D-Q6675

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  • Metadata: Item:Q6675
  • Dokument Leithandschrift: Schwedenkiste Band 13, Dokument SK13-104
  • Standort: GStA PK, Freimaurer, 5.2. G 39 JL. Ernst zum Kompaß, Gotha, Nr. 111. Schwedenkiste. Abhandlungen und Geschichte, v.a. Illuminatenorden, 1757-1784
  • Titel: "Welches ist am wahrscheinlichsten, daß es mehr gute oder mehr böse Menschen in der Welt gebe?"
  • Autor: ohne Autorzuschrift (Schriftvergleich [Tillotson] bislang nicht erfolgreich).
  • Datierung: ohne Datierung
  • Erschließung: Olaf Simons / Markus Meumann
  • JPG: SK13 (1144-1149)

Commentary

Aufsatz zum Thema, dem sich auch SK13-068, und SK13-086 stellen. Der vorliegende noch nicht zugeordnete Aufsatz ist eher naiv in seiner Herangehensweise und sprachlich unbeholfen.

Der Verfasser bittet um Nachsicht, da er sich mit geringer Übung hier einem gestellten Thema widmet. Folgte man den vielen Klagen, müsste man dafür plädieren, dass es mehr böse als gute Menschen gibt, so der Eingang, der am Ende mit einem Zitat aus Sophie von La Roches Frauenzeitschrift Pomona jedoch gewendet wird: Es liegt einer bestimmten empfindlichen Gruppe von Menschen nahe, beliebige Gesellschaft als ihren eigenen Vorstellungen von verhalten nicht entsprechende, moralisch herabzuwürdigen – eine Passage in der einmal mehr die „Nerven“ zum problematischen Dispositiv werden:

    Allein ihr Nerven-Bau ist zu zart, zu reizbar, alles was nicht mit ihren Ideen, ,mit ihrer Art zu denken und zu Handeln übereinstimmt, nicht in ihren Plan paßt, fält ihnen daher sehr auf, macht ihnen, weil ihre Nerven anders gestimt sind, unangenehme Empfindungen, und glauben denn sich gleich berechtiget über Gefühllosigkeit klagen zu können

Die eigene Antwort fällt unter einer dezidiert pragmatischen Prämisse. Gute Menschen leben ihren Zwecken gemäß. Das wiederum geht auf dem Land leichter als in der großen Stadt. Da aber die drei Viertel Bevölkerung auf dem Land lebt, sind hier bereits die meisten auf der guten Seite. Von ihnen mag ein Viertel böse sein, das könne die Berechnung nicht mehr umstoßen, zumal unter den Städtern wiederum manche ihre Bestimmung finden.

Gut und Böse ist, ohne dass das selbst wiederum analysiert wird keine Frage der menschlichen Veranlagung sondern eine der Lebensorganisation, bei der die Zivilisation für das Böse sorgt. Rousseau wird hier nicht zitiert, dafür ein Unterricht für Offiziere, der bereits bemerkte dass mehr Menschen ein gutes Herz hätten – so die aufschlussreiche Konstitution neuer Autorität im publizistischen Universum.

Transcript

C l/

Welches ist am wahrscheinlichsten, daß es
mehr gute oder mehr böse Menschen
in der Welt gebe?



Dieß ist die Frage welche unser ehrwürdiger Obere
mir zur Beantwortung übergeben. Allein ehe ich mich
zur deren Beantwortung wage muß ich, da ich in
der gleichen Arbeiten zu wenig geübt bin, Sie ver-
ehrungs würdiger Obere, und Sie meine geliebtesten
Brüder um gütige Nachsicht meiner Fehler er-
suchen.

Man müßte behaupten, daß die Welt mit
nichts als falschen, listigen, gefühllosen, nie-
drig und unedel handelnden Menschen-Geschöpfen
besezt sey, wenn man die oftern Ausrufe empfin-
delnder Menschen, die wir theils in Romanen, theils
aber auch, (doch zum Glück nur selten) in der mensch-|<2>
lichen Gesellschaft aufgestellt finden, zum Beweiß
nähmen, aber man würde hierdurch verleitet ge-
wiß zu übereilt und falsch urtheilen.
Madame la Roche[1] sagt in ihrer Pomona:
„Leute von zu zarter Empfindlichkeit sind leicht
unzufrieden, und haben immer über andere Men-
schen und Dinge zu klagen.“[2]

Dieß entstehet meines Erachtens daher.
Dergleichen Personen sind mehrentheils bey sich
überzeugt, daß sie gut denken, und edel handeln,
und wünschen dieß auch von andern. Allein ihr
Nerven-Bau ist zu zart, zu reizbar, alles was
nicht mit ihren Ideen, ,mit ihrer Art zu denken
und zu Handeln übereinstimmt, nicht in ihren Plan
paßt, fält ihnen daher sehr auf, macht ihnen,
weil ihre Nerven anders gestimt sind, unange-|<3>
nehme Empfindungen, und glauben denn sich gleich
berechtiget über Gefühllosigkeit klagen zu können.

Dieser Fehler entstehet größten theils daherraus, sie
über sehen zu wenig das Ganze, und ihren Plan ha-
ben sie nach ihrer Art zu denken und zu handeln
ausgearbeitet und man sieht es ihnen sogleich an,
daß sie ihre eigene individuelle Lage zum Grund
deßelben genommen haben. Sehr leicht, und es kan
gar nicht anders seyn, muß es treffen [?], daß Hand-
lungen geschehen, die ihren, sich zu sehr und öfters
gar nicht natürlich aus geschmückten Plan zer-
rütten. Und selten werden dergleichen Personen
aus einer Gesellschaft gehen, daß sie nicht glau-
ben sollten Anlaß zu haben über so wenig empfind-
same Menschen Klagen führen zu müßen, bey ihnen ist em-
pfindsam und gut von einerley Bedeutung.|<4>

Den stärksten Einwurf wieder den wahrscheinlichen Saz daß es mehr
gute als böße Menschen gebe, welche ich doch zur
Ehre der Menschlichkeit gerne behaupten mögte
hätte ich hierdurch bey Seite. Ich will mich daher
zu meiner Behauptung selbst wenden, nachdem
ich den Begrief (!), welchen ich mit dem Worte Gut
verbinde fest gesezt habe, und der ist dieser:
Nur der ist eigentlich gut zu nennen, welcher
seine Bestimmung ganz erfült.

Da aber gut in moralischem Verstande immer etwas
relatifes bleibt solange Menschen mit Fehlern
auf der Welt leben, so nenne ich also in Betracht
deßen auch den gut der weniger Fehler und Laster
begeht als andre

Ich darf daher, will ich meinen Saz behaup-
ten am wenigsten von den Bewohnern großer|<5>
Städte reden, den je größer, je bevölckerte, je rei-
cher die Stadt ist, desto mehr Fehler und Laster trift
man an, desto weniger Menschen sind hier die ihre
Bestimmung erfüllen, desto wenige sind gut.
Je näher aber der Natur mit desto wenigern
Fehlern und Lastern ist man bekannt, desto
eher ist man im Stande seine Bestimmung zu
erfüllen; und sollte ich dieses nicht von den mehre-
sten Landleuten behaupten können?

Ist dieses und ist die Angabe richtig, daß von
allen Menschen eines Landes nur der vierte
Theil in den Städten, die übrigen dreyviertel
aber auf dem Lande leben, so ist auch meine
Behauptung gegründet, gesezt auch daß von
den 3 viertel der Land-Leute ¼ abgeht die
Claße des Gegensazes von gut gesezt werden|<6>

So kann doch nicht behauptet werden daß keine
Menschen in einer großen Stadt sich befänden
die ihre Bestimmung erfüllten, und dadurch
erhielten die Zahl der Guten die Mehrheit
und das Übergewicht.

Der Verfaßer des Unterrichts für einen Of-
fiezier[3] sagt auch: Es giebt falsche Herzen
aber zum Glük machen sie nicht die größte
Zahl aus.

Notes

  1. Marie Sophie von La Roche geb. Gutermann von Gutershofen, geb. 6. Dezember 1730 in Kaufbeuren, gest. 18. Februar 1807 in Offenbach am Main, erste finanziell unabhängige Berufsschriftstellerin in Deutschland und berühmte Salonbetreiberin.
  2. Pomona für Teutschlands Töchter von Sophie von la Roche (Speyer: Ender, 1783-1784), S. #. Das Zitat aus der Frauenzeitschrift ist interessant, da das ausgesuchte Periodikum sich immer wieder ähnlichen Fragen zu Tugenden stellt wie den hier durchexerzierten. La Roche selbst pries ihre Zeitschrift als „Das Magazin für Frauenzimmer und das Jahrbuch für Denkwürdigkeiten für das schöne Geschlecht zeigen meinen Leserinnen, was teutsche Männer uns nützlich und gefällig erachten, Pomona wird Ihnen sagen, was ich als Frau dafür halte“.
  3. Der gemeinte Titel lässt sich nicht exakt bestimmen; am nächsten kommt dem Der Subalterne Officier oder Unterricht für Officiere, Kadeten, Unterofficiere, und übrige junge Kriegsleute, welche den Feldzügen mit Nutzen beywohnen wollen Verfaßt von einem Officier der Infanterie der k.k. Armee (Prag: Anton Elsenwanger, 1783).