D-Q4496

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Commentary

Offenkundig ist dieser Lebenslauf im Zusammenhang mit der Illuminaten-Mitgliedschaft Beckers verfasst. Der Zeitpunkt für dessen Einhändigung wäre in Beckers Fall im Ende 1783, Anfang 1784 gewesen, als die Verhandlungen um die Mitgliedschaft stattfanden. Die internen Bemerkungen erweisen Becker jedoch als bis in die Ordensspitze vernetzt. Weishaupt ist hier wie Mieg in Heidelberg als Freund erwähnt. Beckers Heirat 1787, hier noch als bevorstehend erwähnt, gibt einen Terminus ante quem. Das Dokument müsste denn aus dem Jahr 1786 stammen.

Transcript

Ich Rudolph Zacharias Becker bin von armen Eltern gebohren,
– mein Vater war Schullehrer in Erfurt – habe keine Verwandten,
ausser drey Schwestern, die das einigen Einfluß haben könnten, die ich zärtl.
liebe. Wenn ich die Guten, die mir zu meinen Absichten behülflich sind,
Freunde nennen darf: so habe ich deren so viele, daß mehr, als ich werth
zu seyn glaube. Nach meinem Ideal von Freundschaft, das ich sonst
von meiner Seite realisirte, ob es gleich nur Ideal hätte, bleiben
sollen – habe ich keinen Freund mehr. Sie haben mich betrogen. Die vielfältigen Collisionen
des geschäftigen Lebens, \Verschiedenheit gemachter [?] Köpfe/ machen [?] eine solche Herzensverbindung nicht.
Weiber haben die beyden letzten zerrissen. Personen die ich von ganzer Seele sehr
liebe und verehre sind unser Chrysostomus,[1] \Cato, Uticensis/,[2] Cleobulus,[3] Qn. Cicero,[4] [***] \Fleury,[5]/ Span-
heim,[6], Cassiodorus,[7]Qu. Cicero,[8], Acacius,[9] \Robert. Stephanus,[10] Aemilius,[11] Fra Paolo Sarpi,[12]/ Epictet,[13] Spartacus,[14] Euclides,[15]
Baco Verulam,[16] Massinissa,[17] Socinus[18] und andre Brüder Bbr - vorzüglich zu Aquinum.[19]
Andre Freunde sind der Buchhändl. Göschen[20] und der Kaufmann Kunze[21]
in Leipzig. Meinen zum Theil hoffentl. [?] freundschaftl. Zeitungscorrespondenten[22] habe ich
versprochen, sie gegen niemanden zu nennen. Feindschaften
pflege ich nicht zu unterhalten, sondern meide und vergesse
die Menschen, die mir übel zu wollen scheinen. Auch ist der einzige
Mann der [***] meines Wisse?
Ich bin Gottlob! ziemlich gesund, und
kann ziemlich starke Strapazen aushalten. Ich kleide mich gern rein-
lich, ohne Prunk, und suche Zeitverlust über dem Anzuge zu
vermeiden — dies ist die einzige Ursache, warum ich mein
Haar hängen lasse, wie es gewachsen ist. Die Morgenstunde
kann ich besser anwenden, als zu solchem Tand. Unter
den Wissenschaften versteh ich keine ganz auf eigentlich|<2>
gelehrten Fuß - sonst verstand ich lateinisch, ebräisch und französisch
so — Seit geraumer Zeit studire ich nichts als die Kunst im
häuslichen Leben
glücklich zu seyn, und die Mittel, durch
welche der Staat seine Bürger glückl. machen könnte
und sollte — insbesondere forsche ich nach den geistigen und
leibl. Bedürfnissen der mittlern und niedern Stände: aber
mein thätiges Leben, das ich läßt mir weniger Zeit
zum Forschen übrig, als es mir lieb ist.

Ich habe im eigentl. Verstande gar keine Erziehung hat
gehabt; weil der Unterricht den ich in öffentl. Schulen
genossen, gar nicht so zu nennen, und höchst elend
war. Meine Eltern haben mich von von [sic!] meiner
ersten Kindheit immer thun lassen, was mir
beliebte.

Ich stehe im Begriff mich zu verheurathen[23] - [***]
[***] und
weil
ich in meinen öffentl. Schriften beständig häusliches
Glück durch Ordnung, Sparsamkeit und gegenseitige
Liebe predige, und auf die Hagenstolzen, die es aus Luxus
sind, schmähe: so glaubte ich thätig zeigen zu müssen,
daß man ein Mann, der gern arbeitet, Frau und
Kinder ernähren kann, auch wenn ihn kein Fürst be-
soldet, und wenn er so wenig ererbtes Vermögen|<3>
besitzt, als ich — das heißt, weniger als Nichts.

Ich habe kein Amt, und werde nun nicht leicht eines
bekommen: weil ich denen Leuten, welche die Aemter
zu vergeben haben, zu frey die Wahrheit sagte.

Sichre Einkünfte habe ich also gar nicht: aber meinen jetzigen
Verdienst kann ich auf 6-100 rthl. rechnen.

In meinem Zimmer sieht es meistens aus, wie bey
einem Handwerksmanne in seiner Werkstatt.
Ich habe nicht Zeit jedes Buch und jedes Blatt Papier
während des ich arbeite, sogleich wieder am Ort
und Stelle zu tragen.

Von meiner Statur \und cörperl. Beschaffenheit/ weiß ich, daß ich mehr klein
als groß bin, [***] und etwas einwärts gebo-
gene Knie habe - auch daß ich die Nase etwas
höher trage, als es mich kleidet. Von meiner
Physiognomie etwas zu sagen, müste ich mich erst vor
dem Spiegel untersuchen — ich weiß nicht wie
ich aussehe, und habe nicht Zeit es lange zu
untersuchen. — Eine gute Stimme mittelmäßige
Stimme zum Vorlesen und Singen habe ich
erlernt [oder verloren?], seit dem ich in Gotha bin, die hochdeut-
sche Mundart - trage schwarzes Haar.

Notes

  1. Christian Georg von Helmolt (Item:Q474)
  2. Joachim Friedrich Ernst von der Lühe (Item:Q710).
  3. Christian Heinrich Wehmeyer (Item:Q1298)
  4. Johann Georg Geißler (Item:Q384)
  5. Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz (Item:Q108)
  6. Johann Gottfried Bohn (Item:Q137)
  7. Schack Hermann Ewald (Item:Q313)
  8. Johann Georg Geißler (Item:Q384)
  9. Johann Benjamin Koppe (Item:Q612)
  10. Christoph Friedrich Chrysostomus Schenk (Item:Q1016)
  11. Johann Joachim Christoph Bode (Item:Q133)
  12. Johann Joachim Bellermann Item:Q92.
  13. Johann Friedrich Mieg Item:Q779
  14. Adam Weishaupt (Item:Q1308)
  15. Drei Personen erhielten im Illuminatenorden den Namen Euclids: Wilhelm Friedrich Wucherer Item:Q1354, Johann Georg Schlosser Item:Q1038, und Michael Riedl Item:Q938, Schlosser ist dabei derjenige der als Provinzial in das Karrierespektrum zwischen Weishaupt und Mieg passt.
  16. Carl Theodor Anton Maria Freiherr von Dalberg (Item:Q226)
  17. Johann Friedrich Freiherr von Dalberg, Speyer und Erfurt.
  18. Unter dem Namen Socinus is bislang nur Johann Philipp Wollstadt Item:Q1351 bekannt, der jedoch keine Verbindung nach Rudolstadt aufweist.
  19. Rudolstadt (Item:Q10582)
  20. Georg Joachim Göschen Item:Q414, dürfte Becker in Dessau 1883 kennengelernt haben.
  21. Johann Friedrich Kunze, Leipzig (1755-1803) Item:Q418473.
  22. Becker gab Zeitungen heraus, zu denen, wie üblich anonyme Autoren, die Beiträge einsandten.
  23. Becker heiratete 1787 Sophie Caroline Becker (née Döbling)
    Begin Item:Q98760.