D-Q6599

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Commentary

Thema geteilt mit Gottlob Konrad Meyer (Tillotson), Welches ist der größte Zug des Heldenmuths, dessen sich jeder aus seiner bisherigen Lectüre erinnert? SK13-084, Item:Q6655; dort findet sich die Gegenoption in der Beantwortung.

Aufsatz mit eher enger pathetischer Definition von Heldentum – es liegt dort, wo jemand bereit ist, sein Leben für ein höheres Ziel einzubüßen. Dafür drei Beispiele aus der Geschichte unter der Rubrik Vaterlandsliebe, denen zwei Beispiele unter einer weiteren Rubrik Menschenliebe nachgesetzt werden.

Die Beispiele zur Vaterlandsliebe sind Historien entnommen – hier ragt die der Brüder Philenni heraus, die in einem karthagisch-kyrenischen Grenzkonflikt sich als Beweis ihrer Ehrenhaftigkeit sich lieber lebendig beerdigen ließen, als im Grenzkonflikt zu weichen.

Unter den „Zügen von Menschenliebe“ ist der Bischof von Auch, der im 18. Jahrhundert Kinder aus den Flammen rettet ein modernerer Held. Das Ziel der Opferbereitschaft wechselt, an ihr selbst ändert sich hier jedoch nichts. Zivilcourage zählt hier noch nicht als Heldentum.

Transcript

Züge von Heldenmuth und Vaterlandsliebe.

Der Charakter oder die besondere Eigenschaft eines wahren Helden
bestehet, nach meiner geringen Einsicht eigentlich in der unerschütterlichen
Standhaftigkeit und Stärke der Seele bey Ausführung solcher Entwürfe,
wobey das Leben entweder in sichtbarer Gefahr gerathen, oder dessen
Aufopferung wohl gar, als unumgänglich nothwendig gefordert
werden kann. Diese Standhaftigkeit besaß Codrus,[1] der
lezte König von Athen, dessen Land durch Verharrung der Heracliden
seinen Untergang finden sollte.[2] Er befragte sich deshalb bey
dem Orakel, und er erhielt zur Antwort: daß nur dasjenige Volk
den Sieg davon tragen würde, dessen Haupt getödet werden
würde; er faßte hierauf den großmüthigen Entschluß, als
Bauer gekleidet, sich mit einem Soldaten zu schlagen, von dem
er auch, seiner Absicht gemäß, nachdem er ihn vorher verwun-
det hatte, getödet wurde. Ferner erzählt Salust[3] von einer
Gränzstreitigkeit zwischen den Cartaginensern und Leptinern,[4] die
nach beyder Parteyen Uebereinkunft auf folgende Art berichtiget
werden sollte; man beschloß nehmlich, zu gesezter Zeit so wohl von
Cartago als von Leptis Deputirte abzuschicken, und an dem Orte
wo selbige sich einander antreffen würden, sollte künftig die
Gränze seyn. Von Seiten der Cartaginenser fiel die Wahl auf die
beyden Brüder Phillenni, die, nachdem sie zu der festgesezten Zeit|<2>
abgereiset waren, und sich sehr eilten, schon eine große Strecke
auf dem Leptischen Gebiete zurück gelegt hatten, wie sie die von
Leptis abgeschickte Deputirte antrafen, Diese unzufrieden
über den augenscheinlichen Verlust ihres Vaterlandes, wollten d[as]
nicht gelten laßen, ohngeachtet jene versicherten, daß sie zu
der bestimmten Zeit und nicht früher abgereist wären; aber
endlich erklärten die Leptischen Deputirten, daß wenn sich die
Brüder Phillenni an dem Orte wollten lebendig begraben laßen,
so sollte es bey der Abrede bleiben, und die Gränze da seyn, wo
sie sich einander begegnet. Dies geschahe, denn die Vater-
landsliebe war bey ihnen über alle Erwartung ihrer Feinde
so groß, daß sie auch den schrecklichsten Tod für daßelbe nicht
scheuten. Dann findet man in der Geschichte der Schweiz
daß 1386 bey der Belagerung von Sempach Arnold von Win-
kelried, Ritter aus einen alten heldenmüthigen Unterwald-
ner Geschlecht, plötzlich hervor sprang und laut rief: sor-
get für mein Weib und für meine Kinder; Eidgenossen
gedenket meines Geschlechts! und so war er schnell am
Feind, faßte einige Piken, begrub sie in seine Brust, und
drückte sie, da er sehr groß und stark war, zu Boden, so daß seine
Kriegsgesellen durch die gemachte Oeffnung über seinen Leichnam
hineinzudringen vermögend waren|<3>

Hat einer von diesen Helden für den andern einen Vorzug,
so darf man ihn wenigstens nicht in Rücksicht auf das Nichtachten ihres
Lebens suchen, denn sie waren alle gleich willig, solches für das
allgemeine Wohl herzugeben; aber betrachtet man einen
Winkelried zugleich in Ansehung seiner Verbindungen als
einen gefühlvollen zärtlichen Gatten und Vater einer Familie,
o, so ist unstreitig, daß ein Uebermaß von Heldenmuth und
Vaterlandsliebe erfodert wurde, ihn diese schöne Heldenthat
abzuzwingen, und in dieser Rücksicht, verdienet er nach meinem
Gefühle den Vorzug.

Züge von Menschenliebe.

Den eigenthümlichen Charakter eines wahren Menschen-
freundes, unter welchen ich mir das theilnehmende Gefühl an den
Wohl und Weh unserer Nebenmenschen, durch kraftvolle Hand-
lungen unterstüzt, vorstelle, bezeigte vor einigen Jahren der
Erzbischof von Auch,[5] und noch ganz neuerlich Herzog Leopold
von Braunschweig, Königl[ich] Preuß[ischen] General.
Ersterer war bey einer Feuersbrunst gegenwärtig, wo er ein
Kind, das den Raub der Flammen ohne gewagter Hülfe eines
andern nicht entkommen konnte, gewahr wurde. Er both
zu Rettung deßelben große Summen Goldes, aber Nie-
mand wollte es wagen sich der drohenden Gefahr auszusetzen|<4>
Endlich, da er kein Mittel sahe, vermochte ihn sein gefühlvolles
menschenliebendes Herz selbst der Retter dieses Kindes zu
werden; er wickelte sich in seine bischöfliche Kleidung, stürzte
in die Flamme und holte das Kind glücklich heraus. Mit
dieser edlen That noch nicht zufrieden, schenkte er das aus-
gebothene Gold, das Niemand zu verdienen sich hatte wa-
gen wollen, dem geretteten Kinde. Eben eine solche
ruhmvolle Handlung, wo Menschen mit Gefahr ihres Le-
bens Menschen retten, oder doch retten wollen, that Leo-
pold Herzog von Braunschweig noch neulich, und opferte
sich dadurch würklich selbst auf; wem ist die Geschichte
unbekannt wie er bey der lezten großen Ueberschwemmung
mit 3 Schiffern, denen er ansehnliche Belohnungen versprach,
einen Kahn, um den um Hülfeschreienden beyzustehen, be-
stieg. Schon war er dem jenseitigen Ufer nahe, als der
Strom den Kahn umriß und ihn nebst den 3 Schiffern ins
Waßer stürzte. Die Schiffer retteten sich, aber er sank
nach einigenmalen da er zum Vorschein kam endlich
auf immer. Mit Recht muß jeder Menschen-
freund, jeder Aufgeklärte und Rechtschaffene den früh-
zeitigen Tod dieses besten Fürsten beseufzen. Er der
Tapferkeit, Wissenschaften, Menschenliebe und Religion|<5>
besaß, zeichnete sich bey jeder seiner Handlungen als Muster
aus. Ein gewißer H[err] M. erzählt von dem Charakter des
Herzogs folgenden fürtrefflichen Zug: Der Herzog kam im Januar
nach dem Brande zu mir, ich bath ihn um eine Gnade, um welche?
fragte der Herzog. Setzen Sie sich nicht mehr solcher Gefahr aus, wie
neulich bey dem Brande. Ich bitte nicht für mich allein, sondern für
tausend andere, von denen jeder Sie anbetet, und denen Ihr Tod ein
unersezlicher Verlust seyn würde. Der Herzog war gerührt, und
sagte: Ich vertraue der göttlichen Vorsehung. Ich bin ein Mensch,
und muß meinen Brüdern helfen. Vortrefflicher Zug
eines Fürsten, der sich so weilt als Mensch erkennet.
Er unterstüzte Wittwen und Waisen, und wandte jährlich
mehr als 2000 rh auf die dortige Garnisonschule, die durch
ihn auf einen solchen Fuß gesezt ist, daß sie zum Muster
aufgestellt zu werden verdient. O, warum starb
er der Menschheit so früh! Warum in einem Geschäfte
das er so gern, so ofte übernahm – in dem Geschäfte
Nothleidenden als Retter beyzuspringen – im 33ten Jahre
seines edlen Lebens, wo er noch so viel Gutes zur Veredlung
und Aufklärung seiner Nebenmenschen gestiftet haben
würde! – O, edler Prinz! lehre uns durch deinen
ruhmvollen Tod, den Du für die Menschheit erlittest, die|<6>
Pflichten recht erkennen, die einem jeden würdigen Welt-
bürger zu erfüllen heilig seyn müsten, lehre uns die[ne]
edle Thaten nachahmen und Mensch zu seyn, wie Du e[s]
warst!

Der Trieb des theilnehmenden Gefühls bey dem Lei[d]
der Menschheit, der bey diesen beyden Menschenfreunden, [in]
Betracht der Gefahr in welche sie sich begaben, gleich groß
war, verstattet mir nicht diesen oder jenen den Vorz[ug]
zu geben.

Bey Nachschlagung dieser aufgegebenen Züge von
Heldenmuth und Menschenliebe habe ich wahrgenomm[en]
daß erstere häufig in der alten Geschichte anzutreffen
sind; hingegen geben uns die neueren Zeiten sehr vi[ele]
Beyspiele von Menschenliebe, die wir ohngezweifelt [wohl]
der beßeren Aufklärung unserer Sitten durch die Relig[i]-
on zu verdanken haben, und uns weit schätzbarer un[d]
nachahmungswürdiger seyn müßen als jene.

Conradin.

Notes

  1. Kodros (griechisch Κόδρος), Sohn des Melanthos aus dem Geschlecht der Neliden, der letzte (legendäre) König von Attika, Wikipedia
  2. Wikipedia: "Als Herakleiden oder Herakliden (altgriechisch Ἡρακλεῖδαι) werden in der griechischen Mythologie die Nachkommen des Herakles bezeichnet."
  3. Sallust, De bello Iugurthino 19, 79. Zudem: Strabo, Geographia, III, XVII. – Polybios, Historíai, III:39, X:40. – Plinius der Ältere, Naturalis historia, V:4.
  4. Die Geschichte wird zumeist dem antiken Kyrene als Gegenpol zu Karthago zugeordnet. Hier jedoch Leptis, siehe Zedlers Stichwort „Lebeda“.
  5. Claude d’Apchon (geb. 1721 in Montbrison; gest. 21. Mai 1783 in Paris), die Geschichte wird wiedererzählt in Johann August von Starck, Der Triumph der Philosophie im Achtzehnten Jahrhunderte, Theil 1, (Germantown: Eduard Adalbert Rosenblatt, 1803), S. 359 nach, dort mit Bezug auf Feller, Dict Hist, Tom 1, S. 272.