D-Q4519

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Commentary

Carl Gotthold Lenz' Antworten auf fünf vom Orden an ihn gerichtete Fragen. Die Fragen stammen vermutlich aus dem zweiten Ordensheft (vgl. D-Q4517)


Transcript

I. Was für einen Begrif ma-
chen Sie sich von diesem O.?

Ich denke mir, nach dem, was mir
bekannt gemacht worden, den O. als
eine moralische Gesellschaft,
deren Zweck Erleuchtung des
Verstandes und Veredlung des
Herzens ist.

2. Haben Sie aber auch überlegt,
daß, indem Sie sich neue Verbind-
lichkeiten aufladen, Sie Ihre
natürliche Freyheit einschränken?

Meine Menschenfreyheit wird ohne
dies dadurch, daß ich Bürger eines
Staats bin, auf mancherley Weise
eingeschränkt, und muß einge-
schränkt werden: warum sollte
ich mir nicht auch von dem O.
einige nothwendige Einschränkun-
gen meiner natürlichen Frey-
heit gefallen lassen, zumal da
ich hoffen darf, daß sie von
andern Vortheilen weit werden
überwogen werden.

3. Haben Sie auch überlegt, daß
der O. in gewissen Umständen
die genaueste Folgeleistung
verlangt? daß man Ihnen
über die Ursachen, warum
Ihnen etwas befohlen werden
könnte, nicht immer würde Rechen-
schaft geben, welches Ihnen
unangenehm seyn könnte?

Wenn der O. Befehle ertheilt,
die ich unter den Umständen
und in meiner Lage befolgen
kann, so ist die pünktlichste
Folgeleistung meine Pflicht.
Auch würde es mir so wenig
zukommen, bey allen Befehlen
die Gründe derselben zu wissen
zu verlangen,
als dem gemeinen
Soldaten von seinem Officier Re-
chenschaft über die Gründe seiner
Befehle zu fordern. Kummer würde
es mir aber verursachen, wenn mir
ein zweydeutiger Befehlt ertheilt
würde, bey dem mir eine unlaute-
re Absicht des O. durchzuschim-
mern schien (sollte ich mich auch
darin täuschen), und den ich dennoch
bevor ich von seiner Güte über-
zeigt wäre, erfüllen müßte. Ich|<2>
verspreche mir aber, daß dieser
Fall bey den rechtschafnen Absich-
ten des O. nie eintreten werde.
Nur, glaub ich, müßten in diesem
Fall von Seiten des Mitglieds
Gegenvorstellungen erlaubt wer-
den. Dieses zu erinnern schien
mir deswegen nöthig, weil bey
der fürtreflichsten Anstalt sich
in der Zukunft Misbräuche
einschleichen könnten, und so von
Despoten das Versprechen alle
und jede Befehl auch ohne ange-
gebne Ursachen zu respectiren
zu wollen gemisbraucht wer-
den könnte.

4. Wie würden Sie sich aber
betragen, wenn Sie einst Per-
sonen im O. fänden, denen
Sie abgeneigt wären, oder
gar die Ihre Feinde wären?

Den Imperativ: Liebet eure
Feinde
, der allen Menschen in
jeder gedenkbaren Verbindung
mit andern gegeben ist, würde
ich auch in dieser Verbindung
mir gesagt seyn lassen, und
dieses um so viel mehr, je
mehr aller Privathaß und
Privatrache, wenn sie sich in
den O. einschleichen sollte, die
moralische Einheit und Verbrü-
derung desselben stören würde.

5. Nun wissen Sie, was wir
von Ihnen erwarten. Was
fordern Sie aber dagegen
von uns?

Von Ihnen hoffe, erwarte und
bitte ich, daß Sie, was mir an
Weisheit und Kenntniß gebricht,
bey mir durch Ihre Erfahrung
und Weisheit ersetzen, mir
nach Ihrem besten Wissen und
Gewissen den Weg zur Wahrheit
zeigen, mich auf denselben|<3>
bringen und wo nicht ins
Heiligthum — das uns hienieden
verschlossen bleibt — doch in
den Vorhof des Tempels der
Wahrheit führen werden.
                  J. Lipsius


Notes