D-Q6618

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Commentary

Aufsatz mit klarer großer Emphase für eine bessere Stellung der Juden, grob dreigeteilt.

Die Juden leben unter unerträglichen Bedingungen, die Jesus selbst nicht anstrebte – Christen ist anzulasten, dass sie sie erniedrigende Verhältnisse setzten. Ihr aktueller Charakter – Unwissenheit und Wucher – sind den Lebensbedingungen geschuldet, die Christen einrichteten.

„Wir“, das heißt die christliche Mehrheitsgesellschaft können ihnen, so die moderierende Wendung, gegenwärtig noch nicht die vollen Bürgerrechte geben, da ihnen die Bildung fehlt, mit der sie das Interesse der Gesellschaft als ihres annähmen. Entwicklung, Bildung sind hier wie in den meisten anderen Aufsätzen, die Schlüssel zur Veränderung. Juden müssten studieren und beginnen sich in den schönen Wissenschaften auszuzeichnen. Sie würde im Wettbewerb um Bildung dann die Achtung der Christen gewinnen und sich selbst der rechtlichen Gleichstellung würdig machen.

Der Aufsatz sucht und findet sein Beispiel hierfür in Moses Mendelssohn. Er weise als zweiter Moses den Juden den Weg aus Irrtümern ihrer Religion, aus der Scholastik, in der sie noch verharre, aus der strengen Befolgung unsinniger Gesetze. Er erwarb sich – vorbildlich für die anderen Juden – den Respekt der Christen.

Der Aufsatz ist überreich an emphatischer Rhetorik. Das „Wir“ ist das der Christen, das angesprochene Publikum changiert von den Christen zu den Juden zu Moses Mendelssohn, der hier über den Tod hinaus ansprechbar bleibt. Wäre klug eine gute These zur Emphase zu entwickeln, wie Weißhaupt sie einfordert und eine Position zum Rhetorischen.


Transcript


Butus, d[en] 11. Esphendarmad
1156.

Ueber Juden und Moses Mendelssohn
– und ihre Werke folgen ihnen nach.

Wenn ein einzelner Mann in einem gesellschaftlichen Zirkel verachtet u[nd] verspottet
wird, weil sein Grosvater einmal einen Fehler begangen hat, u[nd] der Verspot-
tete nun mit niedergeschlagenen Augen da steht, u[nd] an keinem Gespräch mehr
Antheil zu nehmen wagt, so sehr er auch durch Kenntnisse dazu berechtiget wäre;
– wenn ein anderer Haufe über ganze Stadt ein beleidigendes Urtheil
fällt, weil ihre Bürger einmal etwas Ungereimtes gethan haben; sie mit
spottenden Beinahmen belegt u[nd] end[lich] in ein dummes Gelächter ausbricht;
– da geht jedesmal dem Menschenfreund ein Schwerdt durch die Seele; er
wendet sich mit rechter Stirn von den gedankenlosen Spöttern weg, u[nd] ohne
die Leute weiter zu kennen, die der unschuldige Gegenstand ihres Hohns
sind, faßt er zum Voraus ein günstiges Urtheil von ihnen. Aber, ich
frage noch alle, ihr Bewohner des gebildeten u[nd] gesitteten Europa, aber
wenn eine ganze, große Nation, die aus ihrem Vaterland vertrieben, zer-
streut u[nd] arm ist, die nirgends auf Gottes weiter Erde sagen kann: Hier
ist meine Heimath! (u[nd] das kann doch die Schwalbe unter dem Dach u[nd] der
Tyger in seiner Höhle sagen!) wenn die nun Jahrhunderte hindurch der
Gegenstand des Spotts u[nd] der Verachtung, der Unterdrükung u[nd] des Muth-
willens, des Fluchs u[nd] der Blutgier aller andern Völker abwechselnd
geworden ist, u[nd] zum Theil noch ist – o! sagt, ich frage euch, womit soll da
der Menschenfreund, der alle Menschen als Brüder liebt, womit soll
er da sein kochendes Blut stillen, daß er nicht auch verachte diese Spötter
u[nd] Dränger? Daß er nicht auch euch hasse, die ihr so grausam seyd gegen
den armen, zerstreuten Haufen von Abrahams Söhnen? Näher
verwandt sind sich noch nie zwei ganze Partheien in Ansehung ihrer
Religionsquellen gewesen, u[nd] unversöhnlicher u[nd] länger haben sich noch
nie zwei gehaßt, als die Verehrer der sanften Jesusreligion u[nd] die|<2>
Anhänger des mosai[schen] Gesetzes. Sonst tilgt die Zeit , die alles verwischt, auch
die Feindschaften der Menschen; aber, wie sich eine Krankheit erbt vom Vater
auf den Enkel, so hat sich dieser Haß fortgepflanzt von den Vätern bis auf
die Nachkommen, die fast 2000 Jahre nach ihnen leben. O daß ihr wieder
kommen könntet, ihr Patriarchen, u[nd] Propheten, die auch die Christen als
heilige Männer verehren, daß ihr sehen könntet, wie sie eure Nach-
kommen, die genau noch eure Vorschriften befolgen, verspotten u[nd] von sich
aus schließen! Wie eure Nation, auf die ihr vormals so stolz waret, die
ihr als Volk Gottes u[nd] Mittelpunkt der Schöpfung betrachtetet, wie sie jezt
weggeworfen ist u[nd] seufzet, mehr u[nd] länger, als da sie einst am
Euphrat Trauerlieder sang! Und das alles haben die Christen größtentheils
gethan zur Ehre deßen, der unter den Juden seine ersten Schüler fand, der noch
sterbend für den damaligen unruhigen Pöbel um Erbarmung flehte, u[nd]
laut sagte, daß er aus Unwißenheit sündige! Er wollte nicht, daß den
Vätern dieses Vergehen behalten würde, aber seine Anhänger haben sie
den schuldlosen Enkeln noch Jahrtausende nachher behalten! O der wider-
spruchsvollen Frömmigkeit! Er kam, um die Thieropfer aufzuheben, u[nd]
das Blut der Stiere zu schonen, das sonst an den Altären Gottes floß; u[nd]
seine Verehrer bringen ihm eine ganze Nation oft gemordeter, immer
gefeßelter u[nd] unterdrükter Menschen dar! Verstekt eure Gesin-
nungen nicht unter den Mantel der Religion; es ist Hartherzigkeit,
u[nd] Verläugnung der Menschenliebe, daß ihr ihnen die Bruderrechte ver-
sagt, u[nd] es wäre unbegreiflich, wie sich diese Gesinnungen noch er-
halten könnten, wenn sie nicht in der frühesten Jugend schon eingeprägt
würden. Gewis, die neuere Geschichte dieser Nation u[nd] ihrer Behandlung
unter uns wird da stehen, als ein ewiges Denkmal, wie widersprechend
oft Menschen handelten.

Aber härter als hierin scheint mir ihr Schicksaal noch dadurch, daß
sie von allen Wißenschaften, von allem Studium, von aller Vervollkom-|<3>
nung ausgeschloßen wurden. So lange selbst noch unsre eigne Gelehrsam-
keit in weiter nichts als scholastischem Wust bestand, so lange Mönche
u[nd] Pfaffen allein das Monopolium des dürftigen Wißens ihres Jahrhun-
derts besaßen, war das nicht anders zu erwarten. Was gieng die das
Wohl u[nd] die Glückseeligkeit der Menschheit an! wenn nur ihr Orden
reich war, u[nd] in träger Wollust leben konnte, mochten ihretwegen selbst
noch die wenigen Reste von Wißenschaft zu Grunde gehen, die in ihren
dumpfigten Mauren moderten. Der menschliche Geist erwachte endlich
aus seinem eisernen Schlaf; er began sein Tagewerk von neuem, u[nd] bebaute
ein Feld der Wißenschaften nach dem andern. Aber sie durften nur
zusehn, die armen Israeliten, die doch von der Natur mit so vorzüglichen
Talenten ausgesteuret sind; durften nicht mit Hand anlegen, u[nd] musten
weilen in ihrer Finsternis. Unsere Schulen u[nd]Hörsäale wurden ihren
Jünglingen verschloßen, u[nd] die ganze Nation in eine Lebensnot
eingeengt, wo sie ihren Kopf weiter nicht zeigen kann, als daß
sie auf feinere Art betrügt, wie die rivalisierenden Christen. Zur
Unwißenheit u[nd] zum Laster wirklich gezwungen zu seyn, das ist doch
das drükendste Joch, was je ein Menschenkind trug, u[nd] das man noch
keinem Volk so gewaltsam auferlegt hat, als den Juden! Unter den
tausend Wegen sich Unterhalt zu Verschafen, dem Staat zu nützen,
und zugleich für seine Vervollkommnung u[nd] Vergnügen zu sorgen, ha-
ben wir diesen Armen einen einzigen offen gelaßen, die Handelsschaft;
aber wenige nur dürfen das edle Geschäfte treiben, das mit poli-
tischen Scharfsinn in die Räder der Staatsmaschinen eingreift, u[nd]
dessen Besorgung ehrenvoll und unterhaltend für den Geist ist; son-
dern größtentheils müßen sie sich wegen der hohen Abgaben von
jenem elenden Wucher nähren, der Kopf u[nd] Herz verdirbt, und
ohne Betrügerei und Niederträchtigkeit fast nicht bestehen kann.
Da der ungleich größere Theil der Nation in diesen kleinen u[nd] schmutzi-[gen]|<4>
Wirkungskreis eingesperrt ist, kein Wunder, daß sie dadurch einen eignen
Charakter u[nd] Gepräge bekommen hat; und alles, was wir diesen Leu-
ten mit Recht vorwerfen können, fällt doch im Grunde auf uns selbst
zurük, da wir die Ursache davon sind. Nicht etwa wie wir, hinge-
stellt vor den großen Schauplaz menschlicher Thätigkeit, und
mit Freiheit irgend ein Fach nach Neigung wählen zu können, sondern
mit Feßeln von der Geburt an an Ein Gewerbe geschmiedet denkt
schon der jüdische Knabe auf Wucher. Mit dürftigen Kentnißen
einer dürftigen Religion, bei der Ceremonien die Hauptsache sind, aus-
gerüstet, lügt er sich dann durch die Welt, wo er es größtentheils
mit Leuten zu thun hat, die doch seine redlichste Tugend verkennen
würden u[nd] die seinen Nahmen schon als Bürgen seiner niedrigen
Denkungsart ansehen. Will er sich zum Gelehrten seines Volks bilden,
so steht ihm das dürre Feld rabbinischer Spitzfindigkeiten offen, vor
denen der unverschobene Menschenverstand zurück schaudert, und die, statt
den Verstand aufzuhellen, jedes gesunde Urtheil vollends ersticken. Wir
wißen, welch großen Einfluß das bürgerliche Geschäfte auf das moralische
Betragen jedes einzelnen Menschen hat; mehr als Unterricht u[nd] Predigen
knüpfen jene festen Bande der bürgerlichen Gesellschaft Handthierung
den Menschen an Tugend und nöthigen ihn halb ohne seine Ueberlegung
zum Rechthandeln. Aber hierdurch wird kein Jude an das Wohl des
Staats u[nd] an die Tugend gebunden. Ihm sind die Freuden des Land-
mannes, wenn er sein Tagewerk vollendet, od[er] des Handwerkers, wenn
er seine Arbeit vollbracht hat, versagt; ihm dankt keiner seiner Mitbür-
ger, ihn ehrt keiner, ihn hält keiner für ein nüzliches Glied des Staats,
das mit eigner Aufopferung das Wohl des Ganzen befördert; seine
angestrengteste Thätigkeit nimmt man für unersättliche Habsucht,
wobei er nur auf sich und seinen Gewinn sieht. Sagt, Menschenfreunde,
ist das nicht ein trauriges Schiksal!|<5>

Zwar dürfen wir die Bemühungen unsrer Zeiten, diese Unterdrückten in ihre Rechte
einzusetzen, nicht verkennen. Es sind einzelne edle Männer aufgestanden,
die mit ruhmwürdiger Freimüthigkeit ihre Sache vor den allgemeinen Rich-
terstuhl der Menschheit gebracht haben. Aber theils ist ihre Stimme noch nicht
allenthalben bis zu den Thronen gedrungen, theils wird auch der Saz
von neuem bestätigt, daß alte Vorurtheile sich nicht auf einmal aus-
rotten laßen. Viele, die den Juden diese Toleranz eben nicht mis-
gönnten, haben verlangt, auch die Juden müßten uns erst einige Schritte
entgegen kommen, auch sie müßten manche grobe Irrthümer ablegen, und
ihren allgemeinen Charakter beßern, ohne zu bedenken, daß die mehrsten
dieser getadelten Stücke erst Wirkungen von unserm Verfahren gegen
sie sind. Zu leugnen ist es nicht, daß, wie die Sachen von ihrer u[nd] unserer
Seite jetzt stehen, manches in den Weg tritt, was die völlige Gleichmachung
der Juden mit den andern Bürgern verhindert. Der Oberste kan sie bis
jetzt nicht unter seinen Regiment, der Handwerker nicht in seiner Gilde, der
minister nicht in seiner Kanzlei brauchen. Sie müßen nothwendig vor-
her noch über manches richtiger denken lernen. Und dazu hätten wir ihnen
alle Wege verschloßen? Nur ihre alte unrühmliche Bahn wäre ihnen übrig?
– O Nein, ihr meine Menschenbrüder, ihr Gedrükten u[nd] Verachteten, so grau-
sam konnten wir nicht seyn, wenn wir es auch gewollt hätten. Der Fürst
kan auch das Bürgerrecht, u[nd] der Unterthan die Brüderrechte versagen;
aber einen Zugang können sie euch nicht verschließen, einen Zufluchtsort
nicht verbieten, den die Gottheit selbst wohlthätig jedem Suchenden ge-
öffnet hat. Es giebt einen Staat in der Welt, den freiesten, der jemals
war, wo [man] das Bürgerrecht weder erkauft, noch geschenkt bekömt, den
einzigen, wo man es sich selbst giebt. Es ist der Staat der Gelehrsam-
keit. Ueber ihn gebietet kein Tyrann, u[nd] kein Pabst führt den Vorsiz;
die Fähigkeit, ein Mitglied davon zu werden, gehört unter die ange-
bohrnen Rechte der Menschlichkeit, u[nd] die Geschichte kennt nur Eine Periode,|<6>
die dunkelste, die wir finden, wo man die Allgemeinheit dieses Rechts streitig
zu machen wagte. Jene Zeiten der Nacht sind vorüber; unverhüllt steht
jetzt der Tempel der Wißenschaften da, und ladet alle, u[nd] ladet auch
euch ein, zu einem von seinen hundert Thoren einzugehen.

Gewis, man muß sich wundern, worinn dieser frei da liegende Weg
von vorzüglichen Männern unter den Juden noch nicht gehörig betreten
ist. (Vielleicht liegt die Antwort hierauf wieder in unserm Betragen
gegen sie.) Zwar von den 3 Hauptdisciplinen ist ihnen nur die Arz-
neiwißenschaft übrig, u[nd] wir sehen, wie rühmlich sich Männer von
ihnen hierin aus gezeichnet haben; doch theils sie dürfen bis jetzt nur Aerzte
für ihre Nation seyn, theils hat diese Wißenschaft einzeln genommen
noch nicht Einfluß genug auf das ganze Gedankensystem des Menschen.
Aber bieten sich nicht etwa alle anderen Künste und Wißenschaften zu
ihrer Bearbeitung dar? – Die Geschichte der Kultur lehrt uns, daß vor
der Aufklärung in den höhren Kenntnißen immer die Bearbeitung der
schönen Künste u[nd] Wißenschaften hergieng. Sie sind die Herolde, die
auf die Ankunft der Hauptpersonen selbst vorbereiten, und eben dieser
Zwek veredelt sie selbst, da sie ohne ihn zwar Vergnügen, aber nicht
nützen würden. Fieng ein Volk erst an, sich mit ihnen ernsthaft
zu beschäftigen, so konnte man mit Recht sagen, daß die Morgen-
röthe bei ihm dämmern und der Aufgang der Sonne nun zu erwarten
sei. Daß aber Wißenschaften sowol auf das Glük einzelner Men-
schen, als ganzer Nationen den wohlthätigsten Einfluß haben, ist, wenn
auch manche mehr schön als wahr gesagt haben, noch immer unbezweifelt,
da ja ohne sie die gröbsten Fehltritte in den wichtigsten Angelegenheiten
des Menschen unvermeidlich sind. Niemals ist eine Nation geehrt
worden, niemals hat sie in dem politischen System eine Stimme be-
kommen, u[nd] hätte sie gleich wegen der Unermeßlichk[eit] ihrer Besitzung
ihre Gränzen nicht gekant, wenn sie nicht besaß.|<7>
aber so bald sie sich die erwarb, stieg sie in der Achtung bei an in ihrer
eignen Blüthe, u[nd] die andern nannten sie: Schwester. Nun sind
aber die Juden, wenn sie gleich unter allen Klimaten leben, noch immer
als Eine Nation anzusehn, da sie durch den einförmigen Religionsbe-
griff so fest verbunden werden, wie also, wenn sie denselben Weg
beträten, den die andern Nationen gegangen sind, um weise und
auf geklärt zu werden? Wie wann sie sich zuerst zu den Künsten
wendeten, um durch diese sich zu bilden, und sich Schätz[un]g bei andern
zu erwerben? – Auf die Werke des Künstlers haben die Religionsmeinungen
gar keinen Einfluß; niemand wird fragen, ob diese schöne Statue, dies
sprechende Gemälde, von einem Christen od[er] Juden sey, u[nd] darauf seinen
Beifall abmeßen; der geschiktere jüdische Architekt od[er] Mechaniker
wird ohne Anstand dem ungeschiktern christlichen vorgezogen werden,
u[nd] Schätzung u[nd] Belohnung reich[lich] finden. Und hier versagt ihnen
keine geschloßne Zunft die Aufnahme, oder erschwert ihnen ihren
Fleis, denn diese Künste sind frei. (Denn daß der Fall, den
Dohm[1] in seiner trefflichen Schrift über die bürgerliche Verbeßerung
der Juden anführt, wo man einen jungen Juden den Zutritt zur
Mahlerakademie versagte, noch oft vorkommen sollte, wollen wir
zur Ehre unseres Jahrhunderts nicht hoffen.) Wenn sie sich ferner
zur Poesie wendeten, wozu sie an den Ueberbleibseln ihrer Dichter
so schöne Aufforderungen finden; wenn sie diese alten Denkmäler
mit geläutertem Geschmack studierten, wenn sie die Hilfsmittel der
Kritik u[nd] Erklärung nuzten, die indes unsere Gelehrten so mühsam
zusammengetragen haben; wenn sie das Studium der Alten schäzten,
zu diesen Quellen aller wahrer Gelahrsamkeit u[nd] alles ächten Ge-
schmacks hineilten, u[nd] eben so ihre Schüler würden, wie es die andern
Nationen geworden sind; - wie viel richtiger würden sie da über
so manches denken, wie sehr in der Achtung bei andern u[nd] wie sehr|<8>
in ihrer bürgerlichen Glückseeligkeit selbst steigen! Aufgeschlagen liegt
ja vor ihnen da das Buch der Natur; unbekümmert, welchen System er zu-
gehöre, unterrichtet es jeden, der in ihm blättern will; es erhebt das
Herz des Forschers zur Anbetung des Schöpfers der Welten u[nd] des Gewürms,
zum Vater der Heiden, der Juden u[nd] der Christen. Aufgeschlagen liegt
vor ihnen da das Buch der Geschichte von den Thaten oder Meinungen der
Menschen, das Buch der Weisheit, in welchem die Denker aller Jahr-
hunderte mehrere od[er] wenigere Blätter gefüllet haben. Hier ist, wo
der Verstand des Lesers aufgehellt wird, wo er Unterricht empfängt
über Natur u[nd] Zweck alles dessen, was ist, über sein eigenes Wesen,
und über die wichtigsten Frage, die gefragt werden kann, über Glük-
seeligkeit. Hier allein ist wahre Ehre zu erndten, hier allein das er-
dienst seines bleibenden Lohnes gewiß. Durch Wißenschaften ist auch der
Unterdrückte frei u[nd] der Sklave Herr. So besiegten einst die Römer das ge-
bildete Griechenland; aber die Besiegten wurden die Lehrer, die Gesez
geber, die Herrscher der Sieger; so regiert das kleine Europa über die
übrigen Welttheile, so unermeßlich sie auch sind.

Durch Bildung und Wißenschaften würden also die Juden unsere Schätzung
erzwingen, und die Verachtung auf unser Seite müßte aufhören; aber
noch mehr würden sie selbst als Menschen und als Einwohner im Staat,
dadurch glüklicher werden. Aberglaube gleicht einer dicken Finsternis; Wißen-
schaften aber sind so viel Lichter, deren jedes die Finsternis vermin-
dert, bis sie endlich ganz aufgehellt wird. Die ganze Verachtung u[nd] bür-
gerliche Unbrauchbarkeit der Juden rührt nun von der blinden Anhäng-
lichkeit an eine abergläubische Religion her. So lange wir so unklug
verfahren, wie zeither, thun wir weiter nichts, als diese Anhänglich-
keit erhalten u[nd] vermehren. Wie eine gepreßte Maße nur desto
zusammenhängender in ihren Theilen wid, so eine kirchliche Gesellschaft, die
man wegen ihrer Meinungen verachtet oder drükt. Wir müßen ihnen|<9>
die Schulen unsrer Jugend in allen den Wißenschaften öfnen, die nicht unmit-
telbaren Bezug auf Religion haben, und sie müßen wollen, daß ihre
Jugend in den zum anständigen u[nd] sittlichen Leben nöthigen Kenntnißen
der unsrigen nicht nachstehen solle. Wenn denn erst wahre Philosophie das
allgemeine Studium aller gebildeteren Juden seyn wird, dann werden
sie die Lage der Dinge mit ganz andern Augen ansehn; dann werden sie viel-
leicht erkennen, daß ihre Religion, so weise eingerichtet sie für ihre erste
Bestimmung war, doch nur für eine gewiße Zeit u[nd] Art paßt, und daß
keine Religion in der Welt Jahrtausende hindurch ohne mancherlei Ver-
änderungen dauern kan u[nd] darf. Wir werden uns ihnen und sie sich
uns nähern, und dann wandeln wir brüderlich den Weg des Lebens mit
einander, unbekümmert um die Privatmeinung, die jeder über diesen oder
jenen das Wohl der Menschheit nicht betreffenden Saz hegt.

Und diese schöne Hoffnung wolltet ihr unerfüllt laßen? Unter allen
Völkern allein auf einer so niedrigen Stufe der Bildung stehen bleiben und nicht
zu höhren fortschreiten. Wann noch keiner von euch ein Priester der Weis-
heit geworden, um die Ehre seiner Nation zu retten, u[nd] sich selbst
und sie weiser u[nd] glüklicher zu machen? –

Ja, ich kann dich, ehrwürdiger Schatten, der du auf mich zu schwebst
wie einen Patriarchen der Vorwelt ehre ich, Mendelsohn,*[2] dich. Ja
du bist der erste gewesen, der die Schmach wegnahm von seinem Volk,
der ein Schüler der Alten wurde, der sich zu den Weisen seiner Zeit gesellte,
und ein Lehrer seiner Mitmenschen wurde. Und die Weisen deiner
Zeit nahmen dich als Bruder auf, und die Menschen, die du lehrtest,
verkannten dich nicht, und hörten dir gern zu. Sie vergaßen der
alten Vorurtheile u[nd] sahen nur den Mann in dir, der sie zur Weis-
heit u[nd] Tugend führte. Jezt reden sie miteinander von deinem Tod,
wie man sonst in Jerusalem von dem Tod eines Hohepriesters sprach.
Denn du, Prediger der Unsterblichkeit, bist nun hingegangen, um ihrer zu|<10>
zu genießen, und den Lohn dafür zu empfangen, daß du mit Würde u[nd]
Nachdruk von ihr die Menschen belehrtest, u[nd] sie ihnen zum Beweggrund zur
Tugend machtest; bist hingegangen zu Gott, den du so liebtest, dem hier
unten dein Nachdenken und dein Leben [Einfügung: Handeln] gewidmet war, mit deßen Be-
trachtung du noch die lezten heitern Stunden deines Erdenlebens aus-
fülltest. Nicht blos dein Volk ehrt dein Andenken, es ehrt es die ganze
denkende Welt deiner Zeit und der folgenden Jahrhunderte. Auch
wir versammelten Jünglinge Brüder sehen dir nach, wie man einem abgeschied-
nen Lehrer nach sieht; wir alle sind deine Schüler, und danken dir
für deine Belehrungen, die uns zur Weisheit, zur Tugend, und zur
Religion führten. Unser Vaterland ist dir viel schuldig. Du hast –
doch was soll ich Verdienste aufzählen, die uns allen so bekant sind, und
die unsere Litteratoren vollständiger nennen u[nd] rühmen werden.
Aber noch mehr, als du für uns gethan hast, so viel es auch ist, hast Du
für Dein Volk gethan. Du hast gezeigt Keine Ueberredungen u[nd] Gründe
würden so wirksam das Vorurtheil unsrer Glaubensgenoßen gegen die
Juden bestritten haben, als ein Mann, dem keiner Hochachtung u[nd] Liebe
versagen konnte, und der an Verdiensten des Verstandes u[nd] Herzens
viele Christen so weit übertraf, und auf der andern Seite würden
alle unsere Bemühungen, die Juden mehr zu den Wißenschaften und
zur Untersuchung zu gewöhnen, nicht so viel gefruchtet haben, als
das Beispiel eines Mannes aus ihrem Volk, dem sie künftig als Mu-
ster nacheifern werden. Er hat gezeigt, daß noch immer der Keim
ihn ihnen liege, der einst so schöne Blüthen u[nd] Früchte trug.
Auf denn, du Volk, das einst ein Moses aus der Knechtschaft Aegyp-
tens führte, u[nd] ein zweiter Moses von dem noch drükendern
Joch der Unwißenheit u[nd] der Verachtung befreite, auf, erwache
und ermanne Dich wieder. Kehre zur Weisheit und zu den Wißen-
schaften zurük. Soll Davids Harfe ewig stumm da hängen, u[nd] die En
kel nicht zu neuen Gesängen wecken? Soll Salomons Weisheit nicht
auf euch fort erben u[nd] euch zu geflügelten Sprüchen entflammen?|<11>
Soll Mendelessohn der erste und der lezte seyn, der aufgestanden ist, um zu zei-
gen, daß ihr auch jetzt noch mehr seyn könnt, als blos Wucherer? Sollte er so-
einzeln dastehen, wie ein Baum in einer Sandwüste Arabiens? – Er-
wacht denn, ihr, denen um weise und geehrt zu seyn nichts als der Wille
fehlt. Auch in finstern Zeiten würde wahre Weisheit euch Achtung von
uns erzwungen haben, wenn man euch gleich noch ausgeschloßen und
mit gelehrten Fehden überzogen hätte; aber auch von uns ist diese
Nacht gewichen, u[nd] schon dämmert es vom Horizont herauf. Allenthalben
wird man euch freundliche Hände bieten, und durch gemeinschaftliche
Bemühung die Geheimniße der Wißenschaften zu enthüllen suchen;
wir werden uns als Brüder lieben und als Mitbürger unterstützen.
– O daß ich die Stimme eurer alten Propheten hätte, ihr Flüchtlinge
aus Palästina, und weißagend euch schildern könnte, die Tage des
Glüks, die auf euch harren, wenn ihr nur anfangt weise zu werden,
wenn ihr nun nicht mehr mit blos wucherndem Sinn umherlauft, nicht
mehr blos unverstandene Gebete plappert und an zweklosen u[nd] drücken-
den Gebräuchen hängt; wenn ihr nun Weisheit sucht, und sie findet,
und dann unter die beßern Menschen eurer Zeit gerechnet werdet. Dann
werden die goldenen Tage kommen, von denen eure Propheten so reizende
Gemälde dichteten, und die ihr so lange vergebens erwartetet; dann
werden andere Nationen euch ehren, und euch die Schmach abbitten,
die sie euch anthaten, als sie noch Irrende u[nd] ihr noch Unwißende
waret. Laßt das Licht nicht erlöschen, das ein Mann aus eurer
Nation euch angezündet hat. Ihr habt euren Neffen Moses zu sehr
geehrt, die Vorschriften, die der weise Mann nicht für unser Jahr-
hundert und unsre Gegend gab, zu lange u[nd] zu Sklavisch beobachtet,
und seyd dadurch irre gegangen, und habt euch gebogen unter ein
Joch, das weisere Völker längst abgeworfen haben. Vermeidet
es nun in den entgegengesezten Fehler zu fallen, u[nd] ehrt euren zwei-
ten Moses nicht zu wenig. Folgt seinen Fustapfen [sic], und wir wollen
mit Freuden auch künftig hin zu euch in die Schule kommen, und|<12>
euren Unterricht hören, wie wir den seinigen hörten.

Beneidenswürdiger Weiser! Künftige Zeiten werden dir den Ruhm geben,
daß du deine verachtete Nation wieder emporhobst, die trennende Scheidewand
niederwarfst, die Vorurtheil u[nd] Unwißenheit zwischen ihnen u[nd] uns auf-
gerichtet hatte, und dadurch Urheber von der wiederhergestellten Glück-
seeligkeit vieler Tausende wurdest. Dich werden die Jünglinge deines
Volks seegnen, und dir nacheifern; und zu deinen stummen Büchern als
beredten Lehrern hineilen; dir werden sie es danken, wenn sie nun
die Decke vom Aug legen und die Wahrheit sehen können, wenn sie
sich zu den übrigen Häufchen weiser Menschen gesellen dörfen, ihr
Nahme nicht mehr Schimpfwort ist, und alle Wege, wirksam und nüzlich
zu seyn ihnen geöffnet sind. Du wirst dann zu den wenigen
Glücklichen gehören, die mit starkem Arm auf ihr Zeitalter würkten
und durch dieses auf eine ganze Nachwelt; man wird Moses Men-
delssohn nennen, wenn man die Wohltäter des Menschengeschlechtes
nennt. Ja, Segen deinem Andenken, du weiser Israelite, du
Mann voll Tugend im Wißen u[nd] Thun, Ruhe deiner Asche im Grabe
u[nd] deinem unsterblichen Theil Freude u[nd] Friede bei deinem und
unsern Gott, u[nd] in den Welten des höhren Lichts. Dein Geist, so
voll Weisheit u[nd] Kenntnis, und doch ohne Stolz u[nd] Zank, ruhe
auf deinem Volk, wie Elias Geist ruhte auf Elisa, und erweke
unter ihnen der Männer mehr, wie du warst; – u[nd] auch auf uns
ruh’ er, meine Brüder.

./.

Gronov.

Notes

  1. [Fußnote unterhalb des Textes:] die Verdienste einiger anderer jüd[ischer] Gelehrten werden hierdurch nicht ausgeschloßen; aber es gehörte hier [nicht] zum Zwek, ihrer zu gedenken.