D-Q6660

From FactGrid
(Redirected from Q6660)
Jump to navigation Jump to search

Comentary

Lob der Gegenwart als Epoche nie dagewesener Aufklärung, in der die Menschen weit glücklicher sind als je zuvor.

Keine Erwägungen struktureller Art – wie lässt sich Aufklärung erreichen – Emphasen zum Ende des Aberglaubens und zur Überwindung der Scholastik als der Ära, in der Knaben und die Jugend noch Dinge lernen mussten, die im Leben nichts nützten. Unter anderem eine Emphase gegen Geheimgesellschaften wie die Jesuiten.

Das Thema Vorsehung kommt nur im Titel vor. Begutachtet durch Johann Kaspar Tromsdorf (Taulerus) SK13-072

Transcript


(Über die Aufklärung und Vorsehung.)

von

Zinzendorf. 1156[1]|<2>

In keinem Zeitraum ist man auf
Aufklärung, auf eine allgemeine
Ausbreitung nüzlicher Kentniße,
und Wißenschaften unter allen Stän-
den, und Claßen der Menschen
mehr bedacht gewesen, als in un-
sern Tagen.

Nie hat auch der menschliche Verstand
in den Künsten, und Wißenschaften
eine solche Höhe erstiegen, als zu
unserer Zeit. Man durchsuche die
Jahrbücher der Geschichte, und man
wird die Wahrheit meiner Be-
hauptung bestätiget finden. In
keinem Zeitraume trift man
einen so hohen Grad der Kultur|<3>
und des Lichts an, als in dem gegenwärtigen.
Unser Zeitalter ist fruchtbar an
sinnreichen Erfindungen, an nüzlichen
Kenntnißen, an gemeinnüzzigen Künsten
und Wißenschaften. In keinem
Fache der Gelehrsamkeit fehlt es
an zwekmäßigen Methoden, an guten
Anstalten, an brauchbaren Schriften.
Jetzt sorgt man weit beßer für
den Unterricht des Landmanns, des
Bürgers, des Künstlers, und des ge-
lehrten. Alles hat eine beßere Form
erhalten. Man tadle auch diese, oder
jene Einrichtung, nichts unter dem
Monde ist ganz vollkommen. Indeßen
handelt derjenige gewiß sehr un-
dankbar gegen sein Zeitalter, der
mit dem Vergrößerungsglase in der|<4>
Hand allenthalben zu viel Mängel und
Fehler, und nirgends Tugenden, und
Vorzüge zu entdecken wähnt. – Man
tadele auch immer diese oder jene neue
Erfindung. Der Kenner, der leicht
kleine Flekke übersieht, wird ihr
seinen Beifall nicht versagen. Sie
wird dennoch ihren Werth behaupten,
und dem menschlichen Verstande Ehre
machen. Erst unsere Nachkommen wer-
den unsere schnellen Fortschritte in
den Künsten, und Wißenschaften in
einer so kurzen Periode anstaunen,
und bewundern. –

Zu keiner Zeit hat also das Licht
der Aufklärung, und der Wahrheit
heller geschienen, und sich über alle
Claßen, und Stände der Menschen
verbreitet, als zu unserer Zeit, wo die|<5>
Kentniße, und Einsichten der Menschen
an Umfang, und Deutlichkeit von Tag
zu Tag zunehmen, wo die menschliche
Seele nach gröserer Wirksamkeit,
nach höherer Vollkommenheit strebt,
und wie mannigfaltig sind nicht
die Vortheile, die daraus er-
wachsen? Durch sie erhält der
Geist des Menschen einen höhern
Schwung, mehr Thätigkeit, mehr
Aeuserung seiner Kräfte. Die
Anlagen, womit ihn die Natur aus-
gerüstet hat, werden leichter ausgebildet,
die Fähigkeiten beßer entwickkelt, und
geübt, und dadurch zu gemeinnüzzigen
Zwekken geleitet.

Jetzt peiniget man das Gedächtniß
des Knaben nicht mehr mit unnüzzen|<6>
Dingen, die er lernt, um sie
wieder zu vergeßen. Man quält
den Jüngling nicht mehr mit scholasti-
schen Spitzfindigkeiten, die Herz,
und Verstand verirren, und
beide öfters viele Jahre fürs ge-
meine Leben unbrauchbar machen.
Indüstrie wird immer mehr be-
fördert, und ein größerer Grad
von Betriebsamkeit in allen Stän-
den rege gemacht. – Ein jeder
wird zu seinem künftigen Posten
weit natürlicher gebildet, als sonst,
wo er nur durch Kreuzgänge
dahin geführt wurde. Und wozu
dient das beständige Herumführen
im Zirkel, es ermüdet nur und
lenkt weit vom Ziele ab.|<7>
Der Verstand wird dabei stumpf, das
Herz bleibt kalt, der Eifer ermattet,
und die Kräfte zehren sich nach und nach
ab.

Ehedem war die Gelehrsamkeit nur
ein Monopolium einzelner Gesell-
schaften, die nach Belieben damit wu-
cherten: Astrologie, Chiromantie,
Sympathie, Magie, und Geisterbeschwö-
rung, und dergleichen Unsinn hiesen
Wißenschaften, die öfters von einer
Sozietät an die andre versichert
wurden, um den Schleichhandel zu ver-
hüten, weil man sich den fetten
Ertrag des Alleinhandels nicht gern
entreisen laßen wollte, da er ein mal
so behaglich schmeckte. Izt findet
man in allen Ständen gelehrte|<8>
aufgeklärte, geschickte Männer, die
sich durch Lektüre gebildet, und ihren
Verstand mit Kenntnißen bereichert
haben. Der Gelehrte theilt jetzt
willig die Schäzze seiner Weisheit
andern mit, die er sonst als ein sel-
tenes Geheimniß vor sich behielt, und
ist weit weniger eigennüzzig dabei. –
Und so pflanzen sich unvermerkt Kennt-
niße, und Wißenschaften fort von einem
Zeitalter auf das andere. – die Auf-
geklärtheit wird allgemeiner. –
Inzwischen fehlet es nicht an Gegnern, die
als geschworne Feinde, dieselbe zu hindern
suchen. Wir kennen zum Theil die
Maschinerien gewißer geheimer
Gesellschaften, in derer Mitte Lojolas[2]
eifrige Anhänger präsidiren. Ihre
Entwürfe sind groß, ihre Bemühungen un-
verdroßen. Es ist nötig, daß wir dagegen
auf unserer Hut sind. – |<9>
Die Aufklärung diese so wohlthä-
tige Tochter des Himmels hat noch
mehr Verdienste. Sie zerreißt
die Feßeln des Aberglaubes, zer-
stört das Reich der Vorurteile, schwächt
die Gewalt der Irtümer, und sezt
die verscheuchte Wahrheit in ihre
alte Rechte ein. Wo seufzeten wohl
die armen Sterblichen trostloser
unter dem Joche dieser unseeligen
Tyrannen, in unsern, oder in
den vorigen Zeiten? Wo hörte
man mehr von Jammer, und
Menschenunglück, in unsern Tagen,
wo man im Lichte der Aufklärung
wandelt, oder ehedem, wo man
im Finstern tappte. Wo war
mehr Menschlichkeit ehedem, wo man
zur Verdrängung der Wahrheit,|<10>
Scheiterhaufen, und Blutgerüste er-
richtete, oder jezzo, wo man ihr
Tempel, und Altäre baut? Wo war
mehr Duldung in jenen grausen-
vollen Zeiten, wo man ihre Boten,
als Verräter des Staats brandmar-
kete, oder jezt, wo man ihnen Sicher-
heit, und Schuz angedeihen läßt. –

Der Aberglaube, der fest auf dem Trone
saß, und sein stolzes Haupt über die
Erde erhob, und die armen Sterb-
lichen in der äusersten Sklaverei
gefeßelt hielt, wie entehrt er
nicht den Menschen, wie sehr streitet
er nicht mit seiner Glückseelig-
keit. Der Mensch, der von den Feßeln
des Aberglaubes erst frei ist, wird sei-
nes Daseins recht froh, fängt erst an,
freier zu athmen, fühlt seine
Kräfte, fühlt seinen Mut zu edlen|<11>
Thaten in sich belebt. Wird der Aberglaube
nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet,
so daß er ferner keine neue Schöß-
linge treiben kann, so wird die
Welt nie das werden, was sie ihrem
Zwekke gemäß sein soll, der Wohn-
siz des Menschenglüks. –

Ja die Aufklärung bewirckt außer
diesen Vorteilen auch noch Gesellligkeit,
Vertragsamkeit, Dultung und Menschlichkeit.
Es ist ein ausgemachter Grundsaz, wo
Dummheit herrscht, da ist Jntoleranz.
Je klüger, je aufgeklärter eine
Nation ist, desto sanfter, und geschliffe-
ner sind die Sitten, desto unterhaltender
die Gespräche, desto gefälliger der
Umgang. So viel haben wir der Auf-
klärung zu verdancken. Wie sehr ist
zu wünschen, daß sich ihre Lichtstrahlen
immer weiter ausbreiten, und alle noch
duncklen Gegenden des Aberglaubens
aufhellen.

[Ornament]

Notes

  1. 1786
  2. Ignatius von Loyola (1491-1556), Gründer des nach 1759 in verschiedenen europäischen Staaten verbotenen und 1773 vom Papst aufgehobenen Jesuitenordens.