D-Q4507: Difference between revisions
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Auf Befehl der Obern entwerf ich hier die Geschichte meines | |||
Lebens, und meines Karakters. Ersters zerfällt von selbst in | |||
zwey Theile, das moralische und schriftstellersche. | |||
Ich bin den 3<sup>ten</sup> März 1751 geboren, und verlohr bereits in mei- | |||
nem fünften Jahre meinen Vater; die Heyrath meiner Mutter | |||
mit dem nun auch verstorbenen, Geheimen-Regierungs.Rath | |||
<u>Rudorff</u>, erseste mir disen Verlust; denn diesem redlichen | |||
Mann verdanke ich eine sehr sorgfältige Erziehung, und ich | |||
gehe nie bey seinem Grabe vorüber, ohne mich gerührt und | |||
mit Dank für seine Wohlthaten dahin zu wenden. Ich ge- | |||
noß auch viele Liebe von meinen Ur-Groß-Eltern, dem | |||
Kämmerer <u>Hallstedt</u> und seiner Frau; sehr rechtschaffenen Leu- | |||
ten, bey denen ich die ersten 10-12 Jahre meines Lebens zu- | |||
brachte. Ich ging in meinem sechszehnten Jahre nach | |||
Göttingen, blieb da ein Jahr, ging ein Jahr nach Leipzig, | |||
und beschloß meine Studien mit einem zweyjährigen Aufent- | |||
halt in Jena. Ich widmete mich den Rechten, ich müste | |||
aber wohl diese vier Jahre zurükwünschen, um sie von | |||
neuem zu nutzen, weil ich in meinem Gewißen über- | |||
zeugt bin, daß ich weniger darinn gelernt habe, als ich | |||
hätte lernen können. Die drey ersten Jahr war ich mir | |||
meistens selbst überlasen, und meine Hofmeister waren | |||
elende Subjekte, denen mehr an ihrem Salar, als an | |||
meiner Aufsicht gelegen war. Ich verschuldete manche | |||
lustige, sogenannte, Studenten-Streiche, darf mich aber | |||
keines <u>schlechten</u>, in irgend einer Bedeutung dieses Wortes, | |||
schämen, so wenig ich mich auch nachher und bis jezt irgend|<2> | |||
einer boshaften oder niedrigen Handlung, selbst im Schoose mei- | |||
nes Gewißens nicht, zu zeihen habe. | |||
Revision as of 16:43, 11 July 2019
- Metadata: Item:Q4507
- Transcript and Commentary: Christian Wirkner (talk), 11 July 2019
Commentary
Transcript
Auf Befehl der Obern entwerf ich hier die Geschichte meines
Lebens, und meines Karakters. Ersters zerfällt von selbst in
zwey Theile, das moralische und schriftstellersche.
Ich bin den 3ten März 1751 geboren, und verlohr bereits in mei-
nem fünften Jahre meinen Vater; die Heyrath meiner Mutter
mit dem nun auch verstorbenen, Geheimen-Regierungs.Rath
Rudorff, erseste mir disen Verlust; denn diesem redlichen
Mann verdanke ich eine sehr sorgfältige Erziehung, und ich
gehe nie bey seinem Grabe vorüber, ohne mich gerührt und
mit Dank für seine Wohlthaten dahin zu wenden. Ich ge-
noß auch viele Liebe von meinen Ur-Groß-Eltern, dem
Kämmerer Hallstedt und seiner Frau; sehr rechtschaffenen Leu-
ten, bey denen ich die ersten 10-12 Jahre meines Lebens zu-
brachte. Ich ging in meinem sechszehnten Jahre nach
Göttingen, blieb da ein Jahr, ging ein Jahr nach Leipzig,
und beschloß meine Studien mit einem zweyjährigen Aufent-
halt in Jena. Ich widmete mich den Rechten, ich müste
aber wohl diese vier Jahre zurükwünschen, um sie von
neuem zu nutzen, weil ich in meinem Gewißen über-
zeugt bin, daß ich weniger darinn gelernt habe, als ich
hätte lernen können. Die drey ersten Jahr war ich mir
meistens selbst überlasen, und meine Hofmeister waren
elende Subjekte, denen mehr an ihrem Salar, als an
meiner Aufsicht gelegen war. Ich verschuldete manche
lustige, sogenannte, Studenten-Streiche, darf mich aber
keines schlechten, in irgend einer Bedeutung dieses Wortes,
schämen, so wenig ich mich auch nachher und bis jezt irgend|<2>
einer boshaften oder niedrigen Handlung, selbst im Schoose mei-
nes Gewißens nicht, zu zeihen habe.