D-Q6671

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Commentary

Die Schrift ist Schlichtegroll zuzuordnen, in der Sitzung 1785-04-18 Minervalkirche Gotha wird ein Aufsatz über Tugend und Laster des abwesenden Schlichtegroll verlesen - mit einiger Wahrscheinlichkeit der vorliegende.

Die Grundfrage des Aufsatzes ist, ob die schöne Seele, die selbstverständlich mit den ihr gemäßen schönen äußeren Linien ausgestattet ist, in besonderem Maße bedroht ist durch die Verführung, das Einnehmende das die Vergnügungen aufweisen. In der Tat können sie diese schöne Seele vom Pfad der Tugend abbringen, doch müsse zugestanden werden, das diese Seele gerade wenn sie die Verführungen gekostet hat, in der Lage sein wird diese zu durchhauen und auf den Pfad der Tugend zurückzukehren.

Gerade erfahrene Menschen setzt man in Positionen der Verantwortung. Sie können im kleinen wie im großen Kreisen, das Beste für das „System“ tun

Übereinkunft mit den Physiognomikern, Übertragung von Normen der Tugendlehre auf die Ästhetik und vice versa – woraus dann die weiteren Probleme gezogen werden, ist doch gerade die Untugend in älterer Theorie, verführerisch durch ihre Schönheit… Stoßen demnach zwei Epochen der Erklärung des Schönen hier interessant aufeinander um durch eine Theorie der Persönlichkeitsentwicklung harmoniert zu werden. Diese benötigt die übleren Durchgangsphasen auf dem Weg zur Vollkommenheit.

Transcript


Eine schöne Seele, welcher die Natur die
Lineamente der Tugend (wie Cicero es nennt)
eingezeichnet hat, begabt mit der zartesten Em-
pfindlichkeit für das Schöne und Gute, und mit
angebohrener Leichtigkeit, jede gesellschaftliche Tu-
gend auszuüben, kann durch einen Zusammenfluß
ungünstiger Umstände an ihrer Entwikkelung
gehindert, oder an ihrer ursprünglichen Bildung
verunstaltet werden. Ihre Neigungen können
eine falsche Richtung bekommen. Die Verführung
in der einnehmenden Gestalt der Liebe, kann
sich ihrer Unerfahrenheit zur Wegweiserin auf-
dringen. Niedrigkeit und Mangel können in
ihr diesen edlen Stolz niederschlagen, der so oft
die letzte Brustwehr der Tugend ist. Erziehung
und Beyspiele können sie über ihre wahre Be-
stimmung verblenden; die unschuldigsten
ja selbst die edelsten Regungen des Herzens,
Gefälligkeit, Dankbarkeit, Grosmuth können
durch Umstände zu Fallstrikken für sie werden.
Hat sie sich einmal auf dem blumichten Pfade|<2>
des Vergnügens den Liebes-Göttern, Schergen und
Freuden als Führern anvertraut, wie sollte
sie gewahr werden, wohin sie der sanfte Abhang
eines so lustigen Wegs führen kann? Zumal
wenn sich die Grazien und Musen selbst zu der
fröhlichen Schaar gesellen, und der sophistische Witz,
in den Mantel der Philosophie gehüllt, Gefühle
zu Grundsätzen und die Kunst zu genießen zur
Weisheit adelt. Eine lange Reihe angenehmer
Verirrungen kann die Folge des ersten Schrittes
seyn den sie auf einem Wege gethan hat, der
ihrem bezauberten Auge der gerade Pfad zum Tem-
pel der Glükseeligkeit schien. Aber warum sollte
sie nicht noch immer von ihrem Irrwege zurük
kommen können? Die Umstände können der
Tugend eben so wohl beförderlich als nachtheilig
seyn. Ihre Augen können geöfnet werden.
Erfahrung und Sättigung lehren sie anders von
den Gegenständen urtheilen, in deren Genuß
sie ehemals ihre Glükseeligkeit setzte. Andere Be-
griffe zeugen andre Gesinnungen, oder, deutlicher|<3>
zu werden, richtige Begriffe geben auch den Neigungen
ihre wahre Richtung. Die Grundzüge der Seele
bleiben unveränderlich. Eine schöne Seele kann
sich verirren, kann durch Blendwerke getäuscht
werden, aber sie kann nicht aufhören, eine
schöne Seele zu seyn. Laßt den magischen Nebel
zerstreuet werden, laßt sie die Gottheit der
Tugend kennen lernen. Dies ist der Augenblik,
wo sie sich selbst kennen lernt; wo sie fühlt,
daß Tugend kein leerer Nahme, kein Geschöpf
der Einbildung, keine Erfindung des Betrugs –
– daß sie die Bestimmung, die Wollust, der Ruhm
das Höchste und edelste Gut eines denkenden Wesens
ist. Die Liebe zur Tugend, das Verlangen sich
selbst nach diesem göttlichen Ideal der moralischen
Schönheit umzubilden, bemächtigt sich nun aller
ihrer Neigungen, es wird zur Leidenschaft; in
diesem Zustande, mehr als in irgend einem andern,
ist es, wo man sagen kann, daß die Seele von
einer Gottheit beseßen ist; und welche Probe ist so
schwer, welches Gefar so groß, um zu schwer, zu groß
für den Enthusiasmus der Tugend zu seyn?|<4>
Ein Mann von mehr als gewöhnlicher Fähig-
keit hat genug zu thun, an seiner eigenen Beße-
rung und Vervollkommnung zu arbeiten. Er
ist am geschiktesten zu dieser Beschäftigung,
nachdem er durch eine Reihe beträchtlicher Er-
fahrungen sich selbst und die Welt kennen
zu lernen angefangen hat; und indem er sol-
cher Gestalt an sich selbst arbeitet, arbeitet
er würklich für die Welt. Denn um so viel
geschikter wird er, seinen Freunden, seinem
Vaterlande, und dem Menschen überhaupt
nützlich zu seyn, und in einem größern oder
kleinern Creise mit mehr oder weniger Ge-
pränge, auf eine öffentliche oder nicht so
merkliche Art, zum allgemeinen Besten des
Systems mitzuwürken.

Notes