hofmeister in wechselnden Stellen, seit 1748/49 in Paris, 1772 geadelt, 1776 Gothaischer Gesandter, 1777 Erhebung in den Reichsfreiherrnstand; 1753–1792 Herausgeber u. Autor der „Correspondance littéraire, philosophique et critique, adressée à un Souverain d'Allemagne“.
  17. Marie Thérèse Geoffrin, geb. Rodet (1699 Paris – 1777 Paris), Schriftstellerin und „Salonnière“ in Paris.
  18. Claude Adrien Helvétius (1715 Paris – 1771 Paris); 1738 Steuerpächter; Philosoph und Schriftsteller, Mitarbeiter der Enzyklopädie.
  19. Paul Henri Thiry d’Holbach (1723 Edesheim b. Landau –1789 Paris); Studium in Leiden, 1748 Anwalt in Paris, Naturwissenschaftler und Philosoph, Mitarbeiter der Enzyklopädie.
  20. David Garrick (1717 Hereford – 1779 London), Schauspieler und Direktor des Drury Lane Theatre in London, bedeutender Shakespeare-Darsteller.
  21. Emanuel Christoph Klüpfel (1712 Hattenhofen – 1776 Gotha), Studium der Theologie in Tübingen, 1741 Pfarrer in Genf, 1752 Konsisorialrat in Gotha, 1775 Vizepräsident des Oberkonsistoriums; 1763 Begründer des „Gothaischen genealogischen Hofkalendes“.
  22. Charles-Pierre Collardeau: Lettres d'Héloïse à Abélard, Paris 1758.