D-Q6612

From FactGrid
Jump to navigation Jump to search

Commentary

Vermutet, dass die Darstellung der römischen Ehebruchsgesetzgebung entsprang und kritisiert diese, da Mann und Frau vor dem Gesetz gleichgestellt sein müssen, wenn nicht das Recht der Stärkeren das Naturrecht brechen solle.

Transcript

Wer es unternehmen könnte, die Denckmäler
der Zeit aufzusuchen, um daraus zu be-
stimmen, wann man angefangen habe, die
Gerechtigkeit mit den verbundenen Augen, dem
Schwerdte in der einen, und der Waage in der
andern Hand abzubilden, der würde wohl nicht
im Stande seyn, ältere Denckmäler aufzu-
finden, als der Uebergang des Menschen
aus dem Stande der Natur in die Sozietät
ist. Der Mensch in dem natürlichen Zustande
siehet um und neben sich kein anderes
Mittel, was ihm Rechte und Befugnisse geben|<2>
und erhalten kan, als Macht des Stärckern. Das
ist das Idol, welches er verehren, dem er
sich unterwerfen; und in dessen Besiz allein
er sagen und bestimmen kan, was ihm gehöret,
was ihm andere geben sollen, und was sie ihm
nicht entziehen dürfen. Unter diesen Um-
ständen ist der Mensch im Stande der Natur un-
fähig, die Gerechtigkeit auf obgedachte Weise
sich zu versinnlichen, und ihr die ienigen Attri-
bute zu zu eignen, die nur Folge einer ordent-
lichen Gesellschaft seyn können.

So verschieden die Arten und die Wege sind,
wodurch ein Mensch sich Macht erwerben kan, |<3>
so kan ursprünglich, und Mensch gegen Mensch
betrachtet nur körperliche Stärcke der Weg gewe-
sen seyn, Macht zu erlangen. Freylich mit dem Fort-
gang der Menschheit, und iemehr der Mensch
mit andern sich verbunden, war diese nicht hin-
reichend, zur Macht zu kommen, und seine
Rechte und Befugnisse zu bestimmen. Auch Stärke
des Geistes und der Seele mußte nach und nach
an der Seite der Stärcke des Körpers sich herauf-
schwingen, und in Bestimmung der Rechte und
Befugnisse der Menschen der geschäfftige Richter
mit werden, nachdem eine Zeitlang der Schwächere
am Körper dem Stärckern untergelegen war,|<4>
und wer konnte in diesem Zeitpunckte Gleichheit
wechselseitiger Rechte erwarten?

Gehet man von diesen Standorte aus, um die wech-
selseitigen Rechte des männlichen und weiblichen Ge-
schlechtes zu überschauen: so kann man leicht ver-
muthen, welches Resultat man zulezt finden wird.
In Absicht auf körperliche Stärke kan im Stande
der Natur und ursprünglich das weibliche Geschlecht
nicht gleiche Rechte mit dem männlichen gehabt
haben. Die Weiber, schwächer an Stärcke des Körpers,
mußten sich dem starcken Arm der Männer un-
terwerfen, und wenn sie nicht, wie es ihr Loos
noch bey vielen Völckern ist, in der Knechtschaft
lebten: so waren die Rechte der Männer doch immer|<5>
vorzüglicher.

So groß der Abstand der Zeiten auch seyn mag, so
bleiben auch in der größten Cultur einer Nation
noch Spuren seines ihres ersten Zustandes, in den Sitten,
Begriffen, Gewohnheiten und Gesezen sichtbar, und
ich glaube, von dem ehemaligen Verhältnisse des
weiblichen Geschlechtes gegen das männliche in den
Gesezen der neuern und unserer Zeiten Spuren zu
finden. Wäre es wohl möglich, daß das Geschöpfe
der Natur, soweit es sich auch immer nach und
nach von solcher entfernet hat, seinen ersten
Zustand ganz verleugnen und übertünchen könnte?
Was man von ieden einzelnen Menschen behaupten|<6>
kan, daß von den ersten Eindrücken seiner frühen
Jahre noch Spuren in den spätern sich zeigen, das
hat auch ohnstreitig bey der Erziehung der Menschheit
überhaupt statt. Der grosse Lambert[1] konnte durch
seine häusliche Einrichtung seine erste Erziehung
nicht verleugnen, und ein ganzes Volck muß in den
neuern Sitten und Gesezen noch seinen ersten
Zustand bekennen. Auf solche Art verrathen die un-
gleichen Rechte des männlichen und weiblichen Ge-
schlechtes mehr oder weniger, die ersten Begriffe
der Natur, und damit ihren Ursprung.

Ich beziehe mich izt dieserhalb zuerst auf die Römer,
und deren Begriff, und Bestrafung des Ehebruchs.
Obschon die Römischen Geseze gleiche Rechte des männ[lichen]|<7>
und weib[lichen] Geschlechts annehmen, und denjenigen Vorzügen,
welche sie dem männ[lichen] einräumen, andere dem weib[lichen]
Geschlecht ertheilte, gleichsam entgegensezen: so ist doch
der Begriff vom Ehebruch, den die Geseze enthalten,
so beschaffen, daß bey Bestrafung des Ehebruchs eine Ver-
schiedenheit und Ungleichheit der Rechte zum Vorschein
kommen muß. Nach dem l[iber]6 § 1 u[nd] l[iber] 34. §III ad leg[em] Jul[iam]
de adulte[riis][2] statuiren sie nur einen Ehebruch wenn der
Ehemann mit einem verheyratheten Weibe, oder dieses
mit einem unverheiyratheten Manne sich vermischt, und so nach
war der Ehemann, der mit einer unverheyratheten
Person zuhielt kein Ehebrecher, und wurde nicht als solcher
bestrafet, ob es schon seiner Frau zum Ehebruch angerechnet|<8>
wurde, wenn sie sich mit einem unverheyratheten
Manne eingelassen hatte. Diese Verordnung der Röm[ischen]
Geseze widerspricht meines Bedünckens der fessel-
freyen Vernunft, die dem Manne nicht mehr Recht
und mehr Freyheit erlauben und zugestehen
kan, als sein Eheweib hat, und keinen andern Aus-
weg zu finden weiß, als den Grund davon in
der im Naturrechte geltenden Macht des Stärckern
zu suchen. Buttstädt d[en] 29sten Aban 1155[3]

e Fabiis

Notes

  1. Evtl. Lambert de Saint-Bertin (geb. um 1060; gest. 22. Juni 1125), französischer Benediktiner und Gelehrter, 1095 bis 1125 Abt der Abtei Saint-Bertin in Saint-Omer (Pas-de-Calais). „Zu L.s Lebzeiten, 1116/19, schrieb einer seiner Schüler den "Tractatus de moribus Lamberti abbatis s. Bertini" (hrsg. v. Otto Holder-Egger, MGH SS XV, 946-953), in dem L.s Gelehrsamkeit in den Künsten des Trivium und des Quadrivium gepriesen, von seinem Studium verschiedener Philosophen berichtet und ihm die Verfasserschaft von "sermones" und "disputationes" über das AT, über Willensfreiheit, Prädestination, Gnadenlehre und naturphilosophische Fragen zugesprochen wird.“ (Bautz Bd. IV, Sp. 1022f.)
  2. Gemeint ist die im Jahr 17 v. Chr. erlassene Lex Julia de Adulteriis coërcendis. Zu deren Inhalt vgl. Eugenia MALDONADO DE LIZALDE, LEX IULIA DE ADULTERIIS COERCENDIS DEL EMPERADOR CESAR AUGUSTO (Y OTROS DELITOS SEXUALES ASOCIADOS), in: Anuario Mexicano de Historia del Derecho XVII (2005), S. 365-413 (online unter www.juridicas.unam.mx 02.09.2014).
  3. Das wäre tatsächlich der 29. November 1785. Gegen die korrekte Datumskonversion spricht, dass ein November QL für 1785 vorhanden ist, auf das Bode auch reagiert; das Lauhn hier seinen Ordensnamen verwendet - er erhält ihn erst im Februar 1786. Zudem fehlt das November QL von 1786. Mithin sehr wahrscheinliche Nacvhlässigkeit Lauhns und nicht die einzige.