D-Q6727

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Commentary

Transcript

Es sey mir erlaubt meine Brüder, Sie mit einigen
wenigen Bemerkungen, die ich bey meinem Aufenthalte in Schlesien
gemacht habe, und die noch Ihnen mitzutheilen für nicht ganz un-
werth erachte, einen Augenblick zu unterhalten. In dieser
Rücksicht wage ich es auch, und hoffe Sie warden mehr auf die
sache selbst, als auf meinen noch sehr unausgebildeten, fehler-
haften Vortrag sehen, weswegen ich Sie meine Brüder um
Nachsicht bitten muß.

Keine schauervollere Erinnerung für den Menschefreund
läßt sich wohl gedenken, als die Knechtschaft oder Sklaverey
voriger Zeiten in Deutschland. Vernunft und Religion
durch deren Aufklärung wir nach und nach so weit gekommen
sind, selbige aufzuheben, giebt der Menschheit nicht nur einen
weit größeren Werth, sondern vervielfältiget auch die Pro-
dukte, welche zur Befriedigung der mancherley Bedürfniße
des Menschen gehören, durch seine thätigere freyere Handthie-
rung. Schlesien ist das einzige Preusische Land, das mit
den vorigen barbarischen Zeiten durch die Leibeigenschaft der|<2>
Unterthanen noch viel Aehnlichkeit hat. Schon seit vielen Jahren
konnte der große Monarch Preusens die hierdurch gedruckte
Menschheit, die sich mit oftmahligen Bitten seinem Thron nahe-
te, nicht länger leiden sehen; er führte daher weise Gesetze
ein, die den Grundherrschaften, wegen ihrer Macht über ihre
Unterthanen, Grenzen setzten, die sie nicht überschreiten durften,
die sie aber auch auf der anderen Seite dem Herrschaften an ihren
Theils ererbten, Theils erkauften Rechten mit den Güthern, nichts
benahmen. Er verordnete nemlich, daß jede Herrschaft einen
von der Oberamtsregierung bestätigten Justitiarium sich
wählen sollte, der die Streitigkeiten zu schlichten habe, und nicht daß
solche, wie vormahls mit dem Kannschuh [?] ausgemacht wurden,
weil dadurch wegen der oftmahligen zu harten Leibesbestrafung
die Untertthanen entliefen, das Land entvölkert wurde, und
der Grundherr selbst sich um seine Arbeiten brächte. Ferner be-
fahl er, daß die Guthsbesitzer ihren Bauern (Leute die mit Pferd
und geschirr fronen müssen) die Bauerstellen verkaufen
und solche alsdenn ihren Familien erblich bleiben sollten, sie hin-
gegen noch wie vor ihrem Herrschaften die gehörige Arbeiten zu
thun schuldig wären. Der Bauer der vorher viel träger zur Arbeit|<3>
war, wurde durch sein nunmehriges Eigenthun zur Thätigkeit viel
mehr angefeuert, arbeitete für seine Herrschaft viel behender,
um desto eher an das seinige zu kommen, wodurch denn beyde Theile
einen großen Vortheil erhielten. Vor nunmehr zwey Jahren
wurde zu mehrerer Freyheit und Besten des gemeinen mannes.
wie auch ohne Schaden und vielmehr zur Sicherheit der Guthsbe-
sitzer, in Betreff der zu verlangenden Arbeit von ihren Un-
terthanen, ein Urbarium[1] errichtet. Dieses Urbarium besteht
darinnen: es sollen die Bauern, Dreschgärtner[2] (sind Handar-
beiter) und ihre Weiber gemeßene Frohnen haben, das heißt:
die Bauern sollen des Tages eine gewisse Anzahl Beete ackern,
die Dreschgärtner und ihre Weiber gewiße Tage in der Woche
zu Hofe arbeiten, um die übrige Zeit für sich anwenden zu
können. Die Unbilligkeit und den allgemeinen Schaden, der
durch die angemeßene Frohndienste entsteht, haben schon vor
vielen Jahren einige Grundherrschaften eingesehen, und ihren
Unterthanen nach Maas, Zahl und Gewicht die Arbeit bestimmt
und festgesetzt. Auf diese ist auch besonders bey der neuen
Einrichtung Rücksicht genommen, und die Güther der übrigen dar-
nach eingerichtet worden. Der gemeine Mann, der|<4>
freylich ohnedies, wegen Mangel an Einsicht, bey Erneuerungen etwas
argwöhnisch ist, und sich gerne widersetzt, glaubte den Comis-
sarien nicht, und war der Meinung der König wollte ihn von allen
Robothen[3] frey machen, erregte auch würklich an verschiedenen
Orten, besonders in Oberschlesien einen Aufruhr, der durch
militärischen Beystand gestillt werden muße. Viele von
den Herrschaften selbst hatten den falschen Wahn, sie würden
um ihre Rechte gebracht, und an ihren Frohndiensten geschmäh-
lert; allein, nichts als Thätigkeit und mehrere Freyheit für
den gemeinen Mann zu bewürken, war wohl der edle Zweck
des großen Königes; sie nahmen aus politischen Gründen
die königlichen Verordnungem ohne Widerspruch an, sahen alsdenn
den Nutzen, den sie durch ihre thätiger gewordenen Unterthanen
erhielten, ein, und dankten der Vorsicht[4] izt, daß sie sich un-
ter einer so weisen Regierung befunden.

Eine fürchterliche Einrichtung, die in Schlesien den vorigen Finanz-
Minister Herrn von Schaberndorf[5] zu ver-danken haben soll, ist die Errich-
tung der von der Landschaft garantierten Pfandbriefe. Was ein
Pfandbrief an und für sich ist, und der Gebrauch derselben, wird aus
folgenden zu ersehen seyn. Jeder Guthsbesitzer, der Gelder benöthi-
get, ist, hat das Recht sich den dritten Theil des Werthes von seinem|<5>
Guthe, das vorher von der Landschaft muß taxieret worden seyn, bey
selbiger auszahlen zu laßen, hingegen ist er schuldig diese Gelder
à 5 prozent zu verinterressiren; von der Summe dieser Gelder werden auf
das Guth Pfandbriefe gefertiget, die nach Guthbefinden von 25. R[eichsthaler]
bis 1000. R[eichsthaler] und stärker gemacht werden, und jedermann einzu-
wechseln freystehen, wofür er aber von der Landschaft nicht 5,
sondern nur 4 2/3 prozent Interesse bekommt. Das Drittheil
wird für die dabey angestellten Rechnungsverwalter p[erge], p[erge] zu ihren
Besoldungen verwendet und jährlich die Rechnung davon öffentlich
bekannt gemacht. Alle halbe Jahre, als zu Johannes[6] und Weihnach-
ten werden die Interessen eingenommen, und auch ausgezahlet.
Will ein Guthsbesitzer sein Guth von der Schuld wieder frey machen,
so zeigt er es bey der Landschaft an, so werden bey der Interessen-
auszuahlung due ausgegebenen Pfandbriefe aufgekündiget, welche
Aufkündigung ebenfalls von einem halben Jahr zum andern
geschiehet, damit derjenige, so seine Gelder wieder bekommt,
seine Einrichtung darnach treffen kan, solche wider unter zu
bringen. Die aufgekündigten Pfandbriefe werden bey der
Interessen-Auszahlung sogleich innen behalten, den Personen
einstweilen ein Schein darüber gegeben, und bey der nächsten
Auszahlung erhalten sie gegen Zurückgabe des Scheins ihr Capital.|<6>

Diese Einrichtung ist für Capitalisten von großem Werthe, weil sie
auf solche Art ihre Gelder, ohne die geringste Gefahr zu laufen un-
terbringen können. Vielleicht wäre hier zu Lande eine dergleichen
Einrichtung von gutem Nutzen, da ohnedies die Gelder in einem
gar zu geringen Werthe stehen.

Das preusische Militaire verdient gewiß wegen seiner Tapfer-
keit sehr hoch geschätzt zu werden, und hat auch in Rücksicht dessen
gegen andere Stände viele Vortheile; aber wie beklagenswürdig
ist nicht auf der anderen Seite der gemeine Soldat, der nie daran denken
darf, so lange er lebt, und zum Dienste tauglich ist, je einmahl wie-
der loszukommen. Alle Söhne der Unterthanen, vom gemeinen
Mann, Bürger, Handwerker und Künstler an, müssen, so bald
sie verlangt werden, beym Militaire Dienste nehmen, hierbey
wird keine Rücksicht genommen, sie mögen reich oder arm seyn,
sie mögen ein Handwerk gelernt oder studiert haben, sie mö-
gen durch ihre Teilnahme dem Staate auf eine oder die andere Art
nützlicher seyn können, so spricht sie doch alles dieses nicht frey
davon. Dieser Zwang zur unaufhörlichen Sclaverey verlei-
tet viele zum Selbstmord, und die häufige Desertion, obgleich
oftmahlen mit der größten Lebensgefahr, nimmt kein Ende. Um
dergleichen zu vermeiden, könnte nicht eine Capitualtion von 10 bis 12|<7>
Jahren vielleicht ohne Nachtheil des Militaire Dienstes, statt haben? Wie
viel Menschen würden nicht dadurch, bey einer so großen Armee am
leben erhalten, und mit wie viel mehr Muth und Eifer würde nicht
ein jeder dienen, wenn er einmahl wieder seiner Befreyung be-
wußt wäre.

Daß die Besoldung der Landgeistlichen in Schlesien größtentheils
in deren, und in eigenem zur Pfartey gehörigen Feldbau besteht,
finde ich für ihren Stand höchst unschicklich; denn sie werden durch
dergleichen Beschäftigungen nicht nur sehr ofte von ihrem Amts-
pflichten abgehalten, sondern verlieren auch besonders bey dem
gemeinen Manne, durch hierbey nöthigen Getreide-Wucher
an der Würde ihres Standes gar sehr. Ferner is vor vielem
Jahren zum Nachtheil der Landgeistlichen ein Sesetz gegeben wor-
den, dessen Unbilligkeit jedermanns Mitleiden rege machen
muß; nemlich, es soll kein Protestante einem Catholischen
geistlichen, und umgekehrt kein Catholike einem prtestan-
tischen Geistlichen in Schlesien durch oftmahligem Verkauf oder durch
Erbschaft bald in protestantische, bald in catholische Hände
kommen, so wird dem Geistlichen des Ortes, der ohnedem kein|<8>
großes Auskommen hat, der Decem[7] von seiner neuen Herrschaft,
die seiner Religion nicht ist, auf solche Art entzogen. Hieraus folgt
daß Geistliche, die kein eigenes Vermögen besitzen, oftmahlen, ohne
ihr Verschulden, in sehr klägliche Umstände gerathen,und äußerst
mißmuthig bey Verwaltung ihres Amtes werden müßen.
Herrschaften, die Güther zu kaufen in Willens sind, sehen daher
auch sehr darauf, dergleichen Güther zu bekommen, die ihre Reli-
gion nicht haben, weil sie dadurch, daß sie den Geistlichen nichts
zu geben schuldig sind, ein großes profitieren.

Eine Monatsschrift, Schlesische Provinzblätter[8] betitelt,
wovon der Kammersecretär Streit und Kammercalculator
Zimmermann in Breslau Herausgeber sind, soll nach eigener
Angabe der beyden Herausgeber

1.) alle Fortschritte, die Cultur, Industrie, Moralitär und
     Aufklärung, in dieser Provinz thun, zur Erweckung; auch
     die Rückschritte, so weit es diue Klugheit erlaubt, zur Schau
     berichten. Sie breiten sich über Religuions- und Erziehungs-
     wesen, über Litteratur, Polizey, Handel, Manufaktu-
     ren, Künste, Oekonomie, Naturkunde, Justiz, Arz-
     neykunde u[nd] s[o] w[eiter] aus. Jeder erhebliche Vorgang in einem
     von diesen Fächern, wenn er zur Kenntniß des Publikums|<9>
     gelangen darf, jede getroffene neue Einrichtung wird hier histo-
     risch treu und genau gemeldet. Hierher auch auffallende Aeu-
     ßerungen von Tugenden und Lastern, von Aufklärung
     oder Finsterniß.
2.) Werden sie Abhandlungen über die angegebenen Gegenstän-
     de liefern. Natürlich ist alles, was allgemein lelehrend
     ist, auch für Schlesien belehrend. Es werden also Abhand-
     lungen der Art ihre Stelle finden. Dem Zweck der Mo-
     natsschrift gemäß aber werden vorzüglich Aufsätze ge-
     wünscht, die auf das Bedürfnis Schlesiens, auf seinen
     Grad der Cultur, der Moralität, der Aufklärung, auf
     seine Vorurtheile u[nd] s[o] w[eiter] stete Rücksicht nehmen,
     oder die zur nähern Kenntniß dieses Landes durch mög-
     lichst detaillirte Beschreibungen verkannter guter
     einheimischen Anstalten, fehlerhafter Einrichtungen,
     Gebräuche u[nd] s[o] w[eiter] führen.

3.) Werden diese Blätter allerhand Zeitnachrichten berichten
     als Geburten, Heyrathen, Todesfälle, Dienstverän-
     derungen, Käufe adelicher Güther, Naturbegeben-
     heiten, Garnpreise u[nd] s[o] w[eiter].

Der Beyfall dieser Provinzblätter ist wegen ihrer für je-
dermann so interessanten Abhandlungen und Nachrichten all-
gemein, und reizet einen jeden solche zu lesen; sie geben
oft einen Abscheu böse Handlungen zu begehen, aus Furcht
daß solche allgemein bekannt würden, und bewegen viele,
aus gleicher Absicht, Gutes zu thun.

Conradin

Anmerkungen

  1. “Ein Urbar oder latinisiert Urbarium (Pl. Urbare bzw. Urbarien, Betonung jeweils auf dem „a“) ist ein Verzeichnis über Besitzrechte einer Grundherrschaft und zu erbringende Leistungen ihrer Grunduntertanen (Grundhol-den). Es ist eine bedeutende Wirtschafts- und Rechtsquelle des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lehnswesens. Auch für Gült- und Lagerbücher wird der Ausdruck verwendet. Je nach Region und Schriftträger sind für diese Verzeichnisse im deutschsprachigen Raum auch die Bezeichnungen Salbuch/Saalbuch, Berain, Heberegister, Erdbuch und (Zins)-Rödel oder Rodel geläufig.“ Wikipedia</a>
  2. “Die schlesis. Dreschgärtner (wo-runter man eine angesessene <9, 573> dienstbare Person versteht, welche um einen gewissen bestimmten Lohn alle zum Gute erforderliche Handdienste verrichten muß, und gleichsam ein Mittelding zwischen unsern Kossaten und Häuslern ist, wovon unter dem Art. Kossat mit mehrern sprechen werde,) haben das Vorrecht, sämmtliches herrschaftliches Getreide um den 18ten Scheffel zu dreschen.“ Krünitz, Stichwort „Dreschen“, Band 9 Seite 573.
  3. Robath, ein nur in einigen oberdeutschen von Wenden ehemals bewohnten, oder an slavonische Mundarten gränzenden Gegenden übliches Wort, eine Frohne oder einen Frohndienst zu bezeichnen. In diesem Verstande ist es in Baiern, Oesterreich und Böhmen sehr gangbar. In Schlesien werden die sogenannten Dresch=Gärtner auch Robath= oder robathsame Gärtner genannt.“ Krünitz Stichwort „Robath“
  4. im Sinne von (göttlicher) Vorsehung
  5. St Johannis fällt auf den 24.Juni.
  6. "Zehent (Decem, Decimae), heißt eine Natural=Abgabe, die von den auf einem verpflichteten Grundstücke wirklich erzeugten Früchten, nach einem gewissen Verhältnisse, gewöhnlich in dem zehnten Theile der Früchte (daher der Name) als dingliche Last entrichtet werden muß. Der Zehent kann als Last auf Gütern jeder Art vorkommen, sowohl auf Bauer= als Rittergütern; das Recht darauf muß aber durch einen besonderen Rechtstitel begründet sein, der entweder in einer allgemeinen Zehent=Pflichtigkeit aller Güter eines Ortes, einer Mark, oder in einem privatrechtlichen Erwerbstitel besteht. Der Zehent wird theils mit Rücksicht auf seinen Ursprung, theils mit Rücksicht auf die zur Erhebung berechtigten Personen in geistlichen oder Kirchen=Zehent und in weltlichen Zehent, ferner mit Rücksicht auf den Gegenstand in großen und kleinen Zehent eingetheilt. Der geistliche oder Kirchen=Zehent ist zur Unterhaltung der Diener der Kirche bestimmt, und bezieht sich daher in der Regel nur auf die jedesmalige Parochie, der weltliche Zehent aber erscheint als gewöhnliche, an eine <241, 86> weltliche Person zu entrichtende Abgabe..." Krünitz Stichwort „Zehent“
  7. Schlesische Provinzialblät-terHrsg.: K.K. Streit, F.A. Zimmermann (bis 1812), Bd. 1.130. Breslau 1785-1849