D-Q5069

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Andrus d. 9. Esphendarmad 1158

Da noch immer neue Schriften für und wider die Ill[uminaten]
erscheinen, die noch immer das Gespräch so mancher Zu-
sammenkünfte sind und durch gute und böse Gerüchte gehen,
so habe ich den Vortheil immer für mich daraus gezogen, zu
mehern Nachdenken über den O[rden], was er war u[nd] was er seyn
könnte, dadurch veranlaßt zu werden. Ich will unverhohlen ei-
nige Gedanken darüber aufs Papier werfen.

Der Ueberzeugung, daß der O[rden] lauter brauchbare Mitgl[ieder] er-
halte, steht gar zu sehr die Wahl dessen, der vorschlägt und cha-
rakterisiert entgegen. Der beste Mensch wird gar zu leicht zur
Partheylichkeit gegen seine Freunde hingerissen; er übersieht
selbst ihre Fehler, schildert ihre Vorzüge con amore, und läßt
sich in seiner Wahl zu leicht durch pathologische Liebe der Nei-
gung leiten.

Das Recht, ja die Verpflichtung, die jeder neu aufgenommene
hat, dem O[rden] neue Subjekte zuzuführen, bläst den jungen Mann
der sich selbst erst bilden sollte, auf, erzeugt unvermerkt eine
gewisse Herrschsucht, wenn er als Recipient einen gewissen Vor-
zug u[nd] Macht über seinen Insinuanten hat.

Das Charakterisieren von Freunden und vorgeschlagenen Mitglie-
dern (in den Briefen v[on] Spartacus[1] heißt es oft gar Spionieren,
u[nd] so wird es auch gemeinhin angesehen u[nd] beurtheilt) kann
viel Schaden stiften. Wer dem anderen nicht wohl will,
kann ihm leicht eine Grube graben. Die Ob[eren], wenn sie|<2>
nicht durchaus rechtschaffne Männer sind – und schlich sich nicht
auch in Baiern mancher Unwürdige ein? – können einen
nachtheiligen Gebrauch von den ihnen anvertrauten Nachrich-
ten machen. Das Bewustseyn, daß andere auf mein Betragen
beständig ein wachsames Auge haben, u[nd] daß alles an den O[rden]
berichtet wird, erzeugt Mißtrauen, verscheucht Freymüthig-
keit u[nd] Offenheit.

Die O[rdens] Mitglieder lassen sich gar zu leicht zum Stolz u[nd] Erhe-
bung über das größere Publicum verleiten, schätzen an-
dre geringer, streben immer darnach, Ob[ere] zu werden. Al-
so Heteronomie u[nd] unlautere Absichten. Sie suchen sich
größeren Einfluß u[nd] Ausdehnung zu verschaffen, so entsteht
auf solcher Grundlage leicht Despotismus und, erreichen sie ihren Zweck
nicht, so ist die Folge Mißmuth, Unzufriedenheit mit
dem O[rden], Unthätigkeit oder Entgegenwirkung.

Die Aufnahme von Menschen, die nicht strenge moralische Grund-
sätze haben, oder sich wohl selbst manche Ausschweifungen er-
lauben, schadet am meisten. Noch ungebildete Menschen
können immer aufgenommen werden, und seyen sie auch
noch unverdorben.

Aussichten auf äußere Unterstützung u[nd] Beförderung
zu Aemtern thun der Liebe zum Zweck Abbruch, machen
interessirte Mitglieder, u[nd] schaden im Urtheil derer, die|<3>
draußen sind und leicht das Bestreben der Br[üde]r unter ein-
ander, sich zu Amt u[nd] Brod zu verhelfen, bemerken. Müßte
nicht ein auf bloß moralische Zwecke gegründeter O[rden] auf alle
äußere Unterstützung durch den O[rden] Verzicht thun?

Einmischung in politische Sachen ebenfalls eine Klippe, woran
der O[rden] gar zu leicht scheitert. Der Staat kann nicht wollen, daß
er durch eine fremde Gesellsch[aft] u[nd] nicht durch seinen eigenen
Willen zu gewissen Handlungen bestimmt wird, und der O[rden],
indem er in bürgerl[iche] Angelegenheiten verflochten wird, gibt
sich eine Ausdehnung, die ihn vom Hauptzweck abführt. J[e]
enger der Kreis ist, den sich der O[rden] vorzeichnet, je best[imm]-
ter [das] Werk, in dem er Vollkommenheit sucht, desto eher
wird [er] erhalten.

So[llte ni]cht eine gewisse disciplina morum, wovon ich
doch nur einen dunklen Begriff habe, unter den jungen
Mitgl[iedern] des O[rdens] von Nutzen seyn? Spart[acus] führt ja auch schon
dergl[eichen] ein. Eben so habe ich immer gewisse einschränken-
de Luxusgesetze für vortheilhaft gehalten. Ein etwas
ausgebreiteter O[rden] könnte durch sein Beyspiel viel
thun, um Frugalität u[nd] Simplizität der Sitten unter
einem üppigen Volk wieder geltend zu machen.

J. Lipsius

Anmerkungen