D-Q6740

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  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 14, Dokument SK14-041
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 112 Schwedenkiste, Reden und Gedichte, 1775-1787
  • Titel: "Wenn es wahr ist, m[eine] B[rüder], was uns von unserer ersten Kindheit an eingeprägt, und durch eigenes Nachdenken und Forschen bestätigt wird, was uns Religion lehrt, und Philosophie bekräftigt, wenn es wahr ist, daß Tugend und Weisheit die besten, treusten Führerinnen zur Glückseligkeit sind... "
  • Autor: Hans Ulrich von Gadow (St Evremont)
  • Datierung: Butus, 7 Din 1155 = Jena 7. Januar 1786
  • Erschließung: Olaf Simons
  • JPG: 3049-3055

Kommentar

Transcript

Butus den 7. Din 1155.[1]

Wenn es wahr ist, m[eine] B[rüder], was
uns von unserer ersten Kind-
heit an eingeprägt, und durch
eigenes Nachdenken und For-
schen bestätigt wird, was uns
Religion lehrt, und Philosophie
bekräftigt, wenn es wahr ist,
daß Tugend und Weisheit die
besten, treusten Führerinnen
zur Glückseligkeit sind, so
ist es gewiß eine unserer
ersten Pflichten gegen uns selbst,
diese Wegweiserinnen aufzusuchen,
und wenn wir so glücklich sind,
sie zu finden, uns ganz ihrer
ihrer [!] sichern Leitung zu über-
lassen, und ihnen ohne Murren
auch dahin zu folgen, wo uns
die Hindernisse unüberwindlich,
und die Berge die sich uns in
den Weg stellen unersteigbar
scheinen.

Glückseeligkeit! Du bist das
esret Ziel aller menschlichen Hand-
lungen, – man deklamire|<2>
noch so viel von Uneigennützig-
keit; es wird immer leere De-
klamation bleiben – Du
nur bist es, worauf alles ab-
zweckt, was sie unternehmen,
sollte ihnen auch dieser letzte Zweck
oft nur dunkel vor Augen schwe-
ben. Alle suchen sie dich; aber
wie wenige finden dich! Viele
lassen sich durch die Uneben-
heiten und Hügel die ihnen auf
ihrem Werge aufstoßen, ab-
schrecken zu deinen seeligen
Wohnungen durchzudringen;
andere treten die Reise aus
unerklärbarer Trägheit gar
nicht an, und erwarten daß
irgend ein glücklicher Zufall
sie vonj selbst dahin versetzen
werde, wohin sie sich durch eigene
Kräfte nicht bringen wollen;
und die meisten suchen dich auf
ganz falschen und irrigen, oft
dem richtigen gerade entgegen-
laufenden Wegen, die sie am
Ende, wenn sie dir nahe zu seyn
glauben, in unübersehbaren
Wüsten, und an den Rand
bodenloser Abgründe führen;
oder glauben Dich in einem|<3>
das es Phantom zu erblicken, das
von weitem dir ähnlich sieht scheint
daß sie aber, wenn sie es erreicht
haben, mit Abscheu zurückstossen.
Unzehlbar sind die Gefahren, denen
die armen Sterblichen auf ihrer
Wallfarth zur Glückseeligkeit
ausgesetzt sind, und unvermeid-
lich ihr Straucheln und Fallen,
wenn sie sich nicht jenen ehrwür-
digen Führerinnen vertrauen,
die sie mit sicherm Fußtritt über
Felsen und Abgründe hinweg,
in die freudenreichen Gefilde leiten,
die das Ziel ihrer Wünsche sind.
Aber auch bey dem besten Willem, stel-
len sich ihnen hier noch unzehlige
Schwürigkeiten in den Weg. Wo
sie sich hinwenden, bieten sich ihren
Blicken Führer dar, welche unter
verbotenen Namen sie mit
den schmeichelhaftesten Aussichten,
und mit der Hoffnung reitzen,
sie recht bald und recht leicht zu
ihrem Ziele zu bringen: und wenn
sie ihnen folgen, sie in Labyrinthe
verwickeln, aus denen sie sich
nicht wieder heraus zu winden|<4>
vermögen, oder auf andere weit
gefährlicheren Wege führen, auf die
sie ganz ohne Führer gewiß nie
gerathen wären, – und sie dann
mit triumphierenden Hohngelächter
verlassen. So giebt sich der Geiz
den Namen Kluge Sparsamkeit,
nennt ängstliches Zusammenschar-
ren weise Sorge für die Zukunft.
So vorlaut bietet er sich zum
Wegweiser zu Glückseeligkeit
an, und wer schwach und thöricht
genug ist ihm zu folgen, dem
entzieht er alle Freuden dieses
Lebens, alle Vorzüge der Menschheit,
und verweißt ihn auf die Chimäre
einer glücklicheren Zukunft, die
er sich durch diese Aufopferungen
erwerben würde – und erst wenn
der Lauf vollbracht, und Reue zu
spät ist, lernt er einsehen, daß
er setäuscht war, und wirft
noch einen gebrochenen Blick
auf den Schatz den er ungenoßen
zurücklassen muß, ob er ihn
gleich mit dem Genuß seines
Lebens erkauft hatte. So täuschen
uns Wollust und Ersucht, wenn
wir ihren Lockungen Gehör
geben, und so trügen uns
unzehlige andere Führer, die
alle die Namen Weisheit.|<5>
und Tugend vor sich tragen,
und uns alle nicht weniger irre-
führen. Selten sind wir die Sterblichen so
glücklich allen diesen Schlingen
zu entgehen, und die Führe-
rinnen zu erlange, welche
einzig und allein im Stande sind,
sie auf den rechten Pfad zu führen,
und zu dem Zweck zu bringen,
den sie alle zu erreichen bemüht
sind. Glücklich, dreymal glücklich
ist der, welchem dieses Loos be-
schieden ist; er hat den besten
Gewinnst aus dem Glücksrad
menschlicher Schicksale gegriffen.
Eine Thräne des Mitleides im Aug,
sieht er links und rechts, vor sich
und hinter sich, seine irrenden
oder betrogenen Brüder den Pfad
des Verderbens betreten, und nur
klein ist die Anzahl derer, die
mit ihm Hand in Hand auf dem
einzigen rechten Wege wandeln.

Darum glücklich auch wir, m[eine] B[rüder],
uns nahm due göttliche Weisheit
in die Hallen ihres Heiligthums
auf, uns bereitet sie immer zu
h[ö]hern Stufen ihrer Erlenntniß
vor, – ihr Licht, auf einmal zu
uns durchgedrungen, würde unsere
Augen, noch ungewohnt eines|<6>
solchen Glanzes, verblenden – uns
weists sie sich, und ihre Schwester
der Tugend zu Priestern ein: und
uns sollte sie da verlassen,
wo wir ihrer Hülfe am meisten
bedürfen, uns sollte sie nicht
zur wahren, dauernden Glük-
seeligkeit leiten? O das wird
sie gewiß; sicher werden wir,
von ihr geleitet, diesen allgemei-
nen Zweck menschlichen Bestre-
bungen nicht verfehlen, wenn
wir nur selbst ihrer Führung
folgen, und uns nicht von
dem Wege entfernen den sie
uns vorgezeichnet. Die Errei-
chung des Ziels, wird dann ohn-
fehlbar der Lohn unserer Beharr-
lichkeit seyn.

Glauben Sie nicht m[eine] B[rüder], daß
ich durch diese Betrachtungen Ihnen
die Weisheit und die Tugend lie-
benswerter machen, und Ihre
Hochachtug dafür vergrössern
wollte; nein! beyde sind
an sich wünschenswerth genug,
und bedürfen keiner anderen
Empfehlung als sich selbst, um
den edelsten Theil der Mensch-
heit zu ihrer Folge schwören
zu lassen! es bleibt aber|<7>
immer eine angenehme Bemerkung
daß man an den erhabensten
Gegenständen menschlicher Ver-
ehrung, wenn sie durch ihren
innern Werth denjenigen fesslen,
der im Stande ist, ihn zu schätzen
und einzusehen, auch immer einer
Seite gewahr wird, wodurch sie
dem, der nicht so tief in das Innere
ihres Wesens zu schauen vermag,
und daher oft nur nach der Aussen-
seite urtheilt, heilig und wün-
schenswerth werden.

Wer Tugend und Weisheit nicht um
ihrer selbst willen lieben und schätzen
kann oder will, wer seine Augen
ihrer Größe und Götlichkeit ver-
schließt, und in ihrer Nachfolge nicht
das Ziel sieht, das die Gottheit der
ganzen Mneschheit vorgestellt hat,
der muß wenigstens in ihnen die
Wohltäterinnen des Menschengeschlechts
und die eintzigen Führerinnen zur
wahren Glückseeligkeit verehren und
erkennen, und Aberglaube und Bos-
heit müssen ihm diese Ueberzeugung
nicht rauben können!

St. Evremont

Anmerkungen

  1. Jena, den 7. Januar 1786