D-Q6684: Difference between revisions

From FactGrid
Jump to navigation Jump to search
Line 175: Line 175:
die ein freyes Gemüth erfordern, ist, dünckt mich, nicht viel
die ein freyes Gemüth erfordern, ist, dünckt mich, nicht viel
weniger, als einen vesten Platz gegen den Wind auf Anhöhen
weniger, als einen vesten Platz gegen den Wind auf Anhöhen
ersteigen, und derienige würde sich die Replick<ref><poem>[Fußnote des Textes:]
ersteigen, und derienige würde sich die Replick<ref>[Fußnote des Textes:]
(*) Metallus ayant envie, de se rendre maitre d’une place,
(*) Metallus ayant envie, de se rendre maitre d’une place,<br>
un paitain l’asûra, qu’il t’emporteroit, sans qu’il en<br>Coûta plus de dix soldats. Veux-tu, lui demanda
un paitain l’asûra, qu’il t’emporteroit, sans qu’il en<br>Coûta plus de dix soldats. Veux-tu, lui demanda
shetellus, être un de ceux soldats?<br>Divers. curieus. 7me P. 161</poem></ref>des Metallus
shetellus, être un de ceux soldats?<br>Divers. curieus. 7me P. 161</ref>des Metallus
gefallen laßen müßen, der das ähnlich Schwere Fürbey zu
gefallen laßen müßen, der das ähnlich Schwere Fürbey zu
verkennen im Stande seyn könnte.  
verkennen im Stande seyn könnte.  
Line 256: Line 256:
gleichsam Ausschließungsweisße, zur Niedrigkeit bestimme,
gleichsam Ausschließungsweisße, zur Niedrigkeit bestimme,
und nur der physische Dürftige, zum kriechen, und für
und nur der physische Dürftige, zum kriechen, und für
die untern Stufen eigentlich wie gemacht sey.<ref><poem>(*) So wurde Heinrich Stilling behandelt. Er muste der Dieb
die untern Stufen eigentlich wie gemacht sey.<ref>[Fußnote des Texts](*) So wurde Heinrich Stilling behandelt. Er muste der Dieb<br>
seyn, weil er der Aermste im Hauße war.</poem</ref>
seyn, weil er der Aermste im Hauße war.</ref>
Durchaus nicht! – Der Baumeister, der das Ganze
Durchaus nicht! – Der Baumeister, der das Ganze
anlegte, und darinn vieles mit Weißheit unbestimmt, und
anlegte, und darinn vieles mit Weißheit unbestimmt, und

Revision as of 21:20, 27 November 2018


Zusammenfassung

  • Unvollständiger Aufsatz, von dem die ersten sechzehn Seiten verschollen sind. Auf den ersten Seiten ist teils der Rand beim Scannen verloren gegangen, auf den letzten Seiten sind einige Zeilen aufgrund von durchscheinender Tinte nahezu unleserlich
  • Lebensgeschichte Rudorffs, vor allem seiner jungen Jahre. Datiert Oktober 1784
  • Arbeitet als Hauslehrer, Instrumentenbauer, Sekretär
  • Am Ende Loblied auf Ernst

Transcript

|<17><<>>der Persohnen, durch die wir den wichtigen Zweck der Volcks-
<<>>tur zu befördern und zu erreichen suchen.
Was ist der Gymnasiast von der Schulmeister-Banck für
[ein] Mensch? Wie verbringt er seine Zeit? Welche Känntniße
[wer]den ihm gelehrt? Kommen sie mit seiner künftigen Be-
<<>>nnung überein? Lernt er die Pflichten und Rechte des Men-
[sche]n erst selbst verstehen, ehe er sie andern lehren kann. Weiß
<<>>, welche Geschicklichkeiten, Fertigkeiten, Neigungen, Triebe,
[Pflic]hten, dem gemeinen Haufen eigen zu machen sind, d. i.
[we]lche Art von Cultur er bedürfe?

Noch irgendt findet man eigene darzu bestellte Männer
[a]uf den Gymnasien und lateinischen Schulen, denen die Zu-
<<>>reitung künftiger Volcks-Lehrer übertragen wäre, und
[vi]elleicht müßte auch die Einsicht und Geschicklichkeit dieser
Männer größer seyn, aller übrigen Proßeßoren. In-
[de]ßen verträumt der iunge Mensch hier seine Zeit; hört
Eine Menge von Sachen, die er nicht mag, nicht will; besucht
Das Singe-Chor und die Singe-Stunden, lernt aber im
Grunde dabey nichts weniger als Singen und Musick;
Spielt einige Tänze auf der Geige, besizt selten ein Clavier,
und auch da schmeckt ihm ein lustiges Stück beßer, als das |<18>
gründliche Studium der Harmonie; richtiges, habituelles
Rechnen und Schreiben; Übung in Briefen und andern Aufsätz[en,]
Das Sammeln und Ordnen allerley für seine Bestimmung nüzl[icher]
Sachen und Gedancken aus denen vorhandenen Unterrichts- und
Erziehungs-Schriften, als aus so viel Magazinen, sind, wo d[ie]
Verfaßung und Anstalt fehlt, gewiß keine Geschäfte für die<<>>
Iungen Leute.

Wenn es daher in meiner Aufgabe heißt: ,,was müßte ein
,,Volks-Lehrer nicht erst selbst wißen? Ferner: das ist von solchen
,,Leuten nicht zu erwarten; so hat der Herr Verfaßer damit
auf die Sachen gesehen, wie sie sind, und wenn ich selbst <<>>
den Gedancken brauchte: daß in unsern Volcks-Schulen immer <<>>
noch Gutes genug unterrichtet würde; so habe ich damit keines-
weges angerathen, die alte Straaße fortzugehen, sondern
die Volcks-Lehrer nur in so fern wieder ungerechte Vorwürfe
gleichsam in Schutz genommen, als es nun doch einmahl ihr[e]
Schuld nicht ist, wenn sie nicht die Männer sind, die sie
seyn könnten. Wenn Sachen in ihrem Zuschnitt verdorben
werden, so ist es nöthig, ihnen von hintenher zu helfen, aber
allezeit mit Rücksicht auf die Urquelle ihrer Verdorbenheit,
um des Flickwercks endlich völlig überhoben zu seyn. Der |<19>
vernünftige Gärtner sieht nach der Wurzel des Stammes,
und die Zweige werden sich von selbst wohlbefinden.
Um den ganzen Teig gleichsam noch einmahl durchzukneten
und ein gesundes Brod daraus zu backen, dürften nun freylich,
nebst der sorgfältigen Zubereitung der Volcks-Lehrer und einer
an die Schul-Jahre anschließenden fortgesezten Erziehung
am Staat, auch geschriebene Hülfs-Mittel, an leichten, faßlichen,
zweckmäßigen Büchergen für Lehrende und Lernende, er-
forderlich seyn; und sie zu verschaffen oder zu verfertigen,
ist das große Desiderat des erlauchten Ordens.
Ein solches Buch soll dem gemeinen Mann iede Pflicht aus
dem Grunde andringlich machen, und keines andern Gelehrsam-
keit in sich enthalten, als die für den gemeinen Mann.
Die Absicht des erh. Ordens scheint also auf einen Cate-
chismus der Menschen-Bestimmung für das Volck, hin-
zuzielen, und hierinnen dürfte denn unter allen, mir we-
nigstens bekannten Schul- und Erziehungs-Schriften, keins
die verlangte Genüge leisten. Selbst das Rochauische
Schul-Buch für Kinder der Land-Leute, ist bey weiten
dem Entzweck noch nicht nahe genug gebracht; viel zu gelehrt
und trocken im Vortrage, und, in Ansehung der Sachen, zu |<20>
weit über die Verstands-Kräfte des Volcks ausgedehnt <<>>
dahin ich rechne: den 3.ten Abschnitt– vom Grunde; den
5.ten von der menschlichen Seele; den 9ten vom Verhältni[ß]
und noch den von der Mechanik, ohne iedoch im mindesten
diesem vortreflichen Manne zu nahe treten zu wollen, d[er]
einen geschickten Lehrer vielleicht dabey voraussezte.

Die Erziehung des Christen, von Resewitz
Die Erziehung des Bürgers, von Resewitz
Federsens Sittenbuch für den Bürger und Landmann,
Blums Reden, darunter die 2te desgleichen die 7te
Campens uns Salzmanns Schriften,
besonders kleines Buch für Eltern und Kinder,
Einiges aus deßen Elementar-Wercke,
Schloßers moralischer Catechismus fürs Land-Volck,
Nothanckers Predigten fürs Land-Volck,
Der Kinder-Freund,
Millers moral. Schilderungen,
Seilers Schriften,
Einiges aus Journalen, und dergleichen,
<<>> zu diesem Behuf eines zu verfertigenden Catechis- |<21>
mus der Menschen-Bestimmung für das Volck, nur
die einzelnen Data zu enthalten, die ausgewählt und
umgearbeitet werden müßten, und zwar mit dem empfeh-
lenden Zeichen der neidrigsten Popularität und zugleich
der lebendigsten Manier für die Unterhaltung. Dabey
würde es auf Dreyerley hauptsächlich ankommen:
1.) Was muß man daraus weglaßen?
2.) Was muß man hinzu thun?
3.) Wie muß man es anfangen, daß diese
Lehrart wenig Zeit und Geld koste, Leh-
Renden und Lernenden angenehm werde,
und auch Lehrern von mittelmäßigen
Gaben, anvertraut werden könne?
So sehr ich mein Unvermögen einsehe, in dieser Art von
Schriftstellerey nur etwas Mittelmäßiges zu leisten;
so würde ich mir dennoch schmeicheln, dergleichen Beyträge
liefern zu können, wenn es meinen, Durchlauchtigsten
Gnädigsten, und hohen Ordens-Vorgesezten, gefällig
seyn wollte, mich meines, wie ich glaube, nicht unbilligen
Wunsches mehrerer Gemüths-Ruhe, theilhaftig werden
zu laßen. Ich habe zu dem Ende vor nunmehr einem |<22>
Viertel-Jahre bey höchstgedacht Ihrer herzogl. Durchl.; mein<<>>
Gnädigsten Heren, schriftliche unterthänigste Verstellung ge-
than, und ob ich schon aus schuldigster Ehrerbietung nicht ins
Detail meiner hiesigen Lage gehen konnte, so war doch ied<<>>
Ausdruck wichtig, und nach der Wahrheit im Innersten
meines Herzens abgewogen.

Ich habe hier, was man Nothdurft nennt. Die hatte ich
auch vorher. Dies ist evidente Wahrheit; die aber auch I<<>>
weit evidentren in keine Wege aufhebt, daß mein Durchl.
Gnädigster Herr Herzog, Sich nach Proportion meiner
Arbeit biß iezt wahrhaftig groß und edelmütig bewießen
haben.

Wie ist aber die Sache auszugleichen? Durch mehrere
Saläre? Um dem hiesigen ganz unverschämten Wucher-
Geiste ein noch beßeres Opfer zu bringen? Nein! Dahin
zielt mein Wunsch nicht. Ein gerechter Mann darf
nichts wünschen, was ihm selbst nichts hilft, und mit dem
Schaden des andern verbunden ist; doch ein wenig ver-
legen darf er seyn, wenn sich zu dieser Anstalt noch
eine andere gesellt.

Man hält mich hier vor einen gewesenen Postschreiber, |<23>
und die Anekdote, wie ich hirher gekommen, wird sonder-
bar genug erzählt. Man hat mir dieß empfinden laßen,
und mich in den Post- und Wirths-Häußern weggeworfen
behandelt. Mein bißgen Mittags-Eßen ist immer nur
für einen Postschreiber eingerichtet, der auf Heiterkeit
des Geistes keine Ansprüche zu machen hat. Indeßen
bezahle ich prompt, wenn ein angesehener Schurck Credit
<<>>, und darüber verklagt wird.

Wie gern möchte ich mich zu einem höhern Grad
pracktischer Philosophie erhoben sehen, um mich über diese
und ähnliche Kleinigkeiten hinweg zu setzen, und mir
selbst beßer zu gefallen. Allein, Treflichste und
hohe Ordens-Obern! Wer mag dem schwanckenden Schilf
befehlen, im Sturm unbeweglich zu stehen? Kommen
Sie mir zu Statten, denn ich habe der trüben Stunden
viele! Betrachten Sie mich, als weit größern Philosophen,
wie ich bin, nicht wie ich seyn könnte, und gönnen
Sie mir bald einige Erleichterungen meiner Gemüths-
Umstände, da ich besonders hier einen schweren Hauß-
zinnß habe, und nun auch meine Wohnung in Butt-
städt zu versteuern habe, ohne weitern Nutzen daraus
zu ziehen.|<23 (Nummer doppelt)>

Unter solchen Umständen den Weg freyer Künste betreten,
die ein freyes Gemüth erfordern, ist, dünckt mich, nicht viel
weniger, als einen vesten Platz gegen den Wind auf Anhöhen
ersteigen, und derienige würde sich die Replick[1]des Metallus
gefallen laßen müßen, der das ähnlich Schwere Fürbey zu
verkennen im Stande seyn könnte.

Ich finde es unschicklich und unangenehm, hierüber ins
Detail zu gehen. Was ein Mensch bedarf, weiß ieder aus
eigener Erfahrung, aber auch das Nöthigste zu entbehren,
von dieser Erfahrung behüte Gott ieden! Ich habe Muth
gehalten, und was würde ich vor Gewinn haben, wär er
vielleicht nur das Werck eines drahtigten vollenden Haars
gewesen? Nein, er war auf Vernunft und Religion gegrün-
det. Durch sie bekämpfe ich alle die Tausend Hinderniße,
ieden Druck, und die daher entstehende Leiden, womit ich
nun einmahl dem Studieren Opfer bringen sollte, und ein|<24>
darf ich mich in dieses Labyrinth hinein denken, ohne zugleich
die Wahrheit alles deßen bey nahe selbst unglaublich zu
finden.
Ich ergreife den Faden wieder, den ich verlohren hatte
und sehe, daß ich mich unterdeßen dem Stadtthore genähert
habe. Himmel! Welcher Auflauf! Der Zug gieng nach dem
Marckte. Ein Duell, oder, wie es Hollberg definiert, der
innige Unsinn, da man seine Ehre mit dem Degen rettet,
um davor mit Reputation aufgehangen zu werden, war
in dem Augenblicke zwischen zwein Curländischen Edelleuten
vorgefallen. Der Gestochene lag ausgestreckt in seinem
Blute, und rang mit dem Todte, indeß der Thäter, von
Reue ergriffen, trostloß, und mit gerungenen Händen,
die Umstehenden versicherte, daß er die absicht nicht
gehabt, einen Mord zu begehen. Ersterer gab iezt den
Geist auf, und beyde wurden auf die Seite geschaft.
Die Furie der Zwietracht, als nach einem vollendeten
Meisterstück, flog mit dieser Nachricht durch die Hölle,
aber kein Verworfener war boßhaft genug, ihr darüber
seinen Beyfall zu lächeln. |<25>

Abgemähet waren die Hofnungen zweyer Familien;
zuretten ihre Freuden für diese, und die Freuden des <<>>
schen Haußes gewißermaaßen auch für die zukünftige
Welt. Einen in Todtsünde Gestorbenen, wer mag den wieder
antreffen?

Über dieser Begebenheit, schienen wir, mein Hospes
und ich, uns selbst zu vergeßen; doch hörte ich gleich das
Nothwendigste. Die beyden Aerzte, hatten sich nach mir
erkundigen laßen. Ich gieng zu ihnen, und wie sie meine
Umstände hörten, erließen sie mir beyde das Sostrum.
Zu gleicher Zeit wurde ich zu einem Advocat gerufen,
der mir Schreiberey antrug. Aesculap schien sich mit der
Asträa vereinigt zu haben, gemeinschaftlich zu meinem
Vortheil beyzutragen. Ich fand ein Originalstück
von pracktischen Jurist. Er hieß mich geradewegs du;
hatte einen rechtwincklich einwärts gewachsenen Fuß,
der er gewöhnlich auf das Knie des gesunden zu legen
pflegte. Sein unleidlicher Styl, artete oft in den Fehler
der Animosität und Spitzfindigkeit aus. Unter andern |<26>
hatte er sich angewöhnt, im Dicktiren einen fortgezogenen
Ton an die lezten Sylben anzuhängen, der in <<>>, ausgieng,
welcher geringe Umstand unsere baldige Trennung bewürckte.
Um ihm nehmlich dieses Unschickliche einstmahls mercken zu
laßen, sezte ich diese <<>> getreulich mit hin. Nach Durch-
lesung der Schrift, sahe er mich starr an, ohne ein Wort
zu sprechen; ergriff die Tabacpfeife; legte den Fuß zurecht
und erst beym Weggehen sucht er sich zu rächen, indem er
mich mit Vorwürfen belästigte, die er von meinen dürftigen
Umständen herleitete. Kurz! Ich fand außer seiner
Bibliotheck keinen erhabenen Sinn an dem Mann, nichts
Meisterhaftes für einen iungen Menschen; ich ver<<>>
ihn.

Gesundes, edles Gefühl, Gefühl für Sitten und
Menschenwürde, darf und soll auch der Arme besitzen.
Dieß ist Kleinod so wohl für den, deßen Wiege aus schlech[tem]
Bret zusammen genagelt war, als für den, bey deßen
Geburt die Grazie des Überflußes lächelte; und der
würde selbst kein Edelmüthiger seyn, dem es einfallen |<27>
könnte, zu glauben, daß physischer Mangel, allein, und
gleichsam Ausschließungsweisße, zur Niedrigkeit bestimme,
und nur der physische Dürftige, zum kriechen, und für
die untern Stufen eigentlich wie gemacht sey.[2]
Durchaus nicht! – Der Baumeister, der das Ganze
anlegte, und darinn vieles mit Weißheit unbestimmt, und
zu unserm beliebigen Gebrauch, liegen ließ, wählte die
Stufen-Bauart, nicht ohne sichtbare Ursach, daß wir da
ohn Unterschied glimmen, und von Zoll zu Zoll weiter
erheben, und endlich den Gipfel erreichen sollten, der allen
Unterschied völlig aufhebt.

Es wird mir hierbey, gegen Freunde der ersten Größe,
nicht bedencklich, von Herzen zu gestehen, daß auch ich,
Gottlob! Trieb genug bekommen habe, auf dieser Leiter
zu steigen, den ich mehr der Natur, als der Kunst zuschreibe.
Denn er ist feuerartig; klopft nicht erst beym Verstande|<28>
oder der mechanischen Tugendgewohnheit, an, davon ieder
Mensch eine gewiße Quantität an sich wahrnehmen wird.
nein! Er brennt, von irgend einer Idee erregt, als bald in
Flammen; wird durch unschickliche Löschmittel heftiger;
ergreift das Milchigte; versengt, trocknet es aus; daher
strickte, magere Institution; Sorgenmacherey, wo keine
sind; (was darf ein redlicher, cholerischer Maurer sorgen <<>>
Wunsch, süßer, schöner, nach Moralmonarchie, und wäre
es möglich, Zeuge mit Fleisch und Bein davon zu seyn.
Dieser natürliche Trieb, von der ersten zur zweyten, dritten
vierdten Stufe, und so weiter, fortzurücken, mochte vielleicht
oft, vielleicht aber immer nur von Halbköpfen, übel verstanden
worden seyn, die nicht wußten, daß Edelmüthigkeit eines
Armen, in den Umständen selbst, darinne er sich befindet
ihre abgesteckten Grenzen hat, und wenn sich Auswüchse des
Stolzes, und der daher entstehenden Vermeßenheit, hervor
thun wollten, der Stufengang schon so angelegt ist, daß
sie sich von selbst davon abstoßen müßen.

Dürfte ich die Sache in Form eines Rotulus bringen |<29>
dann wehe! daß ich in keinem Buche lese, noch iemahls
anders, als in der möglichsten Entfernung, gelesen habe,
welches nach verdorbener Stubenluft roch.

Wahr: daß ich mich zu Unbequemlichkeiten, die den
Sinnen auffallen, ungern verstehe, auch wenn dieß mit
anscheinender Beleidigung eines Dritten verbunden seyn
sollte.

Wahr: daß ich für Ordnung, in so fern sie von unserm
Willen abhängt (und das ist doch größtentheils der Fall)
enthusiastisch eingenommen bin.

Wahr: daß kein entgegengeseztes noch so schönes
und großes Verdienst, schön und groß genug seyn kann,
mich für diesen Fehler und überhaupt für Nonchalanter
zu entschädigen. Ferner

Wahr: daß ich mit andern Vernünftigen, von Ordnung
im Kleinen, auf Ordnung im Größern, schließe, und den
Nachläßigen im Rock, in der Stubenluft, im stumpfen
Federmeßer, im länger, als es beliebt war, an sich
behaltenen, oder gar verunreinigten Buche seines |<30>
Freundes, den Nachläßigen auch in den höhern Güthern
der Zeit, des Verstandes, der Gesundheit, der Haabe,
und ieder Pflicht gegen Gott und die Menschen, ver-
muthe. Dagegen aber auch.

Wahr: daß dergleichen Unvollkommenheit das Maas
meiner Liebe gegen die Menschen, nie vermindern konnten
daß ich gelernt habe, in diesem Fall Rechnung und Rechnung
gegen einander zu halten, und das Facit so zu ziehen, daß
ich dem fehlerhaften Nechsten immer im Rest verblieb; da
ich, wovor Gott gedanckt sey, in Schulen geführt wurde, <<>>
glauben, dulten, hoffen, die Lecktionen waren, welche zu
profitieren noch niemand gereut hat; daß ich unter
Verhältniße gekommen bin, wo entweder das Vincere
oder das Mori gewählt werden mußte, und wo ich, wie
nur das Erstere mit meinem Gemische übereinstimmte
nicht der lezte war, der sich zu Fleiß und Thätigkeit<<>>
sowohl auffordern als vielmehr hinreißen ließ, so, d<<>>
ich das Innerste der Seelenkräfte oft biß zur höchsten
Spannung hinauf wiewalte, ohne innige Anweißung |<31>
Arbeiten zur Hand nahm, wobey nicht nur das: operari non dedecus,
berichtiget seyn mußte, sondern die auch, weil sie Geldanlage erforder-
ten, durch die Furcht, daß nach mißrathenem Wercke Oel und Mühe
verlohren gehen konnte, oft peinlich und doppelt mühsam wurden.
Doch, an seinem Orte hiervon ein Mehreres.

So viel standhaftes Ausdauern mein academisches Leben
erforderte, welches sonst für den Jüngling eine Periode zu seyn
pflegt, von der er als Greiß noch mit Entzücken spricht; so wenig
benahm es mir die Lust, meinen gefaßten Vorsatz mit Gott hinaus
zu führen. Ich sahe den Stürmen, die sich nicht beschwören laßen,
in Gedult und Hofnung zu. Schlugen die Wellen ins Verdeck,
dann schöpfte ich desto fleißiger; schöpfte aus dem Überstandenen,
Stärcke zur Ertragung des künftigen, versichert, daß Reinheit
unserer Absichten, Unterstützung des Guten nach sich ziehen,
und wenn auch alle Hofnungen, die wir vor unfehlbar hielten,
wie Seifenblasen zerstäuben, dergleichen Illusion doch fürs Ganze
unausbleichblichen Vortheil bringen müße. Denn anders verhalten
sich die Sachen im Zusammenhange, anders, wenn wir sie einzeln
betrachten.

Ich übte meine Studentenpflicht nie nach dem dürren |<32>
Buchstab, d. i. bloß zur gesezten Stunde vor dem Profeßor zu
sitzen, oder aus Furcht, wenn dieses nicht geschähe, sodann in
die Censur des National-Inspecktors zu fallen. Nein, ich
war mein eigener Aufseher, und bin es noch. Die Litteratur war
meine selbstgewählte Gattin, der ich nicht die Hand ohne auch das
Herz gegeben hatte. <<>> und Kaltsinn konnte daher unter
uns nicht Statt finden. Ich sorgte für ihre Pflege, so gar mit
Übernehmung eines kleinen physischen Schmerzes. Das entbehrte
Morgenbrod, gewährte in acht Tagen ein Quart Oel, und es
wurde aufgeopfert, um von dieser Erspahrniß die Lampe zu
beschicken.

Die Art, nach Heften zu studiren, die das Selbstdencken
verdirbt, war nicht die meinige. Ursacjem der Dinge einzusehen,
und sie sich geläufig zu machen; dabey auf Zweifel zu stoßen,
und solche, wo möglich, zu haben; Fülle zu bilden, und auf das
Gehörte anzuwenden; schien mir der rechte Privatfleiß zu
seyn, der das ersetzen muß, was der Vortrag auszuübender
Wißenschaften vom Catheder, nicht leistes. Denn, ohne die
Hochachtung und Danckbarkeit gegen ehemalige Docenten zu
vergeßen, sondern in der Überzeugung, daß ieder unbefangene |<33>
Profeßor selbst so dencken muß und wird, ist nur das die
beste Academie, die die wenigsten Fehler hat. Weniger
Systemsucht vielleicht, und mehr Pracktisches; durch alle
Fächer den Geist der Gemeinnützigkeit, der unserer Existens
so wesentlich ist, erweitert; dazu die Hülfsmittel ausgesucht
und angewandt; schon auf Schulen statt der Eleganz mehr
Sachkänntniß getrieben; Vernachläßigung hierinn und iede
Fühllosigkeit gegen das Bedürfniß der Zeit, als Versehen
gegen den Staat, nicht aber die schwanckende Schreibfeder
als Stütze für dieß alles, angesehen, würde Gelehrte
hervorbringen, wie sie der soldere Theil der Menschen
erfordert.

Doch ich beuge mein Urtheil unter die Einsicht größerer
Dencker, und hoffe Entschuldigung für das, was ich iezt
sagte, weil es zur Erwartung des Lesers gehört, zu wißen,
wie der Biographirte über Dieß und Jenes dachte, wenn
mir auch die Gabe, Gedancken im Lichte aufzustellen, gebrechen
sollte.

Ich läugne nicht, bin es vielmehr der Ehre meines Schöpfers
schuldig, zu gestehen, daß auch ich einiges Maaß von beobachtungs- |<34>
Verbeßerungs- Erfindungs- und Allgemein-Geiste erhielt, wie
sich in meiner Erzählung weiter ergeben wird. Daß ich die wichtigern
Sagen vorbey gehen muste, wo sich dieses Empfangen nüzlich und
thätig erzeigen könnte, war nicht die Schuld der Menschen. Früher
angestellt, würde ich aus Temperament mehr verdorben als ge<<>>tet
haben. Vielleicht sollte ich unter dieser Fahne gar nicht, oder doch
in späteren Jahren erst, einem Feldherrn dienen, dem nur die
alten Officirs die liebsten sind.

Ohnstreitig ist es mit der Bestimmung des Menschen, mit
dem wo, wie, und wenn, wie überhaupt mit seinem Können,
Wißen, Vermögen, und allen andern Dingen beschaffen. Ihnen
ist gebothen, mit langsamen Schritte sich der Entwicklung zu
nähern; in Schlafsucht zu liegen; zu gähren, und, damit durch
eine beschleunigte Auflößung die Bestandtheile nicht zerstöhrt
werden, erst alle Instanzen zu durchwandeln, ehe die klahre
Solution dastehen, ehe sich der Verstand von selbst nach allen
Seiten wenden, betrachten, verbeßern, und eine Veredlung
nach der andern unternehmen kann.

So begnügte ich mich in meinen Jünglingsiahren,
allerley Materialien, und gleichsam Farben zu einem künftigen |<35>
Gemählde zu sammeln. Ich huldigte außer der Litteratur
nebenher der Musick, Calligraphie, und der Zeichenkunst,
um wenigstens richtig davon urtheilen, sagen zu können,
diese Sonate klingt gut, hat einen bestimmten Charackter;
oder, dieses Hauß ist schön, und seine Theile stehen in richtigem
Verhältniß.

Oft glaubte ich einen Patron damit zu erhaschen. Aber das
traf selten.

Ich besuchte die Werckstätte; unterredete mich gern mit
dem Profeßionist; feilste selbst Eisen in Gestalten; schnitze
und bohrte Holz; lernte die Güte, den Gebrauch, den Preiß
der Stoffe, und die verschiedenen Werckzeuge, nach ihrer Absicht
kennen; erwarb besonders in dem, was zur Kleidung und
ihrer Verfertigung gehört, in der Tuchkänntniß, (vom Gespinnst
biß zum Weben, Walcken, Scheeren, Preßen,) die Fähigkeit,
treffend darüber urtheilen zu können, so, daß der höfliche
Kaufmann nicht nöthig hat, mir seine Waaren anzupreißen,
weil ich sie selbst critisire. Dieses kleine Wißen hat mir
oft mir häußlichem Vortheil gelohnt, wenn ich auch zuweilen
das Prädicat eines Eigensinns davor einwendete. |<36>
Mein Destinee, das Gesetz meiner Geburth, und, Gott weiß,
wie das zu nennen ist, brachte es mit sich, daß ich mich zusam-
men nehmen sollte. Mein academischer Paßirzustand hatte
mir überdieß eine zu tiefe Wunde geschlagen, daß mich ihre
unangenehmen Folgen nicht auf Zeitlebens hätten aufmerck-
sam machen sollen.

Ich war binnen dritthalb Jahren eine Summe schuldig ge-
worden, die viel und wenig zugleich ist, ie nachdem man sie
zu betrachten beliebt. Mein Soutubernal und der fürstliche
Rath, hatten die beyden stärcksten Anforderungen. Nach vieler
angewandten Mühe, hatte ich weiter nichts, als die Anwart-
schaft auf ein kleines Legat von 25. Thalern, welches mir
in meinem Geburthsorte auf drey Jahre ertheilt wurde,
auswürcken können. Ich both den Expecktanzschein hierüber,
meinem Hospes zu seiner Versicherung an, weil ich sahe,
daß sich die bißherige Munterkeit aus seinem Wesen
verlohr, deren Stelle ernste Steifigkeit eingenommen hatte.
Ich verschwieg ihm nicht, daß ich den bißherigen Weg bald
abbrechen würde, weil die zu hoffende Einnahme, bereits |<37>
mit dem Debit nicht mehr im Verhältniß stünde. Er nahm
die Versicherungsschrift, aber weil der Adcovat mit dem
krummen Fuß, dem ich die Schreiberey aufsagte, sein
Freund war, und iezt Gelegenheit fand, mir seine
Jurisprudenz fühlen zu laßen, so war es von beyden
so veranstaltet worden, daß ich die Schuld vor meinem
Weggange gerichtlich anerkennen, und überdieß iurato-
rische Caution leisten mußte, wie der Erfolg lehret.
Der Pedelt trat herein, und citirte mich zum Prorecktor,
mit der Impertinenz, heute die Stube nicht zu verlaßen.
was soll ich beym Prorecktor? Weiß ers vielleicht? Nein,
das kann ich nicht wißen, war seine Antwort, schielte mit
Pedellsblick zur Erde, und nahm eine Prise. Ich werde, fuhr
ich fort, mich morgen zu rechter Zeit einfinden, heute aber
auf alle Fälle noch ausgehen, wenn ich nicht Wache be-
komme.

Mein Hospes blieb bey dem allen ziemlich gelaßen und
hielt Miene. Ich fragte; er wollte von nichts wißen. Nun,
dachte ich, so ist es Zeit, ein Experiment zu machen. Wird |<38>
er sich in Bewegung setzen, wenn du ausgehen willst, so ist
er Stifter der Sache. Ich grif nach Hut und Stock, und alsbald
gabs Aufstand. Sind sie ein vernünftiger Mann, sagte ich
(denn auf den Freund darf ich wohl nicht mehr rechnen) so
mäßigen sie ihre Hitze, damit sie im Stande sind, meine
Vorstellungen zu überlegen. Ich glaube gern, daß sie und andere
mehrmahls Einbuße erlitten haben, und daß ein würcklicher
Verlust aufbringen kann. Ich verdencke es ihnen dahere nicht
wenn sie vielleicht auf gerichtliche Anerkennung meiner Schuld,
und wohl gar auf eidliche Versicherung angetragen haben,
weil die Seele gewöhnlich angegriffen wird, wo der Leib nicht
mehr zureicht; allein bedencken sie, ob sie das mit so äußersten
Mißtrauen anzustellen nöthig hatten, und ob mich Gewißen
Danckbarkeit, und Menschenliebe, nicht weit stärcker verbinde
sie und andere zu befriedigen, als ein Eid, den ich aus
Zwang ablege. Sie haben meine Umstände gekannt, und sind
darauf eingegangen. Ich habe ihnen durch Überreichung des
Expecktanzscheins, das Recht gegeben, mein Legat mit Arres<<>>
zu beklagen. Dieß und ein schriftliches Privatbekänntnis |<39>
würde hinlänglich gewesen seyn, ihre Anforderung zu legitimiren.
Aber sie sind einmahl wieder mich aufgebracht, und ich gehe, um
ihnen Zeit zu laßen, ihr Verfahren zu prüfen.

Der Termin behielt seinen Fortgang, und ich war genöthigt,
ein Fasciout Landcharten zu veräußern, um die Terminkosten
davon zu entrichten.

Das Zutrauen, eine Grundschule aller menschlichen Verbindung,
besonders des genauen Umgangs, hatte durch diesen Vorfall eine
starcke Erschütterung erlitten. Der Alte, (dieß war ein gewöhnlicher
Ausdruck meines Haußwirths,) wollte vor dießmahl am wenigsten
hinunter. Zwang, frostiges Wesen, und wie das Heer heißt, das
wir zu besiegen haben, machte uns beyden zu schaffen, und meine
aufrichtige Bemühung, das Ende mit völliger Amnestie zu
krönen, wollte nicht eher glücken, als biß der würckliche Abschied
herannahte, den ich für unser Verhältniß studiert hatte. Das
erste Gesteinig grenzte auch dießmahl an die weiche Erde, und
eine Umarmung, zärtlich und herzlich, machte den Beschluß.
Wir haben einander nie wieder gesehen. Sein früherer Tod hat
es für diese Welt unmöglich gemacht. Daher ists gut, wenn
die Persöhnlichkeiten nie die Persohnen selbst überleben. |<40>
Wir alle haben unsre Mängel,
Der beste Mensch ist doch kein Engel.
Wer bald vergißt und gern verzeiht,
Der ist ein Freund der Menschlichkeit.
Meine Aussichten waren nun mehr, als iemahls, nicht die besten,
oder vielmehr, ich hatte gar keine. Um mir das Andencken
dieses traurigen Zustandes durch einen scharzhaften Ausdruck
zu versüßen, so war der Himmelstrich, auf welchem ich
die Academie verlaßen wollte, bey nahe alles, was ich be-
schließen könnte. Ich ließ meine Effeckten zurück, biß ich
schreiben würde, und sezte mir vor, einige Verwandte zu
besuchen, um mich theils durch diese Excursion für die Cata-
strophe meines academischen Lebens einigermaßen zu ent-
schädigen, theils aus ihren Meinungen desto sicherer einen
Entschluß faßen zu können.

Da ich, Gottlob! Für Freundschaft und iede menschliche
Glückseeligkeit, von Natur empfindlich bin, so kann mir
nichts Wiedrigers begegnen, als wenn ich Menschen steif
und gleichgültig dagegen finde. Doch war dieß gerade der
Fall, als ich iezt bey einem Pathen, dem Pastor in S …. |<41>
einwanderte, den ich nie von Persohn gekannt hatte.
Jede geöfnete Hausthüs ist immer aufgezogene Theater-
gardine für den Brobachtenden, hinter welcher sich ihm neue
Auftritte zur Geschichte der Menschheit, allerley Unterhaltung
für den Geist und das Herz, darbiethen. Man konnte auf diesem
Pfarrhofe den glücklichen Wohlstand des Landlebens mit einem
Blick übersehen. Der klingende Dreschflügel nach Ostern; feiste,
in tiefem Stroh watende Kühe; zwey Stöße übriges Winterholz;
Pferde der ersten Größe; geräumige Stallung, und ein tüchtiger
Phylax an der Kette, beschäftigten meine Aufmercksamkeit,
und die Aussprüche des Cicero[3] und Columella <ref><poem>[Fußnote des Texts:] (**) Columel. Praes. Vita rustica sine dubitatione proxima et quasi
consanguinea sapientiae est.

</ref> schienen in

ihrer Richtigkeit zu beruhen, wenn ich den kleinen Umstand mit der Weißheit ausnehme, welcher vor dießmahl nicht Tochter des Landlebens war, denn der zwölfjährige Sohn des Haußes ritt noch aufn Ziegenbock, - - ein iunger Caraibo!|<42>

Indem ich so dastund, trat ein finsterer dicker Mann zur Thür heraus. Ich schickte voran, was voran zu schicken war, und kurz! daß ich es vor Pflicht gehalten hätte, ihm meinen Besuch abzulegen. ,,J – un – ia – (erwiederte er mit schleppenden ,,verdrießlichen Tone) das – ist – ganz – gut, – wollen – sie – ,,mit – herein – kommen? – Es – ist – freylich – Sonnabend – ,,heute. Ja, ia, (versezte ich hurtig) das versteht sich! Sie zeigen mir ihre Bibliotheck, und dann empfehl ich mich wieder. Während daß der grämliche Mann seine Tröster auf dem Tisch hin und her rückte, und sich überaus unleidlich bezeigte, fand ich ebenfallß allerley an mir zurecht zu zupfen. Ich suchte das Gespräch auf sein Fach zu bringen, (ein Mittel, wodurch sonst ieder zum Sprechen geneigt wird,) aber vergebens. Stolz, brutale Laune, Misanthropie, Geitz ohnstreitig auch, hatten bey diesem theolo- gischen Miethling alles edle und sanfte Gefühl völlig ausgelöscht. Das Landleben bringt sehr oft eine ganz schiefe Würckung hervor, Statt, daß die Liebe, wohlthätige, stille und lehrreiche Natur, erböthig ist, Weise zu bilden, und uns zum Schöpfer, den Urquell aller Erkänntniß, auf dem nechsten und geradesten Wege zu führen.

Weil ich es billig finden konnte, um der wenigen guten |<43> Menschen willen, eine ganze Menge schlechter zu ertragen, indem doch keiner die Gedult des andern entbehren kann; so verließ ich diesen ausgearteten Geistlichen, der mir ehedem im Angesicht der Kirche alle Freundschaft zugesagt hatte, und gieng an selbigem Tage noch fünf Stunden weiter zu einer M<<>>, die ich in ihrer kleinen Oeconomie beschäftigt antraf. Ich hatte mich kaum zu erkennen gegeben, als ihr einige Zähren und Ausdrücke entfielen, die mir die freundschaftlichste Aufnahme versicherten. ,,O, sind ,,sie einer meiner Schwesterkinder? Ich habe oft sehnlich gewünscht, ,,zu wißen, wie es der Familie ergangen seyn möchte, und nur ,,bedauert, daß ich mit nichts habe beystehen können, als mit meinem ,,Gebeth. (Dieß sagte sie mit einem Bezeigen, welches das Gesagte völlig glauben läßt.) ,,Sie erzählen mir hernach alles. Jetzt will ,,ich ein kleines Abendbrod bereiten, so gut es in meinem Ver- ,,mögen ist.

Das theilnehmendste Gespräch verschönerte diese gesunde Mahlzeit. Überal, in iedem Worte, herschte das sanfteste Behagen, und die Wahrheit: daß beynahe nichts weiter dazu gehört, um sich gefällig und wohl auszudrücken, als ein gutes Herz, bestätigte sich hier vollkommen. Meine Wirthin gedachte zum öftern der Schwie- rigkeit, in der Welt fortzukommen, aber mit einer Manier, |<44> die meine Hofnung mehr aufrichtete, als darnieder schlug, und wenn die Mutterschwestern insgemein wie die Mütter selbst sind, so war es diese Befreundte noch drüber. Kurz! ihr Betragen war fähig, mich mit den Menschen völlig wieder auszusöhnen, mit denen mich der mürrische Pastor beynahe entzweyt hatte. Ich wollte auf diese soldatesque Art, (unter freyer Einquartierung) weiter reißen, als ich bey der nechsten Einkehr, wo ich mein kleines Bündelgen öfnete, einen Frantzgulden und ein beschriebenes Papier hervorzog, mit den Worten:

Von ihrer Muhme!

,,Ich legte das Wenige bey, um sie des Danckes und mich der An- ,,nehmung deßelben zu überheben. Nehmen sie bald ihren Weg ,,zu dem Unterstützer, von dem sie mir erzählt haben. Wenn ,,der Mann noch so uneigennützig ist, so wird er doch, (glauben ,,sie das einer Frau!) um sein Darlehen zu sichern, vor andern ,,auf ihr Unterkommen bedacht seyn.

Die Verfaßerin des Billets suchte mir etwas Angelegent- liches durch den Weg der Überraschung zu sagen. Mein Unterstützer hatte mir zu verstehen gegeben, daß er mich zu seinem Schwager, einem gewißen Amtsrath im M . . . schen, |<45> bringen würde, wo ich die Kinder unterrichten, und zugleich in der Gerichtsstube gebraucht werden sollte. Ich kannte den gemeinen Informatorstand nach vielen unangenehmen Seiten. Man treibt das mühsamste Geschäfte unter der Sonne; trägt nicht selten die empfindlichste Geringschätzung, statt billige Vorzüge zu genießen; erwartet für die Übernehmung eines so vorzüglichen Theils elterlicher Sorge, (dergleichen die Erziehung ist,) als der erste Freund im Hauße angesehen zu werden, und ist der lezte; liegt darüber mit seinem Gefühl und mit den Gerechtsamen der Menschheit, heimlich zu Felde; verliehrt indeßen den edelsten Theil der Jahre und Kräfte, und ist am Ende wenigstens nicht gehemmt, ein beßeres Glück zu versuchen[4]|<46> Da ich es vor vernünftig halte, bey Handlungen oder auch blose Sentiments, die besondern Verbindlichkeiten gegen die dabey mit eintretende Persohnen, ins Auge zu faßen; so wurde dieses Theorem auch dießmahl der Leitfaden meiner Entschließung. Ich hatte auf ähnliche Art Gelegenheit, in Brod zu kommen, und nüzlich zu werden. Mein gewesener Schulrecktor hatte mich an Ernesti in Leipzig empfohlen, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu viel gute Absichten dabey gehabt haben mochte, als daß sich die Sache darüber nicht hätte verzögern sollen. Ich glaubte indeßen meine Dienste derienigen Familie schuldig zu seyn, von der die Unterstützung gekommen war, und wenn ein feinerer Geist hierüber vielleicht spotten oder anders dencken könnte, so entschied bey mir das Herz, welches sich auch über die unerheblich scheinenden Pflichten nicht hinwegsetzen darf. (*) Ich gieng in Dienste des erwehnten Amtsraths.

Wenn man im Guten zunehmen, und, nach manchen bereits überstandenen Leiden, in der Lehre von Verläugnung sein selbst,


(+) Si non ipso honesto movemur, ut boni viri simus, sed utilita<<>> aliqua atque fructu; callidi sumus, non boni. Cic. Leg. I. 14. <<>> Ut enim quisque ad suum commodum rescet, quaecunque ag<<>> ita minime est vir bonus. Ibio. 18. |<47>

weiter verrücken soll, so müßen oft unsere besten Absichten dazu hinzuführen; wir müßen es mit Menschen zu thun bekommen, die sie verkennen, unsere Rechte schmählern, an andern nichts, nur an sich selbst alles Gute zu entdecken glauben.

Dieß war der Fall, in welchem ich mich als A . . . ischer Informator befand, und so ungern ich dieses Geständniß ablege, so sehr gehört es zu meiner Geschichte, die ich nicht <<>>mäßig aus der Luft gegriffen habe.

Mein Gläubiger brachte mich selbst an Ort und Stelle, weil er eben Geschäfte da hatte. Man schien mich bey meiner Ankunft kaum zu bemercken, viel weniger Lust zu haben, mit mir zu sprechen. Eine Magd wurde befehliget, mich in ein Nebengebäude zu bringen, und mir mein künftiges Logis anzuweißen. Nie war ich kleiner gewesen, als iezt auf dieser Clause. Dem Apoll ewige Treue schwören, ohne auch den Pluto darum begrüßt zu haben, war iezt mehr als iemahls mein Gedancke; und ob ich wohl damahls das Unglück noch nicht hatte, alles Unangenehme durch eine Art von Vergrößerungsglaß zu betrachten, so konnte mier doch ein solches Begegnen, wobey der erste Schritt einer vernünftigen Erziehung, (die nöthige Achtung gegen den Erzieher,) |<48> verfehlt wurde, nicht anders als befremdend und lästig vorkommen; die gesundeste Imagination mußte hier ein Gespenst sehen, welches den Thomasius selbst hätte fürchten machen sollen, so sehr er sie läugnete.

Man überließ mich völlig meiner eignen Unterhaltung, und bewilligte mir wenigstens die Ehre, daß ich mich selbst unterhalten könnte. Indeßen hatte diese Behandlung schon auf das Gesinde gewürckt. Dieselbe Magd, die mich Abends zu Tische rufte, ließ diese Einladung außen vor dem Fenster an mich ergehen, und nur der Kürze wegen konnte hierinne etwas Entschuldigendes liegen, denn es hatte schon Neun geschlagen. Doch pure Biene müßte ein Mensch seyn, wenn er aus iedem Gift Honig ziehen, und in ieder Unbilligkeit Nonanimus finden sollte.

Bey Tische war der Pfarrer des Orts mit zugegegen, der einzige, der mich von dem nehmlichen Stoff zu seyn glaubte. Es wurde mit unter gelehrt gesprochen; Longin sp gar kam mit ins Spiel; doch alles mit unterlaufender Miene, die daran Antheil zu nehmen verwahrte.

Man träumte in diesem Hauße von einem erloschenen |<49> Adel, der in den Kindern wieder erneuret werden sollte. Diese und andere Phantasien, hatten dem Unterschiede zwischen Herrn und Diener eine so große Ausdehnung gegeben, daß so gar über Tische niemanden, der nicht von Bluts wegen zur Familie gehörte, etwas zu trincken abgereicht wurde.

Die Zunge klebte mir am Gaumen, und da ich vorher nicht sprechen durfte, so konnte ich nunmehro nicht. Ich hatte sechs Gespanne Pferde in der Träncke gesehen; nur der Mensch, der nicht Hufen und Pferde besizt, galt hier weniger als Pferd. Aecht Megarensisch! (*)

Und wie verhielt sich der kleine Heroismum hierbey? Noch immer auf den gewöhnlichen Fuß! Selbst wo Hypocrates aufhörte, trat Socrates oder so iemand ein. Ich glaubte, daß sich Menschen gewinnen laßen könnten; schlief ruhig, und am folgenden Tag in aller Frühe hatte ich, ohne weitern Wortwechsel,


(*) Aelian. V.H. 12. 56. Salse ridebat Diogenes, Sinopensis, inertiam et incuriam Megarensium, qui liberos nullis bonis artibus instruebant, curam vero pecorum diligentem habeant, dicens: malle se Megarensis alicuius arietem esse, quam filium. Et non absimili sententia ego: quam Megarensis instructorem. |<50>

zwey kleine Mädgens von sechs zu sieben Jahren, mit schönen neuen A. B. C. Büchern auf der Stube, welches so viel heißen mochte: Ihr werdet euch erinnern, daß ihr dem Oncle dieser Kinder ver- Pflichtet seyd.

Die Sachen giengen ex contracto innominato. Ich trat mein Amtgen ohne festgesezte Bedingung an; suchte mich zu den Fähigkeiten meiner Untergebenen herab zu stimmen, und wurde Bald ihr Vertrauter, so, daß sie Liebe und Folgsamkeit für mich Hatten, die sie auch im Beyseyn der Eltern gegen mich äußerten. Da sonst Kinder die Schlüßel zu den Herzen der Väter und Mütter Sind, und man auf die Gunst der leztern natürlich rechnet, wenn Uns die erstern und wir sie lieb gewinnen; so sahe ich doch hier Das Gegentheil, und bluten hätte ich mögen, meine Pflicht und Die Liebe dieser Kinder, mit der Abgeneigtheit der Eltern in einem so Unerwarteten Wiederspruch zu finden.

Stolz und Eigennutz waren hier wehende Flagge, so wie das viel- Leicht einzige Mittel, sie streichen zu machen, (die Schmeicheley,) Nicht zugleich auch unter meine Eigenschaften gehörte. Ich wollte Als pflichtmäsiger, gerader Mann, durch die Welt kommen; iedem |<51> sein Recht laßen, und seine Ehre erweißen, ohne selbst dabey ins Niedrige zu verfallen; durch keine schlechte Politick Übel verstärcken, am wenigsten den Stolz, das lächerlichste unter allen, begünstigen, sondern dem ehrlichen Arzt folgen, der dem aufgetriebenen Waßer- süchtigen lieber ein Absorbanz, als wohlschmecke Eßenzen, vorsetzen wird. Mag es dabey auch seyn, daß das äußerliche Glück des ebenen Mannes gering und unscheinbar ist! Mag es seyn, daß sein schlichtes Wesen ihm so gar zum Hinderniß gereicht, hervor- gezogen zu werden! Mag es seyn, daß man ihm Anlage, und, (um geschwind fertig zu werden,) die Prätension abspricht. Er wird dennoch nur dem Anschein nach wieder glücklich seyn; frey von aller Furcht wird immer Billigung ihm wohlthun; er wird sich mit dem beglaubten Attest der wenigen vernünftigen, edeln, beßern, ganz hellsehenden Menschen, begnügen können. Ich wendete dahter bloß die rechtmäsigen Mittel an, zu einiger Giltigkeit zu gelangen; vermehrte die Schulstunden, ohne die Untergebenen zu ermüden; bemühte mich, sie ihnen angenehm, und den Wachsthum ihrer kleinen Känntniße sichtbar und werth zu machen; verlohr über die versagten oder doch entbehrten nöthigsten |<52> und gewöhnlichsten Bedürfniße, nie ein Wort , und wenn selbst die Kinder diesen Mangel bemerckten, und für mich interzediren wollten, so verbath ich ihre Vorsprache , um sie der mütterlichen Verweiße zu überheben. Am wenigsten entdeckte ich meinem Creditor, der mich schon verschiedenmahl zur Gedult verwießen hatte, die weitern Umstände meiner Lage (besonders in Rücksicht der Amtsstube) biß sich endlich, nach ohngefehr anderthalb Jahren, mein Innres und Aeußers, davon sich eines im Gesicht, dieses auf dem Rock ausdrückte, zu dem Entschluß vereinigte, eine Bestimmung zu verlaßen, wobey die Pflicht gegen mich selbst ins Gedränge gekommen war.

Es erforderte wenig, um zu wißen, daß ich den Stab weiter zu setzen Willens wäre. Die Frau Prinzipale, in deren unverän- derlichen Rathschlüßen, weder Beyfall, noch eine andere Aufmunte- rung, bißher gestanden hatte, schien dieß zu bemercken, und über- nahm es daher, mich auf längere Zeit zu figiren, nur daß ich kein Pastellgemählde war, welches sich lachfirnißen ließ, um dauerhaft zu bleiben. Ich glaubte lange genug mit redlicher Absicht vorangegangen zu seyn, daß man mir nicht weit eher |<53> hätte nachfolgen sollen. Sie redete von Salaire, von Kleidung, vom A<<>>, von Zufriedenheit über mein Verhalten, und andern artigen Dingen, die ich bereits nicht mehr faßen konnte, so verstockt war mein Unglaube geworden.

Frauenzimmer gehen mehrentheils darauf um, auszuforschen, man darf sie daher nie aus dem Brunde berichten. Dieß gilt auch von weibischen Männern, die sich von Weibern beherschen laßen, wenn auch Hauptsachen des Haußes darunter leiden sollten. Mein Prinzipal, der mir, wieder seine Gewohnheit, einstmahls hinter der Gartenmauer begegnete, betrachtete die Sache aus einem, denen iezt gedachten Captationen ganz entgegen gesezten Gesichtspunckte. Weil es eben Frühling war, so nahm er von dieser Natursonne Veranlaßung zu sagen,,daß die Gegend nun immer schöner würde, und daß eben ,,so auch der Mensch zu emergieren suchen müße. Ich erwiederte, daß die Natur dieß alles thäte, ohne einen Willen dabey zu haben, der Wille des Menschen aber würde nur allzu oft durch den Willen anderer gehindert. ,,Ja, suche er fort, man muß doch aber durch ,,die Hinderniße hindurch dringen. So weit sichs hindurch dringen läßt, war meine Antwort. Er fügte noch hinzu, daß das die besten |<54> ,,Leute geworden wären, die von unten auf gedient hätten; gieng hierauf zur Jurisprudenz über; lobte Böhmers Buch de actionib<<>> welches auch ich lobte, weil mir die Gründe hierzu eben nicht unbekan[nt] waren.

In einem andern Verhältniß mit dem Manne, oder, wenn er die Menge wahrer, gründlicher, alter und neuer Gelehrsamkeit, <<>> anwendbahr gemacht, und nicht zu buchstäblich verstanden hätte, würde er höchstschäzbahr gewesen seyn. In iedem noch so geringen Falle schien er erst nachzudencken, ob sich die Sache irgend auf einen theoretischen Grundsatz zurück bringen, und sonach entwed[er] bewilligen oder verwerfen ließ. Er war daher nichts weniger als Mann für die Geschäfte, und – als Herr im Hauße. Er ließ sich hundert abgewinnen, eher er eins nachholte. Selbst sinnliche Empfindungen, giengen in ihm so langsam von statten, daß er sechs Stunden im Regen ritt, ohne eher, als in der sechsten zu sagen: es regnet ia gar! – oder zu den Schnittern: haltet mir mein Pferd, ob sich schon das Pferd loß gerißen, und er nur den Zaum noch in der Hand hatte.

Der Informator gehörte auch hier, wie das Büchsgen mit der |<55> Röthe, zur Toilette; er war überflüßige, unbedeutende Persohn. Der Mann von Gefühl, der Rechtschaffene gegen sich selbst und das Ganze, will nun aber seine Tage nicht bloß wegleben, er will auch an rechte Orte, und in solchen Verhältniß, wo sein Herz und Talent an wahresten befriedigt werden können; nach Art eines vernünftigen Schauspielers, der nicht tragische und burlesque Helden und Liebhaber-Rollen durch einander, sondern nur dieienigen mit Lust und gutem Erfolg übernehmen wird, die am mehresten in seiner Neigung liegen.

Diese Wahrheit, mit den vorerwehnten Umständen meiner Condition, zusammen genommen, läßt nichts übrig, meinen Weg- gange aus derselben, irgend eine andere als billige Auslegung zu geben.

Ich hatte ohngefehr dreysig Thaler, theils mündlich, theils schriftlich erbitten müßen, um kleine Ausgaben davon zu bestreiten. Dieß, und die Schuld beym F. Rath, betrug zusammen an sechzig Thaler, die ich keinen dieser Zeit als einen wohlverdienten Lohn anzusehen berechtiget war. Man ließ sich iedoch nie über diesen Umstand ein, und schien mir damit nicht undeutlich zu seyn, daß auch ich |<56> die Veranlaßung zu einem solchen Gespräch nicht geben sollte. Eine Reiße nach B. beschleunigte indeßen meine Absicht. Ich hatte mich dort gegen einige Freunde entdeckt. Der damahlige Stadt- voigt Sch<<>> hatte es erfahren, der mir unter nahmhaften Bedin- gungen Condition antrug, die mit pracktischen Nutzen in der Jurisprudenz verbunden war.

Die Gründe, nach welchen ich von der vorigen Verbindung abgieng, lagen zu nahe vor Augen, als daß ich eben viel Schwierigkeit dagegen hätte vermuthen sollen. Doch selbst bey meinem Abschiede noch, wurde ich über den Umstand der getilgten Schuld, nicht verständigt. Außer Zweifel war das Eigenthum meines Creditors und seiner Schwester, noch zu individuel, als daß im Grunde beyde darüber hätten einig seyn können. – Der bone Fides war auf meiner Seite. – Ich hatte nach Pflicht gehandelt; mehr brauchte es nicht, um mich wegeneines Vergleichs von dreysig Thalern unter Geschwister so wohl, als um das Verhältniß der beyden Familien, von der einen ich aus-, und zu der andern übergieng, völlig unbekümmert zu laßen. Denn es herrschten Räncke zwischen den beyden leztern.

Mein neues Aemtgen gieng ruhig von statten. Ich wurde |<57> freundschaftlich behandelt; durfte über Tische trincken, sprechen, an Vergnügungen Theil nehmen, und kurz! mich unterstehen, ein Mensch zu seyn. Ich besorgte meine Knaben, und wurde bey einem benachbarten Judicio mit zu den Gerichtstägen zugezogen; erhielt Übung in den Anlagen, Fortgange, Cautelen und Wendungen der Gerichtshändel; lebte wieder auf; arbeitete viel, doch mit fröhlichem Muthe; fühlte mich glücklich, und nichts beynahe fehlte meinen Wünschen, als die Vereinigung zweer Familien, deren einer ich den Grundsatz: siehe zu, daß du iedermann zum Freunde behältst, aufopfern sollte, weil es die andere verlangte. Es war mir aus- drücklich verbothen, den F. Rath zu besuchen, und ich konnte mich seines fernern Wohlwollens höchstens nur schriftlich versichern, wobey ich ihm zutraute, daß er die Ursache meines Wegbleibens nicht in mir, sondern an der wahren Quelle aufsuchen würde. Allein, süß war die Rache! Das Feuer schlug von beyden Seiten zusammen; mein liebstes Effeckt, die Menschenfreundschaft zu retten, war unmöglich! Der mir zugedachte Streich sollte desto empfindlicher ausfallen, ie mehr man, so zu sagen, Graaß über die Sachen hatte wachsen laßen. Ich sollte treuherzig und sicher werden, |<58> um sodann beym plötzlichen Überfall desto mehr zu erzittern. So fand ich eines Abends folgendes Billet: Wenn noch ein Christenherz existiret, so erwarte ich nun, da sie einen Prinzipal haben, dem dergleichen Vorschuß ein Bagatelle ist, meine Zahlung a. 30. rt. Damit es unangenehmner Vorkehrungen nicht bedürfe, und bin p

Ich beantwortete diese Zuschrift höflich, ohne dem Stadtvoigt etwas davin zu sagen, dem ich mich nicht unangenehm machen wollte; bekam deren in der Folge mehrere, und wie sie darauf hinaus giengen, daß die Schuld nicht getilgt sey, so suchte man die Sache nebenher zugleich zur Sache meines Prinzipals zu machen; ihm eine gewiße Überlegenheit zu zeigen; zu zeigen, daß es bloß vom gegenseitigenWillkühr abhange, den Informator vor Gericht zu bringen, oder erstern zu nöthigen, für den leztern ins Mittel zu treten.

Dieß that ein Jurist, und ich gedencke dieses Auftritts mit einiger Kürze, um der beßern Menschheit nicht zuvor zu kommen, das Unmoralische in seinem weitern Umfang darinne zu ent- decken. |<59>

In der Zwischenzeit von diesem allen, war mein ehemahliger Schulrecktor gestorben. Sein Vater, mein gewesener Hauwirth auf Schulen, hatte deßen Bibliotheck an sich bekommen, und ins Geld gesezt. Für den frühen Verlust eines solchen Sohnes, konnte beyde Eltern kaum etwas beruhigen, am wenigsten der baare Trost, wenn er auch in vieler Rücksicht Beruhigung mit sich führt. Ich erzählte ihnen das Gedränge, in welchem ich mich befand, und es fiel ihnen, ohne mein Bitten, so herzlich leicht, mich davon zu befreyen, und dreysig Thaler für mich zu wagen, daß ich meinen Creditor schon am folgenden Tage befriedigen konnte. Ich überlieferte ihm die Schuld eigenhändig. Es schien mir dießmahl unvermeidlich, selbst zu ihm zu gehen. Er äußerte, wie er sich freue, daß ich mir doch doch bey meiner ietzigen Einnahme ein wenig helfen könnte. O, erwiederte ich, vom Conditionieren laßen sich gewiß keine Schulden bezahlen; Sie können glauben, daß ich dieses Geld von Leuten entlehnt habe, denen sie dergleichen Gefälligkeit schwerlich zutrauen werden. Die Beschämung, die in der Zahlung mit anderweit entlehnten Gelde, lag, that mir gewißermaßen weher, als vielleicht dem Bezahlten.|<60> Wir befanden uns nun, wie alle andere zögerliche Wesen, die kein Druck oder Stoß mehr in Bewegung sezt, wieder im Ruhe- stand, und ich hatte mich in der Vergeßenheit der elenden Condition bey seinem Schwager, bereits so geübt, daß ich mit dieser vergeßenden Fertigkeit am Ende war.

Ist etwas der öftern Betrachtung eines Menschen würdig; so ist es ohnstreitig die allgemeine und besondere Verbindung der Dinge, ihre Entstehung und Würckung, die sich ins Unendliche wieder zu neuen Ursachen und Erfolgen entwickelt und an einander reicht. Eine solche Betrachtung allein, wird uns veranlaßen, (nicht, mit Gott zu existuliren,) nein! seine Einrichtung zu bewundern; große, unumstößliche, höchstbrauchbare Wahrheiten fürs Herz und Leben, daraus abzuleiten. Und wenn wir diese Wahrheiten durch Lehre und Beyspiel würcken laßen, nur dann wird man uns den Nahmen eines Aufgeklährten ewilligen können. Wir werden in den Buchläden und Maßen unbekannt, aber vielleicht für die Wichtigste Angele- genheit des Menschengeschlechts desto gelehrter seyn. Wenn indeßen der Astronom, im Calender die Sprache des Scheins, (z B. die Sonne tritt in das Zeichen des Widders, |<61> da sich doch dieses Zeichen vielmehr der Sonne nähret,) in seinem Lehrbuche aber die Sprache der Gewißheit redet; so darf ich versichern, daß meine Erzählung, in Betref der Sch . . . schen Condition, mehr einem Calender, als einem Lehrbuche, nahe kommen wird.

Es schien, als wenn ich freundschaftlich behandelt würde; aber es waren schon fünf Quartale verfloßen, ohne noch den Aspeckt des Salärs gesehen zu haben. Ein solcher ge- <<>>ter Schein ließ mich an dem häußlichen Himmel meines im Übrigen recht guten Prinzipals, keine geringe Unordnung vermuthen, zumahl da ich ein Jahr erlebte, wo vor Pacht- und Gütherverkauf-Negoza, 15000. Thlr. Einnahmen, rechtläufig gemacht worden war. Ich kann mich sehr gern nicht bezahlen laßen. Ob dieses ein guter oder böses Zeichen von mir sey, will ich selbst nicht entscheiden; daß es aber nicht böß seyn könne, so etwas zu gestehen, das scheint mir wenigstens gewiß. Der Stadtvoigt hatte mir die Prolongation meines Stipendiums noch um ein Jahr ausgewürckt. Dieses, und daß er sonst noch |<62> Absichten für mich haben mochte, stellte mich eben so leicht zufrieden als sich zuweilen ein Mädgen beruhigt, wenn ihr der Curator ein Capitälgen unterschlägt, um ihr davor einen Mann zu ver- schaffen. Die Organistenstelle wurde erledigt. Ich mußte auf Verlangen des Stadtvoigts darum nachsuchen, und erhielt sie. Hierüber gieng die Condition, welche zwey Jahre gedauert hat[te] zu Ende, einige Stunden ausgenommen, die ich noch geraume Zeit fortsezte. Ich hatte ein Logis gemiethet, und, in Absicht des mangelnden Haußgeräths, auf das rückständige Salaire gerechnet, und mich geirret. Ich erhielt beym Abschiede aus dem Hauße, fünf Thaler in ein Papier gesiegelt, ohne weiter ein Wort darinnen geschrieben zu finden.

Es war mir unmöglich zu glauben, daß ein so mühsam er- worbenes Geld verlohren gehen könnte. Denn sich in einer solchen Philosophie, wovon ein Knabe weiß, daß sie mit Fluch bedrohet ist, hinein zu dencken, dazu müßte man selbst ein eben so schlechter Philosoph seyn.

Die unterbliebene Zahlung schmerzte mich iedoch nicht so sehr |<63> als daß ich genöthiget war, zehn Thaler bey einem Freunde auf- zunehmen, um nur das Nöthigste damit zu bestreiten. Doch sezte ich die versprochenen Stunden fort, wovor das Winterholtz bedungen wurde; weil aber auch dieses nicht erfolgte, so hörte ich auf, die Gefälligkeit länger zu übertreiben. Auch habe ich nie Erinnerung deswegen gethan.

Wer sich vor verbunden hält, ein Packtum zu erfüllen, (und das muß doch wenigstens ieder in öffentlichem Ansehen stehende Mann!) dem wird diese Überzeugung schon an sich Erinnerung seyn, weil sie eine ehrenwiedrige, unangenehme Em- pfindung in ihm unterhalten wird. Hält er sich nicht vor ver- bunden; so wird auch das Erinnern nichts feuchten, rechtliche Zwangsmittel aber, werden machen, daß er Rache gegen uns ausübt. Ich wollte zur Advocatur schreiten; der Stadtvoigt war Richter im Ort, und auch in der Gegend; die Gunst des Richters aber kann dem Advocat nützen, ohne daß das Recht darunter leidet. Dieses, ingleichen, daß erwähnter Stadtvoigt würcklich nicht gewohnt war, über Sachen hinweg zu schlüpfen, oder gemachte Hofnungen |<64> gänzlich zu täuschen, verursachte, daß ich mich über den vorenthaltenen Lohn beruhigte, ob ich schon dabey (ohne Materialien und Werckzeug gleichsam) an den Bau meines häußlichen Wesens angehen mußte. Die Pedalbanck diente mir geraume Zeit zum Sitz ohne Rücklehne, wo auch ein edler Freund, der mir dieß nicht zurechnete, noch Platz fand, und mein Spiegel war in der Dose. In der Laube des Eremits, würde ein solches Compendium wahre zweckmäßige Schönheit gewesen seyn; aber in der offenen Welt, wo man taxiert wird, thut es Schaden, den Schächer am Crenz zu machen, und eine Überwindung erfordert es, die schuldigen Persohnen dabey zu schonen, die ihres gleichen nicht hat.

Ich konnte mich damahls schon so leicht nicht mehr über alles hinweg setzen, wie in den iüngern Jahren; doch that die Einsicht iezt, was dort die Jugend that. (Gradation ist das Erbtheil der Menschen!)

Ich gehörte zur Partie der Aufstrebenden. Hätte ich weniger Wiederstand gefunden, so würde ich vielleicht manche Erfahrung nicht gemacht; mit dem Studium der Menschheit unbekannter, und |<65> folglich in der nöthigsten Känntniß unwißend geblieben seyn. O, diese Känntniß! Vortheilhaft ist sie; tröstlich aber ist sie mir niemahls gewesen!

Menschen, die ich liebe, und ohne Unterschied lieben soll, haben mich gehindert, an dem untermeßlichen Stoff zum Glücklichseyn, gehörigen Antheil zu nehmen, und Menschen müßte ich die Schuld geben, wenn ich iezt, da ich dieses schreibe, für Lebensfreunde und Lebensthätigkeit nöthig unempfindlich wäre; wenn auch ich die Welt vor ein Hospital voll moralischer Krancker hielt, und so gar die Lust zu leben, und mit ihr selbst die Fähigkeit, schon verlohren hätte.

(Um diese Ausdrücke nicht zu hart zu finden, muß man ähnliche Indiscrezionen erlitten haben!)

Nachdem ich die besagte Organistenstelle kaum angetreten hatte, zeigte sich Gelegenheit zu einer andern Versorgung, wozu ein von mir geschriebenes Hochzeitgedicht die Veranlaßung gegeben hatte.

Ein gewißer Auditeur K. vom Prinz-Xaverischen Regimente, |<66> welches damahls in Eisenach stund, hatte das Carmen mit sich genom- men, und fragte hierauf an, ob ich gesonnen wäre, ein Feldsecreta- riat bey diesem Prinz anzunehmen?

Ein beyspiel eines solchen Secretärs, welcher eben nicht mit viel Vortheil beladen von der preußischen Armee zurückkam, und daß überhaupt das schönste feindliche Lager meine Kür nicht ist, hielt mich ab, von diesem Antrage Gebrauch zu machen. Ich zog das Gewiße, was ich hatte, dem künftigen Ungewißen vor, und suchte mein Dienstgen durch Nebengeschäfte zu verbeßern. Ich erhielt die Advocatur und einige Scholaren.

in Rücksicht der erstern, wurde ich bey rechter Zeit der Ver- folgung meiner Collegen und der Ehre eines iuristischen Märtyrers nahe gebracht, weil ich in die damahls üblichen Collusionen und Dröhlereyen, nicht willigte. Es konnte daher nicht fehlen, daß mir Die Praxis erschwert und verhaßt werden mußte. Wo ich den geradesten und kürzesten Weg gehen wollte, da wurden Chicanen in Menge ausgehackt, daß ich mich endlich genöthiget sahe, seolches bey F. Landesregierung anzuzeigen, und ein |<67> Matier wiederzulegen, welches iezt, nachdem die Räncke der Advocaten eingeschränckt sind, mehr Vollkommenheit wieder er- halten hat.

Die Informationsstunden gewährten wenig, halfen aber hie und da ein leeres Plätzgen im Haußwesen auszufüllen. Meine Scholaren betrachtete ich nie nach der Sache, die sie erlernten, sondern hauptsächlich als iunge Leute, denen man bey solcher Gelegenheit auch noch etwas mehr sagen könnte und müßte. Ich unterließ nicht, mich über ihre gegenwärtige und künftige Bestimmung, die damit verbundenen Pflichten und deren möglichst vollkom- mene Ausübung, zu verbreiten. Dieß that auf ihre Cond<<>> gute Würckung. Die Eltern bemerckten es, und versicherten mir oft ihre Verbindlichkeit.

Die Zahl dieser iungen Leute ist nicht groß; dagegen ist mancher zwey, drey, und mehrere Jahre in meinem Unter- richt gewesen, und die mehresten sind entweder, oder werden noch nüzliche Mitglieder der Republick werden. Ein gewißes Band wird mich immer zu ihrem Andencken hinziehen; Jeder |<68> Edeldenckende wird mein Vergnügen billigen, etwas zum Besten des Allgemeinen beygetragen zu haben, und zugleich verstatten, ihre Nahmen, dermahligen Stand und Aufenthalt beyzufügen: 1. Lincke aus Buttstädt, lateinische Stunde und Clavier, Pastor aus Dorndorf bey Jena. 2. Schlotter aus Buttstädt, Schreiberey, Hofagent zu Jena. 3. Schröter aus Reißdorf, Clavier, Quartus zu Buttstädt. 4. Theuer aus Niederreißen, Clavier, Cantor in Olbersleben. 5. Meier aus Buttstädt, Schreiberey, starb als Profeßor der Medizin in Jena. 6. Junghannß aus Hardisleben, Clavier, Präzeptor in Buttst. 7. 8. Gebrüder Lungershaußen zu Buttstädt, Söhne des noch lebenden Superintendents das. Clavier und Schreiben, der eine Hofadvocat, der andere Pastor. 9. Kohlschmidt aus Oberreißen, Clavier, Cantor in

      Guthmannshaußen.

10. Elßner aus Krautheim, Clavier, starb als Cantor das. 11. Clermann aus Guthmannshaußen, Clavier, starb als

      Cantor das.

12. Trötsch aus Olbersleben, Clavier, Informator in

      Gorschleben.|<69>

13. Kämpf aus Buttstädt, Clavier, geistl. Candidat das. 14. Dengloff aus Loße, Clavier, Chursächß. Advocat. 15. Henckel aus Franckenhaußen, Clavier, Candid. der Rechte zu

              Buttstädt.

16. Müller aus Wollmerstadt, Clavier, starb als Schüler. 17. Rehhrähmer, Clavier, starb als Thomasschüler in Leipzig. 18. Gräfenhain aus Oelshausen, Clavier, Student in Leipzig. 19. Gruner aus Ilmenau, Schreiberey, Candid. der Rechte das. 20. Zuckschwerdt aus Buttst. Clavier, Student in Jena. 21. Zunckel aus Buttstädt, Clavier, Informator bey Netra. 22. 23. Gebrüder Reimann, aus Buttst. Clavier und Schreiberey

      der eine Student in jena, der andere Kaufmanns-
      Diener in Weimar.

24. Willweber aus Eberstadt, Clavier, Student in Halle; ist

      wegen seines ausgezeichneten guten Charackters nach
      Vermögen von mir unterstüzt worden. 

25. Schortmann aus Buttstädt, 5. Jahre lang in mehrern

     nöthigen Känntnißen. Widmet sich der Handlung.

Wenn iede gute Handlung, wobey weder Ehre noch Gewinn zum Grunde liegt, (und beydes liegt gewiß beym Unterricht |<70> gemeiner Jugend nicht zum Grunde,) Religion ist, so darf ich wohl niemanden versichern, diesen Schatz zu besitzen. Sie war die Gebietherin, die mir iedes unbeträchtlich scheinende Geschäft mit Lust übernehmen, und mit Gewißenhaftigkeit vollführen ließ.

Da das Orgelspielen zum äußerlichen Gottesdienstgehört, so war dieß genug, mir mein Amtgen wichtig, und zur vorzüglichen Pflicht zu machen. Ich erlaubte mir daher selten eher, einen Vortrag aus dem Stegreif zu beginnen, als biß ich mich dazu völlig humorisirt fühlte. Außerdem sezte ich meine Orgelstücken eben so pflichtmäsig zu hauße in Noten, als der Prediger seine Rede durchdencken, und zu Papier bringen wird, wenn er Gewißen hat. Allezeit hat auch diese sorgfältige, obschon mühsame Zubereitung, ihre Würckung gethan, sie mochte der Commentar eines Liedes, oder des sogenannten Kirchenstücks seyn. Denn das kostbare Orgeninstrument, woran oft Tausende verwendet werden, steht gewiß nicht da, um bloß die Gemeinde im |<71> Ton zu erhalte; (dieß würde auch eine einzige starcke Pfeife bewürcken,) am wenigsten aber allerley Zufälliges, wieder den Entzweck und die Würde der Sache, darauf vorzutragen. (*) Man bemerckte diese Bemühung, und sahe ein, daß sie mir Zeit rauben mußte; allein, ohngeachtet das dasige Arrarium in sehr guter Verfaßung war, so erfolgte doch nie einige Aufmunterung. Vielmehr wurde mein Fleiß bald zur Schuldigkeit, so wie ihn andere


(*) Wenn der Organist: Lobet den Herrn, den mächtigen König der Ehren p und: Wer nur den lieben Gott läßt walten p mit gleicher ruhiger Seele vorträgt; wenn er sich nicht über das gemeine Orgelspielen erhebt; nicht wahre reine Harmonie mit Geschenck und Präzision verbindet; keines eigenen Gefühls fähig ist, noch den Gesang gleichsam mit einem beständigen Commentar zu illustriren weiß; dann ist er elender Schwätzer statt Redner zu seyn; Profeßionist, der uns den Rock verschneidet, und ihn durch unschickliche Heft und Schlingen zum Ansitzen herbey zu nöthigen sucht. Das Sinnlichschöne bey unserm Gottesdienste, ist allezeit Nothwendigkeit gewesen, und es sey entweder ganz weg, oder in einem vollkommenen Grade da! |<72> zugleich als Begierde hervor zu stechen, als stolze Absicht er- klährten.

Der Pilz wächst neben der guten Frucht, und der Neid steht nicht selten neben edler Bestrebung. Ich hielt die Verwaltung meines Amtgens, und eine vollkom- meine Leistung deßen, was geleistet werden konnte, für den sichersten Weg zum Beyfall der Vernünftigen, und auch zur Wohlfahrt meines folgenden Lebens.

Unter meinen geringen Fähigkeiten, die ich als Geschenck be- trachtete, welches dem Geber zur Ehre angewendet werden müßte, durfte keine die andere verdrängen, obschon die, die mich zunechst nährten, auch im Range die nechsten waren. Mangel, Ort, Lage, Mißkennung, glichen in dem Falle so viel Sturmwinden, die den Baum zwar erschütterten und anzureißen drohten, ihm aber durch das heftige Rütteln nur einige Samenkörner ent- führten, die hier und da wieder Boden fanden, aufkeimsten, und vielleicht tragbar geworden wären, hätten sie mehrere Pflege genießen können.

Durch die Entwerfung unserer Lebensgeschichte, die immer zugleich Geschichte unsers Herzens ist, fehlen wir bald in der |<73> Länge, bald in der Breite. Wir sehen, indem wir das Bild über uns selbst aufnehmen, entweder mehr, oder weniger, als würcklich da ist; mehr gute Eigenschaften, Fertigkeiten, Anlagen, Kräfte; so wie hingegen weniger Unvollkommenheiten, Mängel, begrenztes Talent; und tadeln Menschen und Welt, wenn sie unsern unmerck- lich kleinen Gaben oder Verdiensten, nicht immer mit der <<>>rauchspfanne entgegen kommen.

Wie gern mache ich hiervon einige Anwendung auf mich! Auch mir sagt der Verstand, daß, seine Schwäche erkennen, der Weißheit erster Schritt sey; aber mein Herz liegt mit ihm darüber im beständigen Streite. Gebeugt unter das despotische Gesetz der Eigenliebe, weill es sich nur allzu gern im falschen Lichte sehen laßen, und andern das scheinen, was es dem Verstande nicht ist. Dieser allein entscheidet aufs Zuverläßigste, wie schön und groß es sey, aus Überzeugung des Guten handeln; und doch wie oft waren auch meine Handlungen und ver- meynten Tugenden, nur Früchte des Temparaments, des würcklichen Stolzes, des niedrigen Eigennutzes, und des sinnlichen Gefühls. Mein Nechster hatte ein Recht auf viele, wo nicht auf alle meiner Pflichten, aber ich entweihte |<74> dieses Recht, indem ich Belohnung dafür erwartete, und wenn er mir gegenseitig eine seiner Pflichten versagte, oder zu versagen schien, ihn sogleich mit sammt der Welt, als verdorben, als ungerecht zu schelten eilte. Die Ausführung verschiedener Entwürfe und Absichten, konnte mir zuweilen mehr Schaden als Vortheil zuziehen; gleichwohl wie oft mag ich es für Beleidigung angesehen haben, wenn sie von andern nicht begünstigt wurden. Z. B. Die Sache des Schreibens und Edirens des Geschriebenen, [worüber meine Gesinnungen iezt beßer berichtiget sind,] hatte auch mich einst- mahls überfallen, so daß ich einen unwiederstehlichen Reitz fühlte, durch irgend ein Produckt bekannt werden zu wollen. Ich versuchte daher nicht nur ein Dutzend dreystimmige Orgelpräludien, nebst sechs Claviersonaten, die ich Naumann in Dresden und Doles in Leipzig, (Männer die an meinem beßern Glück arbeiteten,) zur Prüfung vorlegte, sondern auch eine Sammlung kleiner moralischer Aufsätze, um sie irgendwo an einen Verleger zu bringen. Die mehresten |<75> schüzten exceptionem fame vor, und waren ungelehrig genug, einzusehen, daß ich eben famam erlangen wollte. Der eine rieth mir den Weg der Subscription, u.s.w. Nach lange Hin- und Her-schreiben, verabschiedete ich endlich die Autors-Idee, und beruhigte mich damit, mein Glück, welches nun einmahl umgehent seyn wollte, auch von dieser Seite auf die Probe gestellt, mancherley Notizen über Buchhändler-Natur und Wesen, und neue Beyträge zur Menschen-Kunde, dadurch aufgesammlet zu haben. Indeßen war die verwendete Zeit-Mühe, und baare Auslage, kein ganz unbeträchtlicher Verlust für mich, und einer von den damahligen Correspondenten ist mir hierüber noch eine kleine Aussöhnung schuldig. Die kleinen Aufsätzeanlangend, [Schriften, dergleichen ich nachher viele in Druck gesehen habe,] nun! so ist mir vielleicht vergönnt, [von Menschenfreunden vergönnt, die zu unterscheiden wißen,] einige davon noch vorgefundene Stücken, wenigstens als einen Beweiß meines immer gehabten guten Willens und der gratuirenden Seelenkräfte, hier beyzufügen, und für eines ver- lohrne Oehl wenigstens die Beruhigung zu haben, nach sechzehn |<76> Jahren noch von einem Zirckel vortreflicher Männer gelesen worden zu seyn, die in gewißem Sinn weit mehr als alles Publicum sind.

Über die Donau.

Mit gleider Gefälligkeit machst du dein Compliment dem Bürgermeister in Ulm, und der deutschen Gesandschaft in Regensburg; legst dich dann ehrerbiethigzu Josephs Füßen; durchwanderst das goldreiche Ungarn; giebst Abdul Hamat das Seinige bey Bellgrad; bereicherst den Hospoder, wie den Christ, und den Türcken und Juden, und nachdem du sie alle gesegnet hast, gehst du dir guter Thaten bewußt, zur Ruhe in den Pontus Eupimus. Sey wie im Bild, auch meinen Weg so zu vollenden! Nichts gehe über den Gedancken: ieder Pflicht und ieder Bestimmung getreu gewesen zu seyn!

Die Folge.

Weil uns mehresten der Mond von einem Jahre zum andern in die nehmliche Waßersuppe sieht, ohne uns iemahls mit einer Pastete zu erfreuen, so schließen wir billig, daß er uncivilisirt und folglich unbewohnt seyn müße.|<77>

Fabel.

An einem Brunnen, voll und tief, Da legte sich der Knab, und schlief, von seinem Fleiß ermüdet ein. Wie leicht könnt es um ihn geschehen seyn; Wenn nicht das Glück von ohngefehr noch kam, Und ihn weg von dem Brunnen nahm! Doch, wenn er nun ertranck, wer hatte es gethan?

Stets klagen wir das Schicksal an.

Das wahre Glück.

Die Welt steht überal zu unserm Dienste offen, Und wems gefällt Der kann vom Ocean und Belt Was Gutis hoffen. Doch wahres Glück weit sicherer zu hoffen, Sey unser Herz der Tugend offen, Dann sind wie uns selbst eine Welt |<78>

Die Nativität.
Hier, diese Hand! Nativität!
Und frisch gesagt, was drinnen steht!
Du zuckst? ,,Mein Heer! Ein Stab
,,Voll D<<>>nen, dann ein Grab!
Sehr wohl! Ein Stab, ein Grab,
Wenn es die Vorsicht gab.
Doch wiße, daß du fehlen wirst,
Ich sage es dem Fürst!
Schluß-Brief

In dem großen Lotto von tausendmahltausend Spielern, gewann ich sehr wenig. Inzwischen blieb der Aufseher des Lottos der weiseste, gerechteste Mann, der mir erlaubte, heute noch einmahl mein Glück zu versuchen. Die Gewogenheit meiner Leser war das schöne Looß, das ich gewinnen sollte!


Nechst der Befriedigung meiner Seelenkräfte, war ich auch |<79> Eben sowohl auf die Erhaltung des Körpers bedacht. Ich hatte öfters herum gesonnen, wie ich ihm eine gesunde Bewegung verschaffen wollte, die zugleich für das Häußliche nüzlich seyn möchte. Drauf fügte sichs, daß ich bey Gelegenheit der Orgel- Reparatur, Lust zur musikalischen Arbeit bekam, und unter Anleitung des Orgelbaumeisters, ein Clavier zu verfertigen anfing. Weil ich alles anwendete, ihm seine lehrenden Besuche angenehm zu machen, so kostete dieses erste Werckgen zwar eben so viel, als ein Gekauftes, aber ich gewann dabey die nöthigen Vortheile, ein Zweytes darnach zu verfertigen. Ich darf hier, außer den Anforderungen meiner häußlichen und körperlichen Umstände, billig noch eine eben so sittliche und religiöse Ursach mit anführen, die mich zu Übernehmung dieses Nebengeschäftes bewog.

Es ist oben gedacht, wie viele Verbindlichkeit ich meinen gewesenen Wirthsleuten auf Schulen, welche Eltern-Statt an mir vertreten, und um desto mehr gethan hatten ie |<80> weniger sie selbst entbehren konnten, schuldig war. Die hinterbliebene Witwe hatte mit dem Tode ihres Manens, und besonders ihres Sohnes, des Recktors, beynahe alle Unterstützung verlohren. Ein Häusgen war ihr einziger Reichthum, deßen Erhaltung sie sehnlich und vielfältig wünschte. Nichts schien mir gewißenhafter, als nicht nur für den Abtrag derer 30. Rt wodurch ich von meinem ungestümen Gläubiger bes<<>> worden war, möglichst zu sorgen, sondern ihr auch den Genuß eines Haußzinnßes zuzuwenden, und, so viel ich konnte, etwas zu ihrer Beruhigung beyzutragen. Mein kleines Kunst-Etablißement sollte ein Mittel dazu abgeben. Alles gieng iedoch ziemlich schwer von statten. Ich schien über den neuen Nahrungs-Zweig wie ins Waßer gefallen zu seyn; fand hier zu baden, und dort zu schwimmen mit dem allerungewißesten Ausgange. Urtheile von allerley Gattung liefen durch einander. Die Tischer beschwerten sich über diese Neuerung im Lande, und der Steuer Einnehmer |<81> redete von einer Gewerbe-Steuer. Philadelphie konnte keinen größern Lerm erregen.

Daß Gezische machte mich in meinem Vorsatze desto eifriger und standhafter. Ich lebte und webte, so zu sagen, in meiner Hand<<>>rung, und nach Verlauf eines halben Jahres standen zwey neue Instrumente fertig, die ich ziemlich gut verkaufte. Wie eine Mutter ihr gebohrnes Kind, so betrachtete ich iezt meine Geschöpfe; (*) fühlte zum erstenmahl, was es Bewand- niß mit angestrengter Kraft und aufgesuchter Fähigkeit, habe; schmeckte das Süße des eigenen Brods; freute mich der entdeckten Bahn, Sorgen zu mindern, und die Pflicht der Erkänntlichkeit zu üben; bestimmte täglich einige Stunden zu Fortsetzung dieses Geschäfts, und obschon anfänglich die, vielleicht zu heftige und ängstliche Bewegung, wiedrige Eindrücke zurück ließ, so hofte ich doch zur Vorsicht, die uns so gern die biethet, daß sie diese anscheinende Lebenswunde zu meiner Erhaltung sanft umzulencken wißen würde.


(*) Quid dulcius hominum generi a natura datum est, quam sui cuique liberi? Cic. |<82> In einem beständigen Zweykampfe zu liegen, kann auch den besten Kämpfer ermüden; doch mit vernünftigem Muthe den Gang gewagt, und nichts übertrieben, ist immer den halben Weg gewonnen.

Diesem Grundsatze getreu, änderten und beßerten sich meine Umstände zwar langsam, aber dich sicher; erübriget wurde nichts, weil ich keine meiner andern Pflichten dabey hintensetzen konnte. Daher ich auch genöthiget gewesen bin, verschiedene ander- weitige Beförderungen auszuschlagen, als: die Organisten-Stellen in Sondershaußen, Eißleben, und Merseburg, wobey Herr Kapell- meister Naumann, Musick-Direcktor Doles, und andere Gönner, Empfehlung für mich eingelegt hatten. An keinem dieser Orte war die Vergütung der Reisekosten und des Transports hergebracht. Meine Hofnung blieb aufs Vaterlang gerichtet, nicht, weil ich einer beßern Versorgung werth zu seyn glaubte, sondern weil ich mich bey den Hülfsmitteln, durch die man sich in ein Fach leicht einpaßt, erhalten, und seiner Vorsorge nie unwürdig gemacht hatte. Daß es mir indeßen diese Gunst nicht angedeigen |<83> ließ, habe ich aus der Menge der Bittenden und andern Um- ständen, ganz wohl erklären können, bin gelaßen geblieben, und habe meine iedesmahligen Landesfürsten, unter dreyen regierungen, im Stillen geliebt.

Der Beförderer ist beynahe eben so übel daran, als der zu Befördernde [gewöhnlich ist die Zahl], den Studierenden, weit größer, als die Anzahl der Stellen. Seine Hülfe kann nicht allenthalben hinreichen. Sie muß sich verspäten, oft ganz ausbleiben. Der große Herr ist überdieß mit keinem hinlänglichen Verzeichniß über seine studierenden Landeskinder versehen; Er kennt sie nicht nach allen Umständen, Eigenschaften, Leiden, Ausharren, bewiesener Treue im Kleinen, und darüber aufgeopferten besten Jahren; Er erfährt durch die National-Inspecktoren der Academie höchstens etwas im Allgemeinen über das Wie? Der zugebrachten Universitäts-Jahre, und bey Verträgen der Bittschreiben, ist Er genöthiget, Relationen zu trauen, indeßen der Suchende wegen der mancherley zu <<>>stirenden Defilis und Vorposten, ehe er ans Hauptthor kommt, wünschen möchte, ein handwerck gelernt |<84> zu haben, um seine Menschheit, nicht wie die Thierheit eines Rehes, herum iagen zu laßen.

Dieß alles und noch mehreres erschwert eine der wichtigsten Angelegenheiten (das Versorgen) und läßt iedem guten Regent Zweifel übrig, daß Seiner Gerechtigkeits-Liebe nicht überall volliges Genüge geschehe. Ein solches lie<<>> phi<<>> <<>>isches Verzeich- Niß, welches von den Schul-Jahren anheben, und von dem hierzu aucktorischen Verfertiger fortgeführet werden müßte, würde das Versorgungs-Geschäfte zur Vollkommenheit erheben, so wie die Notiz eines solchen Buchs, (gleichsam des civilen Lebens und Todes) auf das Verhalten der Studierenden, und auf die Erlernung gründlicher Wißenschaft, mehr, als alle andere Gesetze würcken würde.

Vielleicht, daß dieser Gedäncke nicht leer hin fällt; vielleicht, daso gute Landesväter, auf diese Art dem Elend so vieler unversorgter oder auch halbversorgter Studireter, die, gleich belegten Jungfrauen, ihre Schmach im Verborgenen tragen, abzuhelfen, und den schönen Vater-Nahmen vorzüglich von dieser Seite lieb gewinnen werden. |<85> Mein Herz hat hier geredet, nicht meine Einsicht, die über Einrichtung und den Lauf der Dinge, nur zu einem mittelmäsigen Grade anwachsen konnte; aber daßelbige Herz hat auch, da es nicht platonisch genug war, zu glauben, daß Tugend allein hinreiche, den Menschen auf dieser Erde glücklich zu machen, in einer Reihe von achtzehn Jahren, selbst mehr als zu wohl em- pfunden, wie unangenehm es sey, auf vaterländischen Beystand stillschweigend Verzicht thun zu müßen.

Das Verhältniß eines Landes und seiner Eingebohrnen, ist das Verhältniß einer Mutter zu ihren Kindern, und dürfte ich ienem Hexamater des Ovids (*) eine verbeßerte Lesart geben, so würde ich statt nescio-Sentio setzen, weil sich die Sache nicht nur empfinden sondern auch deutlich erklähren läßt. Sie ist Band der Natur, und folglich eines höhern Ursprungs, so sehr auch dieß Band in den Republicken der Griechen und Römer vielleicht nur Hang zur Macht, nur politischer Grundsatz gewesen seyn mag.


(*) Nescio, qua natale solum dulcedine captos Ducit, et immemores non sinit esse sui. Ov. Pont. 1.3. |<86> Mein Vaterland hat mich indeßen nicht gefaßt, nicht ausgetre<<>> nur bloß meine Lage verkannt, weil ihm das obige Verzeichniß fehlte. Es ist keine Gegend für mich geworden, wo mich das And[enken] begangener Fehler quälen darf; ich habe da nie die gute Meynung anderer durch künstliche Lügen erbettelt; bin ohne <<>> ein[her] gegangen, nicht schlecht; aber recht; habe <<>> Unschuld des Herz[ens] eines Intereße der Juristerey geopfert, und mich lieber zu einer einträglichen Verrichtung herabgestimmt, als die Bürde eines verlezten Gewißens tragen mögen. Dabey hat sich meine Ver<<>> und Pflicht nie selbst so weit ermangelt, daß ich nicht die Mittel hätte gebrauchen sollen, eines beßern Glücks theilhaftig zu werden doch da dieß nicht geschehen, soll ich darüber zürnen? Mit we<<>> mit dem Vaterlande? Dazu sind meine Gesinnungen zu kindlich. Soll ichs aber auch mehr, als mein ietziges lieben, das mir so willig die Hand reichte, wo Ernst, nicht als Fürst, (dieß könnten leicht alle Fürsten) nein, weiter über den Fürsten-Titel erhaben, als Philosoph und Christ, den trüben Morgen und den unsichern Mittag meines Lebens, zu einem heitern Abend auf- |<87> klähret, ohne den Rechten Seines eben so groß und edeldenckenden Durchlauchtigsten Freundes, Carl Augusts, etwas benehmen zu wollen; dazu, sag ich, sind meine danckbahren Empfindungen für den Einen, und das natürliche Gesetz für den Andern, gleich groß, starck, und unverbräuchlich.

Noch kann ich das Verborgene dieser Führung nicht entdecken, sondern begnüge mich, daß eine höhere Vorsicht über die Begebenheiten unsers Lebens wacht, in deren Plan alles Einzelne und Ganze aufs genaueste zusammenhängt; so viel aber darf ich hoffen, in einer Verbindung des edelsten Theils der Menschen, die das Vermögen zu beglücken nicht besitzen, ohne auch beglücken zu wollen, und deren Einsicht in Charackter und Lagen, ich meine Schicksale, Gesinnungen, Unvollkommenheiten, und das ganze Gewebe meiner Gefühls-Fäden, ieden Wünckel des Herzens, mit so viel unumschräncktem Vertrauen bißher geöfnet habe, gewiß nicht bestimmt worden zu seyn, Wohlthaten des Lebens, und die von außen gewürckte innere Zufriedenheit und Ruhe der Seele, vor leere Einbildung zu halten, sondern durch die |<88> Gnade und Beyhülfe solcher, der Unsterblichkeit würdigen Männer, vielmehr einen billigen Antheil daran zu nehmen.

Doch wie? Bin ich nicht glücklich? Hat die Sonne für mich allein kein lachendes Antlitz? Wo ist auf einmal das Geistige, welches mir durch meine bißherige Erzählung vor Augen schwebte? Wo die gerühmte Verkettung, die alles zu einem glücklichen Ganzen einreihet? Ist nicht mein ietziger Weg von demselben Punckte ausgegangen, wo meine Jugend ruhete? Hat nicht mein verändertes Schicksal seine Entstehung da, und durch dieselbige Familie genommen, die von meiner Jugend an bestimmt zu seyn schien, Mittel zu einem entfernten Zweck zu werden? Haben sich nicht nach dreysig Jahren, Umstände, die wie einzelne Regentropfen hingefallen waren, zusammen formiret, und sich mit einem nach- haltigen Fluß vereiniget, da sie längst verflogen zu seyn schienen. Warum freuet mich dieses nicht?

Ist mein Muth, sind meine erkennten Grundsätze der Religion und Vernunft nicht fest? War das Vertrauen auf sie, vielleicht nur ein Vertraun zu mir? Ist mein theuerster Herzog nicht |<89> groß und gut? Flöße sein gnädiger Blick, den ich noch nie ver- ändert fand, mir nicht mit iedem Morgen die Beruhigung eines ganzen Tages ins Herz, wenn mich alles verließ, wenn ich fremd, unbemerckt, bloß in mich selbst verschloßen, zu Seinem fürstlichen Wohnsitz aufwallete? Warum geht mir die Überzeugung nicht über alles, daß Er auch meinen Wünschen die weiseste, geschickteste Modification zu geben geruhen wird?

Wenn werde ich in so weit wieder zu mir selbst kommen, zu glauben, daß man unter Kennern des menschlichen Charackters etwas überflüßiges thue, wenn man Sie zur Mitempfindung unsers Innern auffordert? Sind Sie nicht Aufgeklährte? Ist nicht der Aufklährung Schwester die Menschenliebe? Habe ich nicht von Ihnen bereits die stärcksten Beweiße darüber empfangen, oder bin ich selbst in dieser Tugend zu unerfahren, um nicht zu wißen, daß der Menschenfreund schon alle die Gesichtspunckte, aus denen er uns zu betrachten findet, gefaßt hat, noch ehe wir sie ihm vorzeichneten, und daß er uns gleichsam da erwartet, wo wir ihn suchen? O! meine Ehrfurcht, Liebe, Hochachtung, Danckbarkeit gegen |<90> Männer von so erhabenen Eigenschaften,würden nicht dieselbigen seyn, wenn ich Ihrer Einsicht nur im mindesten zuvorkommen, und nicht mein ganzes Glück in Ihre Hände legen wollte. Sie haben mir erlaubt, das Gemälde meiner Lebensgeschichte zu entwerfen. Sie werden viel Schatten darinen finden und des reichere Licht vermißen; allein ich habe die Farben nicht selbst aufgetragen, und es ist Ihrer Gütigkeit überlaßen, selbige beßer zu nuanziren. Ist mein Bild zuweilenienes des muthlosen Ackermanns, der seine ihm im Erbe zugefallenen Aeckergen theils nicht begatten konnte, theils von den gepflügten und besäeten nicht die gehofte Frucht erndete; entbehre ich eines tröstende Häußliche, feindliche, Behagliche, Gesellige, Erhebende, zu Unter- nehmungen Ermunternde, und für die zukunft Beruhigende, in solchen Jahren, wo diese Stücke nach ieder vernünftigen Moral also so viel wesentliche Glückseeligkeiten des Lebens anzusehen sind; haben diese kleinen Beruhigungen des Lebens anzusehen womit unser Leben bezeichnet seyn soll, mercklichen Einfluß; führt ihre Abwesenheit eine Menge Unstatten, und würckliche |<91> Sorgen mit sich, welche an der glücklichen Vollbringung unserer Geschäfte, und an ienem Vergnügtseyn im Schöpfer, hindern, daher Auch Salomo spricht: es ist nichts beßers, denn daß ein Mensch vergnügt sey über seine Arbeit; (Pred. Cap. 3.) nun so sind dieß alles Farben, die einer richtigen Mischung bedürfen, und vielleicht ist die Meisterhand schon angelegt, die sie ordnen und schöner ausmahlen wird.

Indeßen kann mich weder die bißherige ganz unverdiente höchste und hohe Zufriedenheit, womit mein Verhalten und be- wiesener guter Wille in dem, wozu ich berufen bin, gnädigst und freundlichst bemerckt wurde, noch der Gedancke: einer vielvermögenden Gesellschaft zuzugehören, zu einiger Hofnung berechtigen. Ich kann nichts wünschen und wollen, als was zugleich auch Absicht meiner Beförderer ist, auf deren Be- günstigung ieder Schritt meines nich übrigen Lebens beruhet. Ist aber Menschen-Leben ein Wort von großer Bedeutung, theure Sache vor Gott, heilig dem Besitzer, und heilig der Gesellschaft; sind wir einer an den andern gewiesen, deßen |<92> wechselseitige Annehmlichkeiten zu befördern; brauchet der vor- nehmste Theil eignen Glücks, eigner Zufriedenheit und Wonne in dem Bewußtseyn, zum Besten der andern beygetragen zu haben; dürfen wir hierzu die Mittel wünschen, und ist dieser Beytrag oft eben nicht mehr Mühe, als es dem Gärtner ist, ein anderndes Baumblatt vom Veilchen wegzunehmen, um ihm zum Blühen Luft zu verschaffen, oder einen Scherben über die fallende Pflanfe zu decken, um sie vor der Hitze zu sichern, o! dann gebe man uns mehrere Ernste, und die Menschheit wird sich wohl befinden.

Gott, der Erhalter meiner Jugend und des Fortgangs meines Lebens, erhalte auch mir die schöne Gesinnung Seines allge- Mein wohlwollenden Herzens! Sie sind, nechst Gott, nunmehro mein einziges stärckstes Asgl geworden, Grundreste, auf die ich ieden Gedancken zu meiner Beruhigung baue, und [möchten ihn mein Gnädigster und andere Theilnehmer meiner Lage doch be- gnadigen und begünstigen wollen!] auch den, der seit kurzem mehr als bloßer Embrio in meiner Vorstellung liegt, nach allen |<93> seinen Theilen verhältnißmäßig geordnet, folglich nicht ungestaltet nach der moralischen Seite scharf überdacht, in seiner Ausführung leicht, still, ohne viel Urtheil zu erregen vorzüglich aber mit völligem Accrochement an die Hauptsache und deren mehrere Betriebsamkeit mit frohem gesicherten Muthe, verbunden ist.

Dürfte ich diesen Gedancken, wobey kein blinder Wahn, keine Leidenschaft des Ruder führt, auf Erfordern zu höchster und hoher Beurtheilung vorlegen, so würde ich selbst diese Erlaubniß als Gnade, als Güte erkennen, seine Bewilligung aber einst, wenn ich weiter nicht bedarf, daß Menschen sich meiner annehmen, vor Bewohnern einer vollkommenern Welt preißen.

Syracus den 16.ten Mordad 1154. Ali. </poem>

Notes

  1. [Fußnote des Textes:]
    (*) Metallus ayant envie, de se rendre maitre d’une place,

    un paitain l’asûra, qu’il t’emporteroit, sans qu’il en
    Coûta plus de dix soldats. Veux-tu, lui demanda
    shetellus, être un de ceux soldats?
    Divers. curieus. 7me P. 161
  2. [Fußnote des Texts](*) So wurde Heinrich Stilling behandelt. Er muste der Dieb

    seyn, weil er der Aermste im Hauße war.
  3. [Fußnote des Texts] (*) Cit. d. Sen. C. 16. Mea quidem Sententia, haud scio, an ulla beatior

    esse vita possit, quam eorum, qui agris colendis dant operam: -

    - neque solum officio, quod hominum generi universe cultura

    Agrorum est salutaris, sed et delectation, saturitate, copiaque

    rerum omnium, quae ad victum hominum pertinent.<poem>


  4. <poem>(*) Möchte es doch zweckmäßige Schulen und Erziehungs-Institute genug
    geben, um die Kinder hinein zu schicken! Möchten gewiße Claßen
    von Eltern aber auch die ihnen angestammte Pflicht des Unterrichts
    und der Erziehung ihrer Kinder, (wozu ein Steuerdirecktor Weiße
    in Leipzig, noch Zeit fand,) nicht zu sehr vor fremde Pflicht halten!
    Möchten die bereits vorhandenen armen Studierten, denen man
    ihre Entbehrlichkeit fühlen läßt, sich entschließen, sich zu einer
    Manipulations-Gesellschaft zu vereinigen; Könige deutscher
    Erde aber es thunlich finden, nach dem Verhältniß der vorhandenen
    Offizstellen, die, weit über die Neun, herangewachsene Musenzahl,
    wieder herabzusetzen, und sich selbst der häufigen Supplicken zu überheben!