D-Q4502

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Commentary

Transcript

Schilderung meines Charakters.

Ich bin von etwas mehr als mittlerer Größe, und weder zu fett
noch zu mager. Der Bau meiner Glieder würde vielleicht regel-
mäsig genannt werden können, wenn mein Halß nicht durch
aufgeschwollne Drüsen verunstaltet wäre. Meine Haare sind
blod - gewesen, sie fingen schon seit 10 Jahren an bleich
zu werden. Mein Gesicht ist roth und stark von Blattern heim-
gesucht; mein Gang schnell und dabey etwas scharf oder schwer.

An Talenten hab ich weder von der Natur, noch durch Erziehung et-
was Vorzügliches erhalten. Witz war nie meine Sache; desto
mehr kultuvirte ich Einbildungs- und Empfindungskraft in
meinen jüngren Jahren. So wie mein Blut kälter wurde, ver-
lohr sich mein Hang zur Dichtkunst und zu Schwärmereyen, und
die Liebe zur Philosophie trat an ihre Stelle; die sinnlichen Ide-
en musten deutlichen Begriffen weichen. Es wird mir jetzt schwer
einen pontischen Vers zu machen, weil sich der reine Verstand im-
mer mit ins Spiel mischt und mich an den blos sinnlichen An-
schein verhindert. Gegenwärtig finde ich an Gegenstän-
den der Philosophie und Religion Gefallen. Diesen Hang hat
in mir die Lesung der neuren kantischen Schriften und
des Spinoza befestiget[1]. . Auf die Schönheit des Ausdrucks bin ich
vielleicht weniger Bedacht, als erforderlich ist, um an sich trock-
nen Wahrheiten Eingang zu verschaffen. Aber ich war nie
gemacht, um zu glänzen, und mag auch nicht scheinen, was
ich nicht seyn kann. Ich schätze und strebe nach Wahrheit und
Deutlichkeit bey für die Menschheit wichtigen und interessanten
Materien. Uebrigens hat mir der Urheber meines Daseyns das
zu Gut gegeben daß ich mich noch so ziemlich in mit meinen we|<2>
nigen Fähigkeiten und Neigungen heterogene Lagen und Ge-
schäfte finden kann.

Ich weiß aus Erfahrung, daß in mir die Keime zu allen La-
stern, Thorheiten und Schwachheiten liegen. Besonders bin ich jeder-
zeit sehrheftig gewesen. In meiner Jugend war ich sehr zum
Zorn und zur Rache geneigt. Schiksale und Ueberlegung haben
aber das wilde Feuer gar sehr gedämpft. In der Liebe habe ich
mich jederzeit sehr gemäßiget; doch kann ich mich nicht ganz
rein nennen, dazumal eine Frucht unregelmäßiger
Liebe gegen mich zeugen würde. Die Lesung von Tissots
Buch von der Onanie hat schon in frühern Jahren einen star-
ken und bleibenden Eindruck auf mich gemacht, so daß ich diesem
Laster, mit dem ich in dem hiesigen [***] zuerst be-
kannt wurde, bald und zum großen Vortheil für meine
Gesundheit entsagte.

Notes