D-Q6101

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Commentary

Transcript

Es ist ein wirklicher Fehler der Policey einer
Stadt, wenn ein solcher Unfug, worüber Sie in Ihrem
Q.L. klagen, stattfinden kann. Bey dieser muß
Hierüber Vorstellung geschehen, und zwar von den
Nachbar, welche dadurch, zur ungebührlichen
Zeit a, nöthigen Schlafe gehindert werden.
Indessen, wenn solche Fälle nur selten vorkommen,
so thut der Nachbar, und selbst die Policey ganz
wohl, wenn sie über eine ausschweifende
Fröhlichkeit zuweilen ein Auge zudrücken.

Wenn Sie also tobendes Nachtschwärmen oft bemerken
sollten, so zeigen Sie es ungescheut an bey der Policey,
und reden es mit andern wackern vernünftigen |<2>
Menschen ab, darüber mit Ernst und Spott in Gesell-
schaften zu reden. Der gemeine Mann wird in Syracus
ja eben so empfindlich gegen das qu’en dirent-on
seyn, als die Einwohner on dem Orte. ---

Doch Sie möchten glauben ich wollte einen satirschen
Zug gegen Sie anbringen; Welches aber wahrhaftig meine
Meynung nicht ist. – Ich wünsche vielmehr eine gewisse
Strenge im Beurtheilen der Menschen und Sachen, die
selbst in der Ruhebrüchen[?] aus Ihrer Seele zu bringen;
und zwar bloß deswegen, weil es Sie nicht so
glücklich seyn läßt, als Sie es ohnedem seyn könnten.
Diese fast harte Strenge, die ich nun schon oft an Ihnen
wahrgenommen, stört Ihre eigene Ruhe, selbst dann
wenn Sie sich auch nicht darüber äusserten. Die ruhige
Grösse, wornach wir Menschen streben sollten, liegt nicht
So wohl in gleichgültiger Verachtung der Übel um uns
Her (de[r] T[r]ieb zur Vollkommenheit im Allgemeinen,
ist gewiß der Edelste im Menschen) sondern in Ertragung
der Schwachheit anderer, und in unerschütterlicher Duldung
der Widerwärtigkeiten, die wir nicht ändern können; be-
sonders solcher, die uns selbst treffen; und wenn uns
ja, als Menschen der Schmerz überwältigt, solchen nicht
unanständig auszudrücken. Dieser anständige, nicht
kleine, unwürdige Ausdruck der höchsten Schmerzen
ist die anschauliche Grösse
im Laokoon. Bin ich Ihnen nicht schon verständlich
wenn ich hier Ihren Aufsatz, über die Beerdigung der
Selbstmörder
nenne? Wie weit stehen Sie da dem
Laokoon nach! -- Aber, wie sehr schaden Sie ihrer eige-
nen Glückseeligkeit, wenn Sie Ihre strengen Urtheile
Äussern, besonders wenn Sie so ziemlich heftig in
Ihrer eigenen Sache
richten! Erstlich, warum fliehet
man gewöhnlich den Umgang alter Menschen? Ist es auch
deswegen, weil sie so gerne klagen? So gern alles um
sich her tadeln? Als junger Mann, der es wagt,
den Gese[z]geber seines Staates, bitter anzugreifen, weil
er oder die Seinigen, immer nur noch nach seiner eigenen
Neigung, unter einem Gesetze Unrecht hätten. Handelt
der wohl mit der Besonnenheit, die alle unsere Schritte
begleiten sollen und müssen, wenn Wir nicht ohne
Noth und Nutzen uns Feinde, wohl gar mächtige Feinde
machen wollen? Verstehen Sie mich nicht unrecht
mein lieber Bruder! So lange jener Aufsatz nicht ausser
dem Zirkel der Br[üder bekannt wird, haben Sie seinetwegen|<3>
keine Feinde darüber zu besorgen. Aber der Orden wäre
nicht Ihr Freund, und ich würde ein Verräther an meinem
Amte, wenn ich Sie nicht warnte [?] vor solcherley Auf-
sätzen, selbst nur in O[rden]s-Versammlungen vorzulesen.
Cui bono? Die M[inerval]-Versammlung ist ja nicht Richter über
die Richter. Wenn Sie es noch für Zeit hielten, die Vollzie-
hung der Urtheile Einhalt zu thun, so wären [?] bessere Wegen [?].
war [?] es dazu zu spät; so hätte die ganze Abeit keinen
andern Zweck, als Ihnen Schar, sehr unlaoko-
onisch an einem Orte aus zu strömen, wo man allerdings
mit dem bescheidentlich geklagten Leiden der Br[üder]
das herzlichste und thätigste Mitleiden fühlt, aber
es doch nie billigen kann, wenn das falsche Glaß der
Leidenschaften, die Objekte verzerrt, und wenn der
Deklamator erzwingen will, daß eingeblendete Augen
nicht anders sehen sollen, als die Seinigen. Das m[ein] Br[uder]
könnte doch nur Ihre Absicht sein, so unrichtig bewahre
die Mittel zum Erfolg auch seyn mögten. Gesetzt bey
alledem die Thatsachen und Grundsätze die Sie bey-
bringen, wären alle wirklich wahr: so bliebe doch
die Art des Vortrages, das Gelindeste davon zu sagen
unschicklich. Und ein Mann, in Ihrem Verhältniß beson-
ders, hat eben so sehr auf das Schickliche, als aufs
Wahre zu achten.

Ich kann mich wegen Mangel an Zeit, nicht darauf
ein lassen, Ihnen durchgängig zu zeigen, wie Sie sich
von Ihrer Leidenschaft haben hinreissen lassen, ganz
wahre Sätze, falsch anzuwenden; wie Sie mit einer
fast unbegreiflichen Zuversicht auf Ihre eigen Einsichten
die Resultate des Nachdenkens[1] anderer Männer nicht nur als verwerflich
darstellen, sondern so gar mit einer Art von Ironie
behandeln, wie etwan ein Mann thun könnte, der mit und
von Kindern spräche, dabey überhaupt in einem
so fast schneidenden, entscheidenden Ton
reden, als ob die Kürze der Zeit ihnen nicht zuge-
lassen hätte gemässigtere Ausdrücke zu suchen,
oder Ihren Styl nach Ihrem Verhaltniß zu bilden!

Wollen Sie Beweise? Der erste Satz gleich, scheint we-
nigstens zu sagen: als ob allein Sie im Besitz des
moralischen Microscops wären!!!

Falsch ist es, daß zur wahren Tapferkeit ein Theil
Grausamkeit gehöre. Falsch, daß ein Strich von Geitz
durch den Charakter eines guten Haushalters gehe.|<4>
Falsch ist es, daß Falschheit zum Mißtrauen, und Miß-
trauen zur Vorsicht nöthig sey.

Es ist noch gar nicht so ausgemacht, daß es in alten
Zeiten der Selbstmörder und Hure weniger gegeben
Habe, als zu neueren Zeiten; um ihre Behauptung zu
Erweisen, müßten auch eben so gute Nachrichten von
Solchen Vorfällen aus den alten Zeiten haben können
Als jetzt die Journale über den Selbstmord, und die Kirchen-
register über die unehelichen Kinder geben. Aber Journale
gab es fast gar nicht; wer schlägt alte Kirchen-Bücher
in dieser Rücksicht nach? Und die Hurerey ohne Folgen
war zu keiner Zeit in ein ordentliches Verzeichniß zu
bringen. ---

Ich verabscheue, als Christ, als Ordensbruder und als
Mensch den Selbstmord, von ganzer Seele. Ich sehe es
mit innigem Bedauern, das es auch unter aufgeklärten
Nationen Selbstmörder giebt. Aber so hart möchte
ich mich an der Aufklärung nicht versündigen, nur
den geringsten Zweifel zu äussern, wie Sie, ob das
nicht vielleicht an der Aufklärung selbst liegen könne?
Luxus, mein Bruder, ist nicht Aufklärung; und in einer
sehr aufgeklärten Nation, sind nicht alle Menschen
aufgeklärt. Wer wirklich aufgeklärt, und seine holde
Vernunft recht zu brauchen gelernt hat, wird bie
Bis zu dem sinnlosen Kleinmuth herabsinken, zu wähnen[2]
Leiden sey ohne alle Hülfe, oder über alle seine Kräfte
daß also Selbstmörder verrückt sind, werden Sie nicht
bloß in ironischen Ton zugeben. Wenn Sie zugeben
daß jeder der nach falscher Ehre ringt, darin wenigsten
ein Narr und Verrückter ist und in dem Falle war der
Deutsche in London. Den so so etwas heimlich triumphieren
Anführen. Denn selbst sein Zeddel in der Tasche be-
weiset seine grosse Narrheit. Sind aber Narren aufge-
klärt? Doch diese Nation ist schon von Philosophen
und Theologen für die Ich Ehrfurcht habe, bis zur Ent-
scheidung behandelt, und es ist wohl ganz überlegter
Weise, sondern um brillant zu seyn, gesagt: die Weich-
herzigkeit
(eine Kindereigenschaft) greife in die bürger-
lichen Rechte, wenn man es hart findet, daß eine Familie
für die Verrücktheit eines Antrometen[?], mit dem guten
Willen er gewiß nicht das Verbrechen begeht, gestraft werde.

So viel für heute. Wenn Sie bedenken, daß ich mit Ihnen
als Ihr Freund unter 4 Augen, im Dunkeln rede, so werden Sie
nicht über unszuraen[?]. Meinen Sie daß ich Unrecht habe, so
so sagen Sie es unbefangen; denn ich kann dieses nicht aus Eitel
Stolz oder Rechthaberey sagen, sondern bloß zu Ihrem besten.

Basilius

Notes

  1. des Nachdenkens nach Randanweisung eingefügt,
  2. zu wähnen nach Randanweisung eingefügt.