D-Q5062

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Commentary

Lenz beschreibt zunächst sein Gefühl der tiefen Verbundenheit in seinem ersten Jahr zum Orden und lobt die guten Absichten derer, die ihn leiten und stetig verbessern.
Den Hauptteil bildet die Schilderung des Gesundheitszustands Warlichs, der noch immer nicht in den Orden aufgenommen wurde,
und in der letzten Zeit mit einigen körperlichen und seelischen Leiden zu kämpfen hatte. Deshalb bittet er für etwas Zuspruch durch die Oberen an ihn, um seine Laune zu heben.

Transcript

Andrus d. 11 Mordad 1157.

Gerade in diesem monate war es, als ich im vorigen jahre das erste mal die
ehre hatte, an Sie zu schreiben. Dieselbe gute gesinnung, die ich schon
damals für den O. hatte, dieselbe theilnehmung u. zutrauen zu den
guten absichten derer, die den O. regieren, erfüllt mein herz noch
itzt, erfüllt es aber noch mehr wie jemals, weil ich itzt deutlicher
u. überzeugender einzusehen glaube, daß Ihr plan weise, Ihre ab-
sichten redlich sind, daß Ihr eifer für erhaltung, verbreitung und
verbesserung unsres O. unsre ganze dankbarkeit verdient.
Mein freund Warlich[1] sieht schmerzlich dem zeitpunkt seiner einweihung
entgegen. Er hat bereits seinen damals flüchtig gearbeiteten auf-
satz über Juden umgearbeitet, u. wird Ihnen solchen in der verän-
derten gestalt zu einer andern zeit vorlegen. Er war neulich krank,
u. um so gefährlicher, weil seele u. leib zugleich zu leiden schie-
nen. Ein fieber hatte seinen körper daniedergeworfen, u. sein
geist war ganz mit trüben vorstellungen über seine künftige
bestimmung u. schicksaal erfüllt. Eine predigerstelle schien ihm
itzt das traurigste loos zu seyn, das ihn treffen könnte, wo
er wider seine überzeugung oft würde lehren u. unfruchtbare
dinge vortragen müssen, wo er einen rohen menschenhaufen
von bauern zur gemeinde bekäme, bey denen seine vorträge wenig,
nichts fruchten würden, wo man seine guten absichten, aufzu-
klären u. nützlich zu werden, vielleicht verkennen, ihn ver-
leumden, etc. würde. Tausend solche vorstellungen durchkreuz- |<2>
ten sich in dem kopf, der so schon durch leibesschwäche angegriffen war
und machten mich für meinen freund bange. Sonderbar, daß er
itzt solche gedanken äußerte, die seinen ehemaligen ganz entgegen
waren. Er hatte kurz vor der krankheit Weishaupts apol. der übel[2]
gelesen, u. alle darin enthaltenen grundsätze, denen er sonst so sehr an-
hieng, waren ihm zwar noch itzt geläufig, verschafften ihm
aber nicht sonderlichen trost. Vermuthlich, waren Sie noch nicht tief
gnug in die seele eingeprägt, noch nicht gnugsam in das ganze gedan-
kensystem verflochten. Itzt ist er ziemlich hergestellt, u. von
jenen würigen vorstellungen keine spur mehr bey ihm! Aber seine
ganze körperl. beschaffenheit sowohl als sein seelenzustand - er ist von ju-
gend auf durch die schule der trübsaale gegangen, u. hat dadurch
eine besondre stimmung des geistes bekommen - läßt mich fürch-
ten, daß er bey neuen widrigen schicksaalen, die ihn betreffen
könnten, in muthlosigkeit u. unzufriedenheit mit seinem Ver-
falle. Der zuspruch, die aufmunterung edler männer vermag
viel - und gewiß, ein wort von Ihnen zu seinem trost und
stärkung wird ihm lebensbalsam seyn; er wirds wagen,
den geist wieder aufzurichten, u. dem unglück einen festen
muth entgegen zu setzen. Mit dem wunsch, daß Sie, Erl. O.
diese bitte erfüllen werden, verharre ich
Ihr
gehorsamster
Justus Lipsius.

Notes

  1. Anton Rudolph Warlich Item:Q1292
  2. Johann Adam Weishaupt, Apologie des Misvergnügens und Uebels. [Gespräch 1]-3 (Frankfurt und Leipzig, 1787). Item:Q12142