D-Q6589

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  • Metadata: Item:Q6589
  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 13, Dokument SK13-020
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 111. Schwedenkiste. Abhandlungen und Geschichte, v.a. Illuminatenorden, 1757-1784
  • Titel: Kein Titel, inhaltlich jedoch klar ausgerichtet ein Aufsatz über Gregor VII.
  • Autor: nicht in Spittlers Handschrift jedoch mit Ordensnamen unterzichnet Ludwig Timotheus Spittler (Bayle)
  • Datierung: ohne Datierung
  • Erschließung: Olaf Simons / Markus Meumann
  • JPG: 1124-1131

Commentary

Aufsatz im professoralen Gestus. Spittler beweist die große historische Perspektive unter der tieferen Frage, was ein Mensch leisten muss, bevor man ihm nachsagen kann, er habe eine Epoche bestimmt. Der Lutheraner hat hier keine Angst, einem katholischen Papst Leistungen zuzuerkennen.

Die Faktenbasis bleibt bei dieser Ausrichtung eher dürr. Der Ansatz bietet Gelegenheit für sparsame Relativierungen wie die vorurteilsfreie Darstellung. Man ist im 18. Jahrhunderts deutlich aufgeklärter, nicht minder aber gerade darum in der lage, historisch gerecht zu urteilen.

Transcript

Schwerlich kann man es Gregor. VII.[1] absprechen, daß er in der allge-
meinen Geschichte Epoche gemacht habe, das Epochemachen nehmlich
in dem gewöhnlichen Sinn genommen; denn selbst die wichtigsten
universalhistorischen Männer haben bloß in einer gewißen Sphäre
gewürckt. Kaum giebt es vielleicht ein Dutzend derselben in der
Geschichte, welche im allerstrengsten Sinn genommen, auf das
ganze sublunarische Universum gewürckt haben, seinen Zustand
mercklich verändert haben.


    Gregor. VII. ist universalhistorischer Mann

    1 indem er bißher gangbare Grundsätze des kanonischen
        Rechts, worauf sich bißher die ganze Hierarchie haupt-
        sächlich stüzte, mit einer unbegreiflichen Entschloßenheit
        hinwegwarf, und neue völlig entgegengesezte Grund-
        sätze in Circulation brachte. Offenbahr stüzte sich seit
        der Mitte des neunten Jahrhunderts die ganze große
        Hierarchie auf Psevd-Isidors[2] Grundsätze. Gregor wagte
        es, diesen ganz entgegengesetzte Grundsätze anzunehmen,
        und in Umlauf zu bringen. Psevd-Isidors Decretalen|<2>
        waren ein Gerüste, hinter welchem das Pabstum bloß
        biß zu einer gewißen Höhe aufgeführt werden konnte.
        Gregor VII. der das Gebäude noch höher aufzuführen im
        Sinn hatte, warf das alte Gerüste hinweg, führte ein neu[es]
        auf, das nicht anders, als auf den Ruinen des alten ge-
        gründet werden konnte.

         Sollte nun dieser Mann, der in der Geschichte der Hie-
        archie und hierarchischen Theorie, Epoche gemacht hat, nicht
        universalhistorisch seyn! Gieng nicht diese Veränderung
        nur mehr oder weniger schnell, durch alle christliche Reiche
        hindurch? War es nicht welthistorische Veränderung, daß
        er, kraft seiner neuen Theorie, die bißher losere Bande,
        wodurch die Kirchen der Europäischen Reiche mit dem
        römischen Stuhl verbunden waren, so gar viel fester
        anzog, daß alles im vollerem Sinne, als bißher, ein
        System unter einem Despoten zu werden anfieng!

Gregor VII. macht Epoche in der Weltgeschichte


    2. durch Erregung des Investitur-Streits, der doch in der That|<3>
        bey mehr oder minder heftigen Convulsionen durch alle Euro-
        päische Reiche sich verbreitete. Wär es dem großen Manne
        gelungen, seine in der That coloßalische Idee, welche bey
        Erregung dieses Streits zum Grund lag, völlig durchzutreiben,
        wie allsichtbar wäre seine universalhistorische Würckung
        geworden. Stupide Nachfolger, die seinen Plan nicht ver-
        standen, haben dies Werck verdorben, neben dem, daß
        vielleicht in dem Coloßalischen eine Ursach der Unmöglich-
        keit seiner Vollendung war.

         Aber selbst auch das hinzugenommen, daß Gregors
        Idee hier nicht ganz ausgeführt wurde, verdient nicht der Mann
        eine Epoche, der neue, bißher unerhörte Sätze, welche überdieß
        an politischen Folgen so höchst fruchtbar waren, gleichsam in
        den gemeinen Menschenverstand hinein zu schieben wußte?
        Wer die Geschichte des elften und zwölften Jahrhunderts intuitiv
        und Quellenmäßig inne hat, für den ist es ein recht
        lustiges Schauspiel, zu sehen, wie vor Gregors Zeiten kein
        Mensch zweifelte, daß sich Geistliche von der Hand|<4>
        eines Layen investieren laßen dörften, und sobald Gregor
        auftrat, so glaubten sie alle, die Schupen seyen ihnen mit
        einemmahle von den Augen gefallen. Selbst die sonderbare
        Mißverständniße, welche hie und da über Gregors ächter
        Idee bey manchen Schriftstellern der genannten Jahrhunderte
        herrschten, bewiesen nur zu deutlich, daß seine Idee völlig
        neu war. Die Menschen rieben sich die Augen, und
        wußten nicht, wie ihnen geschah.

    3. Unstreitig ist zwar, daß Gregor besonders uns Teutschen
        seine schwere Hand fühlen ließ, aber man muß dabey
        auch bedencken, daß damahls alle europäische Könige, den
        Kayßer gleichsam als ihr Haupt ansahen. Eine bekannte
        äußerste Mißhandlung Kayser Heinrich IV. ist daher
        in der That nicht bloß als Mißhandlung eines Monarchen,
        sondern als der triumpfirendste Sieg der geistlichen Macht
        überhaupt über die weltliche Macht anzusehen. Schwerlich
        würden sich ie nachher solche Auftritte haben ereignen
        können, als in der bekannten Geschichte des Englischen|<5>
        Königs Johann, sich finden, wenn nicht Gregor VII. an
        Kayßer Henrich IV. ein Beyspiel aufgestellt hätte. Sein
        Facktum stand für alle nechstfolgende Päbste gleichsam wie
        ein Kräften-Maaß da. Er hatte eine Möglichkeit gezeigt,
        an deren Erinnerung mancher Nachfolger sich erwärmte,
        deßen Sinn vielleicht für sich nie dahin gestrebt haben
        würde.

Also auch schon bloß in der angezeigten dreyfachen Beziehung, ver-
dient Gregor eine Epoche in der Weltgeschichte. Ein Pabst, der
im Mittelzeitalter in der Hierarchie Epoche machte, macht gewiß
auch Epoche in der Weltgeschichte, denn die Welt war damahls
so in die Hierarchie verflochten, daß nichts Großes in der
letztern vergehen konnte, es hatte auch großen Einfluß in das
erstere historische Universum. Der feinere historische
Geschichtforscher würde aber außer den angeführten noch
mehrere Punckte ins Licht zu stellen wißen. Einige der
vornehmsten sind diese:


    Gregors nicht ganz unglückliche Versuche, in allen europäischen|<6>
    Reichen einen Peterzinß, einen Lehentribut an den
    Stuhl, einzuführen.
    Gregors Kreuzfahrts-Ideen, welche, ungeachtet sie nicht
    ausgeführt wurden, doch vielleicht zu Peter Erememitä[3]
    großer Würckung eben das beytrugen, was das portu-
    giesische Suchen unbekannter Länder zu Colons[4] Entdeckung
    einer neuen Welt beygetragen.
    Gregors schlaues dogmatisches Betragen gegen Berenger[5]
    Die christliche Welt hätte ohne daßelbe ein volles Jahr
    hundert früher an Transsubstantiation glauben
    müßen.

Im Leben eines Pabsts, der im elften und zwölften Jahrhundert
lebte, müßten nothwendig eine Menge Dinge universalhisto
risch seyn, die an sich betrachtet höchstens für Italien,
oder etwa für ein einzelnes europäisches Reich, intereßant
gewesen zu seyn scheinen. Rom war damals die Stadt,
an deren sieben Hügeln ganz Europa nachahmend hinauf-
schaute. Pilgrimme aus allen Reichen und meist die ersten
der Nationen, wallten nach Rom hin, brachten römische|<7>
Weißheit und Känntniß römischer Institute nach Hauß; was
der geistliche Monarch in Rom that, wurde oft schon bloß dadurch
universalhistorisch, weil es vor aller Welt Zeugen geschah,
also als Beyspiel vor aller Welt dastund. Wie muß es nun nicht
vollends gewürckt haben, wenn ein Genie, wie Gregor handelte,
der ieder seiner Thaten auch schon allein durch die Art, wie er sie
verrichtete, einen auffallenden Glanz gab. Ich bin versichert,
kein Friedrich und kein Joseph, haben nun eine solche Würcksam-
keits-Sphäre, als ein Genievoller Pabst des elften und zwölften
Jahrhunderts hatte. Der uncultivirtere Mensch des Mittel-
alters war natürlich mehr zur Nachahmung geschaffen,
als der aufgeklährtere, selbstthätigere Mann des achtzehenden
Jahrhunderts, und ich zweifle auch sehr, ob in Friedrichs und
Josephs Hand so viele universalhistorische Fäden liegen, als
in Gregors Hand lagen. Troz der Preußischen Militär-
Reforme, die doch nun schon ein halbes Jahrhundert zur
öffentlichen Nachahmung vor der Welt daliegt, ist der
Spanier doch noch so iämmerlich exerziert, wie er im Lager
vor Gibraltar bewießen; und der Kayßer mag die|<8>
Reifröcke seiner Erbländischen Marienbilder veraucktionieren
laßen, in Portugal wird man doch noch lange neue Jelis
co rs [?] alle Jahr für dieselbe kaufen. Aber ein Mann, wie
Gregor wußte seine Uniformität in sein Universum zu
bringen.

P. Bayle.

Notes

  1. Gregor VII., eigentlich Hildebrand (von Soana) (geb. zwischen 1025 und 1030 möglicherweise in Sovana; gest. 25. Mai 1085 in Salerno) war Papst vom 22. April 1073 bis 1085. Wegen seiner Bedeutung für die Kirchenreform gilt er als einer der bedeutendsten Päpste. Siehe den Wikipedia-Artikel Gregor VII.
  2. Im ersten Band der von Karl Wächter hg. Gesammelten Werke Spittlers findet sich ein Abschnitt über die pseudoisidorischen Dekretalen. Pseudoisidor (oder pseudoisidorische Dekretalen – Decretales Pseudo-Isidorianae) ist der übergreifende Name für die umfangreichste und einflussreichste kirchenrechtliche Fälschung des Mittelalters. Entstanden sind diese Fälschungen im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts im heutigen Ostfrankreich. Siehe den Wikipedia-Artikel Pseudoisidor
  3. Petrus Eremitus, auch Peter von Amiens oder Petrus von Amiens, geb. um 1050 bei Ami-ens; gest. 8. Juli 1115 in Neufmoutier bei Huy, französischer Prediger zur Zeit des Ersten Kreuzzugs. Hatte bereits vor 1095 zur Befreiung Jerusalems aufgerufen. Teilnahme an späterem Kreuzzug bis Konstantinopel, starb in einem Kloster In Frankreich. Siehe den Wikipedia-Artikel Peter der Einsiedler.
  4. Christoph Kolumbus, spanisch Cristóbal Colón.
  5. Beranger wird von Zedlers Universal-Lexicon auf Raimund VII (von Toulouse) aufgelöst, geb. Juli 1197 in Beaucaire; gest. 27. September 1249 in Millau), von 1222 der seines Vaters Widerstand gegen den Albigenserkreuzzug und die französische Königsmacht der Kapetinger letztlich erfolglos fortführte.