D-Q4126

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Commentary

Transcript

Ganz von jener so männlichen, als wahrheitsvollen
Beredsamkeit durchdrungen, womit Sie neulich auf
einmal Herzen gewannen, mit neuem Eifer be-
lebten und zu einem würdigen Endzwecke vereinig-
ten, athmete ich Zufriedenheit, hofte sie noch lange ath-
men zu können, und fühlte warmen Dank für den er-
habenen Stifter derselben. Aber ach! wie gar bald darnach
wurde ich von dieser Staffel der Glückseligkeit herabgeschleu-
dert: Kaum hatte ich den lezten symbolischen Gr. der M.
in Ansehung dessen ich schon lange zuvor Zusicherung
und Erlaubniß für mich anzuziehen hatte, erhalten, als
mich dessen Inhalt, so sehr ich auch die Art und Weise
der Erteilung als eine besondere Gnade des erlauchten
[Ordens][1] verehre, sowol von Mitteln und Gebräuchen, die
die Würde und die Rechte der Menschheit beleidigen,
als auch von einem darunter steckenden, leicht zu er-
rathenden und verabscheuungswürdigen Endzwecke
überzeugte. Erschrocken, staunend, verdrossen und
unwillig rufte ich vor mir aus: Allvater! Beschützer
der Menschheit, Urstifter der Freyheit, Wahrheit Ent-
wickelung und Aufklärung, wie ist es möglich, daß
Menschen auf eine so abscheuliche Weise, und
selbst in folgenden höhern Graden mittelst der Reli-
gion und derselben schwetzendsten[?] Gebrauchs, am | [<2>]
Narrenseile herum geführt werden können? wie [mög-]
lich, daß der erl[auchte] [Orden] der seinem wesentlichen Endz[wecke]
nach, Ungeheuer und Feinde der Menscheit und Glü[ckse-]
ligkeit bestreitet, dennoch aus ihren Verh Vehikeln
sie bestreiten zu können, hat entbehren müssen? [Frei-][?]
lich, politisch betrachtet, brachte es die Klugheit mit
den J.[2] durch seine eigne Waffen zu bekämpfen
wovon so mancherley Spuren, selbst in höhern G[ra]
den (denn auch dis hat mir Aufmerksamkeit, Sp[eku]-
lation und Abstraktion entdecken lassen) anzutre[ffen]
sind: aber, wie läßt sich die Sache moralischer Me[nschen]
rechtfertigen, wie mit dem Grundsatze: man d[arf]
nichts böses thun, um Gutes zu stiften; vereinig[en?]
Nun zum Resultate hiervon zu kommen: so k[ann]
ich meinem Herzen, meinem bisgen Menschenvers[tan-]
de nicht den Entschuß abgewinnen dem L. der ~~
beyzuwohnen. Treu meinen Empfindungen, tre[u]
meinen Grundsätzen sage ich dieses gerade zu her[aus],
solte ich deswegen gleich aller äusserlichen Vort[eile]
verlustig werden, doch nein – Sie können mich
nicht verdammen: Ihr Herz, das so ädle, so er[ha-]
bene, so menschenfreundliche Herz, ja selbst der
Geist des erhabenen [Ordens] ist mir Bürge dafür. U[n-]
ter diesen Umständen habe ich einen Schritt ge-
than, der, so sauer er mir auch wurde, und so p[a-]
radox er mich auch, dem Anscheine nach, bey den
hiesigen B[rüdern] machen muste, nicht zu vermeiden
war, ich habe nämlich erkläret, daß ich mich in der
Begeisterung, worinn mich dero Vortrag, wie es auch
wahr ist, gesetzet, hätte, nicht auf einen Collisio[ns]
Fall besonnen hätte, der mir, nun aber bey gefallen
wäre, und den ich den erlauchten Oberen einberich[ten][?]
und bis zu erhaltener Resolution fernere Sch~~~
einstellen müßte; daß ich aber auf keinen Fall
auf die Stelle eines Beamten, weswegen ohne-
hin, wie ich leicht verrathen konnte, hin und wieder | [<3>]
Anspruch und Anordnung vorhanden waren, Anspruch
machte. Man hat gemuthmaßet, der bewußte, dessen
Sie neulich gedachten, sey die Collision, und man
hat selbige wissen wollen: allein ich habe sie sorg-
fältig verschwiegen, indem ich mich von selbst be-
scheide, dass ich keinen Br[uder] der durch Gewohnheit,
durch Folgsamkeit, Tugend, oder sont wodurch
bessere Verdauunskräfte, als ich, hat, stutzig
machen darf. Nun wende ich mich zu Ihnen,
verehrungswürdiger Oberer, frage Sie mit der
Ehrfurcht, die ich Ihnen schuldig bin, hat denn
der erlauchte [Orden] nur durch gedachte anstössige
Vehikel Segen mitzuteilen? Will er ihn mir[?]
auf andern Wegen zufliessen lassen? Wäre die-
ses, als worum ich aber so ehrerbietig flehe, als
Sie um dero vielvermögende Verwendung ge-
horsamst bitte, o! so könnte wol ein solcher Aus-
weg getroffen werden, dass ich von Besuchung
der L. der M. dispensirt, nichts desto weniger aber
zur Miterzweckung gemeiner Glückseligkeit nach
dem Geiste des erl[auchten] [Ordens] vereinigt bliebe. Nicht[?]
zwar habe ich dieses noch zur Zeit um denselben
verdienet; denn meine Lage hat mich bisher davon
abgehalten: aber so mir Gott Leben und Zeit
schenckt: so will ich mich bemühen u[nd] zeigen, dass
der erhabene [Orden] bey meiner Person keinen undank-
baren seiner Gnade würdige. Voller Unruhe warte
ich auf hohe Entscheidung meines Schicksals, und ver-
hoffe solches, nach dem Unterschiede, so zwischen Re-
bellen und Misvergnügten eintritt, zu erhalten.
Weil mein Herz übrigens jetzt sehr zur Beichte ge-
stimmt ist: so bitte ich noch um Erlaubniß es über
zwey Gegenstände unter dem Siegel Q. L. aus-
schütten zu dürfen. Der erste betrift die Einrichtung
der M.K. Diese möchte so viele anziehende,
nützliche und verehrungswürdige Anordnungen sie
auch hat, dennoch bey weitem noch nicht von allen
Mängeln, besonders in Ansehung des gesezten
Mannes, gereiniget seyn. Das M. Bild aufge- | [<4>]
stellet, das D. P. auf der Erde, die Anrufung S. und [die]
Apostrophe an M. und ihr Gefieder, die Formeln b[ei]
der P. Stelle, die große Kluft, die zwischen dem Obern
und den Gliedern der K. bevestiget ist, die strotzende
und respect. Demüthigende, dem Betragen des Pharisäers
gegen den Zöllner nicht ganz unähnliche, Ausrufung
wer von euch, kann das L. sehen _ _ _ solten diese
nicht Contraste und Misverhältnise seyn, mithin Ve[r-]
besserung bedürfen? Sie sehen, ich bin aufrichtig. [Dem-]
nächst muß ich noch zum Beschlusse meine Verhältnisse
in Ansehung des P[aolo] Sarpi berühren. Ohne uns vorh[er]
gewarnt[?] zu haben, wurden wir verbunden, und er nach
den Erfahrungen der M. wurde aus jüngern Mitgl[iedern]
des reformirten erl. [Orderns] Oberer des Orts, vorwider
auch nichts habe. Seine Denkungsart ist aber von der [mei-]
nigen verschieden; er nach den Eindrücken einer re[gen][?]
Einbildungskraft, schnellen Urteilen unterworfen[,]
ich hingegen davon meistens entfernt. Sein schne[ller][?]
Eifer ist soweit gegangen, dass er mit Hintans[etzung]
wesentl. gesellschaftl. Rechte, ohne Einwilligung sä[mtlicher][?]
Mitglieder einzuziehen, teils[?] neue Mitglieder ge[worben][?]
ja einen Schüler, der bey ihm wohnt, und seiner eig[enen]
Äusserung nach, nur einen sehr mittelmässigen Ko[pf]
hat, für sich, wenigstens mit Unzufriedenheit der me[isten][?]
Mitglieder, einen Heft zugestellt, und hierauf in [der]
K[irche] erkärt hat, dass er selbigen das nächstemal förm[lich]
aufnehmen wollte, wogegen ich mich natürlich erhe[ben]
muste, und meine Gesinnungen bey dem meisten Gl[iedern]
genehmiget fand. Nicht nur dieser Auftritt, sondern a[uch]
manche andre Vorgänge, z. B. dass Sarpi seinen Br[uder]
der mir als rauher Mensch bekannt ist, vorschlug [und]
ich dieses ablehnte, lassen mich vermuten, daß S[arpi]
mit mir unzufrieden sey; wenigstens verliere ich
wie ich sicher abnehmen kann, gegen ihm Blindlings
folgende. Da nun aber nach dem Stufengebäude d[es]
erl. [Ordens] Urteile der Obern groses Gewicht haben,
ich auch teils schon von Ausübung solcher Rechte, die m[ir]
als Mitgliede zustehen, ausgeschlossen worden bin
dermalen[?] es möglich ist, dass die Sache zu meinem
Nachtheile weiter gehen könne: so habe Ihnen ~~
~~~ NB. im Vertrauen Entdeckung machen müssen
Keinesweges also ist meine Absicht hierbey irgend- | [<5>]
worinn Klüger zu werden, sondern nur um besorg-
lichen Nachteil zu verhüten, um zu bitten, dass Sie
und der erl. [Orden] mich nie ungehört verdammen
mögen, welche Vorsicht meiner Seits ums so nötiger
ist, je weniger Sie noch zur Zeit meinen Charakter
durch eigne Erfahrung bestimmen, oder aus einer,
von nächst höherm Gliede der [Ordens] Kette abhängenden, Schil-
derung meiner selbst abstahiren können, je rätzelhaf-
ter ich für die meisten Menschen bin, und jemehr
ich mir zum unabweichlichen Grundsatze- und Vorsatze
gemacht habe, bey meinen reifen Jahren nicht durch
blinden Gehorsam, als welcher ohnehin die Rechte der
Menschheit beleidiget, sondern durch wahre Moti-
ven meiner Handlungen geleitet zu werden.
Vergeben Sie mir meinen langen, meinen be-
schwerlichen Antrag, beruhigen, trösten und
stärcken Sie mich, wo möglich, und glauben Sie,
dass ich wahre Ehrfurcht für das Gute, so der erl[auchte]
[Orden] in seinem Wirkungskreise hat, hege, Ihre
Verdienste verehre, und mit der vollkommensten
Ehrerbietung, Liebe und Freundschaft verharre
Ihr

Lycopol[is] den 18./2. eigner
1787 Ulpian

Notes

  1. Wehrn schreibt im gesamten Brief das Symbol für Loge (Rechteck), meint aber augenscheinlich "Orden", weshalb es auch im Folgenden stillschweigenden als "[Orden]" aufgelöst wird.
  2. J[esuitismus]?