D-Q6631

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Commentary

Der Aufsatz ist vor dem biographischen Hintergrund interessant: Der Autor Johann Ernst Schlegel, *1753, Luth. ist Druckereibesitzer in Erfurt, seit 1783 auswärtiges Mitglied der Gothaer Loge „Zum Rautenkranz“ im Lehrlingsgrad. Aug. 1786 Aufnahme als Minerval auf Vorschlag von Loos, Okt. 1787 Ausschluß auf dessen Antrag.

Wir erhalten hier mithin eine Darlegung aus der Berufszunft. Sie eröffnet mit dem standardisierten Lob der Buchdruckerkunst, die eine neue Ära der Wissenschaften einleitete, da sich mit ihr textidentische Kopien vorlegen lassen.

Spannend wird die Darlegung mit den Einwänden, die Schlegel unter der Hand bestätigt und abweist. Er muss sich damit befassen, dass Drucker schädliches Schrifttun – als solches zählt auch jedwede Unterhaltung, Tand – in den Handel brachten. Ob auch Schriften gegen die Religion und den Staat? Hier wird nachher eingegrenzt: dergleichen käme vor allem durch illegale Privatdruckereien in den Handel, die in Gewölben unterirdisch arbeiteten. Es fehlten indes Beispiele dafür, dass Drucker je etwas gegen die wahre Religion respektive den guten Staat in den Handel gebracht hätten (worin diese lägen muss mithin in einer eigenen Diskussion geklärt werden, und wird hier nicht diskutiert).

Motivation dieser Darlegungen ist möglichweise die Ausschaltung lästiger Konkurrenz durch die Privatdruckereien.

Noch weitaus gravierender als diese Ausweichmanöver ist die Verlagerung der Schuld für dergleichen Schriften vom Buchdrucker weg in den Verantwortungsbereich des Censors. Bessere Staaten müssten durchsetzen, dass alle Bücher dem Censor vorgelegt werden, und es diesem ermöglichen, in allen Gebieten kompetent und mit der nötigen Zeit der Lektüre zu urteilen. Sodann solle man in alle Schriften, die herauskommen den Vermerkt setzen, dass der Censor sie für veröffentlichenswert befunden habe und Autoren danach belohnen. Eine Formel dieser Approbation wird mitgeliefert.

Der Drucker hätte sodann nur noch die Aufgabe in den Handel zu bringen, was staatlicherseits für lesenswert erachtet wird. Weder wird hier dem freien Markt das Wort gesprochen noch einer Eigenverantwortung, sondern einer Neuorganisation von Verantwortung, die das Organ, das Schriften verfolgt auch für deren Druck verantwortlich macht.


Transcript


Ich werde mich bemühen die Frage
zu unterscheiden:

In wiefern hat die Erfindung der Buchdrucker-
kunst etwas zum Nutzen oder zum Schaden
des Menschengeschlechts beygetragen:



Die Buchdruckerkunst, hat von ihrem ersten An-
fange an das Glück gehabt, von jedermann für nützlich
und edel gehalten zu werden. Schon zu den Zeiten,
in welchen sie erfunden ward, nante man sie eine
Tochter und Geschenk des Himmels, und eine Gabe des
Höchsten.

Fünsterniß des Verstandes herrschte damals noch
in dem mehresten Theilen der Welt, als in den Grän-
zen Deutschlands, ein Glücklicher und edler Guten-
berg tausend Beschwerlichkeiten überstieg, und
seinem Vaterlande die Werckzeuge gab, dadurch es
nicht nur die Quellen der Weisheit an sich zie-
hen, sondern solche auch in einem großen Strom
verwandelt über ganz Europa ergießen konte;
und wir sind noch jezt die glücklichen Werkmeister,
in deren Händen diese Werkzeuge solche Wunder
verrichten. So klein bis dahin die Zahl der Ge-
lehrten war: so sehr wuchs nunmehro ihre
Anzahl zu einer Menge an; und die Würkungen
dieser Kunst sind auch noch jezt eben so glücklich,
und haben keine Veränderung erlitten.|<2>
Anstatt eines langweiligen und veränderlichen münd-
lichen Unterrichts in den Wissenschaften, anstatt
einer mühseligen Fortpflanzung derselben
durch fehlerhafte und sich unähnliche Abschriften
theilet unsere Kunst durch diese viele Tausend sich
überall gleiche Copieen die Wissenschaften aller
Ständen mit fruchtbaren Händen aus. Sie
dienet der Religion und dem Staate, dem Für-
sten, und dem Bürger, dem Wohlstande und der
Gesundheit, mit vielerley Wilfährigkeit, und
mit vielerley Glücke. Da die Rauheit der
Sitten allemal Kennzeichen der Völker sind,
welchen Künste und Wissenschaften unbekant
geblieben, und hingegen diese jene gar bald
in sanftere zu verwandeln wißen; so war
daher auch die erste Bemühung der in Deutsch-
land eingegangenen Wissenschaften, durch eine
gute Sittenlehre die Menschen gefälliger, sitt-
samer und tugendhafter zu machen.

Ich bin überzeugt, daß meine Leser mir
zu gestehen werden diese Sätze: Jede Sache hat
ihren Nutzen, wenn sie recht angewendet wird, und
führt Schaden bei sich, wenn sie müsbraucht wird,
vorrausgesetzt werden müße. Da aber jeder
Vernünftige mir sie zugestehen wird, so war diese
Sache so gleich entschieden. Die Beispiele aber,
so ich anführen werde, können es in völliges
Licht setzen, und so dann werde ich hier und da Einwürfe
beantworten.|<3>

War nicht vor den Zeiten der Erfindung dieser
edlen Kunst die gröste Barbarey? Und wie war
es möglich? Öffentliche Lehrer selbst besassen die
gemeinsten Schriften abgeschrieben, als Schätze,
sagten hernach ihren Zuhörern einige Stellen
daraus in die Feder, wie viel Fehler schlichen
da mit ein? Und über dieses was [muss heißen: war] es doch nur
Stückwerk und kein Zusammenhang.

Dies ist die Ursach, daß noch heut zu Tag
so viel verschiedne Lesarten da sind und unter-
zehen Gelehrten herrschen oft bey nach zehner-
ley Meinungen.

Ganze Bücher, selbst die Heilige Schrift,
war ein Werk für große Herren, unter
den untern Theil des menschlichen Geschlechts
kommen sie gar nicht.

Sind nicht Bibeln vorhanden, als die der
Herzog de la Croix[1] auf Pergament abschreiben
und mit einigen Mahlereien begleiten laßen,
die auf 1000 Ducate geschätzt werden?

Ist im Gegentheil durch diese edle Kunst
nicht jedes Buch für einen wohlfeileren Preis
gemeinnützig worden?

Und dieses noch darzu bezieht sich blos auf
die Deutsche Sprache. Mit wieviel und erstau-
nender Mühe wurden Hebräische und Griechische
Bücher abgeschrieben! Da durch die Drucker|<4>
Kunst uns die Schriften aller Welttheile, z. E.
Malabarisch, Persisch, Abessinisch, Peruanisch,
mit leichten Kosten bekand gemacht worden sind.

Man sagt zwar im Norden wär in der
Cultur noch nicht ein Licht aufgegangen, haben
aber nicht die Drucker Künste den gemeinen
im Esthland, den Lettischen und andern solchen
Nordischen Völkern nicht viele Verfeinerung
zugebracht?

Nun sagt aber ein Aristarchus:[2] Wie viele
gefährliche Bücher werden durch das Drucken
der Welt in die Hände gespielt! Wie viel
Verführungen zur Wollust und unreinen
Liebe! Wie viel Schriften, die den Aberglauben
als der vermeinten Zauberei u[nd] derg[leichen] frohnen!
Wie viel unnützer Tand!

Ich werde zu antworten suchen; Gesetzt
es gäb gar keine Druckerkunst, kan dieses
alles nicht durch häufiges abschreiben auch
bewürckt werden? Richtet nicht einer, dem
Schmähschriften oder sogenante Pasquillen
vielmals abschreibt, oft mehr Unheil an,
wenn er sie austheilt, als durch das Drucken?
Denn bei solchem häufigen Abschreiben u[nd] aus-
theilen wird kein Richter oder Censor er-
fordert, der doch bei einem öffentlich gedruckten
Werk allzeit in regelmäsigen Republiken nothwändig ist.|<5>

Wir wollen den Schaden beleuchten.
In ältern Zeiten wurde durch die Buchdruckerei der
Teufel, Hölle, Hexen, Gespenster Geschichte, Aberglaube,
wovon ich schon etwas weniges erwähnt habe, und also
die Dumheit, wo nicht erfunden aber doch allgemein-
ner verbreitet und Authentisch gemacht, denn
der Pöbel sagt: Ja, es ist wahr! es ist gedruckt!

In unseren Zeiten gibt es zu viel seyn wollende
Gelehrte, welche aus allen Arten des Eigennutzes so viel
Unsinn in einen schönen Colorit in die Welt gebracht
haben, wodurch der Wißbegierig sich bilden und
Aufklärung suchen wollende Mensch irre geführt
wird, oder sich durch dieses Chaos mit unseliger Mühe
und Kosten zu einen Strahl von Licht durch arbei-
ten muß; Ist dann, wies leider oft der Fall ist, die-
ser Strahl auch irrlicht, so wird der suchende,
und wenn es der beste Kopf ist, zuletzt frostig und
Müde, seine Wißbegirge Seele versinkt in Träg-
heit, Schläfrigkeit und Unlust.

Geht dieses aber der Kunst zu drucken an? Laßt
Mahomet seinen Alcoran schreiben wird er da durch zur
Wahrheit? –

Also der Drucker, setzt als Drucker, das was
der Censor billigt. Ist demnach die Ordnung in der
Republik festgesetzt, wird der Censor alles, so was
man heut unter einem Censor versteht, beleuchten
und verstehen können?|<6>

Der Censor ist ein Sittenrichter. Schon in der Römischen
Republik, hielte man dieses Amt für nothwändig, der Adel
und andre Einwohner Roms wurden zu gewißen Zeiten
wegen ihres Lebens untersucht, entweder gestraft oder
belohnt.

Nun heist der Censor bei den Druckern ein Richter
ob etwas nicht wieder Religion und gute Sitten sei. Ich
möchte dieses Amt des Censors ein wenig untersuchen:

1) Ich will mich bescheiden zu glauben: er hat alle
    Fähigkeiten, Sachen zu untersuchen, die nicht wieder diese
    beiden Puncte streiten. Aber
2) Ist er Theolog, Jurist, Mediciner, oder Philosoph
    ins besondere betrachtet? Denn die Polyhistors sind
    entweder so vor als der Vogel Phönix, oder Aeolus[3]
    regiert ein bisgen mit unter. Also wär wohl nöthig
    einen Censor in jeder Wissenschaft zu setzen, der
    seinem Amt wohl für stehen kann, die Sache ver-
    steht, und nicht eines andern Brille bedarf. So-
    dann müste er.
3tens als Censor besoldet werden. Wir haben
    Männer der grösten Gelehrsamkeit, die die Sachen
    wohl einsehen verstehen, und entscheiden können. Aber
    sie haben andre Wichtige Aemter dabei, so ihnen nicht
    Zeit laßen, die ihnen für gelegten Bogen zu durch-
    lesen, viel weniger zu richten. Und wehe also
    dann dem unterschrieben Vidi auf gut Deutsch
    ich habe es in der Hand gehabt und wiederweggelegt.

Es ist auch wohl zu erwägen, daß mancher Censor
wenn er auch die Sache versteht dennoch nicht verschiedner|<7>
Sprachen kundig ist sich also auf die von dem Verfasser
hinzugefügten Uibersetzungen verlassen muß, der dann
die Sache ganz unrichtig angeben kan und also viel
Schädliches mit unterschleicht. Diesem Uibel abzu-
helfen müste ein Censor Gerichte aus mehrern
geschickten Männern errichtet werden daß welche
Sprache der eine nicht verstünde ein andrer doch
sie übersetzen könne und alle Täuschung da durch ge-
hoben wär.

Das ist aber eben das Unglück: auf wen fällt
die Schuld wenn Sachen erscheinen die der Re-
ligion, Republik, dem geringsten Menschen an
welchem doch dem Augenmerk der Schöpfung
viel gelegen war, zum Schaden gedruckt wer-
dem dem Buchdrucker? Niemals – alzeit
auf den Censor.

Gesetzt, und es ist wohl zu beweisen daß das schädliche,
so durch den Aberglauben und Einfalt sonst ver-
ursacht wurde, zu unsern Zeiten aufgehoben wird.
Ist nicht in neuere Zeiten ein eben so großer
Schaden durch die Uiberschwemmung unützer Schriften,
durch den reissenden Strom der Autorsucht geschehen?

Wär auch nichts verfängliches, nichts ver-
dächtiges, nichts schädliches in einer solchen Schrift,
aber bloßer Tand, Possen unanständige Erzeh-
lungen wollistige Liebeshändel und Gesange,
welches alles die Eröfnung des Thors der Barbarei
sind; hat nicht wieder der Censor sein Urtheil selbst|<8>
zur Erwartung, daß er durch seinen Machtspruch die edle
Buchdrucker-Kunst so entehret, die oft diese schädliche
Sachen mit Schamrörthe und gezwungen ans Tages-
Licht bringen muß!

Hohe Schulen, ja Souverains solten in ihren
Provinzen jede ihr Censur Gerichte jaben, ab welchen
alle Sachen, so zum Druck erscheinen dargereicht
werden müsten. Da alsdann nur diejenigen zu
Druck befördert würden, welche dieses Censur
gerichte für würdig hielt, das Tages Licht zu
erblicken. Aber es müste vor einer solchen
Schrift das Zeugniß dieses Gerichts geschrieben,
besiegelt, und als dann mit gedruckt werden
so wie es in Paris würklich geschieht. Zum Bei-
spiel:

Wir zu dem Censur Gerichte Verordnete pp.
haben folgende Schrift gelesen und nach
reichlicher Erwägung der Sache des Drucks
wehrt befunden.

(L. S.)[4]

Und das beste würde sodann sein, dem Verfasser
so etwas taugliches zum Wohl der Menschheit nütz-
liches aufgesetzt hat, eine Belohnung aus zusetzen
die unnützen, blos zur Verderbung der Zeit die-
nende Ausarbeitungen müsten gänzlich ver
worfen werden. In diesen Fall würde nur brauch-
bares und zu Besserung des Verstandes und des
Herzens der Welt in die Hände geliefert werden.|<9>
Und wär weder dem Censor noch dem Drucker etwas
zur Last zu legen. Da bei jezigen Umständen
dem Censor alle Schuld mitRecht, dem unschul-
digen Buchdrucker aber mit Unrecht beigemessen
wird.

Daß ein Buchdrucker vielleicht Sachen so
wieder die sogenannte – Religion sind, gedruckt
haben mag, ist wohl möglich und wahrscheinlich –.
Aber man hat wenig oder kein Beyspiel daß ein
solcher selbst etwas wider einen guten Staat ge-
druckt hat. Nun ist in diesem Fall noch eine Sache
zu erwähnen. So wohl in Deutschland, als Frank-
reich giebt es Druckerein in Privat Häusern bey Vor-
nehmen, und andern reichen Privat Personen, wo
solche Sachen in unterirdischen Gewölben, ja gar
unter Wache vor der Thür zum Druck befördert
werden, da durch sind viele dem Staat schädliche
Schriften herausgekommen. Hier müste in jedem
Reiche ein algemeines Directorium errichtet werden,
durch welches alle diese privat Druckereien ver-
boten, und dem Schriftgießern zu befohlen, keine
Lettern an irgend jemand anders, als an schon
bekannte Buchdrucker verabfolgen zu laßen,
und im Fall des Ungehorsams zu bestrafen
wären.

Und dies ist die beste Wiederlegung aller dieser
Einwürfe. Der Buchdrucker wird nie ohne diese|<10>
Richter etwas bekannt machen dürfen. Also fält
alle Schuld auf den Censor. Das Amt eines solchen
Richters ist, nichts unter die Presse kommen zu
laßen, was wieder Religion u[nd] Sitten oder un-
nützer Tand ist. Das Amt desjenigen, der es druckt,
alles hernach zur Würksamkeit zu bringen, was
jener gebilligt hat.

Aus diesen angeführten Gründen, Be-
weisen, Wiederlegungen der Einwürfe ist
sonnenklar, daß die Buchdruckerkunst nichts
schändliches bei sich führe, sondern ihr Brauch
allzeit auf das menschlichen Geschlechts Wohl
gehe.

Notes

  1. Recherche ergebnislos Markus Meumann, 16.5.2014.
  2. Aristarch(os) von Samos (griech. Ἀρίσταρχος; geb. um 310 v. Chr. auf Samos; gest. um 230 v. Chr.) war ein griechischer Astronom und Mathematiker. Siehe den Wikipedia-Arikel Aristarchos von Samos
  3. Aiolos (griechisch Αἴολος, lateinisch Aeolus) war der griechische Gott der Winde.
  4. Abkürzung für locus sigilli (lat., Ort des Siegels), bezeichnet in Abschrif-ten oder Abdrucken von Urkunden den Platz des Siegels im Original.