D-Q6342

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Commentary

Transcript

Castellio.
Liebster Br. geliebter Bruder u. s. weiter,
NB.
(wie bey Fabiis, erste Seite, und die ersten 3 Zeilen
auf der Zwoten.[1])

Ihr erstes Q.L. vom Nov. 85. ist sehr trauri-
gen Inhalts und gibt einen traurigen Bericht
von der Wahrheit, daß die Menschen sehr lieblos
seyn können, wenn ihr Mitleiden nicht durch
den Anblick von Schmerzen und Leiden aufge-
regt wird. Und es gibt auch einen Beweis,
daß an den wenigsten Orten nicht der
rechte Begriff von der Policey herrscht. Aber,
mein Bruder, wer ist mehr im Stande, ja ich sage
es frey, wer ist nach Amt und Einsicht mehr
verpflichtet, als Sie selbst, hirüber bey
der Behörde aufs nachdrücklichste Vorstellung
zu thun, da es Ihnen, zumal bey
einer so auffallenden Veranlassung, gar
nicht als Vordringlichkeit ausgelegt werden
könnte. Und ist es nicht so gar die Pflicht
eines Jeden, wenn er Flammen aus einem
Dache brechen sieht, Feuer! zu schreyen?
Wäre die erste Instanz [Wir kennen die Local
Verfassung von Picentiee nicht] lau, so wären
die Anzeigen von einen so dringenden Fehler,
mit einem unvorgreiflichen Vorschlage, bis
zu der höchsten zu bringen. : Was die Liblo-
sigkeit anbelangt: so haben Sie, als öffentlicher Lehrer,
die beste Gelegenheit, durch Worte und
That dagegen zu wirken. Es ist übrigens
gewiß kein Naturfehler der Menschheit, und also
um so leichter zu bestreiten!
Ihre Folgerungen haben, bey aller möglichen Rich-
tigkeit an sich selbst, mir dennoch folgende Bemer-
kungen an die Hand gegeben. Zu 1) Der Mensch,
der sich nicht mehr durch Hofnung und Furcht in
seiner Handlung leiten läßt, muß sich, durch
anhaltendes philosophisches Studium, zu einer
moralischen Höhe geschwungen haben, das sie für
den gemeinen Mann, der wegen Mangel an
Musse und den nöthigen Hülfsmitteln, nicht gut
als möglich denken läßt.

Vom normalen Menschen dürfe man daher nicht mehr erwarten, als realistisch möglich sei.
Zu 2):
Ich glaube, wenn die Hebamme auch keinen
Universitätsunterricht gehabt hätte, würde
sie doch nicht früher einen Accoucheur
zu Hülfe gerufen, sondern eben auch
geglaubt haben, sie könne das Geschäft, ohne
seine Hülfe zu ende bringen! So viel ist wohl
gewiß: Dummheit und Hochmuth ist
doch immer, vereint, noch schädlicher, als
Hochmuth allein.

Eine bessere Ausbildung der Hebammen würde wohl schon vieles verbessern.
Zu 3): Der Vorschlag, daß in solchen Notfällen
eines von den Pferden gebraucht werden müßte,
die schon auf Feuersbrünste in Bereitschaft stehen
müssen, ist wegen seiner Simplicität schon
vortreflich; und müßte, deucht mich, höhren
Orts den verdienten Beyfall finden.


Auf Adar 1155
Es ist ein Unglück, wovon Sie hier einige kleine
Instanzen anführen, auf dessen fast unabsehbare
Grösse, einige der besten Pedagogen, als besonder
Campe, Resewitz, u.a. seit zwanzig Jahren
besonders, die Welt aufmerksam zu machen ge-
sucht haben.

Leider würde ihnen dort am meiste widersprochen, wo ihre Hilfe am meisten gebraucht würde.
Aber,
wozu klagen, wo man möglicher Weise nur
Etwas
helfen kann. Wenn man kein ganzes
Land bessern kann, so ists schon ein Gewinn, wenn
man auch nur das kleinste Dorf besserte.
Verzeihen Sie es mein Bruder, daß ich diese Wahr-
heiten Ihnen auf flgende Weise ans Herz lege!
Ich bitte Sie, ohne Weiteres im Namen des Ordens
den Charakter dieses Schulmeisters so gut als mög-
lich zu studieren, um die Art der Motive zu fin-
den, die am sichersten auf ihn wirken können:
Alsdann einen Aufsatz zu machen, worin
Sie ihm eine bessere M# seines Verfahrens,
sowohl in der Lehrart, als Zucht, seinen Fassungs-
vermögen angemessen, vorschreiben, und dabey die
Motive gebrauchen, die zu Folge seines charakters,
auf ihn wirken müssen. Diesen Auf-
satz, der ganz individuell für ihn gemacht
ist, schicken Sie ihn zu, als ob er ihm aus den
Wolken käme. Lassen Sie ihn muthmassen,
daß er eine Menge unbekannter Aufseher habe,
die ihn beobachten und haben Sie wirklich
ihn fleissig unter Augen, ohne, daß ers merke,
und nach seinem guter oder
üblen Betragen die billigen Folgen bewirken
würden.

Basilius garantiert, dass diese Methode wirken würde. Wahl solle in einem der nächsten QL berichten, wie er weiter wirken wolle.

Ad Din e.a.
Solche Schandflecke, nicht
nur ihres ehrwürdigen Standes, sondern der
Menschheit selbst, hoffen Wir, sind nur selten.
Aber die wenigen, die da sind, bleiben gewiß
unverbeßerlich! und also kein Vorwurf
unserer Correspondenz. Die Verantwortung fällt
auf jene, welche nachlässig genug sind.
Einen solchen Menschen in ein wichtiges
Amt sich einschleichen zu lassen. Was für
Ursache sie auch dazu haben mochten.

Auf Ardibehescht 1155
Von diesem Liede kann ich deswegen nur wenig
Treffendes sagen, weil ich das Alter des Kindes
nicht kenne, in dessen Namen es gemacht ist
und also nicht sagen kann, ob Ton und Gesinnungen
seiner wahrscheinlichen Ideenmaaße ent-
sprechen. Indessen sind einige Cor#
für ein Kind zu künstich, und also hart.
Exempl. Strophe I. Meinen kindlichen Gesang
Gebet
, verräth die Noth des Seins.
§2. Bewahr sie bis ins Alter späth. Eben das.
§6. Ich möchte ein Kind nicht gerne von
sich selbst rühmen lassen: es sey ein gutes Kind.
§7. Erbarmen ist für ein kind zu abstrakt,
auch das Raisoniment , ist sehr altklug: ohne
Erziehung u.s.w.
§9 # Erkenntniß und Kraft, Gott zu liben,
auch des himmelreiches Wissenschaft, ligen wohl
nicht im Ideenkreise eines Kindes.
§10. Möchte ich keinem Kinde in den Mund
gelegt haben, u.s.w. und ist gegen den
kindischen Ton in dem Verse,
Gott, nimm mir meine Mamma nicht!
gar zu abstechend.
Verzeihen Sie, diese aufrichtigen An-
merkungen, unter 4, nein! unter 2 Augen,
nur! Ich muß annehmen, daß Sie meine
Anmerkungen haben wollen, weil Sie mir
es als Q.L. gesandt haben.

Ad. Pharavardin: Ardibehescht # Chordad
Ueber diese Arbeit, deren Thema sehr glücklich
gewählt ist, behalte ich mir vor, Ihnen meine
treue Meynung zu sagen, wenn sie ganz
fertig ist. Jetzt bitte ich Sie nur, mir in Ihrem
nächste Q.L. zu sagen, ob Sie von Ihren
Aufsätzen, die Sie als q.qLL. einschicken, Abschrift
behalten, und ob sie wohl geneigt sind,
zuweilen, Eins und das Andre davon in
ein periodisches Blatt rücken zu lassen?
Mich deucht, Sie leben an einem Orte, der
für die Wissenschaften, besonders für die schönen
nicht gar zu vortheilhaft ligt. Dies könnte
Ihnen bey dem schwachen Lichtkreise in der Nähe um sich her,
wenn Sie nichts sorgfältig dagegen wachen,
auf zweyerley Art schädlich werden. nämlich,
daß Sie entweder in die Gewohnheit geriten,
in der Politur auch Ihrer eigenen Arbeiten, hin
und wieder übrig gebliebene einstiche zu über-
sehen; und auch, [welcher Mensch braucht keine
Emulation!] zweytens, weil Sie um sich,
her so viel zu verbessern finden, des häufigen
Bemerkens wegen, das Handeln aufschöben.
Ich beziehe mich, dieser treu gemeinten Erinnerung
wegen auf meinen Eingang zu diesem Blatte,
und bin mit Hochachtung und Libe,
Ihr Basilius


Notes

  1. Anweisung an den Schreiber, der aus der Vorgaben den abzuschickenden Text verfertigen soll und der dabei denselben Vorspann voranstellen soll, mit dem Bode bereits Lauhn erklärt hat, wie das Betreuungsverhältnis funktioniere soll. Siehe für die Textpassage das Transkript er komplementären Reproche an Johann Carl Christian Lauhn.