D-Q4497

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Commentary

Transcript

Nicht der geäußerte Wunsch großer Männer (*), das man mehrere
mit Einsicht geschriebene Biographien des mittlern Standes, haben
sollte, sondern mein eigener moralischer Vortheil, mich selbst beßer
kennen zu lernen, Spuren der göttlichen Vorsehung an mir zu
entdecken, und dem erlauchten Orden näher bekannt zu werden,
dieß veranlaßet mich, gegenwärtige Beschreibung meiner
Lebensgeschichte und meines Charackters zu entwerfen. Um
ihr das Gepräge der Wahrheit aufzudrücken, konnte ich nicht
einzelne Stellen heraus heben, sondern ich bin im Zusammen-
hange geblieben, und wenn aus dem Grunde zuweilen einige
Mikrologien vorkommen, so wird der Leser die Hauptabsicht
doch zu edel finden, als daß er eine kleine Unpäßlichkeit
um deswillen nicht gern zu verzeihen belieben sollte.
  Mein vierzehendes Jahr ist die Zeit, in die ich mit
Gewißheit zurük denken kann, oder in welcher ich anfing,
auf Welt und Daseyn aufmerksam zu werden. Ein unglük-
licher Zufall mochte hieran vielen Antheil haben. Denn es
                                     (*) Gellerts moral. Vorles.
                                              p. 207. |<1>


ist damit nicht selten, wie mit der Stummheit des jungen Crösus,
der plötzlich die Bande seiner Zunge zerriß, und reden lernte,
als er seinen Vater in der Gewalt feindlicher Soldaten er-
blikte. (x)
  Der meinige, gerade das Gegentheil vom Crösus, ##
Docent einer kleinen Stadtschule, doch werth, daß seine
Wißenschaften beßer erkannt und belohnt worden wären,
gerieth in die Hände des unerbittlichsten Feindes, auf eine
Art, die unter den besondern Todesveranlaßungen mit
Recht ihre Stelle verdient: Er hatte nehmlich gehört,
daß sein ehemahliger Lehrmeister in der Nähe Prediger
geworden war, und bediente sich daher einstmahls der
gewöhnlichen Fragestunden, selbigen zu besuchen, um nach
so vielen Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten,
die Liebe und Freundschaft zu erneuern, die unter
guten Lehrern und Schülern eigentlich niemahls verwelkt.
Sie sehen einander, - sind vergnügt. Beym Abschied
                   (x) [Griechisch] |<2>


will ihn der Pastor durch den Pfarrgarten, wo das Gesinde
einen Weg über die Wand gemacht hatte, etwas näher
führen. Die mürbe Wand giebt nach mein Vater fällt,
und verrengt den Fuß.
  Man hält anfänglich den Schaden für zu gering, oder
denkt vielleicht auch zu gut von dem Chirurgus, als daß
man in deßen Geschiklichkeit einiges Mißtrauen hätte
setzen sollen. Die Sache geht schlecht. Weder Schwulst
noch Schmerzen wollen sich legen. Der Patient verlangt
nach Hauße wird kränker ein Fieber bemächtiget
sich seiner er fühlt sein nahes Ende, welches der Medicus
bestätiget entdektes unserer Mutter, die ganz in
Thränen zerfließt; wir werden um sein Bett ver-
sammlet er seegnet uns weint selbst mehr, als er
spricht beschäftiget sich besonders mit dem Jüngsten,
einem Knaben von vier Jahren liegt noch wenige
Tage, und stirbt.|<3>


Welche Aussicht für eine Mutter mit fünf Kindern, ohn
alles Vermögen!
Doch wie der Blitz selten den Baum trift, ohne auch die
Zweige mit sich niederzureißen, so wurden wir zu gleicher
Zeit alle bettlägerig, todtkrank, und unsere Mutter, ob
sie schon der Macht ihrer Leiden, die ihr eigenthümliche
Stärke der Religion, anhaltend entgegen sezte, so wurde
sie doch von überwiegendem Schmerz und Kummer so
plötzlich besiegt, daß sie binnen acht Tagen unserm Vater
in die Ewigkeit nachfolgte.
  Da wir ohne Bewußtseyn darnieder lagen, so erfuhren
wir ihren Todt nicht eher, als biß wir wieder anfingen,
einer nach dem andern das Lager zu verlaßen; fragten,
weinten, sahen und lächelten uns an, als Genoßen
einerley Unglüks, die gewöhnlich die besten Freunde
zu seyn pflegen. Einer hieng am andern; der
Schwächere an dem Erholteren; nichts fiel dem einen
bey, der andere, wo er konnte, gewährts ihm; und ist |<4>


es auch nur Dichtergedanke, was ich vom Herabschauen
der Verstorbenen irgendwo gelesen habe, so gefällt er
mir gleichwohl, weil ich wünschte, daß unsere Eltern
alle die Eintracht möchten gesehen haben, die unter uns
herrschte, und die das Elend, dieser würksame Lehrer
und Freund menschlichen Herzens, iezt weit natürlicher
und schöner in uns hervor brachte, als alle Grundsätze der
besten Erziehung.
  Zu weit entlegen von unsern Verwandten, und beynahe
als Verpestet ausgeschrieb, (wie denn auch würklich eine
Epidemie damahls den Anfang genommen hatte) also fast
von iedermann, und so gar von obrigkeitlicher Vorsorge
verlaßen, waren wir genöthiget, uns selbst alles in
allem zu seyn; Rathgeber in Veranstaltungen; Auf-
seher bey Feuer und LIcht; Schutz und Beruhigung wieder
kindliche Furcht; Arzt und Trost, so oft der unrecht-
gestillte lebhafte Apetit, der nach solchen Krankheiten
zu erfolgen pflegt, den einen oder den andren mit |<5>


Rückfall bedrohte.
  Auf diesen Fuß lebten wir, biß wir uns sämtli[ch]
erholt, und Vormünder bekommen hatten, die für unse[r]
Unterkommen und für den Verkauf der entbehrlichsten Mo-
bilien sorgten.
  Mein ganzer Erbantheil bestand in zehn Thalern an
Gelde, in einem Bett, und zwoen Kicheniahrgängen, womit
ich wieder auf die Schule nach Buttstädt zurük ging, die ich
kurz vor dem Umsturz unserer Familie erst bezogen hatte.
  Nicht iugendlicher Leichtsinn, sondern eine natürliche
Anlage, dem Unglük zu wiederstehen, machten mich gege[en]
meine Umstände ziemlich gleichgültig, und die fast gr]ößten-]
theils vergebliche Sorge fürs zukünftige, fand bey m[ir]
so wenig statt, daß ich auf eine socratische Art un-
willig wurde, wenn iemand durch weibisches Beklagen
meinem kleinen Heroismus zu nahe treten wollte.
  Ich konnte singen, schreiben, und hatte die Anfangs-
gründe der Latinität inne. Dieß mit dem nöthigen
sittlichen Betragen vereiniget, gewährte mir bald die |<6>


Liebe meiner Präceptoren und auch solcher Persohnen, die für
Singen, Schulsache und Repuplik, weiter kein Gefühl hatten.
  Mein Haußwirth war der damahlige Organist Krebs, ein
armer aber glüklicher Vater drey berühmt gewordener Söhne,
davon der eine Rektor(*) der Provinzialschule in Grimma, der zweyte
Hoforganist in Altenburg, und der dritte Rektor der Buttstädtischen
Stadtschule gewesen ist. Dieser mein Haußwirth, war einer von
denienigen Alten, die, ohne beym Lutheder geseßen zu haben,
dennoch so viel allgemein Brauchbares verstehen, und dieses so
gut anzuwenden wißen, daß ich vermuthe, Sirach habe in
seinem Ausspruche: geselle dich gern zu den Alten, auf daß
du Weißheit von ihnen lernest p diese Claße hauptsächlich ver-
standen wißen wollen.
  Er hatte meine zehn Thaler im Beschluß, und selbst der
strengste Nothfall erlaubte mir nicht, etwas davon angreifen
zu wollen. Um mich beständig auf meine Umstände aufmerk-
sam zu machen, ließ er es nicht an Erinnerungen fehlen, die
er doch niemahls geradezu aufbrachte. Er that es auf die
________________________________________________________
 (*) Tobias Krebs, ist besonders durch seine philologischcritischen
 A n i m a d v e r s i o n e s über das neue Testament bekannt. Riedel
 sagte einstmahls, daß er seine Rangordnung in der griechischen
 Literatur so mache: Ernesti, Damm, Krebs. |<7>


sicherste Art, immer mit andern Worten, und bey Gelegenheiten,
die mich nicht anzugehen schienen. Merkte er, daß mir der
kleine Verräther des Herzens, die Zähre des Ehrenpünktgens
ins Auge stieg, so hatte er auch schon den Balsam bey der
Hand, womit er die Würde heilte, indem er das Gespräch
entweder auf angenehmere Gegenstände richtete, oder der
Ehrbegierde selbst, eine Lobrede hielt, wie sie nehmlich, von der
Vernunft geleitet, oft der alleinige Grund, wahrer guter,
edler, und großer Handlungen sey, u.d.g.
  Durch diese Behandlungsmethode und andere würdige
Eigenschaften des Mannes, wurde ich ganz natürlich an ihn
hingezogen, und es würde eine meiner beschämendsten Er-
innerungen seyn, wenn ich deßen redlichen Absichten irgend
iemahls nicht völlig entsprochen haben sollte, wäre es auch mit
einigem Zwange geschehen.
  Ich bewieß mich auf die möglichste Art dienstfertig, und
der Nahme Haußwirth und Haußwirthin, verwandelten sich
dagegen immer mehr in den weit behaglichern eines Pflege-
vaters und einer Pflegemutter. Ich wohnte unentgeltlich
im Hauße; genoß freyen Clavierunterricht, und alle |<8>


die unnennbahren Kleinigkeiten von der Semmel biß auf die
unentbehrliche Stecknadel.
  Zwey Jahre waren nunmehro verfloßen, als der Rektor
dasiger Schule, Magister Wagen, Bruder des noch lebenden
Leiarztes in Sondershaußen, mit Todt abgieng. Der krebsische
iüngste Sohn, Student in leipzig, Schüler und Liebling vom
Ernesti, hatte soch vorzüglich den Schulwißenschaften ge-
widmet, und wurde vom Stadtrath zu der vakanten Stelle
berufen. Es ist leicht zu erachten, wie sehr sich iezt der
Himmel meiner Haußwirthschaftsleute aufklärte, wobey zugleich
ein neuer heiterer Strahl göttlicher Vorsorfe, auch auf mich
mit herabschien. Denn die Gesinnungen der Eltern wurden
nun auch die Gesinnungen des Sohnes. Er ließ mir alle
Privatstunden frey genießen, verlangte aber auch davor
weislich zweymahl so viel Fleiß, als von denen, die sie
bezahlten.
  Seine Methode war die Ernestische. Er kannte die Wege,
auf welchen iener iunge Leute zu bilden pflegte; hielt
ungemein streng auf tägliches Elaboriren, und auf Ordnung |<9>


der Hefte, so wie darauf, daß der Mantel stets symmetrisch
auf beyden Schultern hängen mußte.
  Ich saß fünf Jahre unter ihm, und hatte beym Weggange
auf die Academie eine so ungeheure Menge von Exerzitien,
Versen, Übersetzungen, p daß sich der ganze #dus damit
hätte tapezieren laßen.
  Er trieb sein Schulamt nicht mechanisch; war Vater und Freund
seiner Schüler, Beobachter, wo wirs nicht vermutheten,
und mit ein wenig Pedanterey, die sich nicht ganz
davon trennen läßt, ließ er sich besonders auch unser
moralisches Wachsthum angelegen seyn.
  Noch ehre ich seine Asche vor iene Liebe, die ich zuweilen
vor Strenge erkannte. Er war kein Mann nach der Welt,
aber ein Mann für die Welt, die ihn verlohr, wenn sie
zehn andere kaum vermißet.
  Bey dem allen blieb meine damahlige Jugend, in gar
vieler Rücksicht, ein dornigter rauher Weg, der von Schmerz
zu Schmerz übergieng, und wäre nicht dieses Alter mit
derienigen glüklichen Leichtigkeit versehen, mit der es |<10>


sich über alle, besonders auch aus der Armuth entspringende
Leiden, so wundernswürdig hinweg sezt, oder ich hätte von
der Natur weniger kühnen Geist gegen das Unglük gehabt,
so würde ich wahrscheinlich vor der Zeit von der Stelle ver-
drängt worden seyn. Das Horazische: non possidentem multa
vocaveris recte beatum, oder, daß selbst der thebanische Geld,
Examinandes, so lange zu Hauße bleiben mußte, wenn
er seinen einzigen Rock zum Schneider schikte, schien mir
damahls wie vom Himmel herunter gesagt, und würde es noch
scheinen, wenn der Mensch, nach allgemein bestätigter Erfahrung,
in einem Leben von gewöhnlicher Länge, nicht drey verschiedene
Epochen in seinen Gesinnungen machte.
  Doch wie? Ist es Ehre, oder soll ich mich schämen, zu gestehen,
das wohlthätige Brod gemeiner Bürger gegeßen, und vor den
Thüren gesungen zu haben? Oder, soll michs überhaupt gereuen,
sieben Jahre im schwitzenden Kerker der Schulstube verweilt, und
auch außer demselben so manche Stunde beym elenden Scheine
der Lampe, oft mit vertroknetem Gaume, unter der ungewiße-
sten Hofnung, verlebt zu haben?
  Nichts von all dem! Nie war unverschuldete Armuth |<11>


Schande, und nie wurde etwas gelernt, daß nicht iezt oder
künftig von einigem Ertrag gewesen wäre.
  Ich ging meinen Weg getrost fort; bephilosophirte ihn, so
gut ichs konnte; nahm die Sachen, wie sie waren, und noch erinnre
ich mich mir Vergnügen der theilnehmenden Discourse, wenn mein
Rektor seine Eltern besuchte, und nun über meine Zukunft ge-
meinschaftlicher Rath gehalten wurde. Ich sollte studiren, das
wollten sie alle, und biß auf den Umstand der Kosten, war
auch von meiner Seite alles berichtiget. Hätte ich meiner
Lieblingsneigung folgen können, die freylich auch Unterstützung
erforderte, so wäre ich Künstler geworden. Dieß lag mir
eigentlich ganz in Adern und Gebeinen.
  Indeßen hatte ich das achtzehnte Jahr erreicht; fing an,
gegen meine kleine Hypothese vom guten Muthe doch etwas
nachgiebig zu werden, und zu fühlen, daß der Leib ganz
anderer Art sey, als die Seele.
  Ich bemühete mich, ein Stipendium zu erlangen. Zu un-
bekannt mit den Ursachen, nach welchen es denen Testaments-
Executoren oft unmöglich wird, dergleichen Stiftungen nach
der wahren Absicht zu ertheilen, hofte ich nichts gewißer, |<12>


als die Erfüllung meiner Bitte; allein, dem Suplicant
wurde auf sein unterm zur Resolution ertheilt: daß,
weilen die Legata bereits auf verschiedene Jahre hinaus vergeben
wären, deßen Gesuch vor der Hand nicht . Ein zweytes
Rescript enthielt: daß es bey den, unterm sein Bewenden
behalte, und das dritte würde, bey fortgesezten Bombardement,
wahrscheinlich mit einen: nicht weiter zu behelligen, geschloßen
haben.
  Das: Servare mentem in rebus arduis, schien demnach
alles, was mir zu thun übrig blieb, und wenn der von Lebens-
mitteln entblößte Schiffer auf offenbahrer See, noch darzu
das todesängstliche Unglük sieht, von einer ganzen Welt
voll Menschen abgeschnitten zu seyn, so war ich doch nur
auf festem Lande dürftig, war esohne Verschulden, und
unter Menschen, die den Glauben wenigstens nicht alle ver-
leugnen.
  Diese verfehlte Hofnung beunruhigte mich, aber den Hauptvorsatz
änderte sie nicht. Vielweniger war ich so blödsinnig, deswegen
an der Einrichtung und menschlichen Verwaltung der Welt etwas
zu meistern. Mein Vaterland und die Obrigkeit darin, er- |<13>


hielten in meinen Gebeten, die ich mir gewöhnlich selbst er er-
fertigen pflegte, eine desto vorzüglichere Stelle. Denn Gottes
Amt ist es, Blitze zu werfen; wer hinein greift, wird davon
getroffen.
  Ich machte nun Anstalt, mit denen zehn Thalern, die ich
im Erbe bekommen hatte, die Universität zu beziehen. Mein
Haußwirth hatte sie so sorgfältig aufbewahret, daß ich sie in
den nehmlichen Sorten wieder bekam. Diese Genauigkeit, das
damit verknüpfte Andenken an meine Eltern, und die gut[en]
Lehren, unter denen sie mir mein Haußwirth auszahlte,
machte mir diese kleine Summe zum großen Capital.
Wende er sie wohl an! hieß es. Vertraue er Gott, und
(ultima pagella me puguit) meide er vorzüglich böse Gesell-
schaft und Frauenzimmer!
  Indem ich ringsum Abschied nahm, fand sich ein Mann
der in der Einladung zum Schulaktus, as Versehen übergang[en]
worden war, und dar darüber einen ziemlichen Vorwurf
machte.
  In Fällen, wo uns starke Freundschaft an andere bindet
oder frappanter Unwille von ihnen entfernt, pflegen uns |<14>


so gar einzelne Ausdrüke gegenwärtig zu bleiben, und ich erinnere
mich, daß er sagte: hat die hiesige Literatur schon längst auf eigenen
Füßen gestanden? Bin ich zu klein, um übersehen zu werden, oder
woran hat es gelegen?
  Ich erwiederte, daß Rath R.. ais leomer amdern Ursache über-
sehen werden könne, als weil sein Worth zu sehr vor Augen liege.
Welches Lob mit einem Stachel begleitet, ihn auf der Stelle beruhigte.
Er billigte meine Wahl des iuristischen Studiums, und trug mir
seine Unterstützung an, im Fall es, wie er vermuthe, an den nöthigen
Büchern, und zu andern dringenden Ausgaben zuweilen an Gelde
fehlen sollte.
  Ließ sich die Freude nach Flächen ausmeßen, so war ich damahls
durchaus ein solches Stük Freude; zog nun hin im Triumph über
die eingebildete Poße der Armuth; kam nach Jena; erhielt
die Vorlesungen frey, und freyes Logis bey einem Manne, der
ebenfalls die Stürme rauher Jugend erlitten, aber iezt überstanden
hatte, und aus eben dem Grunde viel richtige Erfahrung zu
besitzen schien, so, daß ich mich glüklich schäzte, unter seiner
freundschaftlichen Leitung die Universitäts-Jahre angetreten
zu haben. Ich wohnte beyständig bey ihm, und speißte an einer
seiner beyden Freystellen im Convikt, die er mir zu creditiren |<15>


versprach, biß ich ihn zu befriedigen im Stande seyn würde.
Er erklährte mir die vornehmsten Lebensregeln, die ich zu beob-
achten hätte; machte mich mit der guten und bösen Seite der
Academie, mit der besonderen Aufsicht über die Landeskinder, mit
dem Fleiße der Profeßoren, mit der Möglichkeit, hier leichter
unverführt und unverdorben zu bleiben, als auf andern
Universitäten, wie auch mit dem Charakter der verschiedenen
Ausländer, bekannt, und lobte die (*) Ungarn. Wenn er: iunger
Herr! sagte, so hieß das so viel: Lernt einsehen, wo es auch
fehlt, und warum ihr in der Welt seyd. Er liebte die Ordnung,
auch im Kleinen, biß zum Enthusiasmus. Das Buch mußte,
nach dem Gebrauch, heute wie gestern mit dem Schnitt nach der
Wand zu stehen, und die Nadel stets eingefädelt am Kißen
hangen. Dieß, mit ein weinig Jahzorn vereiniget, machte ihn
indeßen für mich zur Freundschaft nicht ungeschikt, doch
unterhielten wir bloß eine vernünftige.
  Ich besuchte nunmehro die Vorlesungen, und sie gefielen
_______________________________________________________________
(*) Es mochte das Werk des Clima, der Erziehung oder der Gesetze seyn, so
zeichneten sich damahls die mehresten Ungarn und Siebenbürgen aufs vor-
theilhafteste aus, und wenn hier ein gepuztes Herrgen vorbeyfaselte,
und dort im Schwarm in lautem Gelächtereinherstürzte, blieb sich diese
iunge solide Mann immer gleich, und sein Denken schien ein Gedanke
des Aristoteles oder des Augustinus zu seyn.|<16>


mir, die einzige Logik ausgenommen. Nach ihr mochte ich nicht
denken noch schließen lernen. Weit beßer hatten mich das der
Umsturz meiner Familie, meine verweißte Jugend, mein
Haußwirth auf Schulen, das versagte Stipendium, und der nicht
eingeladene fürstliche Rath, gelehrt, als es im guten Reusch
enthalten seyn mochte.
  Ich bringe ihnen etwas mit, sagte ich instmahls zu meinem
Con#, das zu keinem von den dreyen Reichen gehört,
auch weder Erde, Luft, Waßer, noch Feuer, und dich in der Welt
ist, eine Apperceptio appercepta. Geben sie Rath, wie
man die Sache hinunter bringt!
  Ein unglüklicher Zufall schien mich iezt für die verachtete
Logik bestrafen zu wollen. Ich wurde krank und wäre es
vielleicht weniger geworden, wenn ich Reuschen mehr geliebt hätte.
Ich schloß beym Anfall des Schauers auf Fluße, und dann
gerade auf D. Wedels Flußeßenz. Weil ich eine ziemliche
Portion davon zu mir genommen hatte, so gerieth ich in eine
Hitze und Angst, daß ich unter dem kläglichsten Beginnen
auf keiner Stelle zu bleiben wußte. Eine Menge Thee und
Waßer milderte die Angst wieder, allein, wie sich bey
Feuersbrünsten nicht sagen läßt, daß die Gefahr vorüber |<17>


sey, wenn von außen die Flamme gelöscht ist, so glomm
mein Fieber iezt tief in Adern und Gebeinen, und ich lag am
Morgen wie zerschlagen.
  Der mit Weinreben besezte nahe Hügel; die feyerliche
Sonne der aufgehenden Sonne, und die vergnügten Gesänge der
kleinen Waldbewohner, vermochten iezt nicht, einen Strahl von
Heiterkeit in meine Seele zu gießen. Düstere Todtesgedanken
umhüllten sie, und selbst keiner von meinen Sodalen, die mich
besuchten, war vermögend, ein kurzes schwaches Lächeln über
meine blaßen Lippen zu verbreiten, als mir mein angenehmer,
tugendhafter, längst seeliger M . . . Dieser geschikte, edle
Jüngling, sehe die Furcht, die Zweifel, die sich wieder mich
rüsteten, mit mehr als Freundes-Theilnehmung, und nie
verließ er mich, ohne eines neuen für mich erfochtenen
Siegs versichert zu seyn.
  Siehe! in welchem Frieden ein Christ stirbt, sagte Addison;
aber hier konnte es heißen: siehe! wie ein Freund uns
sterben sieht.
  Mein Medicus war der damahlige geheime Rath K..
der mich durch seinen Famulus, einen zwar anstelligen
aber iungen Mann, beschikte, und der unentschlüßig |<18>


genug zu seyn schien, an welcher Curmethode ich die Welt
verlaßen sollte. (*)
  Ich lag vierzehn Tage ohn Unterschied. Mein hitziges Fieber
war gleich einem bösen Hunde an Ketten gelegt, aber nicht
zum Schweigen gebracht. Mit Zwang verließ ich endlich
das Bett. Weder Eß- noch Arbeits-Lust, noch Kräfte, fanden
sich wieder, und mein Ende würde die Auszehrung geworden
seyn, wenn ich nicht bald einen Arzt getroffen hätte, der
mir von neuem Medicamente verordnete, die ich an dem
Orte meines vorherigen Aufenthaltes brauchen sollte.
  Ich miethete ein Pferd. Jeder Schritt war Tortur, und
kaum hatte ich eine Stunde zurükgelegt, als mich ein Donner-
wetter auf freyem Felde überraschte. Wie darfst du
deine Gesundheit wieder hoffen, da dich auch dieß nich
betrifft?
  Unter diesem und ähnlichen Gedanken verzog sich das
Gewitter. Die Sonne drang durch die diken Deken von Neben
mit neuem verdoppelten Glanze, und die auflebende Natur
_____________________________________________________________
(+)Combien es Cimetieres avez vous rempli mon cher Z...am?
O! plusieurs, Sire, à present les chosès vont mieux! |<19>


schien zu sagen: Für dich war diese Erschütterung, dieser
Balsam. Bald wirst du das Wohlthätige davon empfinden.
  In der that, ehe ich noch weit gekommen war, fühlte
ich mich als neu belebt; ritt mit mehrerm Anstande; ver-
suchte das Gehen; aß, trank etwas mit gesundem Appetit,
und erreichte Abends den Ort meiner Bestimmung. Ich
versuchte nun die mitgenommene Medizin, verfiel in
eine Art heilsamen kalten Fiebers, und wanderte nach
ein Paar Wochen völlig gesund wieder auf meine Aca-
demie zurük.
  Bester! Ein Student ward krank und wieder gesund;
welche Kleinigkeit!
  Aber der Weise, der den Werth eines Menschen nicht
verkennt, und bey dem Reichthum der Zeit an intereßanten
Schriften, die meinige nicht verschmähet; wie leicht
wirds ihm, die Beschreibung kleiner Begebenheiten zu
billigen!
  Auf meiner zurükreise konnte es mir nicht an aller-
ley Betrachtungen fehlen. Ich dachte vorzüglich dem Glük
der Gesundheit nach, welches zu wenig erkannt, und oft |<20>


gar gemißbraucht wird. Schreklicher Gedanke!
  Dichter und Redner, sollten, nachdem sie die Jahreszeiten,
den Morgen, Mittag und Abend, das Landleben, den Wein,
die Freundschaft, und die Liebe, beschwazt und besungen genug
haben, diese Ehre doch billig auch der Gesundheit erzeigen,
die in viel stärkerer Bedeutung Wohlthat des Lebens ist.
Dieß würde die Sorgfalt für ihre Erhaltung, in einem höhren
Grade befördern, und ein, von der Natur schon dem Menschen
si nah gelegtes Intereße, weit anziehender machen. Meister-
stüke von der Art, würden sich ohnstreitig auf das, leider!
nicht mehr davor gehaltene, Verbrechen des subtilen Selbst-
mords, erstreken; iedes Übermaß, iede Unordnung, iede
heftige Leidenschaft, als so viel Dolche darstellen müßen,
die sich die Menschen selbst ins Herz stoßen. Sie würden uns
von der traurigen Wahrheit überführen, daß diese alle
keines natürlichen Todtes starben; daß sie der Gesellschaft
vor der Zeit Mitglieder entzogen, folglich die Ordnung Gottes
stöhrten, und Eingriffe in seine Maiestätsrechte begingen.
  Doch, wollte der Herr Sünde zurechnen, dann dürfte auch
der vorwitzige Selbstarzt nicht ganz vor ihm bestehen.|<21>


  Mit der redlichsten Gewißenhaftigkeit überlegte ich i#
auf meinem Rükwege den Umstand mit der Flußeßen[z]
zergliederte ihn nach der mir eigenen Geblütsmischung; gi[ng]
davon wieder zu meinen andern Sorgen über, und besonde[rs]
wie ich zween Arzte zugleich befriedigen wollte, im Fa[ll]
sie sich nicht höchst billig würden finden laßen. Die Blu[men]
auf dem Felde; der darüber fliegende Vogel, der nicht säet u[nd]
spinnet, und doch #ühret wird, schüzten mich bloß wied[er]
die ängstliche Kleinmuth. Niemand reichte die Schultern,
um tragen zu helfen. Mein freiwiliger Unterstützer, sah
nach diesem Vorfall, seinen Vorschß mit dem Maaßsta[b]
der Gefahr zu meßen, welcher er sich auf meine Todesfa#
aussetzen würde, und es gehörte gewiß (+) Platos weite und
starke Brust dazu, meine ohne Munition angetretene
Schiffarth zu überdenken, und Muth dabey zu behalten
Man muß ein solcher Schiffer gewesen seyn, wenn ma[n]
richtig davon urtheilen will.
________________________________________________________________
(*)Erat quioem corpus validum ac forte fortitus, et ille
nomen latitudo pectoris fecerat; Sed navigationes ac
pericula muttum detraxerunt viribus. Senec. ep. 58.|<22>

Anmerkungen