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Metadata

Item:Q6634

Transkript

Anlage B

Probeschrift über die Frage: Sind geheime Gesellschaften einem
Staate schädlich? Kann er solche dulden, ohne sich selbst zu schwächen?



Wenn Freymüthigkeit im Denken und Schreiben dasjenige Gut ist,
welches der Mensch vorzüglich sucht, und nur in geheimen Verbindungen zu fin-
den hoffen kann; so wage ich es, mit Erlaubnis der erlauchten Obern,
vielmehr eine andre Frage entgegen aufzuwerfen: Sind geheime Gesell-
schaften, wenn sie gegen das Interesse eines Staates und ihnen schäd-
lich sind, auch deswegen allzeit unrechtmässig? Kann nicht vielmehr der
Staat alle Ursachen haben, sie nicht zu dulden, ohne daß sie an ihrer
Rechtmässigkeit und Güte nur das geringste verliehren.
Ist alles Verbothene auch gleich ein Uebel? ganz gewiß ein Uebel
für den, der das Verboth ergehen lässt, aber darum auch nothwen-
dig ein Uebel in anderer Rücksicht?

Kann diese weitere Rücksicht, nicht auch so allgemein, so gemein-
nützig seyn, daß vielmehr das Verboth selbst ein Uebel ist, weil
es ein grosses Guth hindert?

Darf ich zweifeln, fragen, untersuchen, ob Staaten allzeit ein
Guth sind? |<17>

Es kömmt also darauf an, ob es kann richtig erwiesen werden,
daß die Staaten nicht für alle Zeiten nothwendig und für mensch-
liche Glückseligkeit wesentlich seyen?

Ist dieser Satz gewiß, warum soll der Freund der Wahrheit
diesem Satz nicht beystimmen, oder daran arbeiten, daß
etwas Böses aufhöre?

Kann aber dieser Satz nicht erwiesen werden, so ist die ge-
heime Gesellschaft böse, man hat alles Recht sie als schädlich
zu unterdrücken.

Ferner finde ich nöthig, diese Frage genauer zu bestimmen:
Verdient eine Gesellschaft schädlich genannt zu werden, wel-
che einer üblen Staatsverfassung entgegen arbeitet?

Also wäre es fehlerhaft lasterhaft, dem Orient eine
gelindere Regierung zu geben? den Despotismus zu hin-
dern, aufzuheben?

Die Mängel und Gebrechen eines Staats durch geheime Anstalten
zu heben?

Wenn denn dieses nichts böses ist, und nur von dem misbilligt
werden kann, gegen dessen schädliches Interesse man arbeitet,
so kann also eben darum eine Gesellschaft gegen den Staat,
von ihm verbothen, und mit Unrecht verbothen seyn.

Es wären daher nur diejenigen geheimen Gesellschaften ge-
fährlich, welche guten Staats-Einrichtungen entgegen arbei-
teten. Hier erlaube man mir etliche Zweifel und Fragen.

1, Wo sind diese ganz guten und unverbesserliche Staaten?

2, Sind nicht in der besten Regierung noch eine Menge Män-
gel und Gebrechen, welche keine Staatskunst zu steuren im
Stande ist? |<18>

3, Woher sind die Staaten und in ihnen die oberste Gewalt entstanden?

4, Wenn solche der Vereinigung der Menschen und den gesellschaftli-
chen Verträgen ihren Ursprung schuldig sind, was hindert sodann
die Menschen, eine neue, weitere, gegenseitige Verbindung einzugehen?

5, Gehören Holland, die Schweiz, das päbstliche Gebieth, die Mo-
narchie der Carolinger, unter die rechtmässigen Staaten? Haben
sie sich nicht durch Empöhrungen gegen ihre vorigen Herren
losgerissen und unabhängig gemacht?

6, Darf ich auch in diesen Staaten nicht gegen eine Gewalt
handeln, welche durch Empöhrung entstanden, und keinen wei-
tern Titel ihrer Rechtmässigkeit vor sich hat, als die Unver-
mögenheit ihrer vorigen Herren, sie wieder an sich zu bringen,
den Lauf der Zeit, und die Weisheit der Menschen, die das für
Recht ansehen, was man den andern Staaten, aus eigner Schwä-
che, nicht entziehen kann?

7, Sind die heutigen Americaner, Rebellen oder nicht? Ist das
letzte; so darf man gegen den Staat handeln, sich befreyen.
Ist das erste; so frage ich weiter: Darf ein Americaner ge-
gen diese, seine rebellischen Landesleute handeln? Auch als-
denn noch, wenn die Unabhängigkeit von America sollte
anerkannt werden? Auch noch, wenn America schon hundert
Jahre in dieser Unabhängigkeit lebt? Hören die Americaner
darum auf, Rebellen zu seyn, weil sie Spanien und Frank-
reich für einen eignen souverainen Staat erkennen? Wäre
die Schwäche und Unvermögenheit Englands ein hinlänglicher
Titel zur Souverainität?|<19>

8, Wenn man in den Ursprung der Staaten hineingehen will,
sind nicht die meisten der heutigen, durch Usurpation enstan-
den und durch Gewalt vergrössert worden? Eine geheime Ge-
sellschaft darf also nur denjenigen Staaten nicht nachtheilig
seyn, welche rechtmässig fortgesetzt werden; denn, war-
um wollte eine usurpirte oberste Gewalt, das an ihren
Untergebenen verdammen, was sie selbst gegen andere,
ihre vorigen Herren gethan? oder heiligt der Verlust
von 100 oder 1000 Jahren, eine Frevelthat und Empörung?

Nun wäre hiermit unsre Frage so weit eingeschränkt
und beantwortet, daß eine geheime Gesellschaft unrecht-
mässig sey, welche einem rechtmässig entstandenen,
gut eingerichteten Staate entgegen ist, und mit dem allen
finde ich auch hier noch Bedenklichkeiten und Zweifel.

Ich kann mir zwey Fälle denken, wo dieser Satz wahr seyn
kann:

1, Wenn der Zweck der geheimen Gesellschaft geringer,
eingeschränkter und verderblicher ist, als der Zweck des Staates.

2, Wenn der Satz schon richtig und ausgemacht ist, daß die
Staaten der Zweck sind, daß die Menschen wegen der Staaten,
keineswegs aber die Staaten wegen der Menschen vorhanden sind.
Wie aber, wenn alle Staaten nur Mittel oder Stufen wären,
um noch etwas besseres hervorzubringen?

Wenn die längere und ewige Fortdauer der Staaten,
selbst am Ende die Herbeyführung dieses besseren hinderte?

Sollte eine Gesellschaft unerlaubt seyn, die einen noch
besseren, allgemeinen, uneigennützigen Zweck hätte, als
die Staaten selbst? die selbst auf das ginge, wozu Staaten
nur stuffenweise Mittel sind.|<20>

Wäre es nicht auch möglich, daß man den Staaten den nehm-
lichen Vorwurf mit Grunde machen könnte, den sie andern ge-
heimen Verbindungen machen, nehmlich, daß sie einen sta-
tum in statu bilden?

Soll der Freund der Wahrheit und des Menschengeschlechts
nicht freudig einer solchen Gesellschaft beytreten, wo der
Zweck und Nutzen noch allgemeiner sind.

Soll es nicht erlaubt seyn, gegen die Rechte der Für-
sten zu handeln, wenn solche gegen höhere, unver-
werfliche Rechte, wären? wenn sie das hinderten,
was höchster und bester Zweck der Welt und der Natur ist?

Sind Fürsten nicht vielmehr selbst verbunden, ihre Rechte auf-
zugeben, sobald sie gegen die Rechte und Würde der Menschheit sind?

Meiner geringen Meynung nach, kömmt es alles darauf an,
wessen Zweck höher, würdiger, allgemeiner sey? Nur das
behaupte ich:

1, alle Gesellschaften sind unerlaubt und gegen den Staat,
welche einen geringeren und engeren Zweck, unabhängig
von dem Staate errichten wollten;

2, alle Gesellschaften sind erlaubt, welche einen höhe-
ren und würdigeren Zweck als der Staat selbst haben, und
da kann es

3, geschehen, daß Staaten selbst unerlaubt, ein status in statu
werden, wenn sie diesem höheren entegegen stehen.

Wäre es nicht wunderlich, wenn die Absicht Gottes und
der Natur blos dahin ginge, etliche seiner Lieblinge
unter den Menschen, groß, mächtig und glücklich zu machen,
und um solches bewürken zu können, wenn sie alle|<21>
übrigen der Knechtschaft und dem Eigensinn ihrer Lieblinge
unterworfen hätte. Wäre nicht noch ein weiterer Zustand
möglich, wo dieses Glück nicht ausschweifend für etliche
wenige, sondern allgemein würde? und könnte allge-
meiner verbreitete Vernunft nicht alle Menschen belehren,
daß derjenige, so sich selbst zu leiten weiß, keines
andern zu seiner Leitung benöthigt ist?

Am Ende mus ich noch bemerken, daß es auch ein
merkwürdiger Unterschied sey, auf welche Art eine
Gesellschaft gegen den Staat handelt.

Wenn sie sich von Königsmord, Empöhrungen der Un-
terthanen enthält, nur dem Laufe der Natur folgt,
ihr die Hand biethet, nichts weiter thut, als auf al-
len Wegen das Licht zu verbreiten, und den Menschen
die grosse Kunst lehret, sich selbst regieren zu können,

solte dieses wohl unrecht seyn? Sollte alle Gewalt
der Fürsten wohl im Stande seyn dieses zu verhindern,
daß es nicht seiner Zeit geschähe. Ich glaube nicht, denn
in dieser Welt würken meistentheils alle Mittel entgegen,
nicht mehr und nicht weniger, als daß sie das, was
man hindern will, um so gewisser befördere.

Dieses sind nun meine Gedanken über die vorgelegten
Fragen. Ich habe sie kühn und mit aller Freymüthig-
keit beantwortet, nicht als wenn ich glaubte, daß die-
ses der Zweck des Erlauchten Ordens wäre, sondern
weil ich mir vorstellen kann, daß ich es mit Männern|<22>
zu thun habe, die über alle Vorurtheile hinweg sind, de-
nen jede neue Art einen Gegenstand zu behandeln,
gefällt, wenn sie auch noch so kühn wäre. Die selbst
eigenes Interesse nicht hindert, eine Sache zu untersu-
chen, dessen [!] Falschheit ihnen verwerflich wäre. Und in
dieser Zuversicht, wenn auch Fürsten Mitglieder dieses
Erlauchten Ordens seyn sollten, werde ich wegen
meiner Abhandlung nicht erschrecken, denn ich weiß,
daß sie Mitglieder einer Gesellschaft sind, wo die Auf-
klärung so groß ist, daß man auch gegen eigenes In-
teresse denkt und handelt. Habe ich gefehlet, sind
meine Sachen falsch, so bitte ich, mich zurück zu führen.
Ich folge der Wahrheit, wo sie nur ist. Und wenn
hier auch alles falsch seyn sollte, so ist die Frucht
groß genug, wenn sie denken macht; wenn man-
cher Kopf über einen Gegenstand erwacht und zwei-
felt, den er sonst nicht einmal das Herz gehabt,
vor unausgemacht zu halten.



Nach Philoni Versicherung sind diese beyden
Abhandlungen A & B von Spartaci:
Aemilius

Notes