D-Q4502

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Commentary

In der "Schilderung seines Charakters" beschreibt Ewald zunächst sein Aussehen, gefolgt von einer kritischen Selbstreflektion seiner Talente und Interessen.
Anschließend schildert er in einem Abschnitt seine charakterlichen Defizite, dann seine Stärken und Kompetenzen und endet mit seinem grundlegenden Menschenbild.
Im zweiten Teil, seinem Lebenslauf, konzentriert er sich nach einem einleitenden Abschnitt über seine Familie und Jugend vor allem auf seine Ausbildung und beruflichen Werdegang
und geht im letzten Abschnitt genauer auf sein Eintreten in den Orden und die Kontakte zu anderen Mitgliedern ein.

Transcript

Schilderung meines Charakters.

Ich bin von etwas mehr als mittlerer Größe, und weder zu fett
noch zu mager. Der Bau meiner Glieder würde vielleicht regel-
mäßig genannt werden können, wenn mein Halß nicht durch
aufgeschwollne Drüsen verunstaltet wäre. Meine Haare sind
blond – gewesen, sie fiengen schon seit 10 Jahren an bleich
zu werden. Mein Gesicht ist roth und stark von Blattern heim-
gesucht; mein Gang ist schnell und dabey etwa scharf oder schwer.

An Talenten habe ich weder von der Natur, noch durch Erziehung et-
was Vorzügliches erhalten. Witz war nie meine Sache; desto
mehr kultivirte ich Einbildungs- und Empfindungskraft in
meinen jüngern Jahren. So wie mein Blut kälter wurde, ver-
lohr sich mein Hang zur Dichtkunst und zu Schwärmereyen, und
die Liebe zur Philosophie trat an ihre Stelle; die sinnlichen Ide-
en mußten deutlichen Begriffen weichen. Es wird mir jetzt schwer
einen poetischen Vers zu machen, weil sich der reine Verstand im-
mer mit ins Spiel mischt und mich an dem blos sinnlichen An-
schauen verhindert. Gegenwärtig finde ich an Gegenstän-
den der Philosophie und Religion Gefallen. Diesen Hang hat
in mir die Lesung der neuern Kantischen Schriften und
des Spinoza gefestiget. – Auf die Schönheit des Ausdrucks bin
ich vielleicht weniger bedacht, als erforderlich ist, um an sich trock-
nen Wahrheiten Eingang zu verschaffen. Aber ich war nie
gemacht, um zu glänzen, und mag auch nicht scheinen, was
ich nicht seyn kann. Ich schätze und strebe nach Wahrheit und
Deutlichkeit bey für die Menschheit wichtigen und interessanten
Materien. Uebrigens hat mir der Urheber meines Daseyns das
zu gut gegeben, daß ich mich noch so ziemlich in mit meinen we|
nigen Fähigkeiten und Neigungen, heterogenen Lagen und Ge-
schäften finden kann.

Ich weiß aus Erfahrung, daß in mir die Keime zu allen La-
stern, Thorheiten und Schwachheiten liegen. Besonders bin ich jeder-
zeit sehr heftig gewesen. In meiner Jugend war ich sehr zum
Zorn und zur Rache geneigt. Schicksale und Ueberlegung haben
aber das wilde Feuer gar sehr gedämpft. In der Liebe habe ich
mich jederzeit sehr gemäßiget; doch kann ich mich nicht ganz
rein nennen, dazumal eine Frucht unregelmäßiger
Liebe gegen mich zeugen würde. Die Lesung von Tissots
Buch von der Onanie[1] hat schon in frühern Jahren einen star-
ken und bleibenden Eindruck auf mich gemacht, so daß ich diesem
Laster, mit dem ich in dem hiesigen Cönobium[2] zuerst be-
kannt wurde, bald und zum großen Vortheil für meine
Gesundheit entsagte. Neben jener Heftigkeit, war ich in
meinen frühen Jahren sehr von mir selbst eingenommen
und eitel; allmälig erlangte Selbsterkenntniß hat aber,
wie ich mit Ueberzeugung sagen kann, diesen Fehler so ver-
bessert, daß ich mich hüten muß, in den gegenseitigen Feh-
ler, Geringschätzung und Vernachlässigung meiner selbst, zu
fallen. Die Stimme der Eigenliebe ist so kleinlaut geworden,
daß sie sich bey Anlässen, die sie sonst in lautes Geschrey ver-
setzte, nur noch ganz leise hören läßt. Ich muß auf der Huth
seyn, sie nicht ganz zu ersticken, und nicht in eine nachtheilige
Gleichgültigkeit zu verfallen; und das vermögen oft wiederholte
Streiche des Schicksals. Ich habe mir es fast bis in mein 40stes
Jahr müssen sehr sauer werden lassen, meinen Unterhalt zu er-
werben. Ich kann nicht leugnen, auch für mein Vergnügen mit-
gearbeitet zu haben. Von meinem 18ten bis ins 30ste Jahr |
bin ich sehr hypochondrisch gewesen, ich suchte also Zerstreuungen,
besonders auf Bällen und Redouten, oft zum Schaden meiner
Oekonomie, und fand sie doch nicht immer; ich blieb immer
bey mir selbst, und mit mir selbst beschäftigt. Fügte es
mein Unstern, daß ich mich heftig verliebte, denn ich bin je-
derzeit ein Sklav von schönen Gesichtern gewesen, so war ich dop-
pelt und zehnfach unglücklich, denn ich war gewöhnlich von
Gegenständen gefesselt, deren Besitz für mich unmöglich war.

Da ich selbst von meiner Jugend an ein Gegenstand der Wohl-
thätigkeit gewesen bin, so habe ich selbst wenig Gebrauch von die-
ser edlen thätigen Tugend machen können; doch habe ich mit
meines Gleichen immer gern getheilt. Wenn ich auch unver-
mögend war, menschliches Elend zu lindern, so schenkte ich ihm we-
nigstens meine Thränen, und fand in ihnen eine große Wollust.

Ich bin gutmüthig, duldend und weichherzig, und sehr leicht zu
Thränen zu rühren. Gott weiß es, ich lüge nicht, und rühme
mich des auch nicht, denn ich weiß, daß ich deßwegen auch
mancher Schwachheit unterworfen gewesen, und noch bin.

Was meine Berufsgeschäfte betrift, so schmeichle ich mir, daß
meine Herren Chefs mir ein gutes Zeugniß geben werden.
Auch meine Frau, Magd und Kindermädchen werden sich dessen
nicht entbrechen. Mit erster lebe ich friedlich und glücklich, und die
letztern scheinen gerne bey und um uns zu seyn. Im Winter le-
ben wir alle zusammen in einer kleinen Stube, wo ich gern
unter ihrem Geräusch und beym Schnurren der Spinnräder an
meinem Schreibtisch arbeite. Sie bringen mich freylich oft aus
dem Concept, besonders wenn sie mir den Kleinen auf den Hals
legen, und er mich dann entweder liebreich umhalßt, oder bey den
Haaren zaußt, aber ich habe es gern, wenn sie mich zuweilen stöhren. Seit 4 bis 5 Jahren bin ich sehr zur Ein-
samkeit geneigt; unter ein Paar Freunden, die sich mit mir von |
Dingen unterhalten, die mich interessiren, bin ich sehr gern, aber
in großen Zirkeln ein trauriger Gesellschafter, da mir die
Gabe gebricht von Dingen zu reden, die mich nicht interessiren.

Die moralischen Fehler, die den Menschen ankleben, pflege ich
nicht – vielleicht aus Schonung gegen mich selbst – als we-
sentlich ihnen angeboren oder durch Vorsatz andern zu
schaden, sich zu eigen gemachte Beschaffenheiten zu betrachten,
sondern bemühe mich sie als oft unvermeidliche Folgen ih-
rer Schicksale, Lagen, Erziehung, Verhältniße u. s. w. an-
zusehen, und in diesen Dingen den Grund menschlicher Ver-
gehungen und Schwachheiten zu suchen. Dies habe ich in und
an mir selbst erfahren und abstrahirt; und bey aller
Demuth, mit der ich von mir selbst denke, werde ich nie da-
hin gebracht werden zu glauben, daß ich von Natur und
nach meiner ersten Anlage schlecht bin. Was ich nach
Kopf, Herz und Temperament jetzt bin, dazu haben
mich Schicksale, Umstände und Menschen gemacht. Auf
den Knien bitte ich den Urheber der menschlichen Seele
mein tägliches Bemühen zu seegnen, besser und weiser
zu werden.

Cassiodor. |


Mein Lebenslauf.

Ich bin am 11. Febr. 1745 hier in Gotha geboren. Mein Vater
starb als geheimer Registrator in seinem 48sten Lebensjahre,
ich war noch nicht 14 Jahre alt. Meine erst im vorigen Jahre
verstorbene Mutter hatte vier noch unerzogene Kinder, aber gar
kein eigenes Vermögen. Sie erhielt nach meines Vaters Tod von
der Höchstseel. Herzogin Durchl. eine jährliche Pension von 50 r.
die sie durch die Gnade unsers Durchl. Herzogs bis an ihren Tod
genoß. Sie verheyrathete sich zum zweyten mal an den Rector
der Landschule zu Sonneborn, namens Scheiding, der ein halbes
Jahr nach ihr starb. Von meinem Vater, dessen Lieblings Studi-
um Mathematik war, und der allerley mathematische Instrumente,
Uhren, Mikroskope, Teloskope u. dergl. auch für des Höchstseel.
Herzogs Durchl. die Augengläser verfertigte, lernte ich das Schrei-
ben und Rechnen. Er widmete täglich Nachmittags, wenn wir aus
der Schule kamen, uns noch einige Stunden, da wir schreiben, rechnen
und etwas lesen mußten, oder nahm uns, da er viel saß und Erho-
lung bedurfte, mit sich auf das Feld und unterhielt uns mit
nützlichen Dingen. In meinem 5ten bis 6ten Jahre wurde ich in die
hiesige Stadtschule geschickt, wo ich aber kein halbes Jahr aushielt,
und in eine Winkelschule zu einem Candidaten gethan wurde,
um die theologischen Sätze, Sprüche und Gebete zu lernen, die man
im 13ten Jahre auswendig wissen muß, wenn man confirmirt
werden will. Neben diesem ward ich auch im Lateinischen unterrich-
tet, aber, wie ich nach der Zeit erfuhr, höchst elend. Doch kam ich dabey
mit Mühe und Noth soweit, daß ich in meinem 12ten Jahre in
die dritte Klasse des hiesigen Gymnasiums gesetzt werden konnte.

Nach meines Vaters Tod erhielt ich eine Freystelle im hiesigen Cö-
nobium. In der zweyten Klasse hatte ich das Lob, der beste
im Hebräischen zu seyn. Im Lateinischen und Griechischen war |
ich sehr zurück. Erst in der ersten Klasse auf der mittleren Ordnung
fing ich an mich zu erholen, und studierte so fleißig, daß
ich von den seel. Professor Baumeister in den sogenannten Schwitz-
wochen die vor den jährlichen Examina herzugehen pflegen, ein
öffentliches Lob in der Klasse erhielt. Ich fuhr nun so fort, und
fand besonders Lust an der lateinischen Poesie. Mein Nachbar,
Westfeld, [3] der nach der Zeit an Abts Stelle in Bückeburg kam,
und Klopstocksche Verse machte, wie wir sie damals nannten,
steckte mich damit an, und ich fing an, hochtrabende Hexameter
zu machen. Ich las die damals gangbarsten Dichter, den Messias,
das verlohrne Paradies, Kleists Werke, Ramlers Oden, die einzeln
Heraus[kamen] u. s. w. und der alte vortrefliche Rector Stuß un-
terhielt und bestärkte unsere neigung darin. Bey diesem Geschmack
waren Logik, Rhetorik u. dergl. besonders nach der elenden Art, wie
sie gelehrt wurden, und da alle Sätze auswendig gelernt wer-
den mußten, gar keine anlockende Speise. Daher kam es auch,
daß, als ich 1764 die Universität Jena bezog, wenig oder
gar keine deutlichen Begriffe von den Theilen der Philosophie hatte.

Hier fing ich an nachzudenken, daß mir Poesie für die Zukunft
schwerlich Brod würde erwerben können, und legte mich fleißig
auf die Rechtswissenschaften und Philosophie. Mein vertrautester
Umgang war mit dem damaligen Magister Riedel dem ich vie-
les in Rücksicht auf Aufklärung des Verstandes zu danken habe.
Wir stifteten ein Kränzchen, worinn alle Sonnabende Nach-
mittags poetische und prosaische Aufsätze abgelesen und
beurtheilt wurden. Riedel führte den Vorsitz. Gleiche Ab-
sicht hatte auch ein Orden in den ich trat, der pour la dili-
gence hieß. Er ist aber, als die Sächsischen Höfe die Landsmann-
schaften und viele Orden durch eine Commission zerstören |
ließen, ganz verschwunden ist. Nach 1 ½ Jahren verließ ich
Jena wieder, und nahm meinen Aufenthalt zu Sonneborn
bey meiner Mutter, weil ich genug abgerissen war und außer
meinem ältern Bruder, der als Hofjunker beym Leibregiment stand,
niemand in der Stadt mich in meinem geldlosen Zustand aufgenommen
hätte. Ich hielt mich ongefehr 2 Jahre daselbst auf; studier-
te für mich, vergoß zuweilen meine Wehmuth in Versen und
gab mich auch mit der Besorgung der Länder meines Stiefva-
ters ab. Da mir aber diese Lebensart in die Länge immer be-
schwerlicher wurde, so entschloß ich mich auf gut Glück in die Stadt
zu wandern, nahm mir die nöthigen Kleidungsstücke auf Credit
und meldete mich bey der herzogl. Regierung zum Examen. Der seel.
Geh. Regierungsrath Geusel, der mich examinirte, bezeigte mir
seinen Beyfall, und nachdem ich auch die gewöhnlichen Specimina
ausgearbeitet hatte, ward ich im April 1769 Advokat.

Da ich schlechterdings ohne alle Unterstützung war, und die Praxis,
wie dieß bey jedem angehenden Advokaten der Fall ist, auch nur
äußerst wenig abwarf, so sehnte ich mich um so mehr nach ei-
ner Verbesserung meiner Umstände, da ich dem Kaufmann die
ausgenommenen Waaren zu bezahlen und gar oft nichts als
das liebe trockne Brod zur Nahrung hatte. Es zeigte sich auch
bald eine Gelegenheit zu meiner Rettung. Die verwitwete
Frau Bürgermeisterin Schultheß ließ mir durch den jetzigen
Rath und Amtmann Brückner zu Ichtershausen, der mich ihr
empfohlen hatte, die Hofmeisterstelle bey ihrem Sohn, dem gegen-
wärtigen hiesigen Artillerie Lieutenant Schultheß, antragen.

Ich nahm sie an, ob ich gleich nachmals einsah, daß es besser
gewesen wäre, ich hätte meine vorige Laufbahn nicht ver-
lassen. Denn ob ich gleich den Vortheil hatte, mich von meinen |
Schulden zu befreyen und noch 2 ½ Jahre zu Jena und Göttingen
zu studiren, wohin ich den jungen Schulthes, nach Verlust eines
Jahres begleitete, und angenehme und vertraute Bekanntschaften
mit den Herren Boje[4], Bürger, Voß[5], Hölty[6], Miller[7], Hahn[8]
und andren damals zu Göttingen studierenden Dichtern und schö-
nen Geistern zu machen,[9] so ward ich doch nach meiner Zurük-
kunft fast wieder in der nemlichen Lage, in der ich mich zu-
vor befunden hatte. Ich fing von neuem an zu prakti-
ziren, aber mit wenigem Erfolg, da ich während meiner
Abwesenheit unbekannt worden war. Um jedoch etwas
zu verdienen, arbeitete ich bey dem Hofadvokaten Bur-
kard, für den ich, da er eine starke Praxis hatte, Termi-
ne abwartete, und alle Arten juristischer Aufsätze ver-
fertigte; auch machte ich seinen Actuarium in den adelichen
Gerichten zu Ettenhaußen und Hastrungsfeld und zu Neudie-
tendorf. Von allem was ich ausarbeitete erhielt ich den
4ten Theil der Gebühren. Während dieser Zeit verfertigte
ich in müßigen Stunden die Lieder nach dem Lateinischen des
M. A. Flaminius, [10] nebst einem Anhange von andren Ge-
dichten, die ich drucken ließ, und die nicht ohne Beyfall aufge-
nommen worden sind. Einer Sammlung früherer und
unreifer Gedichte, unter dem Titel Oden, [11] könnte einer re-
gellosen Einbildungskraft und rauher Versifikation, zu
deren Bekanntmachung mich die Noth zwang, wünschte ich
gar nicht erwähnen zu dürfen. Ramler hat das beste Stück
daraus, der Eifersüchtige, mit einigen Verbesserungen in seine lyrische Blumenlese[12] aufgenommen. – Das Schicksal
rufte mich jetzt zum zweytenmal von meiner juristi-
schen Laufbahn ab, und ich folgte diesem Rufe um so wil|
liger, da mir der Stand eines Advokaten desto verhaßter wurde,
je mehr ich ihn kennen lernte. Wenn man etwas dabey erwer-
ben will, muß man die Processe verlängern und die Stimme
der Menschlichkeit gegen arme Klienten unterdrücken. Man
war mit meinen Ausarbeitungen zufrieden, und wie ich nach
der Zeit erfuhr, soll des seel. H.n Kanzlers von Studnitz
Excell. einmal geäußert haben, daß ich, wenn ich bey der Advokatur
geblieben wäre, einmal bey der herzogl. Regierungs Kanzley
angestellt werden könne. Aber, wie gesagt, mein Schick-
sal wollte es nicht so. Der Herr Oberhofmarschall von Stud-
nitz[13] suchte einen Vorleser. Ich wurde Ihnen durch den seel.
H. Vice-Präsidenten Klüpfel[14] empfohlen. Sr. Excell.
ließ mich mehrmal zu sich rufen, mit sich speißen, nahmen mich mit aufs Land, und trugen mir zuletzt obige Stel-
le an. Ich ging den Antrag ein, und erhielt freyen Tisch
Wohnung und 40 Rthlr. Ich blieb ein Jahr an diesem Platz.

Ich mußte oft ganze N[ä]chte durch lesen, mit der Zeit auch die
Küchzettel revidiren und eintragen, und eine Art von Haus-
hofmeister machen. Uebrigens war ich sehr eingeschränkt.

Meiner Neigung zur Literatur konnte ich keine Nahrung
geben; auch war ich zu sehr an eine freye und unge-
bundne Lebensart gewöhnt, als daß ich auf meiner ein-
samen Stube nicht hätte mißmüthig und hypochondrisch
werden sollen. Sr. Excellenz konnte, nach Ihrer Scharf-
sichtigkeit, mein Zustand nicht verborgen bleiben. Sie äußer-
ten, daß ich an diesem Platze zu sehr genirt wäre, daß ich
Ihre Geschäfte ungern verrichtete, und daß sie mich nicht län-
ger halten wollten. Ich hatte also meinen Abschied und nahm
ihn mit Thränen in den Augen, da ich mir nun wieder selbst
überlassen war. Doch waren Sie so gnädig, noch 20 Rthl. |
für mich zu bezahlen, und zuvor noch mit einem Kleide von eng-
lischem Tuche zu beschenken. Ueberhaupt hat sich dieser Herr sehr
gnädig gegen mich bezeigt, und ich habe gefehlt, daß ich nicht über
meine Neigungen Herr werden konnte. Doch muß ich auch, um
der Wahrheit willen, sagen, daß ich mir vielleicht mehr Gewalt ange-
than haben würde, wenn Sie nicht einstens bey einer Unter-
redung mit mir geäußert hätten, daß ich mir keine Hoffnung
zu einer andren Befördrung durch Ihre Vermittlung machen
sollte. Diese Worte steckten mir seitdem beständig wie Sta-
cheln im Herzen. Daß Sie wenigstens mit mir nicht ganz
unzufrieden gewesen sind, suche ich mich daraus zu überreden,
daß Sie mich noch zuweilen wieder haben zu Sich kommen lassen,
daß ich während Ihrer letzten schweren Krankheit wieder mein
altes Amt eines Vorlesers verwalten und mehrere Nächte
bey Ihnen wachen durfte, und daß ich diesem wahrhaft
braven Herrn, unter Vermittlung der Frau Oberhofmei-
sterin Buchwald[15] Excellenz, dennoch meinen gegen-
wärtigen glücklichen Zustand, wofür ich Ihm mit gan-
zem Herzen ewig ergeben seyn werde, schuldig bin. Wäh-
rend meines Aufenthalts bey Ihnen übersetzte ich Chambers
orientalische Gartenkunst aus dem Englischen. Nun such-
te ich meinen Unterhalt durch schriftstellerische Arbeiten zu
verdienen, indem ich neben der Besorgung der hiesigen gelehrten
Zeitungen, die mir Herr Ettinger[16] übertrug, theils eigene
Sachen theils Uebersetzungen aus dem Englischen und Fran-
zöischen in Druck gab. Das erste, was ich, in Gesellschaft mit
Herrn Professor Eichhorn zu Jena[17], damaligen Rector zu Ohr-
druff, unternahm, war das Gothaische Magazin der Künste
und Wissenschaften, das aber mit den 4 ersten Stücken seine |
Endschaft erreichte, weil ich wenig Vortheil und viel Arbeit da-
von hatte. Die übrigen Arbeiten sind folgende: 1.) Beaumarchais
Barbier von Sevilla, im komischen Theater der Franzosen 2.) Hey-
rath aus Liebe, eine Operette, nach dem Englischen des nußbrau-
nen Mädchens des Prior. 3. Des Abts Coyer Briefe über England.
4. Die doppelte Verkleidung, eine Operette, aus dem Franz. 5. Falk-
ners Beschreibung von Patagonien aus dem Engl. 6. Adairs
Geschichte der Nordamerikanischen Indianer, a. d. Engl. 7. My-
tho-Hermetisches Archiv, 1stes St. a. d. Franz. Philidors
praktische Anweisung zum Schachspiel, a. d. Franz. 9. Mo-
heau Untersuchungen und Betrachtungen über die Bevöl-
kerung von Frankreich, a. d. Franz. mit Anmerkungen.
10.) Ueber das menschliche Herz, ein Beytrag zur Charakte-
ristik der Menschheit. 11.) Natürliche Religion, nach
Ursprung, Beschaffenheit und Schicksalen. 12. Ueber
die Cultur des Verstands; 13. Ueber die beste Monarchie,
Aristokratie und Demokratie, 14. Ueber die heil. Schrift, Ju-
denthum und höchste Gewalt in geistl. Dingen.

Alle 3 aus dem Lateinischen des Spinoza übersetzten an-
drer kleinerer Aufsätze und Gedichte in periodischen Schriften
und Almanachen, die mir nicht alle beyfallen, nicht zu ge-
denken. – Als im Jahr 1777 der Plan zu einer gemeinen
nützlichen Privatgesellschaft[18] entworfen und dieselbe errichtet
wurde, erhielt ich dabey das Geschäft eines Secretärs. Unter
der Direction der beyden ersten vorsitzenden Mitglieder, unsers
erleuchteten Chrysostomus[19] und H. Legationsrath Lichtenberg[20],
half ich die Gesetze der Gesellschaft nach dem Muster der Londner
Societät entwerfen; verfertigte den Plan zum gemeinnütz-
lichen Wochenblatt[21], dessen Besorgung und Herausgabe mir von |
der Gesellschaft übertragen wurde. Die Trennung der Gesellschaft
erfolgte im Jahre 1783. Da der hochwürdige Bruder von Harden-
berg[22] eben so wie unser erlauchter Superior Chrysostomus, ein Mit-
glied dieser Gesellschaft war, so gab dieselbe vermuthlich veranlassung[,]
daß ich im Jahr 1778 den 31ten Jan. das Glück hatte, zum
Freymaurer Lehrling in der ehemaligen Loge zum Rautenkranz[23]
aufgenommen zu werden. Im Jahr 1780 erhielt ich den Meister-
grad und den 30sten Nov. das Amt des Secretärs, welches
ich noch jetzt verwalte. – Mit dem Anfange des 1783sten
Jahres erhielt ich durch die höchste Gnade unsers durchlauchtigsten
Herzog die Registratorstelle bey Höchstdero Oberhofmarschall
Amt und bey einer im folgenden Jahre sich ereigneten Vaca-
nz ward ich zum Secretär ernannt, und versehe seit Jahr
und Tag bey der Kränklichkeit des Hofsecretaire dessen Stel-
le. Mit Thränen in den Augens sehe ich in fast 40 kummer-
volle Jahre zurück, und danke mit unaussprechlichem Gef[ühl]
dem, der mein Schicksal geändert hat und mich ruhiger in die Zu-
kunft sehen läßt. – In demselben Jahre heyrathete ich die jüng-
ste Tochter[24] des gewesenen Herzogl. Baumeisters Weidner[25]
mit der ich glücklich und zufrieden lebe. Die erste aus uns-
rer Ehe entsproßene Frucht ist ein Knabe.
Was noch künftig ist, nehm’ ich,
wie es kommen mag, willig
aus der Hand des Allmächtigen.

Syracus Cassiodor.
den 24. Ader
1155.

Notes

  1. Samuel A. D. Tissot: Von der Onanie, oder Abhandlung über die Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren: Nach der dritten, beträchtlich vermehrten Ausgabe aus dem Französischen übersetzt, Hamburg 1767.
  2. Lat.: Kloster.
  3. Christian Friedrich Gotthard Henning Westfeld (1746–1823), Kammerrat, dann Amtmann in Bückeburg. Item:Q154951
  4. Heinrich Christian Boie Item:Q10708
  5. Johann Heinrich Voß Item:Q21923
  6. Ludwig Hölty Item:Q22373
  7. Gottlob Dietrich Miller Item:Q22375 und Johann Martin Miller Item:Q22374
  8. Friedrich Hahn Item:Q14321
  9. Sie waren alle im Göttinger Hainbund Item:Q21861, einer literarischen Gruppe, aktiv.
  10. Schack Hermann Ewald: Lieder nach dem Lateinischen des Markus Antonius Flaminius Gotha 1775.
  11. Schack Hermann Ewald: Oden Leipzig u. Gotha 1772.
  12. Carl Wilhelm Ramler: Lyrische Blumenlese, Leipzig 1774.
  13. Hans Adam von Studnitz Item:Q23579
  14. Emanuel Christoph Klüpfel Item:Q162558
  15. Juliane Franziska von Buchwald (geb. von Neuenstein) Item:Q23461
  16. Carl Wilhelm Ettinger Item:Q23611
  17. Johann Gottfried Eichhorn Item:Q184279
  18. "Gemeinnützige Privatgesellschaft", Gotha Item:Q184282
  19. Christian Georg von Helmolt Item:Q474
  20. Ludwig Christian Lichtenberg Item:Q14201
  21. Gothaisches gemeinnütziges Wochenblatt Item:Q190771
  22. Georg von Hardenberg Item:Q99127
  23. Loge "Ernst zum Compaß", Gotha Item:Q10575
  24. N.N. Ewald (geb. Weidner) Item:Q176088
  25. Johann David Weidner Item:Q77402