D-Q7494

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Transcript

RR. 23 Meher. 1155

Jacob Thomasius

Lieb[er] Br[uder]

Ihr Q.L. vom vorigen Monate
Mordad berührt ein höchst
trauriges Sittenverderbniß.
Ein neues Laster ist es nicht;
In großen Städten haben auf-
merksame Beobachter es längst
schon bemerkt. Selbst die
Geschichte der Israeliten hat davon
ein Beyspiel aufgezeichnet.
daß es sich aber auf dem Lande,
unter der Classe von Menschen
zeige, die der einfachen Natur näher
leben, als die Städter, das ist freylich
ein fürchterlicher Beweis, von
Korruption.

Sie verdienen den lebhaftesten
Dank, für Ihre Anzeige; und ich
will es, in Rücksicht Ihrer lobens-
würdigen Absicht, für nichts an-
ders, als einen currenten Ausdruck
ansehen, daß Sie so bestimmt
eine befriedigende Antwort be-
gehren, und will, auf die Gefahr,
daß es Ihnen unbefriedigend
düncken könne, meine Gedanken
über die mir wahrscheinlich beste Art
sagen, wie man diesem Uebel ent-
gegen wirken könne.

Der Grund dieses Ver-
brechens gegen Natur und Staat,
liegt in dem kurzigen Urtheile der
Menschen, von Glückseligkeit, und
der daher entspringenden Furcht
vor Armuth. Die Aeltern berechnen,
daß sie mit einem oder zwey Kindern
bequemer leben können, als mit zehn |<2>
und daß eine in 10 und mehr Theile
zerfallende Erbportion ihres Nach-
lasses, ihren Kindern nicht das
auf Wohlhabenheit gegründete Ansehen
unter ihren Nachbarn erhalten würde, welches
ihrem eigenen Ehrgeitze schmeichelt.

Dieses falsche Räsonnement ist gewiß
die Ursache, der vorsätzlich unterdrückten
Vermehrung, oder des Negativen Mords
möglicher Kinder. Ich sage ganz mit
Bedacht das Wort Mord. Das ist es für
jedermanns Gewissen, welcher weiß,
daß die Natur keinen Trieb in den
Menschen legte, dessen Befriedigung
nicht mittel oder unmittelbar auf
die Erhaltung seines Geschlechts wirkt.
Aber Strafe darauf zu setzen, steht
nach meiner Meynung, in keines Men-
schen Gewalt; wäre auch nur der
einzige Umstand dagegen, daß
kein anderer als muthmaßlicher
Beweis des Verbrechens möglich ist.

Denn, so wahrscheinlich es auch seyn
mag, daß Eltern, die von 4 zu 4 Jahren
ein Kind zeugen, und alle mal erst
wenn das vorige Kind etwan ein
Jahr vorher gestorben war, mit Vor-
satz an dieser sparsamen Erzeugung schuld sind:
so möglich ist es doch, daß der so natürliche Wunsch,
nicht kinderlos zu bleiben, und
auch die gemeinschaftliche Betrübtniß,
ihre Herzen auf neue erwärmen,
und ihre Umarmungen wirksamer
mache. Wann und wie soll hier
der Richter in einzelnen Fällen, seyn
sie auch noch so scheinbar, seine Untersuchun-
gen anfangen, begründen und, ohne
freywilliges Geständniß, einen Strafbesta[nd]
finden? Das ehemalige Verfahren
bey Hexenprocessen, wolle Gott
nicht wieder einführen lassen!

Ueber das, was der Staat, dem, als solchem,
an einer vermehrten Population so sehr
gelegen ist, etwan durch Belohnungen|<3>
an Ehen und Nachlaß an Abgaben zur
Beförderung kinderreicher Ehen
thun kann, und auch noch muß,
wenn dem vorliegen[den] Uebel nicht
auf eine andre Art abgeholfen
wird, will ich hier, als vorjetzt aus-
ser unserm Kreise liegend, nichts
erwähnen. Es ist einerley Sache, mit
der Erleichterung der Ehen überhaupt,
und mit den Entfernungen der
Ursachen, welche es [Streichung]
mannbaren Jünglingen und Mäd-
chen so bedenklich machen, ihrem
Heyratstriebe zu folgen. Aber, in
so ferne dieser vorsätzliche Ehelose
Stand ebenfalls negativ mordet,
das heißt, den Zweck der Natur, welcher
Vermehrung des Lebens ist, hindert:
in so ferne müssen auch die Mittel,
welche nur bey den Volkslehrern
stehen, dagegen, wie gegen die
eheliche Hurerey, wirksam seyn.

Ich beneide Sie, m[ein] Br[uder] daß Sie
sich in einer Lage befinden, worin [Sie]
auch in Bezug auf dieses stumme
Laster, so wirksam seyn können.
Ich sehe Sie hier aber mehr in dem
Lichte, als Inspector der Schulen, und
Lehrer der Schulmeister, denn als
Prediger von der Kanzel; so viel
auch der Letzte gleichfals thun kann.

Sie sagen, Werter Bruder, in Ihrem
Q.L. daß schon viele Prediger dagegen
vergeblich geeifert haben. Es ist
nur sehr begreiflich, daß das Eifern
dagegen von den Kanzeln nicht nur
vergeblich, sondern eben so schädlich
ist, als ob man wieder die Selbst-
befleckung öffentlich eifern wollte.
Alles eifern gegen Laster, die nach der
Meynung des Zuhörers ihm vortheilhaft
sind, und das gewöhnliche Abschrecken
durch Drohungen mit Strafen |<3>
nach dem Tode, sind ja nach aller
Erfahrung, wo nicht ohne alle, doch nur
von sehr geringer Wirkung. Und es
kann auch nicht anders seyn, weil
auf den leidenschaftlichen Menschen das
naheliegende Sinnlich[e] weit stärker
wirkt, als das entfernte geistige,
zumal wenn er gelehrt wird,
er könne den natürlichen Folgen
seiner Vergehungen, noch sogar in
der Todesstunde (die er so gerne noch
weit hinaus setzt) vorbeugen.

Ihnen, mein Bruder, ist es nichts Unbe-
kanntes, daß der sicherste Weg, auf
den Willen des gemeinen Mannes
(ja vielleicht auf alle Menschen) zu
wirken, der sey, daß man ihn über
sein indivaelles [sic] Interresse die deut-
lichste Aufklärung, seinem Fassungs-
vermögen gemäß, gebe. Nun
ist aber die wahre Glückseligkeit eines
Landmannes durch eine kinderr[eiche]
Ehe so auffallend, daß gar keine
besondere Kunst oder Mühe dazu
erfoderlich ist, ihm solche so sinnlich
und anschaulich zu machen, daß
er nicht umhin kann, sich diesem
selbst im Sprüchwort dafür anerkannten
Segen zu wünschen.

Und wie häufige Anlässe hat ein
aufmerksamer Volkslehrer nicht, sich
über diese Glückseligkeit auszulassen,
ohne, daß es den Schein hat, als ob er
solche suche, um gegen ein im Schwange
gehendes Laster zu reden, (welches
sorgfältig zu vermeiden wäre)
sondern als frohe Betrachtungen die ganz
natürlich aus der Materie und ihrer
Behandlung fliessen. Dem Prediger
giebt jede Kindtaufe, jede Confir-
mation, jede Copulation, ja sogar jede
Leichenrede dazu, die natürlichste
Gelegenheit. Den Landschulmeistern
möchte ich kaum rathen, etwas von den |<5>
[die Anschlussseite fehlt].



Anmerkungen