D-Q5595

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Commentary

Unzufrieden mit Beckers Nachfragen, Verweise auf Diskretion

Inhaltlich identisch mit SK12-110

Transcript

Liebster Bruder Henr. Steffanus!

Glauben Sie nicht, daß Basil alles an seinen
Brüdern, auch selbst nur in ihr Ohr lobe, was er lobens-
würdiges an ihnen sieht. An Jünglingen wohl!
Milch für Kinder, Wein für Männer! Und in Ihnen
irrt sich Basil nicht. Ich würde es auch heute
mit einen Maxime bewenden laßen, worüber sich
zwey verständige Brüder so schnell verstehen
wenn Sie mich nicht aufgefordert hätten, deutlicher
zu sprechen; also: Für Ihr Tagebuch des Avicenna[1]
vielen Dank, wenn es nicht nur bloß für Guid[o] d[e] l[a] T[orre][2]
geschrieben wäre! So seyn Sie versichert, Sie sollen
Beystand finden! Ich zweifle auch nicht, das padagogische
Problem, deßen Sie im Monat Tir erwähnen, soll eine
pracktische Aufklärung finden. Nur keine Mühe bedauert,
wenn solche auch einige Zeit vergeblich scheinen sollte! Alle
andern Verhältniße lieber H. Steffanus als der Verhältniße
des jüngeren zu dem älteren Bruder, laßen Sie uns so rein
beyseite setzen, als wären sie nicht da! Und machen Sie auf|<2>
meinen thätigen Beystand in diesem Punckte. So habe ich
auch ebenfalls Auftrag Ihnen zu sagen, daß man sich
von O[rden]s wegen bemühe, Ihnen allen den Eingang für Ihre
nützliche Zeitung und alle die Correspondenz zu verschaf-
fen die Sie nur wünschen können. Wenn nicht alles
gleich geschieht, so bittet man Sie, zu bedencken, daß wir
nur menschliche Kräfte in Bewegung setzen können, und
zwar mit nöthiger kluger Behutsamkeit.

Der Schluß Ihres Q.L. vom M. Tir geht mich allein an.

Ich soll Ihnen statt allgemeiner Warnungen bestimmte
Fälle vorrüken, wo mehr Discretion heilsam gewesen
wäre! Bester Bruder! Dadurch daß Sie Discretion eine
Tugend des 18ten Jahrhunderts nennen, geben Sie mir zu
diesem brüderlich freundschaftlichen Dienste, eben so wenig
Aufmunterung, als dadurch, daß Sie sagen: "das Unglück
,,ist nur, daß ich so verblendet bin, nicht zu sehen, wo ich
,, dawider sündige! doch mit einem so aufgeklärten Mann,
der es weiß, daß es ein E.O. Pflicht sey, Wahrheit um Wahrheit
zu geben, kann man es ja wohl ohne allen Umschweif
sagen: "Es ist eine große Indiscretion wenn man ohne
,,gehörige Behutsamkeit und Bedächtigkeit den gemeinsten
Fruchtsamen aussäet." die Absicht ist ja, daß er frucht bringen
soll. — Sollte denn nun beym Ausstreuen oder Verbreiten mo-
ralischer Wahrheiten weniger Klugheit nöthig seyn, obgleich die
Sache an sich unendlich wichtiger ist?|<3>

Behüte mich der gesunde Menschenverstand, mit Ihnen über die
Bedeutung der Worte, Discretion, Behutsamkeit, Bedächtigkeit
und Bescheidenheit zu dissertiren. Aber ich bin wohl geneigt, wenn mich nicht
dringendere Geschäfte davon abhalten, (Sie kön-
nen leicht erachten, daß es mir nicht daran fehle) Ihnen ein-
mal eine kleine Reihe von Partikeln in Ihrem Blatte anzu-
zeigen, wobey mehr Discretion, und wenn Sie so wollen,
mehr Bescheidenheit vom Redacteur hätte gebraucht werden
können: Wenn nämlich Bescheidenheit nicht bloß Mäßigung,
sondern auch Rücksicht auf die mancherley Verhältniße
der Personen und Sachen in der Welt bedeuten darf wie
ich glaube. — Und Ihrer eigenen Beurtheilung sey es über-
laßen, ob in dem Verhältniße zwischen ihnen und Basilii die
Ironie, wenigstens ironisch scheinende Wendung,

    "das Unglück ist nur, daß ich so verblendet bin, nicht zu
    "sehen, wo ich darwider sündige."

discret war. Sie sehen, ich bin ganz aufrichtig! Wie ein Bruder,
der Sie liebt, und der keine erdenkliche Ursache hat, mit irgend
einem Bruder zu haberechten, weil meine Person ewig
unbekannt bleibt
! Aber reine Wahrheit und das
zu bezielende Beste der Menschheit und der Brüder des
Ordens, sind mir eben so heilig, als solch eine ernsthaft em-
pfohlen sind. Doch!, vielleicht ists Ihnen, mein Bruder, nicht ganz gleichgültig
wenn ich Ihnen sage, ich würde Sie vorzüglich lieben und
achten, wenn Sie auch nicht in unsren Bündnisse wären

                                      Basilius.

Notes

  1. Simon Friedrich Küstner, Fragments from the diary of brother Avicenna von seinem 15ten Jahre, Gotha 1785-07-06 Item:Q6719.
  2. Friedrich Carl Ernst von Helmolt Item:Q475, der Sohn des Superiors der Gothaer Minervalkirche.