D-Q6646

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Commentary

Inhaltlich ein fragwürdiger Aufsatz, vielleicht darum umso interessanter. Germanistik wird hier im Vorstadium deutscher Rechtsgeschichte betrieben. Es geht um die ursprüngliche Bedeutung des deutschen Wortes Mann. Im ausgehenden 18. Jahrhundert liegt hier ein positiv aufgeladener dem Heroischen zugänglicher Ausdruck vor, doch legt Mereau Wert auf die Feststellung, dass diese Konnotation eher neu ist.

Mann habe ursprünglich Leibeigener bedeutet. Einen Beweis für diese Behauptung bleibt Mereau schuldig – das Wort taucht in allen germanischen Sprachen auf und steht etymologisch für Mensch beiderlei Geschlechts. Es kommt in Normannen vor wie im pronominalen man (man kann das tun), es existiert im Englischen als woman, wörtlich Weibmensch in der alten gemeingermanischen gender-Neutralität.

Die Stelle des etymologischen Beweises nimmt stattdessen eine unbewiesene zeitliche Kohärenz ein: das Wort sei erst mit der Aufhebung der Leibeigenschaft aufgekommen (für sie gibt es überhaupt keinen festen Zeitpunkt). Das Lateinische mancipium habe hier – so behaupteten „Manche“ – die etymologische Wurzel geliefert. Die Zusammensetzung aus manus (Hand) und capere (fangen) steht für das Erlangen des Eigentumrechtes durch Ergreifen, was Mereau zu einer freien Assoziation in die Tiefen der germanischen Rechtsgeschichte hinab verleitet: Das Wildfangsrecht und das Strandrecht, so die Meinung dieser „Manchen“, müsse man besehen, um zu verstehen, wie Männer durch das Ergreifen (mit der Hand) Leibeigene wurden, aus manucipium habe sich Mann entwickelt.

Die Etymologie wird gebildet und verworfen, und doch stellt sie im Moment, da sie abgestoßen wird, noch eben die Leiter her, über die sich zum selben Ergebnis gelangen lässt: Der Leibeigene sei tatsächlich in einer Rechtszeremonie gekennzeichnet worden: Sein Herr legte Hand – manus – an seinen Arm und befahl ihm, vor aller Augen zu einer geringen zeremoniellen Dienstbarkeit, die die Leibeigenschaft sodann fixierte.

Die Probleme, die die gefundene Etymologie aufwirft, sind selbst fruchtbar Kristallisationspunkte von Lösungsangeboten, die die These auf dem unwahrscheinlichsten und gerade darum zu bedenkenden Weg konsolidieren. Benötigt wird nämlich nun eine Theorie, die erklärt, warum das Wort Mann in so vielen Verwendungen eine ehrenvolle Konnotation hat. Ein Stück nachweisbarer Etymologie greift hier: Mann taucht auch in Lehnsmann auf. Der Lehnsmann wird zum Leibeignen des Lehnsherren, der von diesem in wichtige Ämter gesetzt wird, in denen er sich dann bewährt – in wichtige Ämter wie den Rechtsbeisitz, die er nur als Befreiter Leibeigener ausfüllen kann. Da er sich bewährt, gelingt es dem ehemaligen Leibeigenen, seinen Ruf zu rehabilitieren und mit einer Ehre auszustatten, die bald auch andere dazu bewegt sich Männer zu nennen.

Eine kleine Nebengeschichte kommt aus dem lokalen Umfeld der Stadt Jana hinzu. Kunitz, nordöstlich der Stadt gelegen, war ursprünglich befestigt. Man sprach im Blick auf die Bewohner hinter den Mauern von den Mannen von Kunitz. Da Mereau Leibeigene benötigt, um seine Genese zu stützen, macht er aus dem Ort ein Gefängnis für Leibeigene, die sich dann jedoch bewähren und, nachdem sie frei werden, ihre Männlichkeit, das ehemalige Zeichen ihrer Leibeigenschaft, zum positiven Attribut erheben. (Tatsächlich lag hier eine Befestigung. Die Burgmannschaft ging zum eigenen Lebensunterhalt Handwerken nach, die innerhalb der Befestigung betrieben werden konnten, blieb jedoch eben Burgmannschafft.)

Deutlich fehlt hier ein klarerer Bick auf europäische Sprachen und mehr als eine basale juristische Ausbildung, die zu gewagten historischen Thesen verleitet. Gespickt nebenbei mit Mittelalterstereotypen von der Dunkelheit der Zeit bis zu den Raubrittern, die sich ihr Recht mit Gewalt bildeten.

Transcript

Butus
den 28. Dyn
1155


Ueber einige Ausdrücke, die zuerst im
Mittelalter entstanden, deren anschei-
nende Veranlaßung und Herleitung;
als eine Fortsetzung meiner leztern Ab-
handlung.

__

Wenn ich öfters in das Dunkel unsrer
Geschichte, in das graue Mittelalter
hinein sah und nun fand wieviel den
forschenden Auge noch darin zu entdecken
übrig bleibt, so war es einer meiner
vorzüglichsten Wünsche, das Licht über
die Begebenheiten deßelben, das wir noch
zu erwarten haben, bald aufgehen zu
sehen. Ich fühlte mich aber je-
derzeit noch zu schwach um mir schmei-
cheln zu können mich selbst dabey
thätig zu beweißen. Noch jezt den-
ke ich eben so, aber der Wunsch nach
und nach tiefer einzudringen, ver-
mochte mich zu dem, was ich Ihnen,
meine Brüder, jezt vorlegen werde.
Sehen Sie dies also aus den rechten
Gesichtspunct an, betrachten Sie es
nicht als ob ich wagen wollte Sie
zu belehren, sondern vielmehr als|<2>
ein Mittel, das ich ergrif einige unter
Ihnen und meinen andern Brüdern zu
bewegen meine noch schwanckenden
Begriffe, durch eine richtige Wider-
legung und paßendere Erklärung
zu berichtigen.

Damals da der Anfang zu Aufhebung
der Leibeigenschaft in Teutschland ge-
macht wurde,[1] findet man zuerst
statt Leibeignen den Ausdruck Män-
ner gebraucht. Wiewohl einige
den Ursprung dieser Benennung
weit früher annehmen, so möchte
doch dies für die erstere Meynung
beweißen, daß das Wort in die-
ser Bedeutung eine bloße Ueber-
sezung von mancipium[2] ist; Nicht
als ob zu jener Zeit noch diejenigen
Leibeigne wurden, die durch Feh-
den oder Kriegsrecht in die Gewalt
ihrer Sieger kamen, sondern die,
welche durch das Wildfangsrecht[3]
wovon wir noch jezt Spuren in
der Pfalz und andern Orten Teutsch-
lands finden, oder das Strandrecht[4]
welches doch auch in jenen Zeiten
nicht gänzlich aufgehoben war,|<3>
ihre Freyheit verlohren. Also im
fränkischen Sinn darf man mancipi-
um schlechterdings nicht nehmen,
sondern in der Geschichte iener
Zeiten finden wir einer Ceremo-
nie gedacht, deren sich derjenige
bediente, der sich die Herrschaft
über einen andern anmaßte
und die zu dieser Benennung An-
laß gegeben haben mag. Der
Herr nahm seinen neuen Leib-
eignen an der Hand oder Arm
und wieß ihn in Gegenwart
einiger Zeugen, zu einer gewißen
willkürlichen Arbeit an, und
nun erst heißen diese Angewies-
nen nach den damaligen Latein
mancipia, im Teutschen contracte
Männer außerdem auch wohl öfters
Armleute; folglich ist auch diese
leztere Bedeutung für nichts we-
niger als ein Synonim von ar-
men Leuten zu halten, wie es
den ersten Ansehen nach scheint,
denn erstlich hießen diese damals
im gerichtlichen Styl das Gepö-|<4>
ver[5] so nennt sie unter andern Ru-dolph.[6]
Ferner beweißt es auch [[Einfügung] der Nahme] den man eben
diesen Leibeignen gab, wenn sie wie-
der freygelaßen wurden, nemlich
Armgefreyete.

Belege hiervon würden nicht
schwer werden aus verschiednen
Urkunden der damaligen Zeiten
zu schöpfen.

Aber woher kömmt es daß noch an
einigen Orten ein Theil der Ein-
wohner, Männer ausschließungs-
weiße für den übrigen genommen
werden? Iezt weiß man we-
nig oder gar nichts von den Ur-
sprung dieses Nahmens und
vielfältig sind diejenigen die
ihn führen stolz darauf. Ein
Beyspiel davon haben wir
in einen kleinen benachbarten
Städtchen in Kuniz.[7] Hier giebt
es dergleichen Männer. Dieses
Nahmens wegen genießen sie
unter ihren Mitbürgern eines
besondern Ansehens und fast hal-
ten sie sich für beleidigt, wenn|<5>
man sie anders nennt. Ursprüng-
lich aber mag wohl dieser Nah-
me nichts anders seyn, als ein
Ueberbleibsel von ihrer vorigen
Dienstbarkeit. So weiß man
sogar, daß eben diese Männer
von Kuniz vordem in einen
eignen Bezirk wohnten, der
mit einer Mauer und Graben
umgeben war und in welchen
sie des Nachts eingeschloßen
wurden, um sie zu verhindern
nicht abermalen zu entfliehen.
Die außerordentliche Verände-
rung aber, daß sie aus Leibeig-
nen mit Beybehaltung ihres
Nahmens solche wurden, die
nun durch diesen Nahmen
selbst, unter ihren Mitbürgern
einen Vorzug genießen, ist
nichts andern zuzurechnen als
daß sie durch ihr gutes Ver-
halten, durch außerordentliche
Treue gegen ihren Herrn oder auch
sonst durch einen besondern Zufall|<6>
diesen bewogen, sie nicht nur von
der Leibeigenschaft zu befreyen,
sondern sie auch wohl sogleich
oder in der Folge mit einigen
Gerechtsamen[8] zu beschencken.
Zum ewigen Andenken
dieser Wohlthat beschloßen sie
ihren ersten Nahmen beyzu-
behalten und nun sah man
bey Herleitung und Erklärung
deßelben nicht auf deßen
Ursprung sondern nur auf die
Folge und Wirckung, wie
dieses der Fall bey sovielen andern
Sachen ist, und daß ich mich hierin
nicht ganz irre, davon zeugt, daß
noch jezt bey uns ein Mensch von
gewißen Vorzügen nur Aus-
schließungsweiße Mann ge-
nannt wird.

Die Untersuchungen die ich hierüber
aufstelle, führten mich auf eine andere
Conjectur, die ich Ihnen, m[eine] B[rüder], so schwan-
kend sie auch immer seyn mag, doch vor-
zulegen wage. Vielfältig hörte ich
vom Richter und den Männern reden[9]|<7>
und noch bis izt waren alle meine
Bemühungen vergebens eine genug-
thuende Erklärung davon ausfindig
zu machen; wäre dieser Ausdruck
neu so könnte allenfalls die Er-
klärung paßen, die ich mit vordem
davon machte, als ob diejenigen
die den Richter als Beysizer zugeord-
net wären, diesen Nahmen bekommen
hätten; um zu zeigen daß es nur
Leute von festen Charackter, bewähr-
ter Treue und Glauben, kurz Männer
in dem Verstande wären, wie wir
das Wort jezt annehmen. Aber
dieser Ausdruck ist viel zu alt, als
daß man wagen dürfte ihn so zu
erklären; wie also wenn man das
Wort Männer in der eben gedachten
Bedeutung, wo es Leibeigne heißt,
annähme? – Zwar scheint mir
selbst die Hypothese worauf sich
meine ganze Conjectur gründet et-
was zu gewagt, aber der Gedancke
daß gar keine genugthuende Erklä
rung da ist und eben die Gründe die
mich zu dieser ganzen Abhandlung|<8>
bewegen und die ich auch gleich zu An-
fang derselben anführte, munter-
ten mich auf auch diese hier nicht
zu verschweigen.

Der Gerichtsherr der meistens von
Adel und also an den Hoff gefeßelt
war, oder nach Rittersitte im Krieg
seinen Fürsten diente, in Friedens-
zeiten seine Nachbarn befehdete,
auch wohl, welches ihm gleichviel
galt, den Durchreisenden entweder
beraubte, oder gegen Erlegung eines
Stück Geldes mit seinen Kriegsge-
fährten sicheres Geleite gab und
gegen jeden fremden Überfall
sicherte, oder deßen Besizthümer
öfters zu weitläufig waren,
als daß er jeden kleinen Handel
seiner Unterthanen in Person hätte
schlichten können, dieser sezte in jeden
Ort einen Mann von erprobter Treue
und Redlichkeit, der an seiner Statt
die kleinern Zwiste seiner Mitbür-
ger untersuchen und beylegen sollte.
Diesen nannte er, den Richter.
Nach und nach aber arteten diese Rich-|<9>
ter aus, theils suchten sie ihre Gewalt
widerrechtlich zu erweitern, und
machten sich also bey ihren Gerichts-
Herren verdächtig, theils begingen
sie auch gegen ihre Mitbürger
Ungerechtigkeiten, wodurch sie
diesen zu bittern Klagen Anlaß
gaben, die gleichfalls den Gerichts-
Herrn nicht verschwiegen bleiben
konnten. Kein andres Mittel blieb
den leztern diesen Uebel abzuhelfen,
als daß er ihnen Leute an die
Seite sezte, die sie in allen beobach-
teten und auf deren Treue er sich
verlaßen konnte. Niemand schien
ihm dazu fähiger als eben einige
von seinen Männern, die er jeder-
zeit für die treuesten er-
kannt hatte und von deren Treue er
sich noch mehr zu versichern hofte,
wenn er ihnen die Freyheit schenckte,
welche mit diesen Amte unumgäng-
lich verbunden seyn mußte. Die
übrigen Bürger neidisch über diesen
Vorzug, nannten sich gleichwohl noch|<10>
immer Männer, blos um sie nach
Pöbel-Art zu demüthigen. Bald
aber wußten es diese Freygelaß-
nen, durch die allgemeine Ach-
tung die ihnen ihr gutes Ver-
halten erwarb, dahin zu bringen,
daß sie aus bloßen Beobachtern
nun wirckliche Beysizer des Rich-
ters wurden. So wurde nun das
Amt das ihr Ansehen Anfangs
mußte befördern helfen, selbst
durch sie ehrenvoller; aus dem
Spottnahmen wurde ein Ehren-
nahme, den sich sogar wohl-
freye nachher nicht ungern bey-
legen ließen, wenn sie zu diesem
Amte gelangten.

Thuanus

[Ornament]

Notes

  1. Grimms Wörterbuch: „Strandrecht. , n., das recht oder privileg der meeresanwohner oder des zuständigen machthabers auf das in ihrem bereich anfallende strandgut; als rechtsbegriff sehr alt, s. Hoops reallex. d. germ. altertumsk. 4, 293; das wort ist im deutschen seit dem 17. jh. Be-zeugt“
  2. Grimms Wörterbuch „gepöbel, n. das niedere volk, gesindel, s. DWB pö-bel: gepüfel, gepoffel, gebufels [...] im mhd. ohne üble nebenbedeutung gepüfel, gepovel, gepöfel, volk, trosz Lexer 1, 868.“
  3. Vorort nordöstlich von Jena. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 15: „Kunitz, oder Conditz, nahe bey der Saale unter dem zerstörten Schlosse Gleißberg, im Amte Dornburg, so denen Herzogen von Sachsen-Waimar gehöret; dahero annoch die Männer von Kunitz genennet werden. Beier. Geogr. Jenens. p. 376.
  4. Das Wort steht in der frühen Neuzeit für Lizenzen, die nach Gewerbe-Zuschnitten vergeben wurden.