D-Q6614

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Commentary

Transcript


I.6

Butus d[en] 5 Esp[hender] 178 1156

Daß der Luxus eine Pest der Staaten
sey, wird freilich besonders in unsern Tagen
wo man sich Selbigen ganz überläßt,
ihm das Wort redet, und ihn sogar zu
den Mitteln rechnet, einen Staat blühend
zu machen nicht jedem sogleich einleuchten.
Ich will es nicht ganz in Abrede sezen, daß
durch den Luxus der Umlauf des Geldes
befördert wird; aber just so wie der
Umlauf des Bluts im menschlichen Cörper
während eines Fiebers. So wenig dieser
letztere dem Leben und der Gesund-
heit des Menschen zuträglich ist, so we-
nig befördert der Umlauf des Geldes,
welcher durch den Luxus bewirckt wird
die wahre Wohlfahrt des Staats; er un-
tergräbt sie vielmehr und ist ihr in
jedem Betracht schädlich. Den zuförderst
werden durch ihn die Ausgaben der Un-
terthanen so sehr vermehrt und übertrie-
ben, daß die meisten von ihnen es nicht
aushalten können und daher nothwendig Schulden
machen. Er vergiftet und verdirbt aber auch
endlich noch die Sitten; und mit dem Verfall|<2>
der Sitten ist der Verfall der Wohlfahrt des
Staats, nach einer bekannten aber sehr rich-
tigen Erfahrung, fast unzertrenlich verbunden.

Daß der Luxus meine Brüder die Aus-
gaben dergestalt vermehret und vergrößert
daß sie bey dem größern Theile der Mit-
glieder eines Staats die Einnahmen überstei-
gen, daran wird wohl niemand zweifeln
der nur ein wenig Beobachtungsgeist und
den Willen hat ihn zu brauchen. In ansehn-
lichen Handelsstädten sind freylich Kaufleute
deren Gewinn so starck ist, daß sie den
Luxus ihres Standes davon bestreiten können
allein gering ist ihre Anzahl im Verhältniß
mit den übrigen Einwohnern und auch
in Ansehung dieser wenigen bestätiget
die Erfahrung in einem Satz die vielen
ausbrechenden Bankerutte sind insgemein
eine Folge des Luxus: Wen dieser auch nicht
unmittelbar durch den vergrößerten Auf
wand zu Boden reißt, so thut er’s doch
durch die Verderbniß der Sitten, durch die
Weichlichkeit, und Abneigung vor aller An
strengung in den Berufsgeschäfften, durch
unterlaßene Püncktlichkeit in den Handels An-|<3>
gelegenheiten, verabsäumte Aufsicht auf die
Factoren und andern Werckzeuge seiner Ver
wüstungen. Hiervon kan also kein Gegenbeweis
hergenommen werden. So blüht auch in den
wenigsten kleineren Staaten ein so ausge
breiteter Handel; in den meisten ist nur
ein geringer Absaz einigr Landesproducte
an Auswärtige, und der übrige Handel ist
nur eine Erleichterung der Anschaffung der
Bedürfniße für die Nothdurft und den Wohl-
stand, und selbst für den Luxus wenn er
sich eingeschlichen hat. Aber bey solchen Umständen
können und dürfen die Mitglieder eines
Staats sich nicht über die Bedürfniße des Wohl-
standes erheben, wenn ihre äuserliche Wohl
fahrt nicht scheitern soll. Dies trifft nach aller
Erfahrung und besonders auch bey den Landleuten
ein, die ihre jährlichen Einkünfte vom Feldbau
und der Viehzucht nehmen müssen, desgleichen
aber auch bey denen, welche der Kirche und dem
Staate sich ganz widmen, und keine andern
Einkünfte als ihre Besoldungen haben, welche
gröstentheils nur für die Nothdurft ausgeworfen
sind und zur Bestreitung der Bedürfniße
des Wohlstandes, um die Würde ihrer Aemter
zu behaupten, oft nicht einmal hinreichen. Bey|<4>
den Profeßionisten, und Handwerckern aber,
welche von diesen beyden Gattungen der
Mitglieder eines Staats ihren Unterhalt nehmen
müßen, darf es nicht anders seyn, und ist
nicht andes, wenn nicht schon ein Gift des
Luxus im Staats Körper wühlet.

Ich darf also mit Recht behaupten, daß die Ein-
künfte der gesamten Mitglieder eines Staats
überhaupt nur zur Bestreitung der Bedürfniße
der Nothwendigkeit und des Wohlstandes hin-
reichen, und daß wenn ja ein Überfluß
bleibt, solcher zu Bestreitung ungewöhnlicher
Ausgaben bei unversehenen Unglücks Fällen
beygelegt werden muß. Begnügt man sich
aber bei so bewandten Umständen mit den
Bedürfnißen der Nothdurft und des Wohl-
standes nicht, wird man lüstern nach den
Lockspeisen des Luxus, und läßt man sich
dadurch verleiten, mehr auszugeben als
man einnimt; so entsteht daraus un-
vermerckt eine Schulden Last und alle
die hieraus sodann nothwendig entstehen-
den üblen Folgen. –

Schon längst haben die tiefblickendsten Po-
liticker und Moralisten eingesehen, daß der|<5>
Luxus eine Pest der guten Sitten, so wie
der Ökonomischen und gesellschaftlichen Tu-
gend ist. Wo der Luxus seinen Thron auf-
geschlagen hat, da ermatten Fleiß, Eifer, Treue,
Standhaftigkeit in Ausrichtung seiner Berufs
Geschäffte; Müßiggang, Betrug, Untreue, Leicht-
sinn, mit dem ganzen Schwarm ihrer un
seligen Folgen, treten an ihre Stelle, breiten
sich aus, und werden dadurch ein schnel ver-
wüstendes Werckzeug, die Wohlfahrt des
Staats zu untergraben. Die Geschichte der
ehemaligen Freistaaten Griechenland und Rom,
so wie alle andern zu Grunde gegangenen
Länder, bezeugt daß der Luxus der lezte
und härteste Schlag war, den die Hand des
Verderbens ihnen versetzte um sie zu stürzen.
Er ist um so mehr zu fürchten je verbor-
gener seine schädlichen und schnelverwüsten-
den Wirckungen sind. Durch die Maske des
Wohlstandes, die er annimt, blendet er
die Unerfahrnen und führt sie in ein La-
byrinth, wo jeder Schritt, den man zurück thut,
fast eben so mislich ist, als der Fortgang.

Aus der Erfahrung weiß ein jeder, daß der|<6>
Nutzen oder Vortheil, er mag nun in irdischen
Vermögen, in Ehre, in Vergnügen, oder worin
es sonst wil, bestehen, zur Ausübung einer Hand-
lung treibt, so wie der Schade, welcher von
dem obigen allen das Gegentheil ist auf die
Unterlaßung derselben wirckt; und daß daher
die Vorstellung des Vortheils oder Nachtheils mit
Recht und am gewöhnlichsten gebraucht wird, wenn
die Ausübung der Pflichten und Tugenden also
befördert werden. Es ist aber eben so gewiß,
daß man auf diesem Wege seines Zwecks gar
oft verfehlet. Die Ursachen davon sind mancher-
ley ich will nur einige der vornehmsten be-
rühren.

Die Früchte der guten sowohl als der bösen
Handlungen, ich meine der Nutzen oder Schaden
derselben, zeigen sich oft erst spät, und
täuschen noch öfter diejenigen welche ihn auf
diesen Wege suchen oder fliehen. Ich rede
aber hier blos von dem Vortheile im bürger-
lichen Leben, und nicht von der innern Be-
lohnung oder Bestrafung, welche allemahl
die unausbleibliche Folge guter und böser
Handlungen sind. Daß die ersteren nur selten
die Frucht unserer Bemühungen sind lehrt
die Geschichte und die tägliche Erfahrung.|<7>
Wer sich auf den verschiedenen Wegen, das
Wohl der menschlichen Gesellschaft zu beför-
dern, einen bestimten Beruf gewählet, und
es darin durch unermüdeten Fleiß zu
einer vorzüglichen Geschicklichkeit und Voll-
kommenheit gebracht hat, muß gar oft zu
seinem empfindlichsten Vedruße sehen, daß
ein anderer, welcher an Geschicklichkeit und
Brauchbarkeit ihn unendlich weit nachstehet,
durch Ränke oder Zufal in der bürgerlichen
Gesellschafft empor komt, und alle Vortheile
einerndtet, die nur dem Verdienste zu
fallen solten, indeßen er selbst zurück
stehen und allen Schmerz fehlgeschlagener
Hofnungen fühlen muß! Wahre und große
Dienste, von Patrioten dem Staate geleistet, werden
mehrentheils verkant, und selten belohnt.
Der Kranz der ihnen gebühret, fällt auf
Unwürdige die sich weder um den Staat,
noch um ihre Nebenmenschen verdient ge-
macht, ja oft in ihren Aemtern strafwür-
dig betragen haben. Dies muß aber, durch
eine ganz natürliche Folge, sowohl in der
Vorbereitung zu den Berufsgeschäfften als|<8>
in der Verwaltung derselben, allen Muth
niederschlagen und die Eindrücke schwächen,
welche die Vorstellungen von den Vor-
theilen der Tugend und den Nachtheilen
des Lasters machen könten. Es kan zwar
dem Uebel nach welchem die Tugend hinten
angesezt und das Laster hervorgezogen
wird durch gute Einrichtungen an etwas
Einhalt geschehen: aber auch das schärfste
Auge und die gröste Unparteilichkeit und
Gerechtigkeit des Regenten kann es doch nicht
ganz verhindern und ausrotten. Die
Regierung Gottes allein hat diesen Vorzug,
daß alles in derselben nach Verdienst be-
lohnt und vergolten wird; und doch kann
es auch von Gott in diesem Leben nicht
durchgehends geschehen, es geschieht erst
nach dem Tode, und diese Einrichtung ist
bekantlich einer der stärcksten Gründe
für ein künftiges Leben. Was aber von
irdischen Regenten in diesem Leben nicht
geschiehet, daß kan, weil sich ihre Herr-
schaft jenseits des Grabes nicht erstreckt,
nicht nachgeholet werden.|<9>

Weil aber auch ferner die Vorberei-
tung zu den Berufsarbeiten, so wie
die Ausrichtung oder Verwaltung der
Geschäffte des äußern Berufs selbst, mit
Mühe und Beschwerlichkeit, und sogar mit
Entsagung vieler erlaubten Vergnügun-
gen verbunden ist; so regt sich die na-
türliche Trägheit der Menschen und ihre
Abneigung vor Geschäften, davon sie die
fernern Vortheile nicht allemal einsehen,
und die doch zu Erwerbung der Geschick-
lichkeiten, seine Berufsgeschäffte mit dem
gehörigen Erfolg zu verrichten höchstnoth-
wendig sind. Auch hieraus entsteht ein
großes Hinderniß in der Ausübung
solcher Pflichten und Tugenden.

Aber noch größer ist das Hinderniß,
welches aus der herschenden Sinlichkeit
und dem Hange zu allen Arten der
Wollüste entstehet, die physische Natur
oder der körperliche Teil des Menschen
entwickelt sich; wie die Erfahrung
lehrt, früher, als der vernünftige oder|<10>
geistige Teil deßelben, und überwächst
bei unterlaßener Kultur der Seelen-
kräfte den letztern, wie das Unkraut
den Weizen. Erlangt aber wie gemei-
niglich zu geschehen pflegt, die Sinlich-
keit die Herschafft über die Vernunft:
so wird der Hang für die Wollüste
und Vergnügungen immer stärcker
und erstickt jeden aufblizenden Gedan-
ken an die Pflicht sich die zu einem
gewählten Berufe möglichen Geschicklich-
keiten zu erwerben. Was auf diese
Art in der Jugend versäumet worden
ist, wird bei reifern Jahren selten oder
nie nachgeholet und verbeßert. Der
Hang zur Sinlichkeit ist diesem nach
eines der grösten Hinderniße, welche der
Ausübung der Berufspflichten und
der Vorbereitung dazu im Wege stehen.
Es fält zwar nicht gleich in die Augen:
aber dem aufmercksamen Forscher wird
es nicht schwer seyn, das was ich da-
von gesagt habe, in der Erfahrung be-|<11>
stätiget zu finden.

Man hat diesen Mangel an In-
dustrie (den was ist Verabsäumung
der Berufspflichten anders) gefühlt und
ist darauf bedacht gewesen ihn zu heben.
Einige haben dieses teils durch aus ge-
setzte Prämien, teils durch wilkührliche
Bestrafung zu bewircken gesucht. Allein
beide Mittel haben zuförderst die Un-
vollkommenheit das die Prämien und
wilkührlichen Bestrafungen weder
auf alle Glieder des Staats noch auch
eben so wenig auf alle Berufsgeschäffte
derselben ausgedehnt und angewendet
werden; sodan aber auch ferner nicht
zu leugnen ist das es sehr leicht ist,
sowohl bey Austheilung der Prämien
als auch bey Zuerkennung der Auf
Unterlaßung gesezten Ahndungen
vielfältig hintergangen zu werden und
also auch dadurch seines Zwecks zu
verfehlen.

In den ältesten Zeiten war der Patrio-|<12>
tismus oder die Vaterlandsliebe eine
mächtige Triebfeder wodurch die Aus-
übung der Ökonomischen und Ge-
sellschaftlichen Tugenden ungemein be-
fördert wurden. Lacedemon[1], Athen
und Rom sind hier redende Beispiele.
Doch da der Patriotismus gemeinlich
ja mehrenteils überspante Kraft ist
die selten so lange dauert und wen
sie am heftigsten ist, ich meine wen
sie ihre rechte Wirkung thut durch al-
zu große Anstrengung das Trieb-
werck der Maschine sprenget und zum
fernern Wircken unbrauchbar macht
so ward auch dadurch das Übel nicht
gehoben. Den es giebt in der Natur
keinen Stilstand alle endliche Dinge
wachsen und vervollkommen [!] sich entweder
oder nehmen wieder ab wen sie eine
gewiße Größe und Vollkommenheit
erlangt jede schnelle Größe muß eben
deswegen auch eben so schnell wieder
abnehmen!|<13>

Die ganze Sache komt also darauf
an: einen sichren Bewegungsgrund zur
Ausübung dieser Pflichten zu erfinden,
der zu allen Zeiten und unter allen
Umständen auf die Menschen wirckt, und
dieser ist den nach meiner festen Über-
zeugung kein anderer als der Wille
Gottes und das aufrichtige Bestreben
der Kreatur, ihn zu erfüllen dieser
muß bey jedem nicht ganz verwilderten
Menschen der stärckste Antrieb zur Wirck-
samkeit seyn. Überhaupt das Gott in
sich und in seinen Eigenschafften un-
veränderlich, und die Vorstellung daß
es deßen Wille und Befehl sey diese
Pflichten zu erfüllen, wird er mit
Freuden seinen Beruf abwarten, alle
Pflichten und Tugenden, wozu ihn
derselbe verbindet, ausüben und die
Hinderniße dieser Ausübung
muthig übersteigen. –



Frid. Sap.

Notes

  1. Sparta