D-Q6684: Difference between revisions
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* Unvollständiger Aufsatz, von dem die ersten sechzehn Seiten verschollen sind. Auf den ersten Seiten ist teils der Rand beim Scannen verloren gegangen, auf den letzten Seiten sind einige Zeilen aufgrund von durchscheinender Tinte nahezu unleserlich | * Unvollständiger Aufsatz, von dem die ersten sechzehn Seiten verschollen sind. Auf den ersten Seiten ist teils der Rand beim Scannen verloren gegangen, auf den letzten Seiten sind einige Zeilen aufgrund von durchscheinender Tinte nahezu unleserlich | ||
* Arbeitet als Hauslehrer, Instrumentenbauer, Sekretär | * Arbeitet als Hauslehrer, Instrumentenbauer, Sekretär | ||
* Am Ende Loblied auf Ernst | * Am Ende Loblied auf Ernst |
Revision as of 12:56, 2 February 2019
Friedrich Christian Rudorff (Essay), [...] der Personen, durch die wir den wichtigsten Zweck der Volkscultur zu befördern and zu erreichen suchen... 1784-08-16
- Metadata: Item:Q6684
Zusammenfassung
- Unvollständiger Aufsatz, von dem die ersten sechzehn Seiten verschollen sind. Auf den ersten Seiten ist teils der Rand beim Scannen verloren gegangen, auf den letzten Seiten sind einige Zeilen aufgrund von durchscheinender Tinte nahezu unleserlich
- Arbeitet als Hauslehrer, Instrumentenbauer, Sekretär
- Am Ende Loblied auf Ernst
Transcript
|<17><<>>der Persohnen, durch die wir den wichtigen Zweck der Volcks-
[cul]tur zu befördern und zu erreichen suchen.
Was ist der Gymnasiast von der Schulmeister-Banck für
[ein] Mensch? Wie verbringt er seine Zeit? Welche Känntniße
[wer]den ihm gelehrt? Kommen sie mit seiner künftigen Be-
stimmung überein? Lernt er die Pflichten und Rechte des Men-
[sche]n erst selbst verstehen, ehe er sie andern lehren kann. Weiß
[er], welche Geschicklichkeiten, Fertigkeiten, Neigungen, Triebe,
[Pflic]hten, dem gemeinen Haufen eigen zu machen sind, d. i.
[we]lche Art von Cultur er bedürfe?
Noch nirgends findet man eigene darzu bestellte Männer
[a]uf den Gymnasien und lateinischen Schulen, denen die Zu-
[be]reitung künftiger Volcks-Lehrer übertragen wäre, und
[vi]elleicht müßte auch die Einsicht und Geschicklichkeit dieser
Männer größer seyn, aller übrigen Profeßoren. In-
[de]ßen verträumt der iunge Mensch hier seine Zeit; hört
eine Menge von Sachen, die er nicht mag, nicht will; besucht
das Singe-Chor und die Singe-Stunden, lernt aber im
Grunde dabey nichts weniger als Singen und Musick;
spielt einige Tänze auf der Geige, besizt selten ein Clavier,
und auch da schmeckt ihm ein lustiges Stück beßer, als das|<18>
gründliche Studium der Harmonie; richtiges, habituelles
Rechnen und Schreiben; Übung in Briefen und andern Aufsätz[en,]
das Sammeln und Ordnen allerley für seine Bestimmung nüzl[icher]
Sachen und Gedancken aus denen vorhandenen Unterrichts- und
Erziehungs-Schriften, als aus so viel Magazinen, sind, wo d[ie]
Verfaßung und Anstalt fehlt, gewiß keine Geschäfte für die[se]
iungen Leute.
Wenn es daher in meiner Aufgabe heißt: „was müßte ein
„Volks-Lehrer nicht erst selbst wißen? Ferner: das ist von solchen
„Leuten nicht zu erwarten;[1] so hat der Herr Verfaßer damit
auf die Sachen gesehen, wie sie sind, und wenn ich selbst aber
den Gedancken brauchte: daß in unsern Volcks-Schulen immer [nur]
noch Gutes genug unterrichtet würde; so habe ich damit keines-
weges angerathen, die alte Straaße fortzugehen, sondern
die Volcks-Lehrer nur in so fern wieder ungerechte Vorwürfe
gleichsam in Schutz genommen, als es nun doch einmahl ihr[e]
Schuld nicht ist, wenn sie nicht die Männer sind, die sie
seyn könnten. Wenn Sachen in ihrem Zuschnitt verdorben
werden, so ist es nöthig, ihnen von hintenher zu helfen, aber
allezeit mit Rücksicht auf die Urquelle ihrer Verdorbenheit,
um des Flickwercks endlich völlig überhoben zu seyn. Der |<19>
vernünftige Gärtner sieht nach der Wurzel des Stammes,
und die Zweige werden sich von selbst wohlbefinden.
Um den ganzen Teig gleichsam noch einmahl durchzukneten
und ein gesundes Brod daraus zu backen, dürften nun freylich,
nebst der sorgfältigen Zubereitung der Volcks-Lehrer und einer
an die Schul-Jahre anschließenden fortgesezten Erziehung
am Staat, auch geschriebene Hülfs-Mittel, an leichten, faßlichen,
zweckmäßigen Büchergen für Lehrende und Lernende, er-
forderlich seyn; und sie zu verschaffen oder zu verfertigen,
ist das große Desiderat des erlauchten Ordens.
Ein solches Buch soll dem gemeinen Mann iede Pflicht aus
dem Grunde andringlich machen, und keines andern Gelehrsam-
keit in sich enthalten, als die für den gemeinen Mann.
Die Absicht des erh.[2] Ordens scheint also auf einen Cate-
chismus der Menschen-Bestimmung für das Volck, hin-
zuzielen, und hierinnen dürfte denn unter allen, mir we-
nigstens bekannten Schul- und Erziehungs-Schriften, keins
die verlangte Genüge leisten. Selbst das Rochauische
Schul-Buch für Kinder der Land-Leute,[3] ist bey weiten
dem Entzweck noch nicht nahe genug gebracht; viel zu gelehrt
und trocken im Vortrage, und, in Ansehung der Sachen, zu |<20>
weit über die Verstands-Kräfte des Volcks ausgedehnt;
dahin ich rechne: den 3.ten Abschnitt: vom Grunde; den
5. ten von der menschlichen Seele; den 9ten vom Verhältni[ß]
und noch den von der Mechanik, ohne iedoch im mindesten
diesem vortreflichen Manne zu nahe treten zu wollen, d[er]
einen geschickten Lehrer vielleicht dabey voraussezte.
Die Erziehung des Christen, von Resewitz[4]
Die Erziehung des Bürgers, von Resewitz[5]
Federsens Sittenbuch für den Bürger und Landmann, [6]
Blums Reden,[7] darunter die 2te desgleichen die 7te
Campens[8] und Salzmanns Schriften, [9]
besonders kleines Buch für Eltern und Kinder, [10]
Einiges aus deßen Elementar-Wercke, [11]
Schloßers moralischer Catechismus fürs Land-Volck, [12]
Nothanckers Predigten fürs Land-Volck, [13]
Der Kinder-Freund, [14]
Millers moral. Schilderungen, [15]
Seilers Schriften, [16]
Einiges aus Journalen, und dergleichen,
<<>> zu diesem Behuf eines zu verfertigenden Catechis-|<21>
mus der Menschen-Bestimmung für das Volck,[17] nur
die einzelnen Data zu enthalten, die ausgewählt und
umgearbeitet werden müßten, und zwar mit dem empfeh-
lenden Zeichen der niedrigsten Popularität und zugleich
der lebendigsten Manier für die Unterhaltung. Dabey
würde es auf Dreyerley hauptsächlich ankommen:
1.) Was muß man daraus weglaßen?
2.) Was muß man hinzu thun?
3.) Wie muß man es anfangen, daß diese
Lehrart wenig Zeit und Geld koste, Leh-
renden und Lernenden angenehm werde,
und auch Lehrern von mittelmäßigen
Gaben, anvertraut werden könne?
So sehr ich mein Unvermögen einsehe, in dieser Art von
Schriftstellerey nur etwas Mittelmäßiges zu leisten;
so würde ich mir dennoch schmeicheln, dergleichen Beyträge
liefern zu können, wenn es meinen, Durchlauchtigsten
Gnädigsten, und hohen Ordens-Vorgesezten, gefällig
seyn wollte, mich meines, wie ich glaube, nicht unbilligen
Wunsches mehrerer Gemüths-Ruhe, theilhaftig werden
zu laßen. Ich habe zu dem Ende vor nunmehr einem |<22>
Viertel-Jahre bey höchstgedacht Ihrer herzogl. Durchl.; meinem
Gnädigsten Herrn, [18] schriftliche unterthänigste Verstellung ge-
than, und ob ich schon aus schuldigster Ehrerbietung nicht ins
Detail meiner hiesigen Lage gehen konnte, so war doch ied[er]
Ausdruck wichtig, und nach der Wahrheit im Innersten
meines Herzens abgewogen.
Ich habe hier, was man Nothdurft nennt. Die hatte ich
auch vorher. Dies ist evidente Wahrheit; die aber auch Je[de]
weit evidentere in keine Wege aufhebt, daß mein Durchl.
Gnädigster Herr Herzog, Sich nach Proportion meiner
Arbeit biß iezt wahrhaftig groß und edelmütig bewießen
haben.
Wie ist aber die Sache auszugleichen? Durch mehrere
Saläre? Um dem hiesigen ganz unverschämten Wucher-
Geiste ein noch beßeres Opfer zu bringen? Nein! Dahin
zielt mein Wunsch nicht. Ein gerechter Mann darf
nichts wünschen, was ihm selbst nichts hilft, und mit dem
Schaden des andern verbunden ist; doch ein wenig ver-
legen darf er seyn, wenn sich zu dieser Anstalt noch
eine andere gesellt.
Man hält mich hier vor einen gewesenen Postschreiber,|<23>
und die Anekdote, wie ich hieher gekommen, wird sonder-
bar genug erzählt. Man hat mir dieß empfinden laßen,
und mich in den Post- und Wirths-Häußern weggeworfen
behandelt. Mein bißgen Mittags-Eßen ist immer nur
für einen Postschreiber eingerichtet, der auf Heiterkeit
des Geistes keine Ansprüche zu machen hat. Indeßen
bezahle ich prompt, wenn ein angesehener Schurck Credit
[findet], und darüber verklagt wird.
Wie gern möchte ich mich zu einem höhern Grad
pracktischer Philosophie erhoben sehen, um mich über diese
und ähnliche Kleinigkeiten hinweg zu setzen, und mir
selbst beßer zu gefallen. Allein, Treflichste und
hohe Ordens-Obere! Wer mag dem schwanckenden Schilf
befehlen, im Sturm unbeweglich zu stehen? Kommen
Sie mir zu Statten, denn ich habe der trüben Stunden
viele! Betrachten Sie mich, als weit größern Philosophen,
wie ich bin, nicht wie ich seyn könnte, und gönnen
Sie mir bald einige Erleichterungen meiner Gemüths-
Umstände, da ich besonders hier einen schweren Hauß-
zinnß habe, und nun auch meine Wohnung in Butt-
städt zu versteuern habe, ohne weitern Nutzen daraus
zu ziehen.|<23[!]>
Unter solchen Umständen den Weg freyer Künste betreten,
die ein freyes Gemüth erfordern, ist, dünckt mich, nicht viel
weniger, als einen vesten Platz gegen den Wind auf Anhöhen
ersteigen, und derienige würde sich die Replick*[19][20]des Metellus[21]
gefallen laßen müßen, der das ähnlich Schwere hiebey zu
verkennen im Stande seyn könnte.
Ich finde es unschicklich und unangenehm, hierüber ins
Detail zu gehen. Was ein Mensch bedarf, weiß ieder aus
eigener Erfahrung, aber auch das Nöthigste zu entbehren,
von dieser Erfahrung behüte Gott ieden! Ich habe Muth
gehalten, und was würde ich vor Gewinn haben, wär er
vielleicht nur das Werck eines drahtigten vollenden Haars
gewesen? Nein, er war auf Vernunft und Religion gegrün-
det. Durch sie bekämpfe ich alle die Tausend Hinderniße,
ieden Druck, und die daher entstehende Leiden, womit ich
nun einmahl dem Studieren Opfer bringen sollte, und ein|<24>
darf ich mich in dieses Labyrinth hinein denken, ohne zugleich
die Wahrheit alles deßen bey nahe selbst unglaublich zu
finden.
Ich ergreife den Faden wieder, den ich verlohren hatte
und sehe, daß ich mich unterdeßen dem Stadtthore genähert
habe. Himmel! Welcher Auflauf! Der Zug gieng nach dem
Marckte. Ein Duell, oder, wie es Hollberg definiert, der
innige Unsinn, da man seine Ehre mit dem Degen rettet,
um davor mit Reputation aufgehangen zu werden, war
in dem Augenblicke zwischen zwein Curländischen Edelleuten
vorgefallen. Der Gestochene lag ausgestreckt in seinem
Blute, und rang mit dem Todte, indeß der Thäter, von
Reue ergriffen, trostloß, und mit gerungenen Händen,
die Umstehenden versicherte, daß er die absicht nicht
gehabt, einen Mord zu begehen. Ersterer gab iezt den
Geist auf, und beyde wurden auf die Seite geschaft.
Die Furie der Zwietracht, als nach einem vollendeten
Meisterstück, flog mit dieser Nachricht durch die Hölle,
aber kein Verworfener war boßhaft genug, ihr darüber
seinen Beyfall zu lächeln. |<25>
Abgemähet waren die Hofnungen zweyer Familien;
zuretten ihre Freuden für diese, und die Freuden des <<>>
schen Haußes gewißermaaßen auch für die zukünftige
Welt. Einen in Todtsünde Gestorbenen, wer mag den wieder
antreffen?
Über dieser Begebenheit, schienen wir, mein Hospes
und ich, uns selbst zu vergeßen; doch hörte ich gleich das
Nothwendigste. Die beyden Aerzte, hatten sich nach mir
erkundigen laßen. Ich gieng zu ihnen, und wie sie meine
Umstände hörten, erließen sie mir beyde das Sostrum.
Zu gleicher Zeit wurde ich zu einem Advocat gerufen,
der mir Schreiberey antrug. Aesculap schien sich mit der
Asträa vereinigt zu haben, gemeinschaftlich zu meinem
Vortheil beyzutragen. Ich fand ein Originalstück
von pracktischen Jurist. Er hieß mich geradewegs du;
hatte einen rechtwincklich einwärts gewachsenen Fuß,
der er gewöhnlich auf das Knie des gesunden zu legen
pflegte. Sein unleidlicher Styl, artete oft in den Fehler
der Animosität und Spitzfindigkeit aus. Unter andern |<26>
hatte er sich angewöhnt, im Dicktiren einen fortgezogenen
Ton an die lezten Sylben anzuhängen, der in <<>>, ausgieng,
welcher geringe Umstand unsere baldige Trennung bewürckte.
Um ihm nehmlich dieses Unschickliche einstmahls mercken zu
laßen, sezte ich diese <<>> getreulich mit hin. Nach Durch-
lesung der Schrift, sahe er mich starr an, ohne ein Wort
zu sprechen; ergriff die Tabacpfeife; legte den Fuß zurecht
und erst beym Weggehen sucht er sich zu rächen, indem er
mich mit Vorwürfen belästigte, die er von meinen dürftigen
Umständen herleitete. Kurz! Ich fand außer seiner
Bibliotheck keinen erhabenen Sinn an dem Mann, nichts
Meisterhaftes für einen iungen Menschen; ich ver<<>>
ihn.
Gesundes, edles Gefühl, Gefühl für Sitten und
Menschenwürde, darf und soll auch der Arme besitzen.
Dieß ist Kleinod so wohl für den, deßen Wiege aus schlech[tem]
Bret zusammen genagelt war, als für den, bey deßen
Geburt die Grazie des Überflußes lächelte; und der
würde selbst kein Edelmüthiger seyn, dem es einfallen |<27>
könnte, zu glauben, daß physischer Mangel, allein, und
gleichsam Ausschließungsweisße, zur Niedrigkeit bestimme,
und nur der physische Dürftige, zum kriechen, und für
die untern Stufen eigentlich wie gemacht sey.*[22]
Durchaus nicht! – Der Baumeister, der das Ganze
anlegte, und darinn vieles mit Weißheit unbestimmt, und
zu unserm beliebigen Gebrauch, liegen ließ, wählte die
Stufen-Bauart, nicht ohne sichtbare Ursach, daß wir da
ohn Unterschied glimmen, und von Zoll zu Zoll weiter
erheben, und endlich den Gipfel erreichen sollten, der allen
Unterschied völlig aufhebt.
Es wird mir hierbey, gegen Freunde der ersten Größe,
nicht bedencklich, von Herzen zu gestehen, daß auch ich,
Gottlob! Trieb genug bekommen habe, auf dieser Leiter
zu steigen, den ich mehr der Natur, als der Kunst zuschreibe.
Denn er ist feuerartig; klopft nicht erst beym Verstande|<28>
oder der mechanischen Tugendgewohnheit, an, davon ieder
Mensch eine gewiße Quantität an sich wahrnehmen wird.
nein! Er brennt, von irgend einer Idee erregt, als bald in
Flammen; wird durch unschickliche Löschmittel heftiger;
ergreift das Milchigte; versengt, trocknet es aus; daher
strickte, magere Institution; Sorgenmacherey, wo keine
sind; (was darf ein redlicher, cholerischer Maurer sorgen <<>>
Wunsch, süßer, schöner, nach Moralmonarchie, und wäre
es möglich, Zeuge mit Fleisch und Bein davon zu seyn.
Dieser natürliche Trieb, von der ersten zur zweyten, dritten
vierdten Stufe, und so weiter, fortzurücken, mochte vielleicht
oft, vielleicht aber immer nur von Halbköpfen, übel verstanden
worden seyn, die nicht wußten, daß Edelmüthigkeit eines
Armen, in den Umständen selbst, darinne er sich befindet
ihre abgesteckten Grenzen hat, und wenn sich Auswüchse des
Stolzes, und der daher entstehenden Vermeßenheit, hervor
thun wollten, der Stufengang schon so angelegt ist, daß
sie sich von selbst davon abstoßen müßen.
Dürfte ich die Sache in Form eines Rotulus bringen |<29>
dann wehe! daß ich in keinem Buche lese, noch iemahls
anders, als in der möglichsten Entfernung, gelesen habe,
welches nach verdorbener Stubenluft roch.
Wahr: daß ich mich zu Unbequemlichkeiten, die den
Sinnen auffallen, ungern verstehe, auch wenn dieß mit
anscheinender Beleidigung eines Dritten verbunden seyn
sollte.
Wahr: daß ich für Ordnung, in so fern sie von unserm
Willen abhängt (und das ist doch größtentheils der Fall)
enthusiastisch eingenommen bin.
Wahr: daß kein entgegengeseztes noch so schönes
und großes Verdienst, schön und groß genug seyn kann,
mich für diesen Fehler und überhaupt für Nonchalanter
zu entschädigen. Ferner
Wahr: daß ich mit andern Vernünftigen, von Ordnung
im Kleinen, auf Ordnung im Größern, schließe, und den
Nachläßigen im Rock, in der Stubenluft, im stumpfen
Federmeßer, im länger, als es beliebt war, an sich
behaltenen, oder gar verunreinigten Buche seines |<30>
Freundes, den Nachläßigen auch in den höhern Güthern
der Zeit, des Verstandes, der Gesundheit, der Haabe,
und ieder Pflicht gegen Gott und die Menschen, ver-
muthe. Dagegen aber auch.
Wahr: daß dergleichen Unvollkommenheit das Maas
meiner Liebe gegen die Menschen, nie vermindern konnten
daß ich gelernt habe, in diesem Fall Rechnung und Rechnung
gegen einander zu halten, und das Facit so zu ziehen, daß
ich dem fehlerhaften Nechsten immer im Rest verblieb; da
ich, wovor Gott gedanckt sey, in Schulen geführt wurde, <<>>
glauben, dulten, hoffen, die Lecktionen waren, welche zu
profitieren noch niemand gereut hat; daß ich unter
Verhältniße gekommen bin, wo entweder das Vincere
oder das Mori gewählt werden mußte, und wo ich, wie
nur das Erstere mit meinem Gemische übereinstimmte
nicht der lezte war, der sich zu Fleiß und Thätigkeit<<>>
sowohl auffordern als vielmehr hinreißen ließ, so, d<<>>
ich das Innerste der Seelenkräfte oft biß zur höchsten
Spannung hinauf wiewalte, ohne innige Anweißung |<31>
Arbeiten zur Hand nahm, wobey nicht nur das: operari non dedecus,
berichtiget seyn mußte, sondern die auch, weil sie Geldanlage erforder-
ten, durch die Furcht, daß nach mißrathenem Wercke Oel und Mühe
verlohren gehen konnte, oft peinlich und doppelt mühsam wurden.
Doch, an seinem Orte hiervon ein Mehreres.
So viel standhaftes Ausdauern mein academisches Leben
erforderte, welches sonst für den Jüngling eine Periode zu seyn
pflegt, von der er als Greiß noch mit Entzücken spricht; so wenig
benahm es mir die Lust, meinen gefaßten Vorsatz mit Gott hinaus
zu führen. Ich sahe den Stürmen, die sich nicht beschwören laßen,
in Gedult und Hofnung zu. Schlugen die Wellen ins Verdeck,
dann schöpfte ich desto fleißiger; schöpfte aus dem Überstandenen,
Stärcke zur Ertragung des künftigen, versichert, daß Reinheit
unserer Absichten, Unterstützung des Guten nach sich ziehen,
und wenn auch alle Hofnungen, die wir vor unfehlbar hielten,
wie Seifenblasen zerstäuben, dergleichen Illusion doch fürs Ganze
unausbleichblichen Vortheil bringen müße. Denn anders verhalten
sich die Sachen im Zusammenhange, anders, wenn wir sie einzeln
betrachten.
Ich übte meine Studentenpflicht nie nach dem dürren |<32>
Buchstab, d. i. bloß zur gesezten Stunde vor dem Profeßor zu
sitzen, oder aus Furcht, wenn dieses nicht geschähe, sodann in
die Censur des National-Inspecktors zu fallen. Nein, ich
war mein eigener Aufseher, und bin es noch. Die Litteratur war
meine selbstgewählte Gattin, der ich nicht die Hand ohne auch das
Herz gegeben hatte. <<>> und Kaltsinn konnte daher unter
uns nicht Statt finden. Ich sorgte für ihre Pflege, so gar mit
Übernehmung eines kleinen physischen Schmerzes. Das entbehrte
Morgenbrod, gewährte in acht Tagen ein Quart Oel, und es
wurde aufgeopfert, um von dieser Erspahrniß die Lampe zu
beschicken.
Die Art, nach Heften zu studiren, die das Selbstdencken
verdirbt, war nicht die meinige. Ursacjem der Dinge einzusehen,
und sie sich geläufig zu machen; dabey auf Zweifel zu stoßen,
und solche, wo möglich, zu haben; Fülle zu bilden, und auf das
Gehörte anzuwenden; schien mir der rechte Privatfleiß zu
seyn, der das ersetzen muß, was der Vortrag auszuübender
Wißenschaften vom Catheder, nicht leistes. Denn, ohne die
Hochachtung und Danckbarkeit gegen ehemalige Docenten zu
vergeßen, sondern in der Überzeugung, daß ieder unbefangene |<33>
Profeßor selbst so dencken muß und wird, ist nur das die
beste Academie, die die wenigsten Fehler hat. Weniger
Systemsucht vielleicht, und mehr Pracktisches; durch alle
Fächer den Geist der Gemeinnützigkeit, der unserer Existens
so wesentlich ist, erweitert; dazu die Hülfsmittel ausgesucht
und angewandt; schon auf Schulen statt der Eleganz mehr
Sachkänntniß getrieben; Vernachläßigung hierinn und iede
Fühllosigkeit gegen das Bedürfniß der Zeit, als Versehen
gegen den Staat, nicht aber die schwanckende Schreibfeder
als Stütze für dieß alles, angesehen, würde Gelehrte
hervorbringen, wie sie der soldere Theil der Menschen
erfordert.
Doch ich beuge mein Urtheil unter die Einsicht größerer
Dencker, und hoffe Entschuldigung für das, was ich iezt
sagte, weil es zur Erwartung des Lesers gehört, zu wißen,
wie der Biographirte über Dieß und Jenes dachte, wenn
mir auch die Gabe, Gedancken im Lichte aufzustellen, gebrechen
sollte.
Ich läugne nicht, bin es vielmehr der Ehre meines Schöpfers
schuldig, zu gestehen, daß auch ich einiges Maaß von beobachtungs- |<34>
Verbeßerungs- Erfindungs- und Allgemein-Geiste erhielt, wie
sich in meiner Erzählung weiter ergeben wird. Daß ich die wichtigern
Sagen vorbey gehen muste, wo sich dieses Empfangen nüzlich und
thätig erzeigen könnte, war nicht die Schuld der Menschen. Früher
angestellt, würde ich aus Temperament mehr verdorben als ge<<>>tet
haben. Vielleicht sollte ich unter dieser Fahne gar nicht, oder doch
in späteren Jahren erst, einem Feldherrn dienen, dem nur die
alten Officirs die liebsten sind.
Ohnstreitig ist es mit der Bestimmung des Menschen, mit
dem wo, wie, und wenn, wie überhaupt mit seinem Können,
Wißen, Vermögen, und allen andern Dingen beschaffen. Ihnen
ist gebothen, mit langsamen Schritte sich der Entwicklung zu
nähern; in Schlafsucht zu liegen; zu gähren, und, damit durch
eine beschleunigte Auflößung die Bestandtheile nicht zerstöhrt
werden, erst alle Instanzen zu durchwandeln, ehe die klahre
Solution dastehen, ehe sich der Verstand von selbst nach allen
Seiten wenden, betrachten, verbeßern, und eine Veredlung
nach der andern unternehmen kann.
So begnügte ich mich in meinen Jünglingsiahren,
allerley Materialien, und gleichsam Farben zu einem künftigen |<35>
Gemählde zu sammeln. Ich huldigte außer der Litteratur
nebenher der Musick, Calligraphie, und der Zeichenkunst,
um wenigstens richtig davon urtheilen, sagen zu können,
diese Sonate klingt gut, hat einen bestimmten Charackter;
oder, dieses Hauß ist schön, und seine Theile stehen in richtigem
Verhältniß.
Oft glaubte ich einen Patron damit zu erhaschen. Aber das
traf selten.
Ich besuchte die Werckstätte; unterredete mich gern mit
dem Profeßionist; feilste selbst Eisen in Gestalten; schnitze
und bohrte Holz; lernte die Güte, den Gebrauch, den Preiß
der Stoffe, und die verschiedenen Werckzeuge, nach ihrer Absicht
kennen; erwarb besonders in dem, was zur Kleidung und
ihrer Verfertigung gehört, in der Tuchkänntniß, (vom Gespinnst
biß zum Weben, Walcken, Scheeren, Preßen,) die Fähigkeit,
treffend darüber urtheilen zu können, so, daß der höfliche
Kaufmann nicht nöthig hat, mir seine Waaren anzupreißen,
weil ich sie selbst critisire. Dieses kleine Wißen hat mir
oft mir häußlichem Vortheil gelohnt, wenn ich auch zuweilen
das Prädicat eines Eigensinns davor einwendete. |<36>
Mein Destinee, das Gesetz meiner Geburth, und, Gott weiß,
wie das zu nennen ist, brachte es mit sich, daß ich mich zusam-
men nehmen sollte. Mein academischer Paßirzustand hatte
mir überdieß eine zu tiefe Wunde geschlagen, daß mich ihre
unangenehmen Folgen nicht auf Zeitlebens hätten aufmerck-
sam machen sollen.
Ich war binnen dritthalb Jahren eine Summe schuldig ge-
worden, die viel und wenig zugleich ist, ie nachdem man sie
zu betrachten beliebt. Mein Soutubernal und der fürstliche
Rath, hatten die beyden stärcksten Anforderungen. Nach vieler
angewandten Mühe, hatte ich weiter nichts, als die Anwart-
schaft auf ein kleines Legat von 25. Thalern, welches mir
in meinem Geburthsorte auf drey Jahre ertheilt wurde,
auswürcken können. Ich both den Expecktanzschein hierüber,
meinem Hospes zu seiner Versicherung an, weil ich sahe,
daß sich die bißherige Munterkeit aus seinem Wesen
verlohr, deren Stelle ernste Steifigkeit eingenommen hatte.
Ich verschwieg ihm nicht, daß ich den bißherigen Weg bald
abbrechen würde, weil die zu hoffende Einnahme, bereits |<37>
mit dem Debit nicht mehr im Verhältniß stünde. Er nahm
die Versicherungsschrift, aber weil der Adcovat mit dem
krummen Fuß, dem ich die Schreiberey aufsagte, sein
Freund war, und iezt Gelegenheit fand, mir seine
Jurisprudenz fühlen zu laßen, so war es von beyden
so veranstaltet worden, daß ich die Schuld vor meinem
Weggange gerichtlich anerkennen, und überdieß iurato-
rische Caution leisten mußte, wie der Erfolg lehret.
Der Pedelt trat herein, und citirte mich zum Prorecktor,
mit der Impertinenz, heute die Stube nicht zu verlaßen.
was soll ich beym Prorecktor? Weiß ers vielleicht? Nein,
das kann ich nicht wißen, war seine Antwort, schielte mit
Pedellsblick zur Erde, und nahm eine Prise. Ich werde, fuhr
ich fort, mich morgen zu rechter Zeit einfinden, heute aber
auf alle Fälle noch ausgehen, wenn ich nicht Wache be-
komme.
Mein Hospes blieb bey dem allen ziemlich gelaßen und
hielt Miene. Ich fragte; er wollte von nichts wißen. Nun,
dachte ich, so ist es Zeit, ein Experiment zu machen. Wird |<38>
er sich in Bewegung setzen, wenn du ausgehen willst, so ist
er Stifter der Sache. Ich grif nach Hut und Stock, und alsbald
gabs Aufstand. Sind sie ein vernünftiger Mann, sagte ich
(denn auf den Freund darf ich wohl nicht mehr rechnen) so
mäßigen sie ihre Hitze, damit sie im Stande sind, meine
Vorstellungen zu überlegen. Ich glaube gern, daß sie und andere
mehrmahls Einbuße erlitten haben, und daß ein würcklicher
Verlust aufbringen kann. Ich verdencke es ihnen dahere nicht
wenn sie vielleicht auf gerichtliche Anerkennung meiner Schuld,
und wohl gar auf eidliche Versicherung angetragen haben,
weil die Seele gewöhnlich angegriffen wird, wo der Leib nicht
mehr zureicht; allein bedencken sie, ob sie das mit so äußersten
Mißtrauen anzustellen nöthig hatten, und ob mich Gewißen
Danckbarkeit, und Menschenliebe, nicht weit stärcker verbinde
sie und andere zu befriedigen, als ein Eid, den ich aus
Zwang ablege. Sie haben meine Umstände gekannt, und sind
darauf eingegangen. Ich habe ihnen durch Überreichung des
Expecktanzscheins, das Recht gegeben, mein Legat mit Arres<<>>
zu beklagen. Dieß und ein schriftliches Privatbekänntnis |<39>
würde hinlänglich gewesen seyn, ihre Anforderung zu legitimiren.
Aber sie sind einmahl wieder mich aufgebracht, und ich gehe, um
ihnen Zeit zu laßen, ihr Verfahren zu prüfen.
Der Termin behielt seinen Fortgang, und ich war genöthigt,
ein Fasciout Landcharten zu veräußern, um die Terminkosten
davon zu entrichten.
Das Zutrauen, eine Grundschule aller menschlichen Verbindung,
besonders des genauen Umgangs, hatte durch diesen Vorfall eine
starcke Erschütterung erlitten. Der Alte, (dieß war ein gewöhnlicher
Ausdruck meines Haußwirths,) wollte vor dießmahl am wenigsten
hinunter. Zwang, frostiges Wesen, und wie das Heer heißt, das
wir zu besiegen haben, machte uns beyden zu schaffen, und meine
aufrichtige Bemühung, das Ende mit völliger Amnestie zu
krönen, wollte nicht eher glücken, als biß der würckliche Abschied
herannahte, den ich für unser Verhältniß studiert hatte. Das
erste Gesteinig grenzte auch dießmahl an die weiche Erde, und
eine Umarmung, zärtlich und herzlich, machte den Beschluß.
Wir haben einander nie wieder gesehen. Sein früherer Tod hat
es für diese Welt unmöglich gemacht. Daher ists gut, wenn
die Persöhnlichkeiten nie die Persohnen selbst überleben. |<40>
Wir alle haben unsre Mängel,
Der beste Mensch ist doch kein Engel.
Wer bald vergißt und gern verzeiht,
Der ist ein Freund der Menschlichkeit.
Meine Aussichten waren nun mehr, als iemahls, nicht die besten,
oder vielmehr, ich hatte gar keine. Um mir das Andencken
dieses traurigen Zustandes durch einen scharzhaften Ausdruck
zu versüßen, so war der Himmelstrich, auf welchem ich
die Academie verlaßen wollte, bey nahe alles, was ich be-
schließen könnte. Ich ließ meine Effeckten zurück, biß ich
schreiben würde, und sezte mir vor, einige Verwandte zu
besuchen, um mich theils durch diese Excursion für die Cata-
strophe meines academischen Lebens einigermaßen zu ent-
schädigen, theils aus ihren Meinungen desto sicherer einen
Entschluß faßen zu können.
Da ich, Gottlob! Für Freundschaft und iede menschliche
Glückseeligkeit, von Natur empfindlich bin, so kann mir
nichts Wiedrigers begegnen, als wenn ich Menschen steif
und gleichgültig dagegen finde. Doch war dieß gerade der
Fall, als ich iezt bey einem Pathen, dem Pastor in S …. |<41>
einwanderte, den ich nie von Persohn gekannt hatte.
Jede geöfnete Hausthüs ist immer aufgezogene Theater-
gardine für den Brobachtenden, hinter welcher sich ihm neue
Auftritte zur Geschichte der Menschheit, allerley Unterhaltung
für den Geist und das Herz, darbiethen. Man konnte auf diesem
Pfarrhofe den glücklichen Wohlstand des Landlebens mit einem
Blick übersehen. Der klingende Dreschflügel nach Ostern; feiste,
in tiefem Stroh watende Kühe; zwey Stöße übriges Winterholz;
Pferde der ersten Größe; geräumige Stallung, und ein tüchtiger
Phylax an der Kette, beschäftigten meine Aufmercksamkeit,
und die Aussprüche des Cicero*[23] und Columella**[24] schienen in
ihrer Richtigkeit zu beruhen, wenn ich den kleinen Umstand
mit der Weißheit ausnehme, welcher vor dießmahl nicht Tochter
des Landlebens war, denn der zwölfjährige Sohn des Haußes
ritt noch aufn Ziegenbock, - - ein iunger Caraibo!|<42>
Indem ich so dastund, trat ein finsterer dicker Mann zur
Thür heraus. Ich schickte voran, was voran zu schicken war,
und kurz! daß ich es vor Pflicht gehalten hätte, ihm meinen
Besuch abzulegen. „J – un – ia – (erwiederte er mit schleppenden
„verdrießlichen Tone) das – ist – ganz – gut, – wollen – sie –
„mit – herein – kommen? – Es – ist – freylich – Sonnabend –
„heute. Ja, ia, (versezte ich hurtig) das versteht sich! Sie zeigen
mir ihre Bibliotheck, und dann empfehl ich mich wieder.
Während daß der grämliche Mann seine Tröster auf dem
Tisch hin und her rückte, und sich überaus unleidlich bezeigte,
fand ich ebenfallß allerley an mir zurecht zu zupfen. Ich suchte
das Gespräch auf sein Fach zu bringen, (ein Mittel, wodurch sonst
ieder zum Sprechen geneigt wird,) aber vergebens. Stolz, brutale
Laune, Misanthropie, Geitz ohnstreitig auch, hatten bey diesem theolo-
gischen Miethling alles edle und sanfte Gefühl völlig ausgelöscht.
Das Landleben bringt sehr oft eine ganz schiefe Würckung
hervor, Statt, daß die Liebe, wohlthätige, stille und lehrreiche Natur,
erböthig ist, Weise zu bilden, und uns zum Schöpfer, den Urquell
aller Erkänntniß, auf dem nechsten und geradesten Wege zu
führen.
Weil ich es billig finden konnte, um der wenigen guten |<43>
Menschen willen, eine ganze Menge schlechter zu ertragen, indem
doch keiner die Gedult des andern entbehren kann; so verließ ich
diesen ausgearteten Geistlichen, der mir ehedem im Angesicht der
Kirche alle Freundschaft zugesagt hatte, und gieng an selbigem
Tage noch fünf Stunden weiter zu einer M<<>>, die ich in
ihrer kleinen Oeconomie beschäftigt antraf. Ich hatte mich kaum
zu erkennen gegeben, als ihr einige Zähren und Ausdrücke entfielen,
die mir die freundschaftlichste Aufnahme versicherten. „O, sind
„sie einer meiner Schwesterkinder? Ich habe oft sehnlich gewünscht,
„zu wißen, wie es der Familie ergangen seyn möchte, und nur
„bedauert, daß ich mit nichts habe beystehen können, als mit meinem
„Gebeth. (Dieß sagte sie mit einem Bezeigen, welches das Gesagte
völlig glauben läßt.) „Sie erzählen mir hernach alles. Jetzt will
„ich ein kleines Abendbrod bereiten, so gut es in meinem Ver-
„mögen ist.
Das theilnehmendste Gespräch verschönerte diese gesunde Mahlzeit.
Überal, in iedem Worte, herschte das sanfteste Behagen, und die
Wahrheit: daß beynahe nichts weiter dazu gehört, um sich gefällig
und wohl auszudrücken, als ein gutes Herz, bestätigte sich hier
vollkommen. Meine Wirthin gedachte zum öftern der Schwie-
rigkeit, in der Welt fortzukommen, aber mit einer Manier, |<44>
die meine Hofnung mehr aufrichtete, als darnieder schlug, und
wenn die Mutterschwestern insgemein wie die Mütter selbst
sind, so war es diese Befreundte noch drüber. Kurz! ihr Betragen
war fähig, mich mit den Menschen völlig wieder auszusöhnen,
mit denen mich der mürrische Pastor beynahe entzweyt hatte.
Ich wollte auf diese soldatesque Art, (unter freyer Einquartierung)
weiter reißen, als ich bey der nechsten Einkehr, wo ich mein kleines
Bündelgen öfnete, einen Frantzgulden und ein beschriebenes
Papier hervorzog, mit den Worten:
Von ihrer Muhme!
„Ich legte das Wenige bey, um sie des Danckes und mich der An-
„nehmung deßelben zu überheben. Nehmen sie bald ihren Weg
„zu dem Unterstützer, von dem sie mir erzählt haben. Wenn
„der Mann noch so uneigennützig ist, so wird er doch, (glauben
„sie das einer Frau!) um sein Darlehen zu sichern, vor andern
„auf ihr Unterkommen bedacht seyn.
Die Verfaßerin des Billets suchte mir etwas Angelegent-
liches durch den Weg der Überraschung zu sagen. Mein
Unterstützer hatte mir zu verstehen gegeben, daß er mich zu
seinem Schwager, einem gewißen Amtsrath im M . . . schen, |<45>
bringen würde, wo ich die Kinder unterrichten, und zugleich in
der Gerichtsstube gebraucht werden sollte. Ich kannte den gemeinen
Informatorstand nach vielen unangenehmen Seiten. Man treibt
das mühsamste Geschäfte unter der Sonne; trägt nicht selten die
empfindlichste Geringschätzung, statt billige Vorzüge zu genießen;
erwartet für die Übernehmung eines so vorzüglichen Theils elterlicher
Sorge, (dergleichen die Erziehung ist,) als der erste Freund im
Hauße angesehen zu werden, und ist der lezte; liegt darüber
mit seinem Gefühl und mit den Gerechtsamen der Menschheit,
heimlich zu Felde; verliehrt indeßen den edelsten Theil der Jahre
und Kräfte, und ist am Ende wenigstens nicht gehemmt, ein
beßeres Glück zu versuchen*[25]|<46>
Da ich es vor vernünftig halte, bey Handlungen oder auch blose
Sentiments, die besondern Verbindlichkeiten gegen die dabey mit
eintretende Persohnen, ins Auge zu faßen; so wurde dieses Theorem
auch dießmahl der Leitfaden meiner Entschließung. Ich hatte auf
ähnliche Art Gelegenheit, in Brod zu kommen, und nüzlich zu
werden. Mein gewesener Schulrecktor hatte mich an Ernesti in
Leipzig empfohlen, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu viel gute
Absichten dabey gehabt haben mochte, als daß sich die Sache darüber
nicht hätte verzögern sollen. Ich glaubte indeßen meine Dienste
derienigen Familie schuldig zu seyn, von der die Unterstützung
gekommen war, und wenn ein feinerer Geist hierüber vielleicht
spotten oder anders dencken könnte, so entschied bey mir das
Herz, welches sich auch über die unerheblich scheinenden Pflichten
nicht hinwegsetzen darf.*[26] Ich gieng in Dienste des erwehnten
Amtsraths.
Wenn man im Guten zunehmen, und, nach manchen bereits
überstandenen Leiden, in der Lehre von Verläugnung sein selbst,|<47>
weiter verrücken soll, so müßen oft unsere besten Absichten dazu hinzuführen;
wir müßen es mit Menschen zu thun bekommen, die sie verkennen,
unsere Rechte schmählern, an andern nichts, nur an sich selbst alles Gute
zu entdecken glauben.
Dieß war der Fall, in welchem ich mich als A . . . ischer Informator
befand, und so ungern ich dieses Geständniß ablege, so sehr gehört es zu
meiner Geschichte, die ich nicht <<>>mäßig aus der Luft gegriffen
habe.
Mein Gläubiger brachte mich selbst an Ort und Stelle, weil er
eben Geschäfte da hatte. Man schien mich bey meiner Ankunft kaum
zu bemercken, viel weniger Lust zu haben, mit mir zu sprechen. Eine
Magd wurde befehliget, mich in ein Nebengebäude zu bringen, und mir
mein künftiges Logis anzuweißen. Nie war ich kleiner gewesen, als
iezt auf dieser Clause. Dem Apoll ewige Treue schwören, ohne auch
den Pluto darum begrüßt zu haben, war iezt mehr als iemahls mein
Gedancke; und ob ich wohl damahls das Unglück noch nicht hatte, alles
Unangenehme durch eine Art von Vergrößerungsglaß zu betrachten,
so konnte mier doch ein solches Begegnen, wobey der erste Schritt einer
vernünftigen Erziehung, (die nöthige Achtung gegen den Erzieher,) |<48>
verfehlt wurde, nicht anders als befremdend und lästig vorkommen;
die gesundeste Imagination mußte hier ein Gespenst sehen, welches
den Thomasius selbst hätte fürchten machen sollen, so sehr er sie
läugnete.
Man überließ mich völlig meiner eignen Unterhaltung, und
bewilligte mir wenigstens die Ehre, daß ich mich selbst unterhalten
könnte. Indeßen hatte diese Behandlung schon auf das Gesinde
gewürckt. Dieselbe Magd, die mich Abends zu Tische rufte, ließ
diese Einladung außen vor dem Fenster an mich ergehen, und nur
der Kürze wegen konnte hierinne etwas Entschuldigendes liegen,
denn es hatte schon Neun geschlagen. Doch pure Biene müßte
ein Mensch seyn, wenn er aus iedem Gift Honig ziehen, und
in ieder Unbilligkeit Nonanimus finden sollte.
Bey Tische war der Pfarrer des Orts mit zugegegen, der einzige,
der mich von dem nehmlichen Stoff zu seyn glaubte. Es wurde mit
unter gelehrt gesprochen; Longin sp gar kam mit ins Spiel; doch
alles mit unterlaufender Miene, die daran Antheil zu nehmen
verwahrte.
Man träumte in diesem Hauße von einem erloschenen |<49>
Adel, der in den Kindern wieder erneuret werden sollte. Diese und
andere Phantasien, hatten dem Unterschiede zwischen Herrn und
Diener eine so große Ausdehnung gegeben, daß so gar über Tische
niemanden, der nicht von Bluts wegen zur Familie gehörte, etwas
zu trincken abgereicht wurde.
Die Zunge klebte mir am Gaumen, und da ich vorher nicht
sprechen durfte, so konnte ich nunmehro nicht.
Ich hatte sechs Gespanne Pferde in der Träncke gesehen; nur der
Mensch, der nicht Hufen und Pferde besizt, galt hier weniger als
Pferd. Aecht Megarensisch!*[27]
Und wie verhielt sich der kleine Heroismum hierbey?
Noch immer auf den gewöhnlichen Fuß! Selbst wo Hypocrates
aufhörte, trat Socrates oder so iemand ein. Ich glaubte, daß sich
Menschen gewinnen laßen könnten; schlief ruhig, und am
folgenden Tag in aller Frühe hatte ich, ohne weitern Wortwechsel,|<50>
zwey kleine Mädgens von sechs zu sieben Jahren, mit schönen neuen
A. B. C. Büchern auf der Stube, welches so viel heißen mochte:
Ihr werdet euch erinnern, daß ihr dem Oncle dieser Kinder ver-
Pflichtet seyd.
Die Sachen giengen ex contracto innominato. Ich trat mein
Amtgen ohne festgesezte Bedingung an; suchte mich zu den
Fähigkeiten meiner Untergebenen herab zu stimmen, und wurde
Bald ihr Vertrauter, so, daß sie Liebe und Folgsamkeit für mich
Hatten, die sie auch im Beyseyn der Eltern gegen mich äußerten.
Da sonst Kinder die Schlüßel zu den Herzen der Väter und Mütter
Sind, und man auf die Gunst der leztern natürlich rechnet, wenn
Uns die erstern und wir sie lieb gewinnen; so sahe ich doch hier
Das Gegentheil, und bluten hätte ich mögen, meine Pflicht und
Die Liebe dieser Kinder, mit der Abgeneigtheit der Eltern in einem so
Unerwarteten Wiederspruch zu finden.
Stolz und Eigennutz waren hier wehende Flagge, so wie das viel-
Leicht einzige Mittel, sie streichen zu machen, (die Schmeicheley,)
Nicht zugleich auch unter meine Eigenschaften gehörte. Ich wollte
Als pflichtmäsiger, gerader Mann, durch die Welt kommen; iedem |<51>
sein Recht laßen, und seine Ehre erweißen, ohne selbst dabey ins
Niedrige zu verfallen; durch keine schlechte Politick Übel verstärcken,
am wenigsten den Stolz, das lächerlichste unter allen, begünstigen,
sondern dem ehrlichen Arzt folgen, der dem aufgetriebenen Waßer-
süchtigen lieber ein Absorbanz, als wohlschmecke Eßenzen, vorsetzen
wird. Mag es dabey auch seyn, daß das äußerliche Glück des
ebenen Mannes gering und unscheinbar ist! Mag es seyn, daß
sein schlichtes Wesen ihm so gar zum Hinderniß gereicht, hervor-
gezogen zu werden! Mag es seyn, daß man ihm Anlage, und,
(um geschwind fertig zu werden,) die Prätension abspricht. Er wird
dennoch nur dem Anschein nach wieder glücklich seyn; frey
von aller Furcht wird immer Billigung ihm wohlthun; er wird
sich mit dem beglaubten Attest der wenigen vernünftigen, edeln,
beßern, ganz hellsehenden Menschen, begnügen können.
Ich wendete dahter bloß die rechtmäsigen Mittel an, zu einiger
Giltigkeit zu gelangen; vermehrte die Schulstunden, ohne die
Untergebenen zu ermüden; bemühte mich, sie ihnen angenehm,
und den Wachsthum ihrer kleinen Känntniße sichtbar und werth
zu machen; verlohr über die versagten oder doch entbehrten nöthigsten |<52>
und gewöhnlichsten Bedürfniße, nie ein Wort , und wenn selbst
die Kinder diesen Mangel bemerckten, und für mich interzediren
wollten, so verbath ich ihre Vorsprache , um sie der mütterlichen
Verweiße zu überheben. Am wenigsten entdeckte ich meinem
Creditor, der mich schon verschiedenmahl zur Gedult verwießen
hatte, die weitern Umstände meiner Lage (besonders in Rücksicht
der Amtsstube) biß sich endlich, nach ohngefehr anderthalb Jahren,
mein Innres und Aeußers, davon sich eines im Gesicht, dieses
auf dem Rock ausdrückte, zu dem Entschluß vereinigte, eine
Bestimmung zu verlaßen, wobey die Pflicht gegen mich selbst
ins Gedränge gekommen war.
Es erforderte wenig, um zu wißen, daß ich den Stab weiter
zu setzen Willens wäre. Die Frau Prinzipale, in deren unverän-
derlichen Rathschlüßen, weder Beyfall, noch eine andere Aufmunte-
rung, bißher gestanden hatte, schien dieß zu bemercken, und über-
nahm es daher, mich auf längere Zeit zu figiren, nur daß ich
kein Pastellgemählde war, welches sich lachfirnißen ließ, um
dauerhaft zu bleiben. Ich glaubte lange genug mit redlicher
Absicht vorangegangen zu seyn, daß man mir nicht weit eher |<53>
hätte nachfolgen sollen. Sie redete von Salaire, von Kleidung, vom
A<<>>, von Zufriedenheit über mein Verhalten, und andern
artigen Dingen, die ich bereits nicht mehr faßen konnte, so verstockt
war mein Unglaube geworden.
Frauenzimmer gehen mehrentheils darauf um, auszuforschen,
man darf sie daher nie aus dem Brunde berichten. Dieß gilt
auch von weibischen Männern, die sich von Weibern beherschen
laßen, wenn auch Hauptsachen des Haußes darunter leiden sollten.
Mein Prinzipal, der mir, wieder seine Gewohnheit, einstmahls hinter
der Gartenmauer begegnete, betrachtete die Sache aus einem, denen
iezt gedachten Captationen ganz entgegen gesezten Gesichtspunckte. Weil
es eben Frühling war, so nahm er von dieser Natursonne Veranlaßung
zu sagen“daß die Gegend nun immer schöner würde, und daß eben
„so auch der Mensch zu emergieren suchen müße. Ich erwiederte, daß
die Natur dieß alles thäte, ohne einen Willen dabey zu haben, der
Wille des Menschen aber würde nur allzu oft durch den Willen
anderer gehindert. „Ja, suche er fort, man muß doch aber durch
„die Hinderniße hindurch dringen. So weit sichs hindurch dringen
läßt, war meine Antwort. Er fügte noch hinzu, daß das die besten |<54>
„Leute geworden wären, die von unten auf gedient hätten; gieng
hierauf zur Jurisprudenz über; lobte Böhmers Buch de actionib<<>>
welches auch ich lobte, weil mir die Gründe hierzu eben nicht unbekan[nt]
waren.
In einem andern Verhältniß mit dem Manne, oder, wenn er
die Menge wahrer, gründlicher, alter und neuer Gelehrsamkeit, <<>>
anwendbahr gemacht, und nicht zu buchstäblich verstanden hätte,
würde er höchstschäzbahr gewesen seyn. In iedem noch so geringen
Falle schien er erst nachzudencken, ob sich die Sache irgend auf
einen theoretischen Grundsatz zurück bringen, und sonach entwed[er]
bewilligen oder verwerfen ließ. Er war daher nichts weniger
als Mann für die Geschäfte, und – als Herr im Hauße. Er
ließ sich hundert abgewinnen, eher er eins nachholte. Selbst sinnliche
Empfindungen, giengen in ihm so langsam von statten, daß er
sechs Stunden im Regen ritt, ohne eher, als in der sechsten zu
sagen: es regnet ia gar! – oder zu den Schnittern: haltet mir
mein Pferd, ob sich schon das Pferd loß gerißen, und er nur den
Zaum noch in der Hand hatte.
Der Informator gehörte auch hier, wie das Büchsgen mit der |<55>
Röthe, zur Toilette; er war überflüßige, unbedeutende Persohn.
Der Mann von Gefühl, der Rechtschaffene gegen sich selbst
und das Ganze, will nun aber seine Tage nicht bloß wegleben, er
will auch an rechte Orte, und in solchen Verhältniß, wo sein
Herz und Talent an wahresten befriedigt werden können; nach
Art eines vernünftigen Schauspielers, der nicht tragische und burlesque
Helden und Liebhaber-Rollen durch einander, sondern nur dieienigen
mit Lust und gutem Erfolg übernehmen wird, die am mehresten
in seiner Neigung liegen.
Diese Wahrheit, mit den vorerwehnten Umständen meiner
Condition, zusammen genommen, läßt nichts übrig, meinen Weg-
gange aus derselben, irgend eine andere als billige Auslegung zu
geben.
Ich hatte ohngefehr dreysig Thaler, theils mündlich, theils schriftlich
erbitten müßen, um kleine Ausgaben davon zu bestreiten. Dieß,
und die Schuld beym F. Rath, betrug zusammen an sechzig Thaler,
die ich keinen dieser Zeit als einen wohlverdienten Lohn anzusehen
berechtiget war. Man ließ sich iedoch nie über diesen Umstand ein,
und schien mir damit nicht undeutlich zu seyn, daß auch ich |<56>
die Veranlaßung zu einem solchen Gespräch nicht geben sollte.
Eine Reiße nach B. beschleunigte indeßen meine Absicht. Ich
hatte mich dort gegen einige Freunde entdeckt. Der damahlige Stadt-
voigt Sch<<>> hatte es erfahren, der mir unter nahmhaften Bedin-
gungen Condition antrug, die mit pracktischen Nutzen in der
Jurisprudenz verbunden war.
Die Gründe, nach welchen ich von der vorigen Verbindung abgieng,
lagen zu nahe vor Augen, als daß ich eben viel Schwierigkeit dagegen
hätte vermuthen sollen. Doch selbst bey meinem Abschiede noch, wurde
ich über den Umstand der getilgten Schuld, nicht verständigt. Außer
Zweifel war das Eigenthum meines Creditors und seiner Schwester,
noch zu individuel, als daß im Grunde beyde darüber hätten einig
seyn können. – Der bone Fides war auf meiner Seite. – Ich hatte
nach Pflicht gehandelt; mehr brauchte es nicht, um mich wegeneines
Vergleichs von dreysig Thalern unter Geschwister so wohl, als um
das Verhältniß der beyden Familien, von der einen ich aus-, und
zu der andern übergieng, völlig unbekümmert zu laßen. Denn
es herrschten Räncke zwischen den beyden leztern.
Mein neues Aemtgen gieng ruhig von statten. Ich wurde |<57>
freundschaftlich behandelt; durfte über Tische trincken, sprechen, an
Vergnügungen Theil nehmen, und kurz! mich unterstehen, ein
Mensch zu seyn. Ich besorgte meine Knaben, und wurde bey einem
benachbarten Judicio mit zu den Gerichtstägen zugezogen; erhielt
Übung in den Anlagen, Fortgange, Cautelen und Wendungen der
Gerichtshändel; lebte wieder auf; arbeitete viel, doch mit fröhlichem
Muthe; fühlte mich glücklich, und nichts beynahe fehlte meinen
Wünschen, als die Vereinigung zweer Familien, deren einer ich den
Grundsatz: siehe zu, daß du iedermann zum Freunde behältst,
aufopfern sollte, weil es die andere verlangte. Es war mir aus-
drücklich verbothen, den F. Rath zu besuchen, und ich konnte mich
seines fernern Wohlwollens höchstens nur schriftlich versichern,
wobey ich ihm zutraute, daß er die Ursache meines Wegbleibens nicht
in mir, sondern an der wahren Quelle aufsuchen würde. Allein,
süß war die Rache! Das Feuer schlug von beyden Seiten zusammen;
mein liebstes Effeckt, die Menschenfreundschaft zu retten, war
unmöglich! Der mir zugedachte Streich sollte desto empfindlicher
ausfallen, ie mehr man, so zu sagen, Graaß über die Sachen
hatte wachsen laßen. Ich sollte treuherzig und sicher werden, |<58>
um sodann beym plötzlichen Überfall desto mehr zu erzittern.
So fand ich eines Abends folgendes Billet: Wenn noch ein
Christenherz existiret, so erwarte ich nun, da sie einen Prinzipal
haben, dem dergleichen Vorschuß ein Bagatelle ist, meine Zahlung
a. 30. rt. Damit es unangenehmner Vorkehrungen nicht bedürfe, und
bin p
Ich beantwortete diese Zuschrift höflich, ohne dem Stadtvoigt
etwas davin zu sagen, dem ich mich nicht unangenehm machen
wollte; bekam deren in der Folge mehrere, und wie sie darauf
hinaus giengen, daß die Schuld nicht getilgt sey, so suchte man
die Sache nebenher zugleich zur Sache meines Prinzipals zu machen;
ihm eine gewiße Überlegenheit zu zeigen; zu zeigen, daß es
bloß vom gegenseitigenWillkühr abhange, den Informator vor
Gericht zu bringen, oder erstern zu nöthigen, für den leztern ins
Mittel zu treten.
Dieß that ein Jurist, und ich gedencke dieses Auftritts mit
einiger Kürze, um der beßern Menschheit nicht zuvor zu kommen,
das Unmoralische in seinem weitern Umfang darinne zu ent-
decken. |<59>
In der Zwischenzeit von diesem allen, war mein ehemahliger
Schulrecktor gestorben. Sein Vater, mein gewesener Hauwirth
auf Schulen, hatte deßen Bibliotheck an sich bekommen, und ins
Geld gesezt. Für den frühen Verlust eines solchen Sohnes, konnte
beyde Eltern kaum etwas beruhigen, am wenigsten der baare Trost,
wenn er auch in vieler Rücksicht Beruhigung mit sich führt.
Ich erzählte ihnen das Gedränge, in welchem ich mich befand,
und es fiel ihnen, ohne mein Bitten, so herzlich leicht, mich davon
zu befreyen, und dreysig Thaler für mich zu wagen, daß ich
meinen Creditor schon am folgenden Tage befriedigen konnte.
Ich überlieferte ihm die Schuld eigenhändig. Es schien mir
dießmahl unvermeidlich, selbst zu ihm zu gehen. Er äußerte,
wie er sich freue, daß ich mir doch doch bey meiner ietzigen Einnahme
ein wenig helfen könnte. O, erwiederte ich, vom Conditionieren
laßen sich gewiß keine Schulden bezahlen; Sie können glauben,
daß ich dieses Geld von Leuten entlehnt habe, denen sie dergleichen
Gefälligkeit schwerlich zutrauen werden. Die Beschämung,
die in der Zahlung mit anderweit entlehnten Gelde, lag,
that mir gewißermaßen weher, als vielleicht dem Bezahlten.|<60>
Wir befanden uns nun, wie alle andere zögerliche Wesen, die
kein Druck oder Stoß mehr in Bewegung sezt, wieder im Ruhe-
stand, und ich hatte mich in der Vergeßenheit der elenden Condition
bey seinem Schwager, bereits so geübt, daß ich mit dieser vergeßenden
Fertigkeit am Ende war.
Ist etwas der öftern Betrachtung eines Menschen würdig; so
ist es ohnstreitig die allgemeine und besondere Verbindung der
Dinge, ihre Entstehung und Würckung, die sich ins Unendliche wieder
zu neuen Ursachen und Erfolgen entwickelt und an einander reicht.
Eine solche Betrachtung allein, wird uns veranlaßen, (nicht, mit Gott
zu existuliren,) nein! seine Einrichtung zu bewundern; große,
unumstößliche, höchstbrauchbare Wahrheiten fürs Herz und Leben, daraus
abzuleiten. Und wenn wir diese Wahrheiten durch Lehre und Beyspiel
würcken laßen, nur dann wird man uns den Nahmen eines
Aufgeklährten ewilligen können. Wir werden in den Buchläden
und Maßen unbekannt, aber vielleicht für die Wichtigste Angele-
genheit des Menschengeschlechts desto gelehrter seyn.
Wenn indeßen der Astronom, im Calender die Sprache
des Scheins, (z B. die Sonne tritt in das Zeichen des Widders, |<61>
da sich doch dieses Zeichen vielmehr der Sonne nähret,) in
seinem Lehrbuche aber die Sprache der Gewißheit redet;
so darf ich versichern, daß meine Erzählung, in Betref
der Sch . . . schen Condition, mehr einem Calender, als einem
Lehrbuche, nahe kommen wird.
Es schien, als wenn ich freundschaftlich behandelt würde;
aber es waren schon fünf Quartale verfloßen, ohne noch
den Aspeckt des Salärs gesehen zu haben. Ein solcher ge-
<<>>ter Schein ließ mich an dem häußlichen Himmel
meines im Übrigen recht guten Prinzipals, keine geringe
Unordnung vermuthen, zumahl da ich ein Jahr erlebte,
wo vor Pacht- und Gütherverkauf-Negoza, 15000. Thlr.
Einnahmen, rechtläufig gemacht worden war.
Ich kann mich sehr gern nicht bezahlen laßen. Ob dieses
ein guter oder böses Zeichen von mir sey, will ich selbst
nicht entscheiden; daß es aber nicht böß seyn könne, so
etwas zu gestehen, das scheint mir wenigstens gewiß.
Der Stadtvoigt hatte mir die Prolongation meines Stipendiums
noch um ein Jahr ausgewürckt. Dieses, und daß er sonst noch |<62>
Absichten für mich haben mochte, stellte mich eben so leicht zufrieden
als sich zuweilen ein Mädgen beruhigt, wenn ihr der Curator
ein Capitälgen unterschlägt, um ihr davor einen Mann zu ver-
schaffen. Die Organistenstelle wurde erledigt. Ich mußte auf
Verlangen des Stadtvoigts darum nachsuchen, und erhielt sie.
Hierüber gieng die Condition, welche zwey Jahre gedauert hat[te]
zu Ende, einige Stunden ausgenommen, die ich noch geraume
Zeit fortsezte. Ich hatte ein Logis gemiethet, und, in Absicht
des mangelnden Haußgeräths, auf das rückständige Salaire
gerechnet, und mich geirret. Ich erhielt beym Abschiede aus dem
Hauße, fünf Thaler in ein Papier gesiegelt, ohne weiter ein Wort
darinnen geschrieben zu finden.
Es war mir unmöglich zu glauben, daß ein so mühsam er-
worbenes Geld verlohren gehen könnte. Denn sich in einer solchen
Philosophie, wovon ein Knabe weiß, daß sie mit Fluch bedrohet
ist, hinein zu dencken, dazu müßte man selbst ein eben so
schlechter Philosoph seyn.
Die unterbliebene Zahlung schmerzte mich iedoch nicht so sehr |<63>
als daß ich genöthiget war, zehn Thaler bey einem Freunde auf-
zunehmen, um nur das Nöthigste damit zu bestreiten. Doch
sezte ich die versprochenen Stunden fort, wovor das Winterholtz
bedungen wurde; weil aber auch dieses nicht erfolgte, so hörte
ich auf, die Gefälligkeit länger zu übertreiben. Auch habe
ich nie Erinnerung deswegen gethan.
Wer sich vor verbunden hält, ein Packtum zu erfüllen,
(und das muß doch wenigstens ieder in öffentlichem Ansehen
stehende Mann!) dem wird diese Überzeugung schon an sich
Erinnerung seyn, weil sie eine ehrenwiedrige, unangenehme Em-
pfindung in ihm unterhalten wird. Hält er sich nicht vor ver-
bunden; so wird auch das Erinnern nichts feuchten, rechtliche
Zwangsmittel aber, werden machen, daß er Rache gegen uns ausübt.
Ich wollte zur Advocatur schreiten; der Stadtvoigt war Richter
im Ort, und auch in der Gegend; die Gunst des Richters aber kann
dem Advocat nützen, ohne daß das Recht darunter leidet.
Dieses, ingleichen, daß erwähnter Stadtvoigt würcklich nicht gewohnt
war, über Sachen hinweg zu schlüpfen, oder gemachte Hofnungen |<64>
gänzlich zu täuschen, verursachte, daß ich mich über den vorenthaltenen
Lohn beruhigte, ob ich schon dabey (ohne Materialien und Werckzeug
gleichsam) an den Bau meines häußlichen Wesens angehen mußte.
Die Pedalbanck diente mir geraume Zeit zum Sitz ohne Rücklehne,
wo auch ein edler Freund, der mir dieß nicht zurechnete, noch Platz
fand, und mein Spiegel war in der Dose.
In der Laube des Eremits, würde ein solches Compendium wahre
zweckmäßige Schönheit gewesen seyn; aber in der offenen Welt, wo
man taxiert wird, thut es Schaden, den Schächer am Crenz zu machen,
und eine Überwindung erfordert es, die schuldigen Persohnen dabey
zu schonen, die ihres gleichen nicht hat.
Ich konnte mich damahls schon so leicht nicht mehr über alles
hinweg setzen, wie in den iüngern Jahren; doch that die Einsicht
iezt, was dort die Jugend that. (Gradation ist das Erbtheil der
Menschen!)
Ich gehörte zur Partie der Aufstrebenden. Hätte ich weniger
Wiederstand gefunden, so würde ich vielleicht manche Erfahrung
nicht gemacht; mit dem Studium der Menschheit unbekannter, und |<65>
folglich in der nöthigsten Känntniß unwißend geblieben seyn.
O, diese Känntniß! Vortheilhaft ist sie; tröstlich aber ist sie
mir niemahls gewesen!
Menschen, die ich liebe, und ohne Unterschied lieben soll, haben
mich gehindert, an dem untermeßlichen Stoff zum Glücklichseyn,
gehörigen Antheil zu nehmen, und Menschen müßte ich die Schuld
geben, wenn ich iezt, da ich dieses schreibe, für Lebensfreunde und
Lebensthätigkeit nöthig unempfindlich wäre; wenn auch ich die
Welt vor ein Hospital voll moralischer Krancker hielt, und so
gar die Lust zu leben, und mit ihr selbst die Fähigkeit, schon
verlohren hätte.
(Um diese Ausdrücke nicht zu hart zu finden, muß man
ähnliche Indiscrezionen erlitten haben!)
Nachdem ich die besagte Organistenstelle kaum angetreten
hatte, zeigte sich Gelegenheit zu einer andern Versorgung, wozu
ein von mir geschriebenes Hochzeitgedicht die Veranlaßung gegeben
hatte.
Ein gewißer Auditeur K. vom Prinz-Xaverischen Regimente, |<66>
welches damahls in Eisenach stund, hatte das Carmen mit sich genom-
men, und fragte hierauf an, ob ich gesonnen wäre, ein Feldsecreta-
riat bey diesem Prinz anzunehmen?
Ein beyspiel eines solchen Secretärs, welcher eben nicht mit viel
Vortheil beladen von der preußischen Armee zurückkam, und daß
überhaupt das schönste feindliche Lager meine Kür nicht ist, hielt
mich ab, von diesem Antrage Gebrauch zu machen. Ich zog
das Gewiße, was ich hatte, dem künftigen Ungewißen vor,
und suchte mein Dienstgen durch Nebengeschäfte zu verbeßern.
Ich erhielt die Advocatur und einige Scholaren.
in Rücksicht der erstern, wurde ich bey rechter Zeit der Ver-
folgung meiner Collegen und der Ehre eines iuristischen Märtyrers
nahe gebracht, weil ich in die damahls üblichen Collusionen und
Dröhlereyen, nicht willigte. Es konnte daher nicht fehlen, daß mir
Die Praxis erschwert und verhaßt werden mußte. Wo ich den
geradesten und kürzesten Weg gehen wollte, da wurden
Chicanen in Menge ausgehackt, daß ich mich endlich genöthiget
sahe, seolches bey F. Landesregierung anzuzeigen, und ein |<67>
Matier wiederzulegen, welches iezt, nachdem die Räncke der
Advocaten eingeschränckt sind, mehr Vollkommenheit wieder er-
halten hat.
Die Informationsstunden gewährten wenig, halfen aber
hie und da ein leeres Plätzgen im Haußwesen auszufüllen. Meine
Scholaren betrachtete ich nie nach der Sache, die sie erlernten, sondern
hauptsächlich als iunge Leute, denen man bey solcher Gelegenheit
auch noch etwas mehr sagen könnte und müßte. Ich unterließ
nicht, mich über ihre gegenwärtige und künftige Bestimmung,
die damit verbundenen Pflichten und deren möglichst vollkom-
mene Ausübung, zu verbreiten. Dieß that auf ihre Cond<<>>
gute Würckung. Die Eltern bemerckten es, und versicherten
mir oft ihre Verbindlichkeit.
Die Zahl dieser iungen Leute ist nicht groß; dagegen ist
mancher zwey, drey, und mehrere Jahre in meinem Unter-
richt gewesen, und die mehresten sind entweder, oder werden
noch nüzliche Mitglieder der Republick werden. Ein gewißes
Band wird mich immer zu ihrem Andencken hinziehen; Jeder |<68>
Edeldenckende wird mein Vergnügen billigen, etwas zum Besten
des Allgemeinen beygetragen zu haben, und zugleich verstatten,
ihre Nahmen, dermahligen Stand und Aufenthalt beyzufügen:
1. Lincke aus Buttstädt, lateinische Stunde und Clavier,
Pastor aus Dorndorf bey Jena.
2. Schlotter aus Buttstädt, Schreiberey, Hofagent zu Jena.
3. Schröter aus Reißdorf, Clavier, Quartus zu Buttstädt.
4. Theuer aus Niederreißen, Clavier, Cantor in Olbersleben.
5. Meier aus Buttstädt, Schreiberey, starb als Profeßor
der Medizin in Jena.
6. Junghannß aus Hardisleben, Clavier, Präzeptor in Buttst.
7. 8. Gebrüder Lungershaußen zu Buttstädt, Söhne des
noch lebenden Superintendents das. Clavier und
Schreiben, der eine Hofadvocat, der andere Pastor.
9. Kohlschmidt aus Oberreißen, Clavier, Cantor in
Guthmannshaußen.
10. Elßner aus Krautheim, Clavier, starb als Cantor das.
11. Clermann aus Guthmannshaußen, Clavier, starb als
Cantor das.
12. Trötsch aus Olbersleben, Clavier, Informator in
Gorschleben.|<69>
13. Kämpf aus Buttstädt, Clavier, geistl. Candidat das.
14. Dengloff aus Loße, Clavier, Chursächß. Advocat.
15. Henckel aus Franckenhaußen, Clavier, Candid. der Rechte zu
Buttstädt.
16. Müller aus Wollmerstadt, Clavier, starb als Schüler.
17. Rehhrähmer, Clavier, starb als Thomasschüler in Leipzig.
18. Gräfenhain aus Oelshausen, Clavier, Student in Leipzig.
19. Gruner aus Ilmenau, Schreiberey, Candid. der Rechte das.
20. Zuckschwerdt aus Buttst. Clavier, Student in Jena.
21. Zunckel aus Buttstädt, Clavier, Informator bey Netra.
22. 23. Gebrüder Reimann, aus Buttst. Clavier und Schreiberey
der eine Student in jena, der andere Kaufmanns-
Diener in Weimar.
24. Willweber aus Eberstadt, Clavier, Student in Halle; ist
wegen seines ausgezeichneten guten Charackters nach
Vermögen von mir unterstüzt worden.
25. Schortmann aus Buttstädt, 5. Jahre lang in mehrern
nöthigen Känntnißen. Widmet sich der Handlung.
Wenn iede gute Handlung, wobey weder Ehre noch Gewinn
zum Grunde liegt, (und beydes liegt gewiß beym Unterricht |<70>
gemeiner Jugend nicht zum Grunde,) Religion ist, so darf
ich wohl niemanden versichern, diesen Schatz zu besitzen.
Sie war die Gebietherin, die mir iedes unbeträchtlich scheinende
Geschäft mit Lust übernehmen, und mit Gewißenhaftigkeit
vollführen ließ.
Da das Orgelspielen zum äußerlichen Gottesdienstgehört,
so war dieß genug, mir mein Amtgen wichtig, und zur
vorzüglichen Pflicht zu machen. Ich erlaubte mir daher selten
eher, einen Vortrag aus dem Stegreif zu beginnen, als biß ich
mich dazu völlig humorisirt fühlte. Außerdem sezte ich
meine Orgelstücken eben so pflichtmäsig zu hauße in
Noten, als der Prediger seine Rede durchdencken, und zu
Papier bringen wird, wenn er Gewißen hat. Allezeit
hat auch diese sorgfältige, obschon mühsame Zubereitung, ihre
Würckung gethan, sie mochte der Commentar eines Liedes,
oder des sogenannten Kirchenstücks seyn. Denn das
kostbare Orgeninstrument, woran oft Tausende verwendet
werden, steht gewiß nicht da, um bloß die Gemeinde im |<71>
Ton zu erhalte; (dieß würde auch eine einzige starcke Pfeife
bewürcken,) am wenigsten aber allerley Zufälliges, wieder den
Entzweck und die Würde der Sache, darauf vorzutragen.*[28]
Man bemerckte diese Bemühung, und sahe ein, daß sie mir
Zeit rauben mußte; allein, ohngeachtet das dasige Arrarium in
sehr guter Verfaßung war, so erfolgte doch nie einige Aufmunterung.
Vielmehr wurde mein Fleiß bald zur Schuldigkeit, so wie ihn andere|<72>
zugleich als Begierde hervor zu stechen, als stolze Absicht er-
klährten.
Der Pilz wächst neben der guten Frucht, und der Neid steht
nicht selten neben edler Bestrebung.
Ich hielt die Verwaltung meines Amtgens, und eine vollkom-
meine Leistung deßen, was geleistet werden konnte, für den
sichersten Weg zum Beyfall der Vernünftigen, und auch zur
Wohlfahrt meines folgenden Lebens.
Unter meinen geringen Fähigkeiten, die ich als Geschenck be-
trachtete, welches dem Geber zur Ehre angewendet werden müßte,
durfte keine die andere verdrängen, obschon die, die mich zunechst
nährten, auch im Range die nechsten waren. Mangel, Ort, Lage,
Mißkennung, glichen in dem Falle so viel Sturmwinden, die
den Baum zwar erschütterten und anzureißen drohten, ihm
aber durch das heftige Rütteln nur einige Samenkörner ent-
führten, die hier und da wieder Boden fanden, aufkeimsten, und vielleicht
tragbar geworden wären, hätten sie mehrere Pflege genießen
können.
Durch die Entwerfung unserer Lebensgeschichte, die immer
zugleich Geschichte unsers Herzens ist, fehlen wir bald in der |<73>
Länge, bald in der Breite. Wir sehen, indem wir das Bild über
uns selbst aufnehmen, entweder mehr, oder weniger, als würcklich
da ist; mehr gute Eigenschaften, Fertigkeiten, Anlagen, Kräfte;
so wie hingegen weniger Unvollkommenheiten, Mängel, begrenztes
Talent; und tadeln Menschen und Welt, wenn sie unsern unmerck-
lich kleinen Gaben oder Verdiensten, nicht immer mit der
<<>>rauchspfanne entgegen kommen.
Wie gern mache ich hiervon einige Anwendung auf mich!
Auch mir sagt der Verstand, daß, seine Schwäche erkennen, der
Weißheit erster Schritt sey; aber mein Herz liegt mit ihm darüber
im beständigen Streite. Gebeugt unter das despotische Gesetz
der Eigenliebe, weill es sich nur allzu gern im falschen Lichte
sehen laßen, und andern das scheinen, was es dem Verstande
nicht ist. Dieser allein entscheidet aufs Zuverläßigste, wie
schön und groß es sey, aus Überzeugung des Guten handeln;
und doch wie oft waren auch meine Handlungen und ver-
meynten Tugenden, nur Früchte des Temparaments, des
würcklichen Stolzes, des niedrigen Eigennutzes, und des
sinnlichen Gefühls. Mein Nechster hatte ein Recht auf
viele, wo nicht auf alle meiner Pflichten, aber ich entweihte |<74>
dieses Recht, indem ich Belohnung dafür erwartete, und
wenn er mir gegenseitig eine seiner Pflichten versagte, oder
zu versagen schien, ihn sogleich mit sammt der Welt, als
verdorben, als ungerecht zu schelten eilte. Die Ausführung
verschiedener Entwürfe und Absichten, konnte mir zuweilen
mehr Schaden als Vortheil zuziehen; gleichwohl wie oft mag
ich es für Beleidigung angesehen haben, wenn sie von
andern nicht begünstigt wurden. Z. B. Die Sache des
Schreibens und Edirens des Geschriebenen, [worüber meine
Gesinnungen iezt beßer berichtiget sind,] hatte auch mich einst-
mahls überfallen, so daß ich einen unwiederstehlichen Reitz
fühlte, durch irgend ein Produckt bekannt werden zu wollen.
Ich versuchte daher nicht nur ein Dutzend dreystimmige
Orgelpräludien, nebst sechs Claviersonaten, die ich Naumann
in Dresden und Doles in Leipzig, (Männer die an meinem
beßern Glück arbeiteten,) zur Prüfung vorlegte, sondern
auch eine Sammlung kleiner moralischer Aufsätze, um sie
irgendwo an einen Verleger zu bringen. Die mehresten |<75>
schüzten exceptionem fame vor, und waren ungelehrig
genug, einzusehen, daß ich eben famam erlangen wollte. Der
eine rieth mir den Weg der Subscription, u.s.w. Nach lange
Hin- und Her-schreiben, verabschiedete ich endlich die Autors-Idee,
und beruhigte mich damit, mein Glück, welches nun einmahl umgehent
seyn wollte, auch von dieser Seite auf die Probe gestellt, mancherley
Notizen über Buchhändler-Natur und Wesen, und neue Beyträge
zur Menschen-Kunde, dadurch aufgesammlet zu haben. Indeßen
war die verwendete Zeit-Mühe, und baare Auslage, kein ganz
unbeträchtlicher Verlust für mich, und einer von den damahligen
Correspondenten ist mir hierüber noch eine kleine Aussöhnung
schuldig. Die kleinen Aufsätzeanlangend, [Schriften, dergleichen
ich nachher viele in Druck gesehen habe,] nun! so ist mir vielleicht
vergönnt, [von Menschenfreunden vergönnt, die zu unterscheiden
wißen,] einige davon noch vorgefundene Stücken, wenigstens als
einen Beweiß meines immer gehabten guten Willens und der
gratuirenden Seelenkräfte, hier beyzufügen, und für eines ver-
lohrne Oehl wenigstens die Beruhigung zu haben, nach sechzehn |<76>
Jahren noch von einem Zirckel vortreflicher Männer gelesen
worden zu seyn, die in gewißem Sinn weit mehr als alles
Publicum sind.
Über die Donau.
Mit gleider Gefälligkeit machst du dein Compliment dem
Bürgermeister in Ulm, und der deutschen Gesandschaft in Regensburg;
legst dich dann ehrerbiethigzu Josephs Füßen; durchwanderst das
goldreiche Ungarn; giebst Abdul Hamat das Seinige bey Bellgrad;
bereicherst den Hospoder, wie den Christ, und den Türcken und
Juden, und nachdem du sie alle gesegnet hast, gehst du dir guter
Thaten bewußt, zur Ruhe in den Pontus Eupimus.
Sey wie im Bild, auch meinen Weg so zu vollenden! Nichts
gehe über den Gedancken: ieder Pflicht und ieder Bestimmung
getreu gewesen zu seyn!
Die Folge.
Weil uns mehresten der Mond von einem Jahre zum
andern in die nehmliche Waßersuppe sieht, ohne uns iemahls
mit einer Pastete zu erfreuen, so schließen wir billig, daß
er uncivilisirt und folglich unbewohnt seyn müße.|<77>
Fabel.
An einem Brunnen, voll und tief,
Da legte sich der Knab, und schlief,
von seinem Fleiß ermüdet ein.
Wie leicht könnt es um ihn geschehen seyn;
Wenn nicht das Glück von ohngefehr noch kam,
Und ihn weg von dem Brunnen nahm!
Doch, wenn er nun ertranck, wer hatte es gethan?
*
Stets klagen wir das Schicksal an.
Das wahre Glück.
Die Welt steht überal zu unserm Dienste offen,
Und wems gefällt
Der kann vom Ocean und Belt
Was Gutis hoffen.
Doch wahres Glück weit sicherer zu hoffen,
Sey unser Herz der Tugend offen,
Dann sind wie uns selbst eine Welt |<78>
Die Nativität.
Hier, diese Hand! Nativität!
Und frisch gesagt, was drinnen steht!
Du zuckst? „Mein Heer! Ein Stab
“Voll D<<>>nen, dann ein Grab!
Sehr wohl! Ein Stab, ein Grab,
Wenn es die Vorsicht gab.
Doch wiße, daß du fehlen wirst,
Ich sage es dem Fürst!
Schluß-Brief
In dem großen Lotto von tausendmahltausend Spielern,
gewann ich sehr wenig. Inzwischen blieb der Aufseher des
Lottos der weiseste, gerechteste Mann, der mir erlaubte,
heute noch einmahl mein Glück zu versuchen.
Die Gewogenheit meiner Leser war das schöne Looß,
das ich gewinnen sollte!
---
Nechst der Befriedigung meiner Seelenkräfte, war ich auch |<79>
Eben sowohl auf die Erhaltung des Körpers bedacht. Ich hatte
öfters herum gesonnen, wie ich ihm eine gesunde Bewegung
verschaffen wollte, die zugleich für das Häußliche nüzlich seyn
möchte. Drauf fügte sichs, daß ich bey Gelegenheit der Orgel-
Reparatur, Lust zur musikalischen Arbeit bekam, und unter
Anleitung des Orgelbaumeisters, ein Clavier zu verfertigen
anfing. Weil ich alles anwendete, ihm seine lehrenden Besuche
angenehm zu machen, so kostete dieses erste Werckgen zwar
eben so viel, als ein Gekauftes, aber ich gewann dabey die
nöthigen Vortheile, ein Zweytes darnach zu verfertigen.
Ich darf hier, außer den Anforderungen meiner häußlichen
und körperlichen Umstände, billig noch eine eben so sittliche
und religiöse Ursach mit anführen, die mich zu Übernehmung
dieses Nebengeschäftes bewog.
Es ist oben gedacht, wie viele Verbindlichkeit ich meinen
gewesenen Wirthsleuten auf Schulen, welche Eltern-Statt
an mir vertreten, und um desto mehr gethan hatten ie |<80>
weniger sie selbst entbehren konnten, schuldig war. Die
hinterbliebene Witwe hatte mit dem Tode ihres Manens, und
besonders ihres Sohnes, des Recktors, beynahe alle Unterstützung
verlohren. Ein Häusgen war ihr einziger Reichthum, deßen
Erhaltung sie sehnlich und vielfältig wünschte. Nichts schien
mir gewißenhafter, als nicht nur für den Abtrag derer 30. Rt
wodurch ich von meinem ungestümen Gläubiger bes<<>>
worden war, möglichst zu sorgen, sondern ihr auch den
Genuß eines Haußzinnßes zuzuwenden, und, so viel ich
konnte, etwas zu ihrer Beruhigung beyzutragen.
Mein kleines Kunst-Etablißement sollte ein Mittel
dazu abgeben. Alles gieng iedoch ziemlich schwer von statten.
Ich schien über den neuen Nahrungs-Zweig wie ins Waßer
gefallen zu seyn; fand hier zu baden, und dort zu schwimmen
mit dem allerungewißesten Ausgange. Urtheile von
allerley Gattung liefen durch einander. Die Tischer beschwerten
sich über diese Neuerung im Lande, und der Steuer Einnehmer |<81>
redete von einer Gewerbe-Steuer. Philadelphie konnte keinen
größern Lerm erregen.
Daß Gezische machte mich in meinem Vorsatze desto eifriger
und standhafter. Ich lebte und webte, so zu sagen, in meiner
Hand<<>>rung, und nach Verlauf eines halben Jahres standen zwey
neue Instrumente fertig, die ich ziemlich gut verkaufte.
Wie eine Mutter ihr gebohrnes Kind, so betrachtete ich iezt
meine Geschöpfe;*[29] fühlte zum erstenmahl, was es Bewand-
niß mit angestrengter Kraft und aufgesuchter Fähigkeit, habe;
schmeckte das Süße des eigenen Brods; freute mich der entdeckten
Bahn, Sorgen zu mindern, und die Pflicht der Erkänntlichkeit
zu üben; bestimmte täglich einige Stunden zu Fortsetzung
dieses Geschäfts, und obschon anfänglich die, vielleicht zu heftige
und ängstliche Bewegung, wiedrige Eindrücke zurück ließ, so
hofte ich doch zur Vorsicht, die uns so gern die biethet,
daß sie diese anscheinende Lebenswunde zu meiner Erhaltung
sanft umzulencken wißen würde.|<82>
In einem beständigen Zweykampfe zu liegen, kann auch
den besten Kämpfer ermüden; doch mit vernünftigem Muthe
den Gang gewagt, und nichts übertrieben, ist immer den halben
Weg gewonnen.
Diesem Grundsatze getreu, änderten und beßerten sich
meine Umstände zwar langsam, aber dich sicher; erübriget wurde
nichts, weil ich keine meiner andern Pflichten dabey hintensetzen
konnte. Daher ich auch genöthiget gewesen bin, verschiedene ander-
weitige Beförderungen auszuschlagen, als: die Organisten-Stellen
in Sondershaußen, Eißleben, und Merseburg, wobey Herr Kapell-
meister Naumann, Musick-Direcktor Doles, und andere Gönner,
Empfehlung für mich eingelegt hatten. An keinem dieser Orte
war die Vergütung der Reisekosten und des Transports hergebracht.
Meine Hofnung blieb aufs Vaterlang gerichtet, nicht, weil
ich einer beßern Versorgung werth zu seyn glaubte, sondern
weil ich mich bey den Hülfsmitteln, durch die man sich in ein
Fach leicht einpaßt, erhalten, und seiner Vorsorge nie unwürdig
gemacht hatte. Daß es mir indeßen diese Gunst nicht angedeigen |<83>
ließ, habe ich aus der Menge der Bittenden und andern Um-
ständen, ganz wohl erklären können, bin gelaßen geblieben, und
habe meine iedesmahligen Landesfürsten, unter dreyen regierungen,
im Stillen geliebt.
Der Beförderer ist beynahe eben so übel daran, als der zu
Befördernde [gewöhnlich ist die Zahl], den Studierenden, weit größer,
als die Anzahl der Stellen. Seine Hülfe kann nicht allenthalben
hinreichen. Sie muß sich verspäten, oft ganz ausbleiben. Der
große Herr ist überdieß mit keinem hinlänglichen Verzeichniß
über seine studierenden Landeskinder versehen; Er kennt sie
nicht nach allen Umständen, Eigenschaften, Leiden, Ausharren,
bewiesener Treue im Kleinen, und darüber aufgeopferten besten
Jahren; Er erfährt durch die National-Inspecktoren der Academie
höchstens etwas im Allgemeinen über das Wie? Der zugebrachten
Universitäts-Jahre, und bey Verträgen der Bittschreiben, ist
Er genöthiget, Relationen zu trauen, indeßen der Suchende wegen
der mancherley zu <<>>stirenden Defilis und Vorposten, ehe er
ans Hauptthor kommt, wünschen möchte, ein handwerck gelernt |<84>
zu haben, um seine Menschheit, nicht wie die Thierheit eines
Rehes, herum iagen zu laßen.
Dieß alles und noch mehreres erschwert eine der wichtigsten
Angelegenheiten (das Versorgen) und läßt iedem guten Regent
Zweifel übrig, daß Seiner Gerechtigkeits-Liebe nicht überall volliges
Genüge geschehe. Ein solches lie<<>> phi<<>> <<>>isches Verzeich-
Niß, welches von den Schul-Jahren anheben, und von dem hierzu
aucktorischen Verfertiger fortgeführet werden müßte, würde das
Versorgungs-Geschäfte zur Vollkommenheit erheben, so wie die
Notiz eines solchen Buchs, (gleichsam des civilen Lebens und
Todes) auf das Verhalten der Studierenden, und auf die Erlernung
gründlicher Wißenschaft, mehr, als alle andere Gesetze würcken
würde.
Vielleicht, daß dieser Gedäncke nicht leer hin fällt; vielleicht, daso
gute Landesväter, auf diese Art dem Elend so vieler unversorgter
oder auch halbversorgter Studireter, die, gleich belegten Jungfrauen,
ihre Schmach im Verborgenen tragen, abzuhelfen, und den schönen
Vater-Nahmen vorzüglich von dieser Seite lieb gewinnen werden. |<85>
Mein Herz hat hier geredet, nicht meine Einsicht, die über
Einrichtung und den Lauf der Dinge, nur zu einem mittelmäsigen
Grade anwachsen konnte; aber daßelbige Herz hat auch, da es
nicht platonisch genug war, zu glauben, daß Tugend allein
hinreiche, den Menschen auf dieser Erde glücklich zu machen,
in einer Reihe von achtzehn Jahren, selbst mehr als zu wohl em-
pfunden, wie unangenehm es sey, auf vaterländischen Beystand
stillschweigend Verzicht thun zu müßen.
Das Verhältniß eines Landes und seiner Eingebohrnen, ist das
Verhältniß einer Mutter zu ihren Kindern, und dürfte ich ienem
Hexamater des Ovids*[30] eine verbeßerte Lesart geben, so würde
ich statt nescio-Sentio setzen, weil sich die Sache nicht nur empfinden
sondern auch deutlich erklähren läßt. Sie ist Band der Natur,
und folglich eines höhern Ursprungs, so sehr auch dieß Band in
den Republicken der Griechen und Römer vielleicht nur Hang
zur Macht, nur politischer Grundsatz gewesen seyn mag.|<86>
Mein Vaterland hat mich indeßen nicht gefaßt, nicht ausgetre<<>>
nur bloß meine Lage verkannt, weil ihm das obige Verzeichniß
fehlte. Es ist keine Gegend für mich geworden, wo mich das And[enken]
begangener Fehler quälen darf; ich habe da nie die gute Meynung
anderer durch künstliche Lügen erbettelt; bin ohne <<>> ein[her]
gegangen, nicht schlecht; aber recht; habe <<>> Unschuld des Herz[ens]
eines Intereße der Juristerey geopfert, und mich lieber zu einer
einträglichen Verrichtung herabgestimmt, als die Bürde eines
verlezten Gewißens tragen mögen. Dabey hat sich meine Ver<<>>
und Pflicht nie selbst so weit ermangelt, daß ich nicht die Mittel
hätte gebrauchen sollen, eines beßern Glücks theilhaftig zu werden
doch da dieß nicht geschehen, soll ich darüber zürnen? Mit we<<>>
mit dem Vaterlande? Dazu sind meine Gesinnungen zu kindlich.
Soll ichs aber auch mehr, als mein ietziges lieben, das mir so
willig die Hand reichte, wo Ernst, nicht als Fürst, (dieß
könnten leicht alle Fürsten) nein, weiter über den Fürsten-Titel
erhaben, als Philosoph und Christ, den trüben Morgen und den
unsichern Mittag meines Lebens, zu einem heitern Abend auf- |<87>
klähret, ohne den Rechten Seines eben so groß und edeldenckenden
Durchlauchtigsten Freundes, Carl Augusts, etwas benehmen zu
wollen; dazu, sag ich, sind meine danckbahren Empfindungen für
den Einen, und das natürliche Gesetz für den Andern, gleich
groß, starck, und unverbräuchlich.
Noch kann ich das Verborgene dieser Führung nicht entdecken,
sondern begnüge mich, daß eine höhere Vorsicht über die Begebenheiten
unsers Lebens wacht, in deren Plan alles Einzelne und Ganze
aufs genaueste zusammenhängt; so viel aber darf ich hoffen,
in einer Verbindung des edelsten Theils der Menschen, die das
Vermögen zu beglücken nicht besitzen, ohne auch beglücken zu
wollen, und deren Einsicht in Charackter und Lagen, ich meine
Schicksale, Gesinnungen, Unvollkommenheiten, und das ganze
Gewebe meiner Gefühls-Fäden, ieden Wünckel des Herzens, mit
so viel unumschräncktem Vertrauen bißher geöfnet habe,
gewiß nicht bestimmt worden zu seyn, Wohlthaten des Lebens,
und die von außen gewürckte innere Zufriedenheit und Ruhe
der Seele, vor leere Einbildung zu halten, sondern durch die |<88>
Gnade und Beyhülfe solcher, der Unsterblichkeit würdigen Männer,
vielmehr einen billigen Antheil daran zu nehmen.
Doch wie? Bin ich nicht glücklich? Hat die Sonne für mich allein
kein lachendes Antlitz? Wo ist auf einmal das Geistige, welches
mir durch meine bißherige Erzählung vor Augen schwebte? Wo die
gerühmte Verkettung, die alles zu einem glücklichen Ganzen
einreihet? Ist nicht mein ietziger Weg von demselben Punckte
ausgegangen, wo meine Jugend ruhete? Hat nicht mein
verändertes Schicksal seine Entstehung da, und durch dieselbige
Familie genommen, die von meiner Jugend an bestimmt zu
seyn schien, Mittel zu einem entfernten Zweck zu werden? Haben
sich nicht nach dreysig Jahren, Umstände, die wie einzelne Regentropfen
hingefallen waren, zusammen formiret, und sich mit einem nach-
haltigen Fluß vereiniget, da sie längst verflogen zu seyn schienen.
Warum freuet mich dieses nicht?
Ist mein Muth, sind meine erkennten Grundsätze der Religion
und Vernunft nicht fest? War das Vertrauen auf sie, vielleicht
nur ein Vertraun zu mir? Ist mein theuerster Herzog nicht |<89>
groß und gut? Flöße sein gnädiger Blick, den ich noch nie ver-
ändert fand, mir nicht mit iedem Morgen die Beruhigung eines
ganzen Tages ins Herz, wenn mich alles verließ, wenn ich fremd,
unbemerckt, bloß in mich selbst verschloßen, zu Seinem fürstlichen
Wohnsitz aufwallete? Warum geht mir die Überzeugung nicht
über alles, daß Er auch meinen Wünschen die weiseste, geschickteste
Modification zu geben geruhen wird?
Wenn werde ich in so weit wieder zu mir selbst kommen, zu
glauben, daß man unter Kennern des menschlichen Charackters etwas
überflüßiges thue, wenn man Sie zur Mitempfindung unsers
Innern auffordert? Sind Sie nicht Aufgeklährte? Ist nicht der
Aufklährung Schwester die Menschenliebe? Habe ich nicht von Ihnen
bereits die stärcksten Beweiße darüber empfangen, oder bin ich selbst
in dieser Tugend zu unerfahren, um nicht zu wißen, daß der
Menschenfreund schon alle die Gesichtspunckte, aus denen er uns
zu betrachten findet, gefaßt hat, noch ehe wir sie ihm vorzeichneten,
und daß er uns gleichsam da erwartet, wo wir ihn suchen?
O! meine Ehrfurcht, Liebe, Hochachtung, Danckbarkeit gegen |<90>
Männer von so erhabenen Eigenschaften,würden nicht dieselbigen
seyn, wenn ich Ihrer Einsicht nur im mindesten zuvorkommen,
und nicht mein ganzes Glück in Ihre Hände legen wollte.
Sie haben mir erlaubt, das Gemälde meiner Lebensgeschichte
zu entwerfen. Sie werden viel Schatten darinen finden und
des reichere Licht vermißen; allein ich habe die Farben nicht selbst
aufgetragen, und es ist Ihrer Gütigkeit überlaßen, selbige beßer
zu nuanziren. Ist mein Bild zuweilenienes des muthlosen
Ackermanns, der seine ihm im Erbe zugefallenen Aeckergen
theils nicht begatten konnte, theils von den gepflügten und besäeten
nicht die gehofte Frucht erndete; entbehre ich eines tröstende
Häußliche, feindliche, Behagliche, Gesellige, Erhebende, zu Unter-
nehmungen Ermunternde, und für die zukunft Beruhigende,
in solchen Jahren, wo diese Stücke nach ieder vernünftigen Moral
also so viel wesentliche Glückseeligkeiten des Lebens anzusehen
sind; haben diese kleinen Beruhigungen des Lebens anzusehen
womit unser Leben bezeichnet seyn soll, mercklichen Einfluß;
führt ihre Abwesenheit eine Menge Unstatten, und würckliche |<91>
Sorgen mit sich, welche an der glücklichen Vollbringung unserer
Geschäfte, und an ienem Vergnügtseyn im Schöpfer, hindern, daher
Auch Salomo spricht: es ist nichts beßers, denn daß ein Mensch
vergnügt sey über seine Arbeit; (Pred. Cap. 3.) nun so sind
dieß alles Farben, die einer richtigen Mischung bedürfen, und
vielleicht ist die Meisterhand schon angelegt, die sie ordnen
und schöner ausmahlen wird.
Indeßen kann mich weder die bißherige ganz unverdiente
höchste und hohe Zufriedenheit, womit mein Verhalten und be-
wiesener guter Wille in dem, wozu ich berufen bin, gnädigst
und freundlichst bemerckt wurde, noch der Gedancke: einer
vielvermögenden Gesellschaft zuzugehören, zu einiger Hofnung
berechtigen. Ich kann nichts wünschen und wollen, als was
zugleich auch Absicht meiner Beförderer ist, auf deren Be-
günstigung ieder Schritt meines nich übrigen Lebens beruhet.
Ist aber Menschen-Leben ein Wort von großer Bedeutung,
theure Sache vor Gott, heilig dem Besitzer, und heilig der
Gesellschaft; sind wir einer an den andern gewiesen, deßen |<92>
wechselseitige Annehmlichkeiten zu befördern; brauchet der vor-
nehmste Theil eignen Glücks, eigner Zufriedenheit und Wonne
in dem Bewußtseyn, zum Besten der andern beygetragen zu
haben; dürfen wir hierzu die Mittel wünschen, und ist dieser
Beytrag oft eben nicht mehr Mühe, als es dem Gärtner ist,
ein anderndes Baumblatt vom Veilchen wegzunehmen, um
ihm zum Blühen Luft zu verschaffen, oder einen Scherben über
die fallende Pflanze zu decken, um sie vor der Hitze zu sichern,
o! dann gebe man uns mehrere Ernste, und die Menschheit
wird sich wohl befinden.
Gott, der Erhalter meiner Jugend und des Fortgangs meines
Lebens, erhalte auch mir die schöne Gesinnung Seines allge-
Mein wohlwollenden Herzens! Sie sind, nechst Gott, nunmehro
mein einziges stärckstes Asgl geworden, Grundreste, auf die ich
ieden Gedancken zu meiner Beruhigung baue, und [möchten ihn
mein Gnädigster und andere Theilnehmer meiner Lage doch be-
gnadigen und begünstigen wollen!] auch den, der seit kurzem
mehr als bloßer Embrio in meiner Vorstellung liegt, nach allen |<93>
seinen Theilen verhältnißmäßig geordnet, folglich nicht ungestaltet
nach der moralischen Seite scharf überdacht, in seiner Ausführung
leicht, still, ohne viel Urtheil zu erregen vorzüglich aber mit völligem
Accrochement an die Hauptsache und deren mehrere Betriebsamkeit
mit frohem gesicherten Muthe, verbunden ist.
Dürfte ich diesen Gedancken, wobey kein blinder Wahn, keine
Leidenschaft des Ruder führt, auf Erfordern zu höchster und hoher
Beurtheilung vorlegen, so würde ich selbst diese Erlaubniß als Gnade,
als Güte erkennen, seine Bewilligung aber einst, wenn ich weiter
nicht bedarf, daß Menschen sich meiner annehmen, vor Bewohnern
einer vollkommenern Welt preißen.
Syracus
den 16.ten Mordad
1154.
Ali.
Notes
- ↑ offenbar der Bezug auf eine Aufgabenstellung durch den Illuminaten-Orden, der Aufgaben für Aufsätze stellte. Der Orden wird später, Seite 19 und 21, explizit als Themensteller genannt.
- ↑ aufzulösen zu: erhabenen
- ↑ Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805), Versuch eines Schulbuches, für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch in Dorfschulen (Berlin: Nicolai, 1772), PPN 661055639, Digitalisat
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- ↑ Auch dies könnte aus der Themenstellung stammen.
- ↑ Ernst II. Ludwig von Sachsen-Gotha-Altenburg Item: Q978, bei dem Rudorff als Sekretär angestellt war.
- ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Metellus ayant envie, de se rendre maître d’une place,
un Capitain l’asûra, qu’il t’emporteroit, sans qu’il en
coûtat plus de dix soldats. Veux-tu, lui demanda
Metellus, être un de ceux soldats?
Divers. curieus. 7me P. 161 - ↑ Siehe Diversitez curieuses pour servir de recreation a l'esprit. Septiéme Partie (Amsterdam: André de Hoogenhuysen, 1699), S. 167 Digitalisat
- ↑ Gemeint ist Quintus Caecilius Metellus Macedonicus (* zwischen 190 und 185 v. Chr.; † 115 v. Chr.), der älteste Sohn von Quintus Caecilius Metellus, der im Jahr 206 v. Chr. Konsul gewesen war. Die Passage überliefert Plutarch in den Moralia 2,2: Ein Mannschaftsführer berät Metellus, dass eine gefährliche Stellung mit nur zehn Mann Opfern genommen werden könne, und Metellus fragt zurück, ob er einer der zehn sein wolle.
- ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) So wurde Heinrich Stilling behandelt. Er muste der Dieb
seyn, weil er der Aermste im Hauße war. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Cit. d. Sen. C. 16. Mea quidem Sententia, haud scio, an ulla beatior
esse vita possit, quam eorum, qui agris colendis dant operam: -
- neque solum officio, quod hominum generi universe cultura
Agrorum est salutaris, sed et delectation, saturitate, copiaque
rerum omnium, quae ad victum hominum pertinent. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(**) Columel. Praes. Vita rustica sine dubitatione proxima et quasi
consanguinea sapientiae est. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Möchte es doch zweckmäßige Schulen und Erziehungs-Institute genug
geben, um die Kinder hinein zu schicken! Möchten gewiße Claßen
von Eltern aber auch die ihnen angestammte Pflicht des Unterrichts
und der Erziehung ihrer Kinder, (wozu ein Steuerdirecktor Weiße
in Leipzig, noch Zeit fand,) nicht zu sehr vor fremde Pflicht halten!
Möchten die bereits vorhandenen armen Studierten, denen man
ihre Entbehrlichkeit fühlen läßt, sich entschließen, sich zu einer
Manipulations-Gesellschaft zu vereinigen; Könige deutscher
Erde aber es thunlich finden, nach dem Verhältniß der vorhandenen
Offizstellen, die, weit über die Neun, herangewachsene Musenzahl,
wieder herabzusetzen, und sich selbst der häufigen Supplicken zu überheben! - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Si non ipso honesto movemur, ut boni viri simus, sed utilita<<>>
aliqua atque fructu; callidi sumus, non boni. Cic. Leg. I. 14. <<>>
Ut enim quisque ad suum commodum rescet, quaecunque ag<<>>
ita minime est vir bonus. Ibio. 18. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Aelian. V.H. 12. 56. Salse ridebat Diogenes, Sinopensis,
inertiam et incuriam Megarensium, qui liberos nullis bonis
artibus instruebant, curam vero pecorum diligentem habeant,
dicens: malle se Megarensis alicuius arietem esse, quam
filium. Et non absimili sententia ego: quam Megarensis
instructorem. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Wenn der Organist: Lobet den Herrn, den mächtigen König der
Ehren p und: Wer nur den lieben Gott läßt walten p mit
gleicher ruhiger Seele vorträgt; wenn er sich nicht über das gemeine
Orgelspielen erhebt; nicht wahre reine Harmonie mit Geschenck
und Präzision verbindet; keines eigenen Gefühls fähig ist,
noch den Gesang gleichsam mit einem beständigen Commentar
zu illustriren weiß; dann ist er elender Schwätzer statt
Redner zu seyn; Profeßionist, der uns den Rock verschneidet,
und ihn durch unschickliche Heft und Schlingen zum Ansitzen
herbey zu nöthigen sucht. Das Sinnlichschöne bey unserm
Gottesdienste, ist allezeit Nothwendigkeit gewesen, und es sey
entweder ganz weg, oder in einem vollkommenen Grade da! - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Quid dulcius hominum generi a natura datum est, quam sui
cuique liberi? Cic. - ↑ [Fußnote des Texts:]
(*) Nescio, qua natale solum dulcedine captos
Ducit, et immemores non sinit esse sui. Ov. Pont. 1.3.