D-Q6604

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Commentary

Datierung: Der Text ist auf den 31. Dimeh 1157 datiert, dies wäre bei korrekter Verwendung der illuminatisch-persischen Zeitrechnung der 31. Januar 1788. Bodes Reprochen zeigen jedoch zweifelsfrei, dass Eisenhuth sich hier geirrt und den persischen Jahresanfang nicht berücksichtig hat; das QL ist in Wahrheit vom 31. Januar 1787, der Vorgängertext SK13-036 demnach aus dem November 1786. Damit ist auch die Angabe in dem Vorgängeraufsatz, die Preisschriften der Mannheimer Preisfrage seien „im Vorjahr“ veröffentlicht worden, falsch; diese stammen nämlich von 1784.

Dies ist der Aufsatz, der in SK13-036 versprochen wurde und der nach der Analyse der Gründe des Kindermords (vorgenommen durch unehelich schwanger gewordene Frauen) zu den praktischen Vorschlägen der Vermeidung kommen soll. Ein in der Emphase ungestümer Aufsatz. Eisenhuth malt aus, wie es im Moment Frauen ergeht, die unehelich schwanger werden: Der Pfarrer und die örtliche Justiz bestellen sie ein und schikanieren sie. Es erfolgt eine öffentliche Degradierung beim Kirchgang. All dies lässt die Frau überlegen, ihr neugeborenes Kind zu ermorden.

Die Problemlösung setzt auf eine Differenzierung von Abschreckung und Förderung. Frauen, die Kinder töten, sollen lebenslang eingekerkert und einmal jährlich öffentlich an den Pranger gestellt und dort von der Jugend mit Kot beworfen werden.

Frauen, die ihre Schwangerschaft melden, sollen hingegen mit staatlicher Hilfe betreut werden. Der Vater soll zur Unterstützung verpflichtet werden, bzw. wenn möglich sogar zur Ehe gezwungen werden. Wo der Vater nicht vermögend ist, soll eine Gesellschaft der „Hagestolzen“ – der unverheirateten Männer – verpflichtet werden, für dergleichen Kinder aufzukommen, was sie immer noch billiger kommen werde, als für eine Frau und Familie aufzukommen. Dies ist interessant, dürfte weit über das hinausgehen, was andere Texte fordern!

Unklar bleibt am Rande, wie der Hurerei abzuhelfen ist – die Probleme vermischen sich zweimal, werden jedoch getrennt gehalten. Diese Problemlage war noch entschieden größer im Vorgängeraufsatz. Zur Vermeidung der Hurerei setzt Eccard vor allem darauf, die Männer in die Pflicht zu nehmen, von denen seiner Ansicht nach im Regelfall die Unzucht ausgehe. Darüber hinaus gibt er am Ende selbst zu, „daß noch manche Lücke auszufüllen seyn dürfte“.

Interessant sind die Ausführungen zum Wandel der Moral. Als Problemlage werden die bestehenden Vorurteile angesehen, die dergleichen Fälle kriminalisieren – statt zu einem besseren Begriff von Kriminalität zu finden. Der Fürst solle hier auf die, die beim Volk die Meinung generieren, zurückgreifen und diese nutzen um einen langfristigen Wandel herbeizuführen; denn das will dem Verfasser klar sein, dass der nötige Moralwandel nicht auf die Schnelle durchführbar ist. Vorurteilskritik: In dem Sinne führt (praktische) Aufklärung (das Wort fällt selbst nicht) zu einer Reduzierung von Vorurteilen und dadurch zu einer besseren Gesellschaft

Offenbar besteht im Orden ein Konsens über die nötige langfristige Entwicklung der Moral, der das Nachdenken über strukturelle Änderungen ausschaltet. Der Vorschlag eine Gesellschaft der Hagestolzen mit der Betreuung der gefallenen Frauen zu betrauen bleibt kurios und symptomatisch für den kleinen Zwangsstaat, in dem der Fürst Personenverbände korporiert und mit Aufgaben betraut, statt Staatsaugaben in Haushaltsplänen zu verwalten – mithin erneut ganz symptomatische Lektüre.

Der Text ist auf den 31. Dimeh 1157 datiert, dies wäre bei korrekter Verwendung der illuminatisch-persischen Zeitrechnung der 31. Januar 1788. Bodes Reprochen zeigen jedoch zweifelfrei, dass Eisenhuth sich hier geirrt und den persischen Jahresanfang nicht berücksichtig hat; das QL ist in Wahrheit vom 31. Januar 1787, der Vorgängertext SK13-036 demnach aus dem November 1786. Damit ist auch die Angabe in dem Vorgängeraufsatz, die Preisschriften der Mannheimer Preisfrage seien „im Vorjahr“ veröffentlicht worden, falsch; diese stammen nämlich von 1784.

Transcript

Ueber Kinder Mord[1]

Diejenigen Mittel, welche nach meinem geringen Er-
meßen, den Kindermord seltener machen könnten,
und welche ich im Monat Novbr. des
verfloßenen Jahres, anzuzeigen versprach, sind
folgende.

So viel ich habe erfahren können, ist es bey
nahe in ganz Deutschland, (denn auf dieses schränke
ich mich lediglich ein) üblich gewesen, daß so bald
eine ledige Weibsperson schwanger wird, läßt sie
der Prediger ihres Orts vor sich fordern, und um
sich da ein recht standesmäßiges Ansehen zu
geben, redet der Freund von nichts, als von schendli-
cher Sünde , von unversehnlichen[2] Zorn Gottes, von
Lust und Bekehrung, und so wird in die nach sei-
nem Ausdrucke, gefallene arme Sünderin
hing hinein gepredigt, und gestürmt, daß das
arme Mädchen zittert und bebt, der Herr Pfarrer
bedeutet sie auch wohl, sich nicht etwan zu unter-
stehen beym communiciren unter die Jungfrauen
zu treten, sondern wie es sich ziemt und gebührt,
hübsch bußfertig, hinter allen alten Weibern
herzugehen. Aus diesem Orte der Qual for-
dert sie ein mürrischer, allen Menschengefühl
abgesagter Gerichtsfrohn, zu seinen Herrn,|<2>
der noch ärger ist, denn er selbst. Hier nun
wird die heilige Justiz abermals mit der ei-
sernen Hand gepflogen, und die Betrübte von
neuen torquirt. Nun laße man noch allge-
meine Verachtung und Spott von ihres Gleichen
diese Martern noch beisender[3] machen; so [ist]
wenn die Geschwächte; nur allgewöhnliches Ge-
fühl für Ehre hat, zu Vermeidung dieser Fälle,
gewiß der erste Gedancke, ihre Frucht zu tödten.

Vor allen Dingen also, suche man zuvör-
derst Priestern und Justizbeamten, Menschen-
gefühl und beßere Begriffe von Sünde und Ver-
brechen beyzubringen, und verbiethe ihnen ihr
obgedachtes Betragen, von welchen ich zuverläßig w[eiß]
daß es ofte, und die mehresten male ausgeübt w[ird.]
Schlechterdings hiernächst sollte durch eben dies Ge-
sez, von Kanzeln und sonst öffentlich bekannt
gemacht werden: daß sobald iede vorsezliche
Kindermörderin, zeitlebens mit dem Zuchthause be-
straft, und jährlich an dem Tage, an welchem sie
diese schwarze That verübte, öffentlich, besonders
in Gegenwart der Jugend, am und wo möglich
an dem Orte ihres damaligen Auffenthalts, an [den]|<3>
Pranger gestellt, ausgepeitscht, und von der Jugend
mit Koth beworfen werden sollte. Die-
jenige hingegen, welche ihre Schwangerschaft
nicht verheimligte, solle nach der Geburt nicht
nur den Titel, sondern auch sonst alle Vor-
rechte der Jungfrauen behalten, und sowohl für
sie selbst, als für ihr Kind gesorgt werden.

Damit nun aber auch durch dieses Gesez, die
Hurerey nicht noch mehr befördert werde; so
müßte es zugleich auch verordnen, daß der
Vater des unehligen Kindes, welcher in un-
sern gemäßigtern Climate, gewiß allemal
der angreifende Theil ist, so bald es die politti-
schen Verhälltniße, nur halbwege erlaubten,
die Geschwächte heyrathen, im entgegen ge-
sezten Falle aber, sie wenn er Vermögen hat,
ansehnlich ausstatten, und das Kind auf ieden
Fall erhallten, und alle deshalb aufgewendeten
Kosten, die iedoch weniger betragen müsten, als iezt,
bezahlten solte. Wäre hingegen der Vater des
Kinds unvermögend, und machten Verhällt-|<4>
niße, die Ehe unmöglch, so träte sodann eine
Caste derer Hagestolze, an seine Stelle, und
erfüllte seine Schuldigkeit, denn solange
der gegenwärtige Luxus dauert, würde
diese Buße für selbige immer gelinder seyn,
als eine Frau zu ernähren.

Wenn sich nun endlich diejenigen Per-
sonen, welche auf die Denkungsart des Volcks
den mehresten Einfluß haben, befleißigten,
das Vorurtheil, welches man izt noch mit ei-
ner so genannten Hure verbindet, nach und
nach auszurotten, nach Befinden der Fürst die-
jenigen, welche dergleichen Personen ohne
daß sie an dem Falle selbst Ursach waren,
heyratethen, in ihrem Unternehmen unter-
stützte; so würde nach Verlauf einiger Zeit,
welche freylich dazu mit gehört, Menschen von
tief eingewurzelten Vorurtheilen zu rei-
nigen, eine auf diese Art verunglückte
Weibsperson eben so gut ihren Mann finden, |<5>
wie eine Witfrau, und mithin der Kinder-
mord gewiß seltener werden als izt.

Alles was ich iezt gesagt habe, ist blos
Skize, ich weis und fühle es selbst, daß noch
manche Lücke auszufüllen seyn dürfte,
welches eben auch bey einer ordentlichen
Abhandlung nicht unmöglich wäre.

Jezt habe ich blos das gesagt, woran
ich theils in der Justiz, theils auch selbst in
der Kirche, mittelbarer, und auch unmittel-
barer Zeuge war, und darnach bitte ich mich
zu beurtheilen.

Eccard.

Eccardsberga
den 31. Dimeh.
1157.

Notes

  1. von der Hand Bodes darübergesetzt
  2. i.e unversöhnlichen.
  3. i.e beißender.