D-Q6720

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  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 14, Dokument SK14-024
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 112 Schwedenkiste, Reden und Gedichte, 1775-1787
  • Titel: "Wie ist der Geist der Spitzfindigkeiten aus einer Gesellschaft dergleichen die unsrige ist, zu entfernen oder davon abzuhalten?"
  • Autor: Johann Georg Heinrich Feder (Marcus Aurelius)
  • Datierung: Andrus 8. Juli 1784
  • Querbezüge: zu SK14-033
  • Erschließung: Olaf Simons
  • JPG: 2027-2030

Kommentar

Transcript

Wie ist der Geist der Spitzfindigkeiten
aus einer Gesellschaft dergleichen die
unsrige ist, zu entfernen oder davon
abzuhalten?

Unter dem Geiste der Spitzfindigkeiten
verstehe ich die Neigung sich zu überreden,
daß man etwas oder etwas wichtiges
bemerke, wo nichts oder nichts erhebliches
zu finden ist.

Es ist ein mit dem Hang zur Chikanen
und zum Paradoxien verwandter
Fehler.

Die Gegenstände des Geistes der Spitzfin-
digkeiten sind besonders a) anscheinen-
de
Unterschiede und Gründe zu Einthei-
lungen b) anscheinender Schwierigkeiten,
Bedenklichkeiten, Gefahren c) Vortheile im
Kleinen
, die aber für die Hauptabsich-
ten gleichgültig oder gar ihnen nach-
theilig sind.

Neue Gründe finden sich a) in Ansehung
des Verstandes in einer Undeutlichkeit
und Eingestaubtheit der Begriffe; wel-
che bald mehr von Schwäche der Aufmerk-
samkeit und Mangel des Scharfsinns,
bald mehr von einer phantastischen,
kindlich lebhaften Einbildungskraft
berruht. b) Von den Willenstrieben
können Stolz und Eitelkeit, aber auch
Ängstlichkeit, und endlich der Trieb|<2>
der Geschäftigkeit, wenn ihm reellere Ge-
gegenstände mangeln, den Geist der Spitzfin-
digkeiten erwecken und unterhalten.

Dieser Mangel reellerer Kenntnisse und
Gegenstände ist Hauptursache der Spitzfin-
digkeit der Scholastiker und aller Un-
gelehrten Metapysiker
von jeher ge-
wesen auch wird einem deswegen die-
ser oder ein verwandter Fehler in
jeder Gesellschaft, jedem Collegio
entstehen, wo für die Menge und Thä-
tigkeit der Mitglieder zu wenig
Beschäftigung ist.

In so fern Verstandesschwächen der Grund
des Fehlers sind, ist er schwer zu verhin-
dern oder auszurotten, denn über die
Verstandesanlagen vermag unsere
Kunst nicht viel. Ein kleiner Geist ver
weilt immer bey Kleinigkeiten, wo man
auch seinen Blick hinlenkt.

Doch kann man Menschen mißtrauisch
machen gegen ihre Vorstellungen; man
kann machen, daß sie wenigstes damit
an sich halten, andern weniger damit
beschwerlich werden; wenn man ihnen
den Ungrund derselben bisweilen auf-
deckt; wenn man sie erfahren läßt
daß sie nicht Beyfall und Ansehn,
sondern vielmehr Verachtung dadurch
sich zuziehen.

Wo nicht so sehr an Schwäche des Ver-
standes als an der Natur der aufge-
stellten Gegenstände es liegt, daß|<3>
Menschen mit Spitzfindigkeiten sich ange-
ben, da findet sich leichter in der Verän-
derung der Gegenstände ein Mittel dem
Fehler abzuhelfen.

Diese Mittel müssen denn auch bey gesell-
schaftlichen Verbindungen
, dergleichen, die
unsrige ist, angewendet werden, um den
Geist der Spitzfindigkeiten abzuhelfen
oder auszurotten. Je mehr unsre Mit-
glieder mit den wesentlichen Zwecken
bekannt
und von deren Richtig-
keit überzeugt werden
je mehr ihnen
die Gründe des Argwohns geheim gehal-
tener unlauterer Absichten be-
nommen; so mehr einer jeden Classe
willen, doch aber ihren Einsichten und
Verhältnissen angemessene Beschäfti-
gungen zugetheilt werden; je mehr
wird jener Fehler sich verlieren.

Aber immer wird er doch in dem Maaße
uns zu schaffen machen, wie wir
unvorsichtig Leute von allzugerin-
gen oder schiefen Anlagen aufneh-
men oder aufgenommen haben.

Endlich ist doch aber auch der Geist der
Spitzfindigkeiten in einer Gesellschaft
nicht gar schädlich. Er kann etwas
beytragen zur Läuterung und Rein-
erhaltung des Systems, durch Be-
merkung solcher Fehler, die bey viel
befassendem Blicke übersehen, und
auch bisweilen gewöhnlich werden.
Die scholastischen Spitzfindigkeiten|<4>
sind unleugbar die Gründe der Gewohn-
heit und Gründlichkeit unserer Theologi-
schen und philosophischen Einsichten in
manchen Stücken. Nur muß freylich die-
ser Geist der Spitzfindigkeiten in engen
Grenzen erhalten werden. Er mag immer
einige Führung in den kleineren Theilen
unterhalten. Nur muß er nie die
Form und Bewegung des Ganzen be-
stimmen.

Marcus Aurelius

Andrus d[en] 8ten Juli
1784

Anmerkungen