D-Q6623

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Commentary

Naiv verfasster Aufsatz. Grundlegend: der Mensch ist kein Tier und der Christ ist dazu aufgefordert, Gott zu erkennen und sich ihm anzunähern.

Aus beiden folgt ein bunter Katalog von Aufgaben den Körper und den Geist zu schulen.

Dass der Mensch zu allem sich bilden muss um urteilen zu können, und standhaft bei dem zu bleiben, was er einmal als richtig erkannt hat, rundet den Aufsatz ab. Denn der Mensch, so die Schluss-Sentenz, ist eben in alledem dem Tier überlegen.

Transcript

Wozu ist der Mensch erschaffen



Ich will versuchen ob ich den Sinn dieser Frage
einigermaßen treffen kann.

Als bloßes Thier ist der Mensch zum Eßen,
Trinken, Schlafen, vergnügt zu seyn und sein
Geschlecht fortzupflanzen geschaffen. Aber
als ein vernünftiger Geist betrachtet, hat
seine Erschaffung noch ganz andere Endzwecke.
Er ist bestimmt die Werke Gottes kennen zu
lernen, den Endzweck derselben und den
vielfachen Nutzen und Gebrauch davon zu erfahren.
Dieses kan er durch Hülfe seiner Sinne und seines
Verstandes, wodurch er von den unvernünftigen
Thieren unterschieden ist. Die Thiere empfinden
denken aber nicht; zum wenigsten nicht so
wie die Menschen. Sie thun alles aus innerlichen
und angebohrnen Naturtriebe. Der Mensch ist
ferner geschaffen immer vollkommener zu
werden und Gott immer näher zu kommen.
Er muß sich daher bemühen seine Eigenschaften
sowohl des Körpers als der Seele zu einer
gewißen Vollkommenheit zu bringen.|<2>
Er muß seine Sinne zu verfeinern suchen.
Er muß seinen Körper gut halten; durch ordent-
liche Lebensart seine Gesundheit erhalten,
und immer fester machen. Er muß sich auch
in Acht nehmen, daß kein Schade an einem Gliede
des Leibes geschehe, sondern sie zu stärken
suchen. Er muß sich auch bemühen ihnen
eine gewiße Geschicklichkeit zu verschaffen,
soviel es ihnen zu verschaffen möglich ist.
Aber die Vollkommenheit des Körpers ist
es nicht allein, was der Mensch nöthig hat,
sondern die Vollkommenheit der Seele und ihrer
Eigenschaften ist eben so nöthig. Man muß
suchen richtig empfinden und denken zu
lernen. Alles was man empfindet muß
man sich bemühen richtig zu beurtheilen,
daß man das Schöne und das Häßliche einer
Sache und das Gute und Böse einer Handlung
einsehen, und ein richtiges Urtheil darüber
fällen kann. Nach der Uberlegung oder
Beurtheilung muß man darinnen vollkommen
werden, das Gute zu wollen und das Böse
zu verabscheüen, und nichts zu thun was
nicht überlegt und beurtheilt ist, daß|<3>
es gut sey. Hieraus folget, daß man alles
was man Gutes gewollt hat mit Standhaf-
tigkeit thun und sich durch keine Hinder-
niße die einem im Weg gelegt werden
abschrecken laße: sondern sie muthig
aus dem Weg räumen und das ausführen,
was man sich einmal vorgenommen hat,
wenn man einmal überzeugt ist daß es gut
sey. Um aber recht überlegen zu können
muß man suchen seiner Seele mannig-
faltige und gemeinnützige Kentniße zu
verschaffen, und sie so vollkommen als
möglich zu machen; dies ist das Vornehmste,
das bey der Bildung der Eigenschaften
der Seele die ich genannt habe vorausgehen
muß. Denn wer keine Kenntniße hat
kan nicht richtig denken, nicht überlegen,
nicht richtig wollen, und nicht mit Klugheit
und Standhaftigkeit handeln; und ein
solcher Mensch unterscheidet sich wenig
vom unvernünftigen Thiere.


Guido della Torre.

Notes