D-Q175806
- Metadata: Item:Q175806
- Transcript: Hermann Schüttler
- Commentary: Isabel Heide (talk) 12:21, 6 November 2020 (CET)
- Technical realisation: Isabel Heide (talk) 10:00, 12 October 2020 (CEST)
Commentary
Im ersten Teil berichtet Kröber von seiner schulischen Laufbahn, wie er die Zeit an der Universität und das Theologiestudium empfand und eine kurze Anekdote über seine bisherigen Verhältnisse zu Frauen.
Im zweiten Teil beschreibt er einige Aspekte seines Charakters und seiner Interessen bzw. Abneigungen, wobei er vor allem Fürsten, Priester und Frauen in den Mittelpunkt stellt,
und thematisiert den hohen Stellenwert der christlichen Religion in seinem Leben.
Insgesamt kommt er zu dem Schluss, dass er trotz einiger Defizite ein guter Mensch sei.
Transcript
Agis
Lebenslauf.
Mariakirch ein Flecken im Obern Elsaß an der Gräntze von Lothringen ist mein Geburts-Ort. mein Vater[1] war Burg-Director daselbst. Ein Mann, der wegen seiner Rechtschaffenheit und Güte des Hertzens von Jedermann verehrt und geliebt wurde. Sein Amt hinderte ihn aber, sich mit der Erziehung seiner Kinder abzugeben. Vielleicht wars ein Glück, denn er war sehr hitzig. Zwar hatte meine Mutter welcher ich meine gantze erste Bildung zu danken habe, diesen Fehler ebenfalls in einem sehr hohen Grade, allein ihr gar zu zärtliches Mutter-Herz hinderte alle ungerechten Ausbrüche dieser Heftigkeit gegen mich. Ich erinnre mich nur einer Strafe von ihr, die ich durch eine Lüge mir zuzog, denn für diesen Fehler war durchaus keine Vergebung von ihr zu hoffen. Übrigens ist sie eine Frau voll Geist, voll Hoheit und Stärke der Seele, stolz gegen Vornehmere, demüthig gegen Bettler, wohltätig. Religion ist ihr heilig. Ihr Umgang wurde von jederman gesucht, die Gesellschaften unseres Hauses waren immer die muntersten, aber nie durfte der Witz, welcher sie belebte, Religion und Sittlichkeit antasten. Diese Umstände glaubte ich anführen zu müßen, weil sie einiges Licht über manche gute und schlimme Seite meines Charakters verbreiten.|
Ein Geistlicher des Ortes unterrichtete mich in Religion, Sprachen und den ersten AnfangsGründen der Wißenschaften. Er liebte mich so zärtlich , daß ich ihm selten von der Seite kam, mein Herz hing so sehr an ihm, daß sein gantzer Geschmack der meinige wurde. Diesem hab ich eine große Neigung zum Landleben, Garten-Kunst p zu danken. Kein Stand schien mir vorzüglicher, als der Stand des Mannes, den ich so sehr liebte. Daher tat ich eine Wahl, welche ich nun fast bereue. Aus gar zu großer Liebe bemerkte er 2 Fehler nicht, welche früh in mir Wurtzel faßten und welcher der Grund vieler Verdrüßlichkeiten wurden, nemlich Ehrgeitz in einem unmäßigen Grade und Heftigkeit in allen meinen Ideen, Bewegungen, Wünschen und Handlungen. Übrigens suchte er die Religion tief in mein Hertz zu graben, und zwar die Religion Jesu nicht der Doctoren der Gottesgelahrtheit.
Von diesem Mann kam ich nach Straßburg, um das Gymnasium zu frequentiren. Da gerieth ich in Gesellschaft eines Menschen, der mich gantz vom Lernen abbrachte und zu mancher Ausschweifung verführte. Zum Glücke schrieben es Lehrer und Verwandte meiner Mutter. Diese weise Frau meldete mir, ich solle auf meiner Hut seÿn, ich habe Feinde, die mich verläumdeten, sie sehe die Gottlosigkeit solcher Beschuldigungen wohl ein, denn sie kenne ihren Sohn – der Brief that schnelle Wirkung. Ich gieng augenblicklich in mein Zimmer | und war von dem Tage an so fleißig, daß ich öffentl. Ehre und Belohnungen einerndtete.
Von Straßburg kam ich auf Zureden eines wohlmeÿnenden aber unweisen Freundes meiner Mutter auf das Gymnasium nach Buchsweiler, welches damals einen vorzüglich guten Ruf hatte. Ich habe ihm aber nichts zu danken, außer eine zieml. Verschlimmerung meiner Sitten. Nach einem 2jährigen Aufenthalte schickte man mich nach Tübingen ins Closter, um die Theologie zu studieren. Meine gute Mutter glaubte mich in einen wahren Haven der Sicherheit gebracht zu haben. Den ersten Abend meines Eintrittes in dieses fromme Hauß bot mir meine Bettmacherin ihre Tochter (ein reitzendes Mädchen) an, um wie sie sagte, einem so freundl. guten Herrn die Zeit zu vertreiben. Nicht Religion, denn dieser Eindrücke in meinem Hertzen waren ziml. stumpf geworden, nicht Mangel von Neigung fürs andre Geschlecht, denn ich war damals sehr verliebt, sondern Furcht vor dem ersten Schritt, Schamhaftigkeit, die gar oft größere Dienste thut, als die Tugend, und Ehrgeitz, weil man sie mir so schlecht anbot, hielten mich zurück. Überhaupt ekelte mir immer vor dem frechen Laster, es konnte nur in einer äußerl. edeln, geistigen, verfeinerten Gestalt über mein Herz siegen. Einige Tage darauf bot mir ein anderes Weib ein Mädchen zum Genuß an. Ich zermängelte aber die Kupplerin so, daß sie heulend vor mir auf der Erde lag. Diese Helden Thaten kitzelten mich nicht wenig. |
Einen warmen Trieb zum Studieren hatte ich, allein niemand hatte die Barmherzigkeit, mir zu sagen, wie ich mein Studium einrichten sollte. Ich schwärmte deßwegen von einem Buche zum andern. Baumeisters Philosophie und ähnl., die ich mit Ekel laß, verwirrten mir den Kopf mehr, als sie ihn aufheiterten. Ich warf alle diese Bücher weg und studierte die Algebre. Neben diesem Studio las ich Home Grundsätze der Critik. Nach 6 Monathen wurde mirs so hell im Kopfe, daß ich Locke, Leibnitz mit innigem Vergnüg. studierte. Nun ergab ich mich gantz der Metaphÿsik. Diese Herrlichkeit dauerte aber kein Jahr mehr. Ich weiß nicht mehr, wie es zugieng. Kurtz alles kam mir so schwankend, so ungewiß, manchmal so falsch vor, was mir diese Bücher sagten, daß ich sie meistens verkief, und mir Hume, Maupertius, Helvetius p davor anschaffte. Diese Bücher machten unglückliche Eindrücke auf mich. Ich zweifelte nun an allem und war ein naturalistischer Junge. In dieser Stimmung des Gemüths fieng ich meine Theologie an, hörte aber in einem dogmatischen Collegio so absurde Dinge mit so einfältigen Beweisen unterstützt, daß mein Mißtrauen immer zunahm und ich endl. in den theologischen Collegiis, die ich besuchen mußte, Romanen laß.
Nun fieng ich an die Geschichte zu studieren, hauptsächlich in Rücksicht auf die Religion der alten Völker. Dieses Studium, die durch Jesum bewirkte erstaunende Aufklärung und Veredlung der Welt brachte mich wieder zum Christenthum zurück. – Das neue Testament, welches ich nun fleißig las, nährte und überzeugte mein Hertze. Mein Ekel vor den Collegiis dauerte aber immer fort, denn daß so viele Menschen ewig sollten verdammt seÿn, daß ein wenig Waßer auf den Kopf eines Kindes geschüttet es in Gottes Augen angenehmer machen sollten, als ein anderes, daß alle Buchstaben der gantzen Schrift vom Heiligen Geiste inspirirt seÿn sollten u. dergl. Dummheiten, die von den Tübingischen Theologen sehr hitzig und gelehrt behauptet wurden, konnte ich niemals glauben. Ich studirte deßwegen meine Theologie für mich.
Die Clostergesetze, welche für Würtenberger, die von Jugend auf in den niedern Clostern der Sclavereÿ gewohnt waren[,] gut seÿn mögen, aber nicht für einen Menschen, der eine gantz freÿe Erziehung genossen hatte, schmeckten mir nicht. Ich half mir aber gut. Ich gieng neml. zu meinen Vorgesetzten und sagte es ihnen selbst. Ich sagte ihnen, sie würden mich niemals eines Mangels von Fleiß oder mindertüchtiger Aufführung beschuldigen können, allein dafür bäte ich mir auch Nachsicht in Kleinigkeiten auß, ich seÿe ein freÿer Mensch, der sich niemals zu einem so harten Joch bequemen könnte. Ich unterstützte das mit so vielen und starken Gründen, daß die Herrn stutzten, mir aber wirklich immer durch die Finger sahen.
Ein Ephorus (Dr. und Professor) zankte zwar oft mit mir und wollte mich strafen. Allein – wenn kein Grund mehr half, so nahm ich ihn mir an einem RockKnopf und sagte immer: Aber Ihro Excellentz ich kan das warlich nicht, ich bin ja ein Elsäßer – da gab er sich dann den Augenblick. | Es ist zwar keine Teufeleÿ zu erdencken, die in diesem Kloster, wo 180 junge Leute beÿsammen stecken, nicht ausgeübt wird, doch erhielt ich mich noch ziemlich rein.
Von Tübingen kam ich vor 8 Jahren wider meinen Willen hieher. Nun bin ich mit meinem Schicksaal zufrieden. Die gewiße Außsicht, aus meinen dreÿ Zöglingen[2] wackre Männer zu bilden erfüllt mein Hertz mit Wollust. Ich habe zwar zimlich vielen Verdruß gehabt, den mir theils meine Heftigkeit, theils eifersüchtige Feinde zuzogen, ersterer fängt aber an, sich zu legen und was das andre betrifft, so hab’ ich mich durchgebißen.
Agis
Character.
Dieser schweren Arbeit weiß ich mich nicht beßer zu entledigen, als wenn ich einen Theil der im Schottischen Novitziat angegebenen Fragen beantworte. Ich kenne mich nicht, bin mir selbst oft ein Räthsel. Meine Freunde, welche mich nicht so sehr lieben und haßen, als ich mich selbst oft liebe und haße, mögen das Gemählde ausmahlen.
Ich habe wenige Vorurtheile, es seÿe denn gegen Fürsten und Weiber, weil erstere fast an allem Elend in der Welt Schuld, letztere meist schwach, falsch, tändelnd, kindisch, unstät, Pietistinnen oder Huren etc. sind. Daß ich die Pfaffen nicht ausstehn kan, gehört wohl nicht unter die Vorurtheile.
Ich setze meine Glückseeligkeit in Thätigkeit und Wißenschaften, die meinem Geschmacke angemeßen sind. Ich kan keine große Entwürfe machen, aber empfinden und ausführen helfen. Ich laße jederman Gerechtigkeit widerfahren[,] ich bin nicht leicht zu überzeugen. Oft haße ich die Menschen überhaupt, aber keinen insbesondere. Verachtung ist mir äußerst empfindlich. Unter 2 Partheÿen bestimmt mich weder Stärke noch Schwäche, sondern das Recht. Es schreckt mich nichts, auch der Tod nicht, Aber mein Gewißen, wenn ich schlecht gehandelt habe. Neugierig bin ich nicht. |
Ich handle immer gerade auß, wenn nicht eine wichtige gute Absicht mir Verstellung erlaubt und nothwendig macht. Seit einiger Zeit merk ich mehr Verstellung und Ränke beÿ mir, als in meinem gantzen Leben, doch immer gute Ursachen wegen, demohnerachtet ärgert michs. Das allgemeine Schicksaal intereßirt mich sehr. Weder Drohen noch Liebkosen kan mich von einem einmal gefaßten Vorsatze abbringen.
Wo ich Leidenschaft habe, geh ich mit Heftigkeit ein. Ich bin zum Zorn geneigt, doch hab ich es schon weit im Siege über mich gebracht. Ehmals liebte ich das schöne Geschlecht. Arbeit und Nachdenken hat mich zimlich vor Auschweifung verwahrt, ich bin verschwenderisch.
Digressionen im Reden, weitschwäufige Erzählungen, unwichtige Umstände, die mit eingeschoben werden, bringen mein Blut in heftige Wallung, beleidigen mich mehr, als wenn man mir was grobes sagte. Grobe Begenung von Gesinde leidet mein Stolz durchaus nicht. Ich bin oft zu hitzig gegen Bediente, schenk ihnen dann aber auch, was sie haben wollen.
Um Vornehme, ihre Gnade oder Ungnade bekümmre ich mich gar nicht. Erstere kan mich nicht glücklich, letzte nicht unglücklich machen. Ich sage ihnen überaus gerne die Wahrheit, versäume nicht gerne eine Gelegenheit dazu. | Ich spreche von allem gerne, was meine Menschen-Kenntnis erweitern kan, lache gerne über alle Fehler, wenn sie nicht gar arg sind. Ich mache mir eine Freunde daraus, meine Feinde da zu vertheidigen, wo ich ihnen schaden könnte. Ob ich gleich sehr wenig {...tische} Religion habe, entsetzlich viele Fehler an mir bemerke, so möchte ich dem ins Gesicht schlagen, der etwas gegen Religion sagt. Die Welt wär’ eine Hölle, wenn die christl. Religion nicht wäre. Ich leide durchaus nicht, da so mein Freund boshaft getadelt wird.
Wenn ich nicht beÿ meinen Freunden seÿn kan, lieb ich die Einsamkeit. Man lebt zu kurtze Zeit, um sich geniren zu müssen. Gegen Narren in meinem Zimmer bin ich höflich, in einem andern Hause nicht.
Vor höhern bücke ich mich äußerlich gar gerne. Ich bins ihnen schuldig. Innerlich richte ich mich nach ihrem Verdienste. Wenn sie mich beleidigen, thu ich aus heimlicher Rachsucht außerordentlich lustig und ihnen zeig ich die äußerste Gleichgültigkeit –
Ein Freund ist mir über alles in der Welt. Niedern begegne ich gerne demüthig, Höhern aber nicht, ich müßte sie dann brauchen wollen um das Glück eines 3ten zu machen.
Religion – nemlich äußerliche, ist das letzte, wornach ich frage, zu einer fremden Tafel geh’ ich nicht gerne.
Ich sehe beÿ Überlesung dieses, daß mehr gutes als schlechtes da steht. Ich bin aber auch mehr unter die guten als schlechten zu zählen.
Notes
- ↑ N.N. Kröber Item:Q192833
- ↑ Damit sind drei Söhne von Johann Martin Graf zu Stolberg-Roßla Item:Q1170 gemeint.