D-Q6591

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Commentary

Einer der Aufsätze aus dem Bündel um den Zeitvertreib, das insgeheim an die kleine Darlegung aus Ciceros De Officiis gebunden ist, in der behauptet wurde, der den Pflichten ergebene Mensch sähe sich jederzeit, auch beim Zeitvertreib, unter dem Auge Höherer, denen er gerecht zu werden suche (die Stelle zitierte Andrew in seinem Aufsatz über den „unbekannten Oberen“). Darüber hinaus gibt es auch eine Verbindung zum Bündel „Aufklärung“, vor allem über die Sozietäten, die derselben dienen sollen.

Kerngedanke ist, die Mitmenschen bei ihren geselligen Zeitvertreiben so zu lenken, dass daraus zugleich etwas Nützliches für das Gemeinwohl entsteht. Als das das ideale Medium dafür, Zeitvertreib mit Industriosität und Nützlichkeit zu verbinden, erscheinen die in Gotha existierenden Sozietäten. Dahinter steckt das klassische Utilitaritätsdenken der Spät- bzw. Volksausfklärung; Ewalds Ansatz unterscheidet sich wahrscheinlich nicht sehr von anderen sozialreformerischen Denkschriften derselben Zeit.

Dennoch handelt es sich um einen spannenden Aufsatz in seinem Informationsgehalt über Gothaer Verhältnisse und im Blick auf das Modell gesellschaftlicher Wirksamkeit, das hier den fürstlichen Kleinstaat an seine Bürger bindet. Hier werden die wichtigsten Gothaer Sozietäten genannt – soweit ersichtlich geschlossene Gesellschaften, die ins Bürgertum hinabreichen, jedoch nach unten verschlossen sind, und die eine eigene Schicht potentieller Öffentlichkeit ausbilden, der gegenüber die unteren Schichten „isoliert“ erscheinen. Was an Wissen in den „unteren Classen“ ist, findet (aus der impliziten Perspektive des Autors) deshalb keinen Eingang in das Wissen der Entscheidungsträger und des Staates.

Gliederung in zwei Teile plus Exposition. Die Exposition nimmt die Gruppen aus, um die es hier nicht gehen kann: Vor allem die rastlos Tätigen, die ihre Arbeit noch mit nach Haus nehmen, könnten hier nicht gemeint sein – eine Ausführung, die es erlaubt, maßgeblichen Protagonisten des Gothaer Staats und des Illuminatenordens die Reverenz zu erweisen.

Gearbeitet werden müsse an der Zeitverbringung derjenigen, die ihre Arbeit in wenigen Vormittagsstunden ableisteten, die jedoch gerade für die unteren Schichten und selbst das höhere Bürgertum die Rollenmodelle abgäben.

Die inhaltlichen Ausführungen teilen sich in eine erste Partie zum gesellschaftlichen Nutzen der Musik und eine zweite zu geselligen Sozietäten – letztere sind für Ewald/Cassiodor vor allem deshalb interessant, weil sie gemeinnützige Arbeit (wie z.B. Armenarbeit) leisten und es darüber hinaus erlauben, die übrigen, weniger am Nützlichen interessierten Mitglieder gleichsam hinüberzuziehen.

Musik (im Mohren gibt es einen Konzertsaal mit laufendem Programm, Haydn, Benda, Gluck werden hier geboten) wird als eminent nützlich für die Seele aufgefasst. Forschungsdesiderat im Moment: man müsste sehen, wie sie Kinder bei der Entwicklung beflügelte. Problem in Gotha: sie dient hier insbesondere Frauen dazu, sich als Besucherinnen der Konzerte zur Schau zu stellen. Helfen könnte eine schriftliche Aufklärung, die mit den Konzerten verteilt würde, und das Publikum empfänglich machte für die Gaben der Musik.

Die anderen Gesellschaften von der Theegesellschaft bis zum Bürgerklubb sind im Moment bereits auf das öffentliche Wohl ausgerichtet (es wird nicht ganz klar, was in ihnen genau geschieht) und zum Teil straff organisiert. Die Mitgliedschaft ist exklusiv. Idee, diese Gesellschaften an der Lösung gesellschaftlicher Probleme wie dem Niedergang des Gothaer Tuchgewerbes arbeiten zu lassen. In den Ausführungen wird deutlich, wie hier noch immer an abgeschlossene autarke Wirtschaftsräume gedacht wird. Das Problem scheint zu sein, dass die Bevölkerung und insbesondere das Heer ausländische Ware kauft – nicht dass die Gothaer Tuchmanufakturen nicht mehr am technischen Fortschritt teilhaben. Implizit ein Aufruf an den Regenten das Heer mit Uniformen seiner Fabrikation auszustatten.

Spannend sind beide Partien im Blick auf die soziale Stratifikation: Es wird von oben nach unten gewirkt. Ein Problem sind die niederen Schichten, die von den Gesellschaften ausgeschlossen bleiben bzw. sich selbst in ihrer eigenen Gesellschaft – dem Bürgerklubb – abschotten, so dass Ihr Wissen, das bei machen Problemen überlegen sein könnte, um damit an ihr Wissen zu kommen. Man sollte diese Männer (quasi die Praktiker) daher entweder in die Sozietäten aufnehmen, oder, wo dies nicht möglich ist, anderweitig mit ihnen in Kontakt zu treten. Hier wird nicht an Partizipation als Option der Demokratisierung gedacht, sondern daran, dass es Probleme der Wissensverwaltung gibt, die es erlauben würde das gemeine Wohl von oben bis unten mit bestem Wissen und geschlossener Interaktion zu versorgen. Die einzelnen Gruppen sind im Moment nicht zu genüge untereinander vernetzt. Hier sollten die Sozietäten untereinander Informationen austauschen, was gerade einfach sein müsste, da immer einzelne Mitglieder zudem Mitglieder anderer Sozietäten am Ort sind. Die Freimauerer wiederum durchdringen mehrere Gesellschaften.

Das Klassenproblem tauch in der Musik wieder auf: Hier sieht Ewald zu wenig untere Classen im Publikum. Jüngst eine Ausnahme, da waren zwei Musiker vom Lande im Saal, die ausgesprochen bewegt zuhörten, wie die Musik der oberen Classen funktioniere und die sich hier sicherlich fachliche Anregungen holten.

Insgesamt eine spannende Skizze des Kleinstaates, der innere Kommunikationsprobleme hat und diese durch den Aufbau von geschlossenen Gesellschaften nur partiell löst.

Olaf Simons / Markus Meumann

Transcript

N:II.

Versuch eines eines Beytrags zur Beantwortung der Aufgabe: Wie kann man den gesellschaftlichen
Zeitvertreib nützlich machen, ohne daß er langweilig oder pedantisch werde?


Verlesen
in der Minervalkirche zu Syrakus am 20.ten Chordad
1155.
von
Cassiodor|<2>


Versuch eines eines Beytrags zur Beantwortung der Aufgabe: Wie kann der gesellschaftliche
Zeitvertreib nützlich gemacht werden, ohne ins Langweilige oder pedantische zu fallen?


Diese Frage scheint nicht für solche Männer kalkuliert zu seyn, die auch in der treuen und fleissigen
Besorgung ihrer Berufsgeschäfte, im Privatstudieren, wodurch sie sich für den Staat und ihren Beruf
nüzlich, und ihren Verstand und Willen vollkommner machen, ihr Vergnügen finden; – für sie sind
andere gesellschaftliche Zeitvertreibe entbehrlich. – Auch nicht für diejenigen, die nach der Erschöpfung
ihrer Geistes- und Seelenkräfte, die sie auf ihre Amtsarbeit, auf das Nachdenken über sich selbst, auf
Erforschung der Wahrheit verwandten, Erhohlung suchen. Diese bedürfen nothwendig eines Zeitvetrtreibs,
einer Zerstreung, die ihre Seelenkräfte allmählig von den ernsthaftern Gegenständen und Nachdenken
abzieht und auf solche Gegenstände lenkt, die, da sie von leichterer und anderer Art sind, die
Seelenanstrengung vergessen machen. Für sie ist also ein gesellschaftlicher Zeitvertreib schon an und
für sich selbst nützlich. Es gibt ferner Personen, die so sehr mit Arbeit überhäuft sind, die ge-
nöthiget sind, selbst diejenige Zeit, die andere den Vergnügungen, dem Zeitvertreibe widmen,
zu Vorbereitungen, Entwürfen, weitern Ausführungen ihrer Berufsarbeiten anwenden
müssen, daß für sie die Frage von Vergnügen und Zeitvertreib gar nicht entstehen
kann. Sie sind, wenn ihnen ja eine Stunde, ein Abend zu ihrem freyen Gebrauche anheim
fällt, müde, selbst zum Genuß eines Zeitvertreibes müde, besonders wenn sie ihm erst
entgegen gehen sollen; sie ruhen nur aus, oder vielmehr, ihr Körper scheint nur aus-
zuruhen, ihre Seele arbeitet fort, mit einem edlen Eigensinn, äußeres Vergnügen zu
verachten, und die wenige Ruhe und Zeitvertreib zwischen Arbeit und Schlaf, in dem kleinen|<3>
Zirkel ihrer Familie zu genießen. Mein Herz kann es nicht bergen, das Andenken
aller dieser Edeln in Syrakus, der Lichtensteine,[1] der Frankenberge,[2] der Ziegesar,[3]
der Westhofe,[4] Schmidte,[5] Bause,[6] Koppe,[7] von der Becke,[8] der verewigten Studnitz[9]
und meines Weidner,[10] den der Tod mitten in thätiger Arbeit überraschte, einmal ge-
feyert zu sehen! –

Aber es gibt auch eine andere Art Leute, die zum Vergnügen und zum Zeitvertreibe
als zu einer Hauptbeschäftigung gehen. Wenige Stunden des Vormittags erschöpfen den ganzen
Vorrath ihrer Amtsarbeit; die ganze übrige Tageszeit verträumen sie gedankenlos
und verschwenden sie im gesellschaftlichen Umgange; sie machen aus dem Zeitvertreibe
ein Gesetz, das sie täglich den ganzen Nachmittag hindurch bis an den Abend und oft bis
in die späte Nacht heiliger und beharrlicher beobachten, als die Pflichten ihres Berufs.
Ihr Beyspiel hat die niederen Classen des Volks bis zum Pöbel hinab, und selbst die höhern
bürgerlichen Stände angesteckt. Es kömmt darauf an, diesen dem Zeitvertreibe gewid-
meten Zusammenkünften einen andern bessern Nebenzweck unterzuschieben, und ihnen
eine solche Richtung zu geben, daß daraus für diese Personen und für das gemeine Wesen
etwas Gutes und Nützliches entspringen, und auch die mit ihnen verbundenen würdigen
Männer mit Anstand und Würde an diesen Gesellschaften Theil nehmen können. Die
Anmerkungen die ich mache, sind blos lokal, und beziehen sich auf die hier in Syrakus
eingeführten Gesellschaften, die Theegesellschaft, den Klubb, die Societät im Mohren, das
Concert daselbst und den Bürgerklubb. Die Unité übergehe ich, da sie nun aufgehört
hat, und wenn noch andere geringe Privatgesellschaften von Bürgern vorhanden sind, so|<4>
kann das was ich vom Bürgerklubb sage, darauf angewendet werden.

Man kann annehmen, daß alle diese Gesellschaften aus den angesehensten und bemittelsten
Personen der verschiedenen bürgerlichen Stände bestehen, die durch ihre vereinigten Kräfte, durch
ihr Beyspiel, ihr Zureden, ihren Einfluß, etwas Nüzliches bewirken können, wenn auch
der Zweck der Gesellschaft und die Mittel des Zeitvertreibes, die sie erkohren haben, nicht
unmittelbar zum Nutzen abzwecken.

Das einzige Concert gewährt unmittelbar beydes, Nutzen und Vergnügen, und behauptet
in dieser Rücksicht die Eigenschaft, die Aristoteles dem Trauerspiel beylegt. Wie diese, reiniget
die Tonkunst die Leidenschaften und mildert die Sitten. Sie macht die durch den Alltags-
gang unserer Geschäfte eingeschlafenen Geister rege, und gibt ihnen neue Spannkraft,
wodurch der Seele leichter Gedanken zuströmen, und diese Gedanken sich in leichtere und
rundere Form gießen. Dies war auch der Grund warum Pythagoras die Tonkunst in
seine Geheimnisse einführte. Sie gab der Seele seiner Eingeweihten einen höhern
Schwung, und befeuerte sie zur Thätigkeit, wenn sie an ernsthafte Geschäfte gehen wollten.
Nie ist ein zweckmäßigerer, würdigerer und edlerer Gebrauch von dieser Kunst gemacht
worden, und es wäre zu wünschen, daß sie auch in unserer politischen Vefassung einer
gleichen Anwendung fähig wäre. Ich weiß mir auf der Erde nichts Göttlicheres zu denken
als die Symphonien eines Haydn, Benda, Gluck, u.a. Sie erheben das nieder-
geschlagene Herz, ebnen und beruhigen stürmende Leidenschaften, und benehmen den Sitten,
dem Ausdruck, dem Betragen, das Rauhe, das Erziehung, Gewohnheit, Lage, und Lebenslart
den Menschen angeklebt haben. Aus ihnen redet Gottes Stimme zu den Herzen und spricht:|<5>
Öfnet euch der Sanftheit und Menschenliebe! Und aller Herzen öfnen sich. Und o! daß
doch alle Menschen nur den Zweck sanfter Rührung und sittlicher Besserung vor Augen
hätten, indem sie sich dem Cirkel des Concertsaals nähern; aber man sieht es leider!
den meisten nicht blos an den Gewändern und dem Kopfputz, selbst an den Gesichtern
sieht man es ihnen an, daß sie nur kommen zu sehen, und gesehen zu werden. Es ist ein
Greuel, es ist abscheulich! – Noch einen andern Nutzen bringt die Musik durch die Aus-
führung mit sich, wenn sie uns in dem Spiel meisterhafter Tonkünstler Muster
aufstellt, die uns anreitzen, auch in unserer Kunst, unserer Wissenschaft, unserm
Geschäfte Virtuosen zu werden, und es darin zu gleicher Vollkommenheit zu bringen.

Um aus einer solchen Anstalt allen möglichen Nutzen zu ziehen, dürften vielleicht
folgende zwey Vorschläge nicht ganz unwürksam seyn. Erstlich müßte vor der
Eröfnung eines solchen Concerts entweder in besonders dazu gedruckten oder in öffentlichen
Blättern, die von jedermann gelesen werden, die Theilnehmer oder das Publicum
auf die wahren Zwecke der Tonkunst, die ich oben berührt habe, gewiesen, und
aufmerksam gemacht werden. Ohne einen solchen deutlichen Fingerzeig bleibt die
bey der größern Menge der Zuhörer die durch die Musik erregte Empfindung un-
bestimmt, leer und ohne alle Anwendung; sie wissen nicht, was sie nun damit anfangen
sollen; mit dem letzten Eindruck der Töne auf ihr Ohr ist alle Empfindung erschöpft,
impermanent, und ohne alles Bewußtsein zu einer guten und edlen Entschließung,
die doch nothwendig geschehen muß, wenn ein wahrer, dauerhafter Nutzen statt
finden, die Empfindung nicht verrauchen, und der Eindruck nicht, wie die Bahn eines|<6>
Schiffes durch die Wellen, wieder zusammenfließen und verschwinden soll. Zweytens müßten
auch Menschen aus den niedern Volksclassen, nach einer solchen ihnen gegebenen Vorbereitung
bey den Concerten nach und nach zugelassen werden, um auch unter diese, edle, sanfte
Empfindungen und Entschließungen zu verbreiten. Man hat dieses einigemal in unserm
Mohrenconcerte mit Vergnügen bemerkt, und noch das leztemal befanden sich mehrere
Personen vom Lande dabey ein. Der Ausdruck ihrer Gesichter und Bewegungen verriethen
den Eindruck den Schlicks Saiten[11] und eine Symphonie von Haydn auf ihr Herz machten.
Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß diese zwey schönen Stunden für ihre Herzen und Köpfe,
und wenn sie, wie es schien selbst vom Metier waren, auch für ihre Kunst, nicht ohne
Nutzen gewesen sind. Aus demselben Grunde dürfte also auch das Bürger-Concert
auf dem Rathskeller, wobey es ganz ordentlich und ehrbar zugehen soll, Beyfall ver-
dienen. Die Tonkunst wird nicht verfehlen, auch diese Seelen und Herzen ihre Macht
empfinden zu lassen, und allmählig die Nebel in den Köpfen verscheuchen helfen, wenn sie
es einmal so weit gebracht hat, daß ihren allgewaltigen und gefälligen Tönen die Empfin-
dungen leicht ansprechen. Denn durch das Empfinden und aus dem Empfinden geht der rohe
Mensch zum Denken über. Wer weiß, ob unsere Bauern, in Verhältnis zu denen in
andern Ländern so aufgeklärt wären, als sie sind, wenn unser großer Ernst
der erste, der die wie ein zweyter Orpheus aus Steinen zu Menschen umschuf,
ihnen unter mehrern Künsten nicht auch die Musik gelehrt hätte? Ich kann diese Ge-
danken nicht verlassen, ohne noch einen Wunsch zu äußern, ob er sich gleich mehr durch|<7>
die Nützlichkeit als die Ausführbarkeit der Sache, die er betrifft, empfiehlt.
Nämlich, wäre es nicht möglich für die Einwohner einer Stadt einen gemein-
schaftlichen Concertsaal zu errichten, wie es ehemals die Oden der Griechen
waren? – Noch Eins! Hat denn von der großen Menge deutscher Erzieher
noch keiner Erfahrungen über die Wirkungen der Tonkunst auf die Bildung und
Entwicklung der Gefühle kindlicher Herzen und Seelen gemacht? – Ich gehe
zu den andern Gesellschaften über.

Wenn alle diese Gesellschaften unter dem unmittelbaren Einfluß der Landesregierung
oder solcher Personen ständen, die als Organen der Regierung betrachtet werden
können, so würde sich manches durchsetzen lassen, das den Charakter und die Sitten des
Volks verbesserte, und manche Veränderung sich einführen lassen, die das Gesez nur mit
Mühe und nicht ohne Widerstand und Unzufriedenheit zu erzwingen im Stande ist.
denn die Mitglieder aller dieser einzelnen Gesellschaften machen einen großen und gewiß
nicht den unwichtigeren Theil der Stadteinwohner aus; sie sind durch ihre mancherley
Verbindungen auch mit den übrigen, die nicht mit Theil an diesen Gesellschaften
nehmen, so verflochten, daß ihr Beyspiel, ihre Art zu handeln, ihre Gesinnungen
ihr Betragen, leicht die Oberhand gewinnen kann. Eine neue Mode in der Kleidung
die die Mitglieder des Klubbs unter sich einführen, wird, wie die Erfahrung
lehrt, bald auch unter den andern, die nicht von dieser Gesellschaft sind, gemein,
sollte das Ansehen derselben bey nüzlichern Anstalten und Einrichtungen von
geringerer Wirkung seyn? Die andern nach dem Klubb entstandenden Societäten|<8>
haben ja nicht allein seine Verfassung, seine Statuten, sondern auch seine Anstalt den
Armen wohlzuthun, nachgeahmt. Da ein großer Theil dieser Gesellschaft aus Freymaurern
besteht, und selbst einige Glieder der Regierung dazu gehören, so würde sich dieselbe zur
Ausführung nüzlicher Absichten leicht bestimmen lassen. Ein gleiches würde auch eben so leicht
bey der Theegesellschaft geschehen können, welche ausser mehrern Mitgliedern des Klubbs
die angesehensten Personen des bürgerlichen Standes zu ihrem Zirkel zählet. Was die
letztere Societät insbesondere betrift, so würde durch das Ansehen, die Verwendung, das
Beyspiel und den Einfluß der vornehmern und bemittelten Mitglieder, mancherley Nützliches be-
würkt werden können, wenn man z. B. überein käme, zum Vortheil der minderbegütherten
und jungern Mitglieder, besonders vom weiblichen Geschlecht, den Luxus in der Kleidertracht
einzuschränken, und das Allzukünstliche und Übertriebene des Kopfputzes und übrigen Anzuges
auf mehr Einfachheit, die zugleich Aufwand und Zeitverlust vermindert, herabzusetzen;
wenn die ältern und wichtigern Mitglieder statt äußerlicher leerer Höflichkeitsbezeugun-
gen, Complimente, zurückhaltenden und entfernten Betragens, den jüngern Mitgliedern
den Ton der Offenherzigkeit, Ungezwungenheit angäben, und sie mehr auf gute, edle,
menschenfreundliche Gesinnungen und Grundsätze, und auf Wahrhaftigkeit in ihrem Betragen
als auf bloße äußerliche Cultur und Bildung des Anstandes, der Bewegungen und des
Ausdrucks aufmerksam zu machen; wenn die verständigeren und umsichtsvollern
Mitglieder sich vorsezten, durch leichte und ungezwungene Übergänge das Gespräch
auf Gegenstände zu lenken, woraus die andern minder unterrichteten und auf-
geklärten eine Belehrung und Berichtigung ihrer Begriffe schöpfen könnten; wenn|<9>
man für neue, wichtige, die Menschheit interessierende Schriften, indem man sich über
ihren Innhalt ausbreitete und auf solche neugierig machte, Aufmerksamkeit erregte
und dadurch lehrreiche Lectüre beförderte, und das leere Zeit- und Sittenver-
derbende Romanlesen auszurotten suchte, wenn man endlich industriöse
Künstler und Fabrickanten zur Unterstützung und Beförderung eines guten Ver-
triebs ihrer Producte, empfähle, und die Aufnahme inländischer Erzeugnisse begünstigte.

Ein gleiches gilt auch von dem Klubb und der Societät im Mohren. Jener hat
durch Anlegung einer Büchersammlung für die Lectüre seiner Mitglieder gesorgt, und
man kann sagen, daß seit der Existenz dieser Gesellschaft, mehrere Mitglieder
durch Gespräch und Lectüre mit mancherley Gegenständen gelehrter Bemühungen
bekannter geworden sind, als sie vorher waren. Die Lectüre der Mohrengesellschaft
ist hingegen blos auf politische Blätter eingeschränkt. Es wäre zu wünschen,
daß beyde Gesellschaften, die sich auch durch milde Abgabe um das [!] Armuth verdient
machen, mehr auf solche Journale und Bücher geführt würden, die unmittelbar
auf die Aufklärung des Verstands und Besserung des Herzens abzwecken; daß
man sich über dergleichen Gegenstände mehr bespräche und in den Seelen der
minder unterrichteten Theilnehmung dafür erwecken suchte. So zahlreiche
Gesellschaften als beyde sind, haben es in ihrer Gewalt, durch ihr Beyspiel,
und durch Anstalten, auch ausser sich auf das übrige Ganze zu würken, und
diesem den Ton anzugeben. Wie leicht könnte also auch etwas Gutes
und für die bürgerliche Gesellschaft Nüzliches durch sie, und besonders|<10>
durch eine wechselseitige Gemeinschaft, hervorgebracht werden. Beyde Gesellschaften
haben Vorsteher, die den übrigen Mitgliedern, wegen ihrer ökonomischen Einrichtungen
und andrer Anordnungen Vorschläge thun, und die Gesellschaft beschließt darüber.
Wie man diesen Vorstehern, die gemeiniglich Männer von Fähigkeit und
Einfluß sind, unter den Fuß gegeben würde, der Gesellschaft auch andere, die
Aufnahme eines Gewerbes oder sonst einer nüzlichen Sache betreffende Vorschläge
zu thun, und sie zur Ausführung derselben geneigt zu machen. Wenn es, z[um] B[eispiel]
darauf ankäme, den hiesigen Tuchmachern, deren Nahrung sehr gefallen ist,
wieder aufzuhelfen, und diese Vorsteher besprächen sich mit den zeitigen Ober-
meistern dieser Zunft über die Ursachen des Verfalls ihres Gewerbes und den
Mitteln ihm wieder aufzuhelfen; trügen sodann das Resultat davon ihren
beyderseitigen Gesellschaften vor, und veranlaßten ihre Mitglieder zu der
geneigten Entschließung, sich von inländischen Tuche, von dem besten Sorte und
so gut es nur gemacht werden könte, Uniformen machen zu lassen; was
gilts, sie werden hierin bald Nachahmer finden, und einen Zweig bürgerlicher
inländischer Nahrung, der ehemals so blühend war, und durch Einführung aus-
ländischer Tücher fast ganz verdrängt worden, einen neuen Schwung geben.
Da dergleichen Vorschläge nicht allein etwas Neues für die Mitglieder sind,
sondern auch einer solchen Gesellschaft zur Ehre gereichen, derselben auch
der Gedanke, Einfluß auf das Wohl des Ganzen zu gewinnen, sehr schmeichelhaft
seyn muß; so dürfte derselbe gewiß wenig oder gar keinen Widerstand|<11>
finden, es ist vielmehr sehr zu vermuthen, daß er mit Beyfall werde auf-
genommen werden. Dadurch werden die Mitglieder nicht nur sich selbst,
sondern auch andern nützlich, ohne daß dabey der Hauptzweck, nähmlich der
gesellschaftliche Zeitvertreib, leidet. Ja, der größte Theil der Mitglieder
wird in den Berathschlagungen und Besprechungen über dergleichen gemeinnützliche
Veranstaltungen, selbst ein Vergnügen empfinden, und die Gesellschaft
dadurch Stoff zu interessanten Unterhaltungen, woran es doch so oft zu
fehlen pflegt, erhalten. In Absicht solcher Beschließungen und Untersuchun-
gen wäre es gut, wenn alle diese Societäten mit einander durch Ab-
gesandte Communication pflegten, einander ihre Gedanken, Absichten und
Mittel mittheilten, und wegen der Ausführung zusammen gemeinschaftliche
Maasregeln und Beschlüsse nähmen, welches um so leichter zu bewerkstelligen
wäre, da in allen den drey genannten Societäten sich Personen befinden,
die zu einer jeden derselben gehören. Gut wäre es freylich, wenn auch
die Gesellschaften geschlossenen Gesellschaften aus der niederen Volksklasse,
besonders der Bürgerklubb, in eine Art von Verbindung mit jenen
gesetzt werden könnten. Diese Leute sind so isolirt unter sich selbst
daß die Kenntnisse und Erfahrungen, die mancher unter ihnen von
bürgerlichen Gewerben, deren Mängeln und Gebrechen, und den
Ursachen des Verfalls oder Fortgangs derselben besitzt, in ihrem
eigenen Zirkel eingeschlossen bleiben, und nie zu einer nüzlichen|<12>
Publicität gelangen. Man sollte also entweder dergleichen Männer auch in jene Societäten
zulassen, oder, wenn man dabei Bedenken fände, doch in ihre Gemeinschaft zu kommen
suchen, um auf eine geschickte Art zu ihren Kenntnissen, Erfahrungen und geheimen
Nachrichten zu gelangen, deren Wissenschaft oft selbst dem Gesetzgeber nüzlich seyn
würde, um sodann davon, nach erfolgter Berichterstattung an die Vorsteher
der Gesellschaft, nüzlichen Gebrauch machen zu können. Diese Leute pflegen
auch insgemein sehr offenherzig zu seyn, und halten besonders nichts geheim, wenn
sie auf das Kapitel von den Ursachen des Verfalls ihrer Nahrung und ihres
Gewerbes, und die Mittel solche zu geben, geführt werden. Nach solchen
erlangten Einsichten und Details in die innere Beschaffenheit der verschiedenen
Zweige der bürgerlichen Oeconomie, würde es den höhern Gesellschaften dann
nie am Stoffe gebrechen, von ihren vereinten Kräften und Mitteln, einen
gewiß sehr nüzlichen Gebrauch zu machen. Könnte man es vollends so weit
bringen, daß man ihnen durch Darreichung nüzlicher und ihre Begriffe auf-
klärender Bücher, einen Geschmack am Lesen abgewänne, daß sie patriotischen
Vorschlägen in Absicht auf Abschaffung des Luxus in ihrer Kleidertracht,
Gehör gäben; bediente man sich ihres Raths da, wo es darauf ankäme,
wahre Armen, darbende Künstler und Professionisten,[12] und die Wege,
wodurch diesen wieder aufgeholfen werden könne, ausfindig zu machen;
so würde daraus noch um so viel Nüzliches und Erspriesliches mehr für
das gemeine Beste entspringen. Es gibt außer diesen in unserer Stadt|<13>
und in unserm Lande so manchen braven und lustigen Professionisten, der
in bessern Umstände seyn würde, wenn er Mittel besäße, sich mit
den nöthigen Materialien zur Bearbeitung in Vortheil zu setzen, und
Personen an der Hand hätte die sie in der Fremde Credit
und Correspondenten, um seine Fabrikate vortheilhaft abzusetzen,
verschaffen könnten. In unseren Gesellschaften gibt es angesehene
Kaufleute und andere Personen, die gewiß nicht entstehen würden,
sich dazu im Nahmen und unter Gewährleistung der Gesellschaft ins
Mittel zu schlagen.

Dieses ist das Wenige, was ich über eine Materie zu sagen
weiß, die zu erschöpfen nicht das Werk eines Einzigen ist. Ich gebe
auch diese Gedanken für nichts als Winke aus; aber sie können
vielleicht schärfere Augen als die meinigen sind, auf Gegenstände
führen, die den meinigen entwischten. Das darf ich aber behaupten,
daß durch die gethanen Vorschläge die Rechte der genannten Gesell-
schaften auf Unterhaltung und Zeitvertreib nicht verkürzt werden,
daß in ihnen sogar für jeden Menschen, dem das Wohl seiner
Mitbrüder am Herzen liegt, Stoff zu angenehmen und interessanten
Unterhaltungen liegt. Die Gesellschaften bleiben dabey, was sie sind;
sie behalten ihre Spiele und Ergözlichkeiten; ich habe nur auf ihre
vereinigten Kräfte, als auf ein Ganzes, Rücksicht genommen; und|<14>
welcher Zeitvertreib ist edler als der, wo wir unsern Kopf durch das
an dem Wohl unserer Nebenmenschen theilnehmende Herz zu schönen
Entwürfen hinreißen lassen. Bleiben es auch nur Entwürfe, der
Zeitvertreib wäre doch edel, wie viel edler und entzückender,
wenn sie zur That würden.

Cassiodor

Sefendarmad
1154

Notes

  1. von Lichtenstein, Geheimer Rat in Gotha.
  2. Wahrscheinlich Sylvius Friedrich Ludwig von Frankenberg (1728–1815), gotha-altenburgischer Wirklicher Geheimer Rat und Staatsminister.
  3. Wahscheinlich August Friedrich Carl von Ziegesar (1746-1813), leitender Beamter in Gotha und Weimar, bis 1808 Wirklicher Geheimrat und Kanzler des Herzogs von Sachsen-Gotha-Altenburg.
  4. Wahrscheinlich „Westhof, Obrister und Kriegsrath in Gotha“
  5. Unklar, wer hier gemein ist.
  6. Evtl. Oberhofprediger Christian Wilhelm Bause
  7. Der Ordensbruder Johann Benjamin Koppe (Acacius)
  8. Wahrscheinlich Johann Karl von der Becke (1756-1830), seit 1782 Regierungsrat in Gotha.
  9. Hans Adam Friedrich Freiherr von Studnitz (* 25. März 1711 in Jeroltschütz; † 16. Oktober 1788 in Kehl), Oberhofmarschall des Herzogs von Sachsen-Gotha-Altenburg und Intendant des Gothaer Ekhof-Theaters (falls „verewigt“ unsterblich bedeutet und nicht bereits gestorben).
  10. Johann David Weidner (* 8. März 1721 in Bürgel; † 23. Juni 1784 in Gotha), seit 1751 Bauinspektor in Gotha, 1754 Herzoglich Gothaischer Baumeister.
  11. Der Cellist Johann Conrad Schlick, Gothaer Hofmusiker, heiratete 1785 die international berühmte Violoin-Virtuosin Regina Strinasacchi.
  12. Ein gelernter Handwerker, heute noch in Österreich gebräuchlich. Duden