D-Q6609

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  • Metadata: Item:Q6609
  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 13, Dokument SK13-040
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 111. Schwedenkiste. Abhandlungen und Geschichte, v.a. Illuminatenorden, 1757-1784
  • Doublette: "Copia" SK13-041
  • Titel: "Was ist für ein Unterschied zwischen Ehrlichkeit und Redlichkeit, oder halten Sie es für gleichbedeutende Ausdrücke?"
  • Autor: Hans Ulrich von Gadow (St. Evremont)
  • Datierung: ohne Datierung, müsste mit Quibus Licet und Reprochen abgeglichen werden.
  • Bearbeiter: Olaf Simons / Markus Meumann
  • JPG:

Commentary

Das Ergebnis vorweg: Man kann es keinem Schriftsteller ankreiden, wenn er die Worte unterschiedslos gebraucht, sie sind zu nahe und zu lange gemeinsam in Gebrauch, als dass sie nicht verwechselt werden könnten – obwohl sie etymologisch zu differenzieren wären.

Interessant ist das sprachtheoretische Konzept hinter den Darlegungen und das moralische Differenzierungsanliegen

Verschiedene Wörter, so die Theorie müssen unterschiedliches bedeuten – das steht hier im Raum als ob die Sprache eine Erstausstattung erhielt, mit der sie alle bestehenden Konzepte ursprünglich abdeckte. Im Gebrauch schliffen sich dann Verwechslungen bei naheliegenden Begriffen ein.

Inhaltlich müsse Ehrlich auf Ehre und Redlich auf Rede bezogen werden, wonach eine moraltheoretische Unterscheidung greift, deren strenge Frage die von echter innerlicher und bloß äußerlicher Tugend ist. Ehre unterliegt bürgerlichen Konventionen, weshalb das Konzept ausgehöhlt erscheint. Viele verhielten sich den Ehranforderungen entsprechend, zeigten jedoch ein anderes Verhalten sobald sie sich unbeobachtet wähnten (hier kommt wieder diese Frage der Verhaltensregulation durch sich beobachtet wähnen, wie unter Beobachtung tugendsam verhalten).

Wahre Rechtschaffenheit zeige sich wo Dinge getan werden, weil sie recht sind und in der nun greifenden Unterscheidung gewinnt Redlichkeit die Position des Tiefenbegriffs bei dem die äußere Rede mit der inneren Beschaffenheit übereinkommt.

In der Praxis des Gebrauchs werde so genau nicht differenziert, könne man also selbst Schriftsteller – die gegenüber der gemeinen Sprache für den besseren Gebrauch stehen keinen Vorwurf machen, wenn sie hier fehlten.

Typisch diese Trennung von äußerem Schein und inneren Werten – sie läuft nun anders als im frühen 18. Jahrhundert, wo zu trennen war zwischen Schein der Verstellung und wahrer klug verborgener Intention. Das Problem ist nun eine Äußerlichkeit der Konformität, die ohne wahre Tugend tugendsam lebt. Wahre Tugend beweist sich erst, wo es Risiko der Untugend gibt und man das richtige aus Erkenntnis des Richtigen heraus tut. Ablösung des Urteils in anderen Augen und des Urteils um der Sache willen, das vom moralisch autonomen Individuum gefällt wird. Kant fließt hier in die Sprachdifferenzierung ein.

Transcript

N: IV |<1>



Etwas über die Frage:
Was ist für ein Unterschied zwischen Ehrlichkeit
und Redlichkeit, oder halten Sie es für
gleichbedeutende Ausdrücke?

___________


Es komt in jeder Sprache eine Menge von Ausdrücken vor,
welche entweder allgemein für gleichbedeutend gehalten
werden, weil die Verschiedenheit ihrer Bedeutungen un-
bekannt geworden ist, oder welche doch von den Schrift-
stellern, und häufiger im gemeinen Leben vermi-
schungsweise gebraucht werden; Alle aber haben
gewiß bey ihrem Ursprung den Entzwek gehabt, einen
von allen übrigen menschlichen Vorstellungen verschie-
denen Begriff zu bezeichnen. Nun konnte es aber
durch Veraltung der Wörter, durch Verwechslung der Be-
griffe, oder auch durch Aufnahme fremder Wörter aus
einer andern Sprache, und noch sonst durch mancherley
Umstände, leicht geschehen, daß mehrere Ausdrücke
zu Bezeichnung eines Begriffs vorhanden waren,
und daß man sich also derselben ohne Unterschied be-
dienen konnte. Daher rühren die gleichbedeu-
tende Ausdrücke der ersten Klasse.|<2>

Im andern Fall war es leicht möglich, daß Ausdrücke,
welche zwar in der That verschiedene, aber sehr nahe mit
einander verwandte Begriffe bezeichneten, zuerst in der
Sprache des gemeinen Lebens verwechselten, und diese Ver-
wechslung hernach durch die Länge der Zeit in die
Classe der Schriftsteller übergetragen wurde. Dieß
ist wie mich dünkt der Fall mit Ehrlichkeit und
Redlichkeit. Es ist sowohl der Etymologie beyder
Wörter gemäß, als auch aus deutschen Schriftstellern älte-
rer und neuerer Zeit erweißlich, daß jeder dieser
beyden Ausdrücke einen besondern, von der Bedeutung
des andern verschiedenen Begriff bezeichnet habe, und
eigentlich noch bezeichnen müsse. Aber eben so ge-
wiß ist es auch, daß die Ausdrücke Ehrlichkeit und Redlich-
keit nicht nur im gemeinen Leben, sondern auch in
der Schriftstellersprache so oft verwechselt, und der
eine für den andern gebraucht worden sind, daß
es schwer seyn wird, die ächte eigenthümlich Bedeu-
tung eines jeden zu bestimmen.|<3>

H[err] Adelung behauptet in seinem deutschen Wörter-
Buche, daß redlich in der Bedeutung worinn es im
gemeinen Leben gebraucht wird, |: wo es nemlich so
viel als rechtschaffen oder aufrichtig bedeutet, und
welches die einzige ist, worinn das Substantiv Red-
lichkeit gebraucht werden kann :| mit ehrlich gleichbedeutend
sey. Mich dünkt indessen, daß sich dieß nicht
so gerade zu behaupten läßt, und daß man um
so mehr darauf bedacht seyn sollte, die Bedeutung der Aus-
drücke in unserer Sprache zu bestimmen, da die Anzahl
derjenigen so groß ist, die sich nicht eigentlich
bestimmen, und von andern unterscheiden lassen.
Zu diesen gehören aber gewiß Ehrlichkeit und
Redlichkeit nicht. Ohne meine Muthmaßungen
für Wahrheit auszugeben, will ich jetzt fortfahren,
mich zu bemühen die verschiedenen Bedeutungen
beyder Wörter in ein helleres Licht zu setzen.
Ehrlichkeit stamt von Ehre ab, so wir Redlichkeit von
Rede. Ein ehrlicher Mann könnte also heißen:|<4>
ein Mann der seine öffentlichen Handlungen nach
den festgesetzten und einmal angenommenen Grund-
sätzen von Ehre einrichtet, da denn ein redlicher
Mann ein solcher wäre, dessen allgemeines Bezeigen gegen an-
dere, und besonders dessen Rede mit seiner inneren
Gemüthsbeschaffenheit, und mit seinem Gefühle von
Recht und Billigkeit übereinstimmen; hier ist schon
Verschiedenheit genug in den Begriffen.

Ehrlich seyn kann auch ferner bedeuten: der äusseren
Gerechtigkeit gemäß leben, und die Zwangspflichten
der bürgerlichen Gesellschaft erfüllen, besonders
in so fern die Haltung der Treue und des Glaubens,
und die Beobachtung der natürlichen Billigkeit zu diesen
Pflichten gehört; und dann ist Redlichkeit eine be-
sondere innere Liebe und Neigung zu dem was gut
und rechtschaffen ist, und die Ausübung desselben, nicht
aus eigennützigen Gründen, oder weil es die bürger-
lichen Gesetze vorschreiben, sondern eben, weil es
gut und rechtschaffen ist.|<5>

Es kann also jemand ehrlich seyn, ohne deßwegen
redlich genannt werden zu können. Denn es kann
einer äußerlich den Grundsätzen der Ehre und den
bürgerlichen Pflichten gemäß leben, und und sich dem ohn-
geachtet, wo er nicht beobachtet zu werden glaubt,
oder keine bürgerlichen Strafe zu befürchten hat, manche
schlechte Handlung, manche Unbilligkeit gegen andere
erlauben, - er wird also ehrlich heißen, ohne redlich
zu seyn.

Aber dennoch, wenn gleich diese oder irgend
eine richtigere Bestimmung von Ehrlichkeit und Red-
lichkeit die eigentliche wäre, und mithin die Wörter
in keiner andern gebraucht werden sollten, wird
es keinen Schriftsteller zum Fehler angerechnet
werden können, wenn er eins für das andre gebraucht,
weil die Begriffe zu nahe verwandt sind, und der
lange Gebrauch die Verwechslung allgemein
gemacht, und gleichsam authorisirt hat.

___

St Evremont.

Notes