D-Q6596

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  • Metadata: Item:6596
  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 13, Dokument SK13-027
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 111. Schwedenkiste. Abhandlungen und Geschichte, v.a. Illuminatenorden, 1757-1784
  • Titel: "Giebt es Fälle in welchen die Reichthümer und Einkünfte des Staats auf Kosten der Gluckseeligkeit des Volcks oder einzelner im Volck vermehret werden können? Und in wie ferne wär dies erlaubt oder verboten?"
  • Autor: Georg Hartmann von Witzleben (Colbert)
  • Datierung: fehlt, Jena, wenn wir den Autor lokalisieren.
  • Bearbeiter: Olaf Simons / Markus Meumann
  • JPG: 2027-2033

Commentary

Thematisch interessant, inhaltlich nicht minder aber, da die Problemlage charakteristisch im Nachdenken über einen kleinen Staat bleibt, in dem der Regent theoretisch beliebig mächtig ist, auf anderer Eigentum zuzugreifen, solange dies die Staatsräson erfordert.

Kein strukturelles Nachdenken über reguläre Umverteilungen im Rahmen der Steuererhebung. Standardisiertes Nachdenken über das kongruente Interesse des Gemeinwohls in der Hand des tugendsamen Regenten.

Transcript

Giebt es Fälle in welchen die Reichthümer und
Einkünfte des Staats auf Kosten der Glück-
seeligkeit des Volcks oder einzelner im Volck
vermehret werden können? Und in
wie ferne wär dies erlaubt
oder verboten?


In einem Staat wo kein Bürger sich einer größeren
Glückseeligkeit anmaßt, als es das Wohl seiner
Mitbürger zugeben mag: wo jeder so sehr
für seinen MitBürger als für seinen eigene Rechte
wachet: wo die Gewalt nicht zur Ungerechtig-
keit gemißbraucht: wo jeder Bürger ein voll-
kommen glücklicher Mensch ist: kurz in einem
Staat wo der weise Menschen-Freund, wen
den heisen Wunsch, jeden im Volck glücklich zu setzen,
beseelt, und umgeben von eben so edlen und
uneigennützigen Ministern und Räthen, die
nur ihre Größe und ihr Glück in dem Bewußt-
seyn, wahre Beförderer das Landes und sei-
ner Bewohner Glückseeligkeit zu seyn suchen,
regiert, müste diese Frage überhaupt mit Nein
beantwortet werden, und es würde kaum
der Fact vorkommen, daß selbst das Wohl
des ganzen Staats den Ruin eines einzigen Un-
terthans erfoderte, vielweniger daß es die
Vermehrung der Reichthümer des Staat allein|<2>
erfodern solte; denn wie wär es auch möglich:
Ein solcher Fürst würde es sich zur süsesten
Pflicht machen , es würde sein gröstes Vergnügen
seyn immer emsiger die Bedürfniße seines
Volcks aufzusuchen, immer mehr mit Hülfe sei-
ner treuen Räthe Mittel zu finden wißen ihnen
abzuhelfen, - so das Wohl seiner Unterthanen
gründen, ihn Vermögen mehr und mehr
erhöhen und den Bedürfnißen des Staats die
ergiebigsten sich ersten Wellen öffnen; die Ab-
gaben würden den Unterthan nicht ruiniren,
er würde sie gern geben, weil er versichert
wäre, daß sie nicht der Fürst unnüz verschwen-
dete, daß sich nicht damit die Diener des Staats un-
rechtmäßig bereicherten und daß sie auch nicht
auf Pracht und Ausschweifung verwendet
würden, sondern daß sie ihn vielmehr, wär’s
auch auf die entfernteste Art, wieder zuflößen
daß sie zu Vergrößerung seines Wohl-
standes, zum Wohl des ganzen Landes
unumgänglich nothwendig wären und kräftig
beytrügen. – Ein solcher Staat würde
immer reich, immer glücklich seyn und nicht|<3>
zur Befestigung des Wohls des Ganzen den Ruin der
Glückseligkeit Eines oder Mehrerer des Volcks er-
fodern. Aber wie ist es möglich, einen solchen
glücklichen Staat bey uns zu finden? In welchen alle
die an der Regierung Antheil nehmen von Obersten
bis zum Geringsten, sich eifrig bestreben ein-
ander ab Rechtschaffenheit Uneigennützigkeit
und väterlichen Gesinnungen gegen das Land zu
übertreffen? Da sich so oft unübersteigbare
Hinderniße den edelsten Absichten das recht-
schaffnen Mannes entgegenstellen, da jene
Verdorbnen ihr eigenes Intreße mehr als
Alles liebenden Menschen sich täglich häufen,
Menschen, die die besten Grund-Sätze des
Landes-Herrn einschläfern oder gar aus-
zurotten bemühet sind, die sie zu hinter-
gehen und sich unter den äuserlichen Schein
der Rechtschaffenheit in die Kette edel
patriotischer Regierungs Glieder einzu-
drängen wißen! Dahero möchte auch wohl
in diesen Betracht die Frage nicht in allen
Fällen zu verneinen seyn, ich negire
nehmlich in den Fällen wo die Reichthümer
und Einkünfte des Landes auf Kosten|<4>
Einzelner im Volck vermehrt werden, denn
daß die Vermehrung der Reichthümer und Ein-
künfte des Staats auf Kosten des Wohls
des ganzen Volcks nicht nur den Grund Satz
daß der Staat, der reiche und glückliche
Unterthanen hat, nur reich und glücklich sey,
und also einer guten Regierungs-Kunst ge
rade zu wiederspricht, sondern auch an und
vor sich unmöglich ist, scheint mir ganz
deutlich zu seyn, da die wahre und einzige
Quelle des Reichthums eines Staats der
Fleiß die Geschicklichkeit und das Vermögen
seiner Unterthanen ist: Erstere um Pro-
dukte zu erzeugen, selbige soviel wie möglich
aus zubilden und ihren Entzweck zu nähren;
letzteres, welches der Staat durch das
erstere erhält und vergrößert, um
den Bedürfnißen abzuhelfen und des
Volks Wohlstand immer fester zu gründen.
Wie ist es aber möglich, daß der Unterthan
der Bürger des Staat thätig seyn kann,
wenn man ihm die wohlverdienten Würckungen
seines Fleißes nicht genießen läst, wenn er sich|<5>
beständig für andere arbeiten, und gleich-
sam alles nicht zu Beförderung seines Glücks
und Wohlstandes; sondern vielmehr
zu Beförderung seiner Armuth sich verei-
nigen sieht? Er wird misvergnügt
läßig und ausschweifend – Ackerbau,
Kunst, Gewercke, Handel und alle Ar-
ten die Produckte des Landes auszuarbei-
ten stehn still, und so ist die beste ein-
zige Quelle der Reichthümer des Staats ver-
stopft und die Beförderung der Glück-
seligkeit des ganzen Volcks gehemmt.

Es ist also offenbahr und bewiesen, daß ein
Staat beym Untergang der Glückseeligkeit
des ganzen Volcks nie bestehen reich und
glücklich seyn könne.

Es ist nun noch übrig diejenigen Fälle mit
ihrem Einschränkungen in welche die Einkünfte
und Reichthümer des Staats auf Kosten
des Glüks einzelner im Volck vermehret wer-
den können, zu bestimmen. Diese schei-
nen mir keine andern zu seyn als die wo man
offenbahr sieht und bemerckt, daß nicht nur|<6>
durch den Ruin dieses Einzigen das Wohl und
das Glück vieler anderer befördert werde
sondern auch daß dieses auf keine andere
Art erlangt werden kann, ja noch mehr daß
die Glückseligkeit der Mehrern von
größerer Erheblichkeit und nützlichern Fol-
gen für da Ganze ist als das aufzuopfern-
de Glück des Einzigen und daß es selbst
einigen Nutzen denjenigen, der dabey Ver-
lust empfindet, bringt. Fast scheint mir
kein Fall hier paßender als wenn meh-
rere Glieder Etwas zuweilen auch Alles
dem Wohl des ganzen Volcks des ganzen
Staats aufopfern müßen; Wie zum Bey-
spiel es der Falle seyn würd, wenn der
Zustand der Bauern, der in den meisten
Staaten noch so bedrängt ist, ja gewis
oft genug, jeden Menschenfreund erschüttern
muß, mehr verbeßert und den Rechten
der natürlichen Billigkeit gemäßer ab-
geändert würde; denn den Bauer den
Unterthan glücklicher, wohlhabender machen|<7>
ist ja, wie ich auch schon vorher ziemlich be-
wiesen zu haben glaube, die beste sicherste
Methode die Reichthümer und Einkünfte des Staats
zu vermehren: Aber auch Nichts würde so-
viele Aufopferung kosten, Nichts vielleicht bey
manchen Gliedern des Landes Verringerung
des Vermögens mehr nach sich ziehen! – ob es gleich
nicht nur alle Rechte der Menschheit, der na-
türlichen Billigkeit heischen, sondern auch
der Staat berechtiget, ja verbunden ist
jeden Bürger seine besonderen Rechte
oder sein Eigenthum einzuschränken oder
ganz zu nehmen, sobald dadurch den Rechten
und dem Eigenthum anderer Menschen offen-
bahr unrechtmäßig Schade zugefügt oder Ge-
fahr gedrohet wird, zumal wenn jene Rechte
von nicht höhern Werth als diese, und
dem Wohl des Ganzen schädlich sind.

Colbert

Notes