D-Q5262

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Commentary

Transcript

St. Petersburg den 7/18 Dec. 1787.

Die Abgeschiedenheit, in welcher ich von dem Schauplatz interessanter moralischer Auftritte
lebe, und welcher verursacht, daß ich die Trennung von Ihnen, meine unbekannten aber dennoch gelieb-
ten u. verehrungsw. Freunde, doppelt so schwer fühle, erhöht mir jederzeit den Genuss der wenigen kost-
baren Augenblicke, in welchen es mir vergönnt ist, in Ihre Mitte zu treten und mich mit Ihren freund-
schaftlich zu besprechen. So viel Ursache ich auch habe, Gott dafür zu danken, daß er mich hier auf der
unwirthbaren Küste des baltischen Meers einen kleinen Zirkel auserlesener Menschen finden ließ, so krankt
mein Herz dennoch immer an der Wunde, die ihm der Abschied von Deutschland verursachte, und welche
wol durch keine andere Kur als eine baldige Rückehr dahin, und in Ihren Schooß, m. Br. geheilt werden
dürfte. - Die guten Menschen, mit welchen ich hier bekannt ward, und welchen zwey, Namens
Leonhardi[1] und Dobbert[2] [ersterer aus Berlin, letzterer aus St. Petersb.] schon vor längerer Zeit in England
in unsern O. aufgenommen sind, habe ich, so viel mir thunlich war, mit meinem lieben Rev. vertraut zu
machen gesucht. Dieß, und daß ich den 3. Grad in der F.M. erhalten habe, wird Ihnen also schon be-
kannt seyn - Wenn ich zur Zeit noch nicht so thätig für den O. war, als ich es billig hätte seyn
sollen, so mag mich meine äusserst kritische Lage entschuldigen, die meiner Sele alle Federkraft raubt.
In meiner Wissenschaft komme ich eher zurück als vorwärts, da es mir durchaus an allen Hälfsmit-
teln fehlt. Die Bekanntschaft, in welche ich mit den mehreren Gliedern der hiesigen Ak. der Wiss.
getreten bin, verhindert, daß ich nicht gänzlich ein Fremdling in der Literatur werde. An eignen Ar-
beiten in meinem Fach ist, unter diesen Umständen und in diesen Verhältnissen, gar nicht zu denken. Mein
Amt als Redner bey der □ das Eichthal, von welcher Leonh. Meister v. St. ist; jetzt mich zuweilen in die
Nothwendigkeit für den O. arbeiten zu müssen, und diese Arbeiten sind zuweilen so glücklich, den Beyfall
aufgeklärter Br. zu verdienen. - Mein moral. Karakter scheint - wenn Eigenliebe mich nicht verblen-
det - weder gewonnen, noch verlohren zu haben - Verlusts genug! Der Hang zum häuslichen besonders
ehelichem Leben wird täglich stärker bey mir, und die traurige Perspective die mir mein Schicksal baut,
läßt mir wenig Hofnung für die Befriedigung dieses Wunsches übrig. Die mahe Bahn, welche ich bey
meinem ersten Eintritt in die große Welt betreten mußte, hat die sanftern Gefühle meines Herzens zerstört,
und die gehören idealischen Träume, in deren Genuß ich oft so glücklich war, vernichtet. Ich werde
mißtrauisch gegen alle Philosophie der Schulen, weil ich einsehen lerne, daß sie nur zum Spielwerk für
Glückliche taugt; der Gewinn jeder herben Erfahrung, die ich mache, ist ein Trost für meine kranke
Sele. Das Gefühl eignen Unglücks verschließt mein Herz den kosmopolitischen Empfindungen und
Ideen, in welchen meine trunkne Sele sich so oft herumwälzte - das allgemeine Wohlwollen,
welches ich ehedem, kühn genug, für den karakteristischen Zug meines Herzens hätten angeben mögen,
ist verschwunden, und ich fühle, daß ich ein Egoist werde. Ist das die gepriesene Schule der Er-
fahrungen und Leiden? --- Br. Sully
[N.D. Dies ist das 2te q.L. welches ich von Petersburg absende.]

Notes

  1. Zu ermitteln.
  2. Zu ermitteln.