D-Q4522

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Commentary

Johann Christoph Friedrich Gerlachs Antworten auf fünf vom Orden an ihn gerichtete Fragen. Die Fragen stammen vermutlich aus dem zweiten Ordensheft (vgl. D-Q4517)


Transcript

1) Was machen sie sich für einen
Begriff vom Orden?

Antw. Ich mache mir nach meinen jetzigen
eingeschrenckten Einsichten folgenden
Begriff vom O: Es ist eine Gesellschaft
die mit vereinten Kräften daran arbeitet
das allgemeine Wohl zu befördern, dazu
gehört daß die Glieder untereinander selbst
stets an ihrer Vervollkommnung arbeiten
u ihre Menschenkentniß erweitern u dazu muß
jedes einzelne Glied so viel wie mögl. bey-
tragen; daher erkläre ich mir auch den Befehl
daß jedes Glied Bemerkungen über sich selbst
und über andere einsendten soll, denn hier-
durch, glaube ich, wird der erste Zweck sehr
gut erreicht, weil die Fehler und Bedürf-
niße der Menschen nicht eher verbeßert
und gehoben werden können, als mann sie
genau kennt.

2.) Haben sie überdacht, daß, da sie sich
neue Verbindlichkeiten aufladen, sie ihre natür-
liche Freyheit einschränken?
— wollte ich mich daran stoßen, so dürfte
ich kein Amt annehmen, keinem Geschäfte
mich unterziehen; denn allemal leidet in ge-
wißer Rücksicht meine Freyheit Einschränkung.
aber auser aller Verbindung würde ich auch,
mit aller meiner Freyheit nicht im Stande
sein etwas zu bewürken und meine
Freyheit würde den erst recht eingeschrenkt
sein. Durch dse neue Verbindung leidet
zwar anfängl meine Freyheit einige Ein-
schränkung, aber mein Wollen bekömt auch
eine neue Rüchtung und mit jedem Zu-
wachs meiner Einsichten, in dise Verbindung
wächst auch meine Freyheit wieder.
Ueberhaupt werde ich jeder Verbindung wo-
durch ich beßer u nützlicher werde gerne
einen Theil meiner Freyheit aufopfern|<2>

3.) Haben sie wohl bedacht daß der O.
in gewiße Umständen, die genauste Folg-
[***] verlangt — daß man ihnen über
die Ursachen, warum ihnen etwas befohlen
werden könte, nicht immer Rechenschaft
getan werde, welches ihnen unangenehm sein
könnte?

— das habe ich wohl bedacht und nach ge-
nauer Unterlegung gefunden daß es nicht
anders sein kann. Aus jeder neuen Verbindung
in die ich mich begebe folgen neue Pflichten,
aus der ersten Einrichtung dieser Verbindung,
in die ich getreten bin, habe ich ge[***], daß
für die untern Glieder eine genaue, oft blinde
Folgsamkeit nöthig ist; denn nur der, der das
Ganze überschaut muß die Mittel kennen die
zum Hauptzwecke nöthig [***] sind; so lange aber
meine Einsichten eingeschränckt sind, muß ich
ein Mittel abgeben, auch ohne zu wißen zu
welchem Zwecke; genug wenn ich überzeugt
bin daß der, der das Ganze überschaut, den
besten Zwecke hat, u die besten Mittel dazu ge-
braucht, und hiervon bin ich überzeugt;
ich werde also über die Ursachen warum mir
etwas befohlen wird nur so lange forschen,
als es erlaubt ist; sehe ich sie alsdenn nicht
ein, so beruhige ich mich mit dem Gedanken
daß dse Ursachen gut sind in der Hoffnung, daß,
wenn meine Einsichten größer werden ich
auch die Vortreflichkeit der Ursachen einsehen
werde

4.) Wie werden sie sich betragen, wenn
sie einst Persohnen im O. finden, denen
sie abgeneigt oder wohl gar Feind wären?

— Ich werde mich bemühen die Ursachen
dieser Abneigung auf zu suchen und sollte
dse Abneigung in der A[***]lichkeit eines Zugs, mit einer mir
unangenehmen Persohn, gegeründet sein, soe
dadurch zu heben suchen, daß ich, die guten
Seiten eines solchen Menschen kennen zu lernen
mich bestrebe. Sollte aber diese Abneigung
in den fehlerhaften Charakter eines solchen
Menschen gegründet sein, so würde ich es
gehörigen Orts anzeigen.|<3>

5.) Da ihnen nun bekannt ist was wir von
ihnen erwarten, was fordern sie dagegen
von uns?

— Ich fordere weiter nichts als Unterstützung
in dem Bestreben meinen Charakter zu
vervollkommnen, meine Kentniß zu er-
weitern, meinem Nebenmenschen immer
mehr zu nützen und so den Zweck wo-
zu ich in die Welt gesezt bin immer
näher zu kommen und eine solche Unterstützung
darf ich wohl von dem Erlauchten Obern, als meinen
Vätern erwarten!!
                Philipp Melanchthon


Notes