D-Q4497: Difference between revisions

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(Created page with "*Johann Joachim Christoph Bode, Autobiographical notes for the Order of the Illuminati, October 1782 (Q4497) * '''Dokument Leithandschrift:''' Schwedenkiste Band 10, Dokument SK10-160 * '''Standort:''' Staatliches Sonderarchiv Moskau, Schwedenkiste Band X,...")
 
 
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* '''Standort:''' [[Staatliches Sonderarchiv Moskau]], Schwedenkiste Band X, Reverse, Lebensläufe und Tabellen
* '''Doubletten:'''
* '''Titel:''' "Mein Leben und Charackter"
* '''Autor:''' Rudorff (Ali)
* '''Datierung:'''
* '''Querbezüge:'''
* '''Erschließung:''' [[User:Christian Wirkner|Christian Wirkner]]
* '''JPG:''' DSCF0595


== Commentary ==
== Commentary ==
 
Biographie Bodes, verfasst in der 3. Person wobei Bode immer wieder in die 1. Person verfällt. Beschreibt Kindheit, Ausbildung, drei Ehen und seine Lebensstationen bis zur Ankunft in Weimar




== Transcript ==
== Transcript ==
<poem>
<poem>
Nicht der geäußerte Wunsch großer Männer (*), das man mehrere
Der Bruder Aemilius ist gebohren zu Braunschweig, den 16. Januar
mit Einsicht geschriebene Biographien des mittlern Standes, haben
1731. Sein Vater Joh. Georg B. war ein Mann von vielem
sollte, sondern mein eigener moralischer Vortheil, mich selbst beßer
Genie, das unterdrückt, und von vielen grossen Anlagen, die ganz falsch
kennen zu lernen, Spuren der göttlichen Vorsehung an mir zu
entwickelt worden; dabey besaß er viele Ambition und eine  
entdecken, und dem erlauchten Orden näher bekannt zu werden,
bis zur Heftigkeit gehende Lebhaftigkeit des Charakters; dieses
dieß veranlaßet mich, gegenwärtige Beschreibung meiner
alles verleitete ihn zu Unternehmungen, welche ihn in grosse
Lebensgeschichte und meines Charackters zu entwerfen. Um
Armuth stürzten, als Aemilius kaum 9 Jahre alt war. Seine
ihr das Gepräge der Wahrheit aufzudrücken, konnte ich nicht
Mutter, eine geborne Knigge, hatte ein edles, und sanftes
einzelne Stellen heraus heben, sondern ich bin im Zusammen-
Herz, weibliches Herz. Furchtsam, religieus, und im höchsten Grade
hange geblieben, und wenn aus dem Grunde zuweilen einige
mitleidig und duldend. Die Einflüsse der Vermischung von beyden
Mikrologien vorkommen, so wird der Leser die Hauptabsicht
Charakteren seiner Aeltern fühlt Aemilius noch sehr lebhaft.  
doch zu edel finden, als daß er eine kleine Unpäßlichkeit
um deswillen nicht gern zu verzeihen belieben sollte.
  Mein vierzehendes Jahr ist die Zeit, in die ich mit
Gewißheit zurük denken kann, oder in welcher ich anfing,
auf Welt und Daseyn aufmerksam zu werden. Ein unglük-
licher Zufall mochte hieran vielen Antheil haben. Denn es
                                    (*) Gellerts moral. Vorles.
                                              p. 207. |<1>
 
 
ist damit nicht selten, wie mit der Stummheit des jungen Crösus,
der plötzlich die Bande seiner Zunge zerriß, und reden lernte,
als er seinen Vater in der Gewalt feindlicher Soldaten er-
blikte. (x)
  Der meinige, gerade das Gegentheil vom Crösus, ##
Docent einer kleinen Stadtschule, doch werth, daß seine
Wißenschaften beßer erkannt und belohnt worden wären,
gerieth in die Hände des unerbittlichsten Feindes, auf eine
Art, die unter den besondern Todesveranlaßungen mit
Recht ihre Stelle verdient: Er hatte nehmlich gehört,
daß sein ehemahliger Lehrmeister in der Nähe Prediger
geworden war, und bediente sich daher einstmahls der
gewöhnlichen Fragestunden, selbigen zu besuchen, um nach
so vielen Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten,
die Liebe und Freundschaft zu erneuern, die unter
guten Lehrern und Schülern eigentlich niemahls verwelkt.
Sie sehen einander, - sind vergnügt. Beym Abschied
                  (x) [Griechisch] |<2>
 
 
will ihn der Pastor durch den Pfarrgarten, wo das Gesinde
einen Weg über die Wand gemacht hatte, etwas näher
führen.  Die mürbe Wand giebt nach  mein Vater fällt,
und verrengt den Fuß.
  Man hält anfänglich den Schaden für zu gering, oder
denkt vielleicht auch zu gut von dem Chirurgus, als daß
man in deßen Geschiklichkeit einiges Mißtrauen hätte
setzen sollen. Die Sache geht schlecht.   Weder Schwulst
noch Schmerzen wollen sich legen.  Der Patient verlangt
nach Hauße  wird kränker  ein Fieber bemächtiget
sich seiner  er fühlt sein nahes Ende, welches der Medicus
bestätiget  entdektes unserer Mutter, die ganz in
Thränen zerfließt;  wir werden um sein Bett ver-
sammlet  er seegnet uns  weint selbst mehr, als er
spricht  beschäftiget sich besonders mit dem Jüngsten,
einem Knaben von vier Jahren  liegt noch wenige
Tage, und stirbt.|<3>
 
 
Welche Aussicht für eine Mutter mit fünf Kindern, ohn
alles Vermögen!
Doch wie der Blitz selten den Baum trift, ohne auch die
Zweige mit sich niederzureißen, so wurden wir zu gleicher
Zeit alle bettlägerig, todtkrank, und unsere Mutter, ob
sie schon der Macht ihrer Leiden, die ihr eigenthümliche
Stärke der Religion, anhaltend entgegen sezte, so wurde
sie doch von überwiegendem Schmerz und Kummer so
plötzlich besiegt, daß sie binnen acht Tagen unserm Vater
in die Ewigkeit nachfolgte.
  Da wir ohne Bewußtseyn darnieder lagen, so erfuhren
wir ihren Todt nicht eher, als biß wir wieder anfingen,
einer nach dem andern das Lager zu verlaßen; fragten,
weinten, sahen und lächelten uns an, als Genoßen
einerley Unglüks, die gewöhnlich die besten Freunde
zu seyn pflegen. Einer hieng am andern;  der
Schwächere an dem Erholteren; nichts fiel dem einen
bey, der andere, wo er konnte, gewährts ihm; und ist |<4>
 
 
es auch nur Dichtergedanke, was ich vom Herabschauen
der Verstorbenen irgendwo gelesen habe, so gefällt er
mir gleichwohl, weil ich wünschte, daß unsere Eltern
alle die Eintracht möchten gesehen haben, die unter uns
herrschte, und die das Elend, dieser würksame Lehrer
und Freund menschlichen Herzens, iezt weit natürlicher
und schöner in uns hervor brachte, als alle Grundsätze der
besten Erziehung.
  Zu weit entlegen von unsern Verwandten, und beynahe
als Verpestet ausgeschrieb, (wie denn auch würklich eine
Epidemie damahls den Anfang genommen hatte) also fast
von iedermann, und so gar von obrigkeitlicher Vorsorge
verlaßen, waren wir genöthiget, uns selbst alles in
allem zu seyn; Rathgeber in Veranstaltungen; Auf-
seher bey Feuer und LIcht; Schutz und Beruhigung wieder
kindliche Furcht; Arzt und Trost, so oft der unrecht-
gestillte lebhafte Apetit, der nach solchen Krankheiten
zu erfolgen pflegt, den einen oder den andren mit |<5>
 
 
Rückfall bedrohte.
  Auf diesen Fuß lebten wir, biß wir uns sämtli[ch]
erholt, und Vormünder bekommen hatten, die für unse[r]
Unterkommen und für den Verkauf der entbehrlichsten Mo-
bilien sorgten.
  Mein ganzer Erbantheil bestand in zehn Thalern an
Gelde, in einem Bett, und zwoen Kicheniahrgängen, womit
ich wieder auf die Schule nach Buttstädt zurük ging, die ich
kurz vor dem Umsturz unserer Familie erst bezogen hatte.
  Nicht iugendlicher Leichtsinn, sondern eine natürliche
Anlage, dem Unglük zu wiederstehen, machten mich gege[en]
meine Umstände ziemlich gleichgültig, und die fast gr]ößten-]
theils vergebliche Sorge fürs zukünftige, fand bey m[ir]
so wenig statt, daß ich auf eine socratische Art un-
willig wurde, wenn iemand durch weibisches Beklagen
meinem kleinen Heroismus zu nahe treten wollte.
  Ich konnte singen, schreiben, und hatte die Anfangs-
gründe der Latinität inne. Dieß mit dem nöthigen
sittlichen Betragen vereiniget, gewährte mir bald die |<6>
 
 
Liebe meiner Präceptoren und auch solcher Persohnen, die für
Singen, Schulsache und Repuplik, weiter kein Gefühl hatten.  
  Mein Haußwirth war der damahlige Organist Krebs, ein
armer aber glüklicher Vater drey berühmt gewordener Söhne,
davon der eine Rektor(*) der Provinzialschule in Grimma, der zweyte
Hoforganist in Altenburg, und der dritte Rektor der Buttstädtischen
Stadtschule gewesen ist. Dieser mein Haußwirth, war einer von
denienigen Alten, die, ohne beym Lutheder geseßen zu haben,
dennoch so viel allgemein Brauchbares verstehen, und dieses so
gut anzuwenden wißen, daß ich vermuthe, Sirach habe in
seinem Ausspruche: geselle dich gern zu den Alten, auf daß
du Weißheit von ihnen lernest p diese Claße hauptsächlich ver-
standen wißen wollen.
  Er hatte meine zehn Thaler im Beschluß, und selbst der
strengste Nothfall erlaubte mir nicht, etwas davon angreifen
zu wollen. Um mich beständig auf meine Umstände aufmerk-
sam zu machen, ließ er es nicht an Erinnerungen fehlen, die
er doch niemahls geradezu aufbrachte. Er that es auf die
________________________________________________________
(*) Tobias Krebs, ist besonders durch seine philologischcritischen
A n i m a d v e r s i o n e s über das neue Testament bekannt. Riedel
sagte einstmahls, daß er seine Rangordnung in der griechischen
Literatur so mache: Ernesti, Damm, Krebs. |<7>
 
 
sicherste Art, immer mit andern Worten, und bey Gelegenheiten,
die mich nicht anzugehen schienen. Merkte er, daß mir der
kleine Verräther des Herzens, die Zähre des Ehrenpünktgens
ins Auge stieg, so hatte er auch schon den Balsam bey der
Hand, womit er die Würde heilte, indem er das Gespräch
entweder auf angenehmere Gegenstände richtete, oder der
Ehrbegierde selbst, eine Lobrede hielt, wie sie nehmlich, von der
Vernunft geleitet, oft der alleinige Grund, wahrer guter,
edler, und großer Handlungen sey, u.d.g.
  Durch diese Behandlungsmethode und andere würdige
Eigenschaften des Mannes, wurde ich ganz natürlich an ihn
hingezogen, und es würde eine meiner beschämendsten Er-
innerungen seyn, wenn ich deßen redlichen Absichten irgend
iemahls nicht völlig entsprochen haben sollte, wäre es auch mit
einigem Zwange geschehen.
  Ich bewieß mich auf die möglichste Art dienstfertig, und
der Nahme Haußwirth und Haußwirthin, verwandelten sich
dagegen immer mehr in den weit behaglichern eines Pflege-
vaters und einer Pflegemutter. Ich wohnte unentgeltlich
im Hauße; genoß freyen Clavierunterricht, und alle |<8>
 


die unnennbahren Kleinigkeiten von der Semmel biß auf die
In der frühesten Kindheit  thaten ihn seine Aeltern zu einem
unentbehrliche Stecknadel.  
lutherischen Prediger zur Erziehung aufs Land, und meinten ihn
  Zwey Jahre waren nunmehro verfloßen, als der Rektor
zu einem künftigen Theologen zu bestimmen. Als Anno 1740 die
dasiger Schule, Magister Wagen, Bruder des noch lebenden
Umstände seines Vaters völlig ruinirt wurden, ließ ihn
Leiarztes in Sondershaußen, mit Todt abgieng. Der krebsische
sein Lehrer merken, daß er ihn nicht behalten könne. Der Mann
iüngste Sohn, Student in leipzig, Schüler und Liebling vom
hatte wirklich selbst eine zahlreiche Familie und wenig Einkommen.  
Ernesti, hatte soch vorzüglich den Schulwißenschaften ge-
So viel erinnert sich Aemilius noch von ihm, daß er redlich, aber
widmet, und wurde vom Stadtrath zu der vakanten Stelle
hart und streng war. Das Latein ward dem Aem. nicht liblich ge-
berufen. Es ist leicht zu erachten, wie sehr sich iezt der
macht, in der Religion aber, worin er zugleich mit ein Paar Junkern
Himmel meiner Haußwirthschaftsleute aufklärte, wobey zugleich
und einem Fräulein, einen höchst orthodoxen Unterricht genoß,  
ein neuer heiterer Strahl göttlicher Vorsorfe, auch auf mich
that er vor den Uebrigen starke Schritte, und solcher gestalt ward
mit herabschien. Denn die Gesinnungen der Eltern wurden
er durch öfteres Lob darüber, schon damals intolerant gegen
nun auch die Gesinnungen des Sohnes. Er ließ mir alle
alles, was sein orthodoxer Lehrer verdammte, besonders waren
Privatstunden frey genießen, verlangte aber auch davor
dies die Juden und Menonisten; und sein meistes Betreben, waren
weislich zweymahl so viel Fleiß, als von denen, die sie
wirkliche, obgleich kindische Spekulationen über die Unterscheidungslehre. /
bezahlten.
  Seine Methode war die Ernestische. Er kannte die Wege,  
auf welchen iener iunge Leute zu bilden pflegte; hielt
ungemein streng auf tägliches Elaboriren, und auf Ordnung |<9>


Da ich nur ''einige Züge'' seines Lebens aufzeichnen kann, die seinen
Charakter, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, andeuten, und zugleich
darauf führen können, wie dieser sich nach und nach gebildet (mit
dem Versprechen, so bald ich Zeit habe, eine etwas ausführlichere
Biographie voller Vertrauen in das O.sArchiv nieder zu
legen, so kann ich, der Kürze der Zeit wegen nur abgebrochen,
nach der cronologischen Ordnung schreiben.


der Hefte, so wie darauf, daß der Mantel stets symmetrisch
Als Aemilius 1740 von seinem alten Pfarre[r] weg mußte, führte
auf beyden Schultern hängen mußte.
ihn sein Weg über Wolfenbüttel, woselbst er eine ziemlich wohlhabende
  Ich saß fünf Jahre unter ihm, und hatte beym Weggange
Tante besuchte, die ihn einige Wochen bey sich behalten wollte. Aemil,  
auf die Academie eine so ungeheure Menge von Exerzitien,
ohne Bücher und andre Beschäftigung, erkundigte sich in aller Stille nach
Versen, Übersetzungen, p daß sich der ganze #dus damit
der lateinischen Schule und ihren Lektionen in den Klassen. Was
hätte tapezieren laßen.
wußte er andres, als man dürfe nur hingehen um zu lernen?
  Er trieb sein Schulamt nicht mechanisch; war Vater und Freund
seiner Schüler, Beobachter, wo wirs nicht vermutheten,
und   mit ein wenig Pedanterey, die sich nicht ganz
davon trennen läßt, ließ er sich besonders auch unser
moralisches Wachsthum angelegen seyn.
  Noch ehre ich seine Asche vor iene Liebe, die ich zuweilen
vor Strenge erkannte. Er war kein Mann nach der Welt,
aber ein Mann für die Welt, die ihn verlohr, wenn sie
zehn andere kaum vermißet.
  Bey dem allen blieb meine damahlige Jugend, in gar
vieler Rücksicht, ein dornigter rauher Weg, der von Schmerz
zu Schmerz übergieng, und wäre nicht dieses Alter mit
derienigen glüklichen Leichtigkeit versehen, mit der es |<10>


Das that er, bald nach seiner Ankunft in Wolfen. Er ging hin in
die 4 Classe, deren Lexionen er sich gewachsen meinte, und setzte
sich unten hin, noch ehe der Lehrer kam. Dieser verbarg seine
Verwundrung, während der ordentlichen 2 Stunden, und als die
PrivatStunde anging, und Aem. nicht weggehen, sondern auch da
lernen wollte, gings an ein Examen über meine Umstände, wohin,
woher? u.s.w. Er antwortete wahr. – Die Sache ward dem Vorge-
setzten gemeldet, und der Herr Gen Superintend, sah den Knaben
aus Neugierde, ward ihm ziemlich gewogen, und wollte ihn in
seinen Studiis unterstützen. Es ward für seinen kümmerlichen
Unterhalt gesorgt. Einst kam ein Landprediger nach W. Aß bey
dem Gen. Superintendent, der ihm vom Aem. erzähte. Der Prediger
hatte keine Kinder und dabey eine einträgliche Stelle. Er machte es
mit dem Gen. Sup. aus, daß er mich an Kindes statt annehmen
wolle. Mein Glück schien gemacht. Mein Prediger war ein /
übergetretener Mönch und hatte eine übergetretene Nonne, die
vom Braunschweigischen Hofe mit dieser Pfarre dotirt, geheyrathet. Aem. zog
im Herbste zu ihm. Er hatte versprochen, Em. zu unterrichten,
das amusirte ihn aber nicht. Bey den Examen der Kinder, die er zur
Confirmation, nach Amtspflicht, bereitete, war Aem. zugegen, und
bald der Unterlehrer. Im Jahr 1741 Ostern, also im 11 Jahre, nahm
er ihn zum Abendmahl an; und bis dahin hatte Aem. ihn für einen
recht guten Christen, der Lehre nach, gehalten. Den Sommer darauf 
ward Em. in diesem Glauben irre, als der bekannte Heterodoxe Edel-
mann, seine Wohnung bey dem Pfr. aufschlug, und man so unvorsichtig
war, nicht nur ihn ihre Gespräche mit anhören zu lassen: sondern
sogar über die Religiosität dieses Knabens zu spotten.


sich über alle, besonders auch aus der Armuth entspringende
Dieses, und der Umstand, daß der Pfarrer mit der Absicht hervor-
Leiden, so wundernswürdig hinweg sezt, oder ich hätte von
ging (der Gen. Superintendent, war gestorben) als kleinen Lacqaien
der Natur weniger kühnen Geist gegen das Unglük gehabt,
zu brauchen, und zu kleiden. Dies machte, daß Aem. nach
so würde ich wahrscheinlich vor der Zeit von der Stelle ver-
Rücksprache mit seinem Vater, lieber jedes Handwerk, die ihm alle
drängt worden seyn. Das Horazische: non possidentem multa
gleich waren, zu lernen, und den Pfarrer verlies. Aemilius ver-
vocaveris recte beatum, oder, daß selbst der thebanische Geld,
suchte es bey einem Kunstdrechsler, konnte es aber, weil er bis in
Examinandes, so lange zu Hauße bleiben mußte, wenn
sein 14tes Jahr sehr klein und schwach war, nicht aushalten. Ein
er seinen einzigen Rock zum Schneider schikte, schien mir
Freund des Vaters [...] rieth ihm, die Musik zu lernen. Der
damahls wie vom Himmel herunter gesagt, und würde es noch
Rath ward angenommen, obgleich Aem. noch keine Note kannte, und  
scheinen, wenn der Mensch, nach allgemein bestätigter Erfahrung,
sich weder Neigung noch Talente zur Musik fühlte, sondern bloß
in einem Leben von gewöhnlicher Länge, nicht drey verschiedene
wünschte, seinen Aeltern aus der Unterhaltung zu kommen. Seine
Epochen in seinen Gesinnungen machte.
Lehrjahre, bey einem ordentlichen Kunstpfeifer fingen Himmelfarth
  Doch wie? Ist es Ehre, oder soll ich mich schämen, zu gestehen,
1742 an. Er war so fleissig in der Musik, als es bey de[n] Haus-
das wohlthätige Brod gemeiner Bürger gegeßen, und vor den
arbeiten, dazu man ihn brauchte seyn konnte, und er reussirte
Thüren gesungen zu haben? Oder, soll michs überhaupt gereuen,
so gut, als es seine Meister erlaubten. Sein Herz, das leicht be-
sieben Jahre im schwitzenden Kerker der Schulstube verweilt, und
weglich und sehr empfindlich war, haftete, bey der Folge von
auch außer demselben so manche Stunde beym elenden Scheine
traurigen Widerwärtigkeiten, voll Hoffnung, an die Religion, /
der Lampe, oft mit vertroknetem Gaume, unter der ungewiße-
und ward er durch diesen Hang des Herzens zur Parthey eines Predigers
sten Hofnung, verlebt zu haben?
in Braunschweig geführt, der Privatversammlungen, und, wie man
  Nichts von all dem! Nie war unverschuldete Armuth |<11>
sagte, pietistisch, für mich aber rührend predigte. Dieser Prediger ward
zwar als ein gottloser Heuchler entdeckt. Aem. aber hatte durch ihn
den Vortheil, daß er allerley gute Bücher zum Lesen, und
mit besseren Leuten, als seinen Kameraden eine Art Umgang
bekam. Sein Hang zum Nachdenken gewann gleichfalls dabey;
und der kindisch fromme Trieb, etwas zur PrivatErbauung
beyzutragen, vielleicht auch Ambition, sich hervorzuthun, bewog
ihn, Lieder mit Melodien zu machen. Zur Poesie hatte er
gar keine Anleitung, zur Composition treib er Bücher auf, die
er nebst einigen Partituren, die er habhaft werden konnte, studirte.
Er ward bald der beste unter seinen Mitgenossen, und das
minderte seine Trübsal um Nichts. Die gütige Aufmunte-
rung des Kapelldirektors v. B. erhielt seine Geduld und seinen
Fleiß, da zumal der damals regirende Herzog ihm versprach,  
ihn einst auf seine Kosten reisen zu lassen.


Anno 1747 schickte Braunschweig Truppen zur alli[ie]rten Armee
nach Holland. Es fehlte dabey an Hoboisten. Aemilius ließ sich
bewegen, als solcher Dienste zu nehmen, und ging mit, voll
täuschender Freude, über seine Erlösung aus seinen sklavi-
schen Lehrjahren, bey einem harten geizigen [Cho]prinz und
neidischen boßhaften Gesellen. Er hatte Umgang gehabt
bey dem obgedachten Freunde seines Vaters, der auch Musik
liebte, und hatte eine aufkeimende Neigung gegen dessen
sehr hübsche 13 jährige Tochter empfunden. In Holland, in
den Winterquartieren ward Aemilius in seinem Quartier
bey Menoniten, sehr krank. Die ausserordentlich gute /
Pflege, die ihm von der ältesten Tochter des begüterten
Hauses widerfuhr, machten ihn erst sehr dankbar, und
nach und nach, ward diese Dankbarkeit heftige Liebe, welche Gegenliebe erweckte.
Die Aeltern, die ihre Tochter sehr zärtlich liebten, willigten mit der
Bedingung ein, wenn ich die Einwillig[ung] der Meinigen herbeyschafte.
Aem. zweifelte daran nicht, weil es eine reiche Verbindung, auf
die arme Aeltern gerne zu sehen pflegen. Er betrog sich. Sein
Vater hatte andre Plane auf das Versprechen des Herzogs gebauet,
an der seine Ambition Theil hatte. Und bey seiner Zurückkunft
Anfangs 1749, drohete er mit dem Väterlichen Fluche, wenn
er nicht einer Verbindung mit einer Menonitinn entsagte.


Schande, und nie wurde etwas gelernt, daß nicht iezt oder
Er gehorchte. Der Freund seines Vaters war während seiner Abwesen-
künftig von einigem Ertrag gewesen wäre.  
heit gestorben und hatte die Seinigen in traurigen Umständen
  Ich ging meinen Weg getrost fort; bephilosophirte ihn, so
hinterlassen. Aemils blutendes Herz fühlte mit ihnen herzliches
gut ichs konnte; nahm die Sachen, wie sie waren, und noch erinnre
Mitleiden. Bey seiner verlornen Hofnung auf Holland reichte
ich mich mir Vergnügen der theilnehmenden Discourse, wenn mein
dies Mitleiden zu einer Empfindung, die ein 17jähriger jun-
Rektor seine Eltern besuchte, und nun über meine Zukunft ge-
ger Mensch für Liebe halten kann. Der Kapelldirektor war ein
meinschaftlicher Rath gehalten wurde. Ich sollte studiren, das
Freund der Nachgelassenen. Aemils Aeltern sahen diese
wollten sie alle, und biß auf den Umstand der Kosten, war
Neigung gerne, weil solche den Sohn an sein Vaterland fesseln
auch von meiner Seite alles berichtiget. Hätte ich meiner
würde. Solcher gestallt von Innen und Aussen aufgemuntert
Lieblingsneigung folgen können, die freylich auch Unterstützung
heyrathete er mit 17 Jahren ein schönes Mädchen, die kaum 15 war,  
erforderte, so wäre ich Künstler geworden. Dieß lag mir
und mit der er, alles gerechnet, ein festes Einkommen von
eigentlich ganz in Adern und Gebeinen.  
etwas 70 bis 80 Rtl hatte. Aber reich an Hofnung, durch
  Indeßen hatte ich das achtzehnte Jahr erreicht; fing an,
Fleiß ein bedeutender Musikus zu werden. Er hatte zugestandner
gegen meine kleine Hypothese vom guten Muthe doch etwas
Weise Talente zur Musik. Er fühlte sich aber, daß es ihm
nachgiebig zu werden, und zu fühlen, daß der Leib ganz
an HülfsWissenschaften fehlte, um aus der gemeinen Klasse
anderer Art sey, als die Seele.
heraus zu gehen. Mit einer Knabenzuversichtigkeit aufs Glück
  Ich bemühete mich, ein Stipendium zu erlangen. Zu un-
oder Gott und sich selbst, ging er im Herbst 1749 nach Helmstädt
bekannt mit den Ursachen, nach welchen es denen Testaments-
um zu studieren, Musik zu üben, und sich durch Unterricht geben /
Executoren oft unmöglich wird, dergleichen Stiftungen nach
durchzuhelfen. Hier nahm sich seiner der jezige Superintendent
der wahren Absicht zu ertheilen, hofte ich nichts gewißer, |<12>
Stockhausen, in Hanau, der damals Magister lagers war, mit Güte
und freundschaftlichen Rathe an. Wie kümmerlich seine Umstände
waren, indem er ausser sich selbst, von 70 bis 80 Thalern das folgende
Jahr schon eine Frau nebst einem Kinde zu ernähren hätte, läßt
sich schliessen. Indessen that er war er konnte, bey seiner gezwungenen
einsamen Lebensart, seine Kunst und sich selbst immer besser
kennen zu lernen. Stockhausen entdeckte an ihm Fähigkeiten,  
die er sich selbst nie zugetrauet hatte, und diese Entdeckung
war ihm Trost. Indessen erlaubten ihm seine Mittel nicht
von Professoren Hülfe zu deren Ausbildung zu erwarten.


Jedoch blieb er in Helmstädt bis 52, um sich der Gelegenheit
Bücher, die ihm Stockhausen vorschlug, zu erhalten, zu bedienen,
welche er in Braunschweig nicht haben konnte. Dieser 3jährige
Aufenthalt, der selten durch eine kleine Reise zu Fuß nach
Braunschweig zu seiner Frau, und zur Revue unterbrochen ward,
machte eine grosse Aendrung in der Denkart Aemils. Er war
sehr wißbegierig; mußte aber zu allem, was er wissen
wollte, durch selbst gesuchte Wege, durch Lesen gelangen,
die dann sehr krumm und mühsam waren. Sein Herz gewann
indessen dabey mehr, als sein Kopf. Soviel erinnert Aemil
sich noch, daß er die Musik nach der Poesie und Beredsamkeit
studirte. Als er 1752 Helmstädt ganz verließ, war es
natürlich, daß er am Umgange mit seinen Kameraden keinen
Geschmack fand, um desto mehr, da die Herrn Gärtner, Zachariae,
Ebert und andre ihres Standes [Zutritt erlaubten].
Seine Kameraden neideten, haßten, verfolgten ihn, und
selbst seine vorgesetzten RegimentsOfficiere spotteten /
über den Buchgrübler. Sein Gönner, der Kapelldirektor,
war gestorben, der Herzog schien sein Versprechen vergessen zu haben,
und Blödigkeit hinderte Aemilius, ihn daran zu erinnern.


als die Erfüllung meiner Bitte; allein, dem Suplicant
Alles das, wozu noch kam, daß seine Frau gar keine Haushälterin
wurde auf sein unterm    zur Resolution ertheilt: daß,
zu seinem geringen Einkommen war, bewegte ihn, zu-
weilen die Legata bereits auf verschiedene Jahre hinaus vergeben
mal auch sein Vater, gegen den er immer eine furchtsame
wären, deßen Gesuch vor der Hand nicht     . Ein zweytes
ehrerbietige Folgsamkeit, auch noch als freyer Mann behielt,
Rescript enthielt: daß es bey den, unterm    sein Bewenden
gestorben war, und es nicht hindern konnte, sein Vaterland
behalte, und das dritte würde, bey fortgesezten Bombardement,
zu verlassen und in Zelle, bey einem Regiment, die
wahrscheinlich mit einen: nicht weiter zu behelligen, geschloßen
Stelle als Premier-Hautbois, mit ungefehr dreymal soviel
haben.  
Gehalt, als in Braunschweig anzunehmen. Diese merkliche
  Das: Servare mentem in rebus arduis, schien demnach
Verbesserung, die noch nach und nach dreymahl erhöht ward,  
alles, was mir zu thun übrig blieb, und wenn der von Lebens-
und die Nebeneinnahmen, die er durch Unterricht, und Di-
mitteln entblößte Schiffer auf offenbahrer See, noch darzu
rektion der Concerte erhielt, beruhigten seine Besorgnisse,  
das todesängstliche Unglük sieht, von einer ganzen Welt
und erleichterten ihm die Mittel, sich Bücher anzuschaffen.
voll Menschen abgeschnitten zu seyn, so war ich doch nur
Sein Hauptfach war die Composition, in dem er mit Beyfall
auf festem Lande dürftig,  war esohne Verschulden, und
arbeitete, und Kirchenmusik, wäre seine Stärke geworden.  
unter Menschen, die den Glauben wenigstens nicht alle ver-
leugnen.
  Diese verfehlte Hofnung beunruhigte mich, aber den Hauptvorsatz
änderte sie nicht. Vielweniger war ich so blödsinnig, deswegen
an der Einrichtung und menschlichen Verwaltung der Welt etwas
zu meistern. Mein Vaterland und die Obrigkeit darin, er- |<13>


Dabey legte er sich jezt auf Sprachen, als Italiänisch, Französisch
und Englisch. Stockhausen, welcher derweilen nach Lüneburg
als Rektor gezogen war, war sein vertrauter Correspondent
und Rathgeber seines Studierens. Wider dessen Rath trieb er
so viel auf einmal; Indessen war es das Schicksal
Aemils, grössere Schwierigkeiten, nicht nur von Aussen,
sondern, auch die er sich Selbst, als eigener blinder Leiter
selbst machte, zu überwinden. Er würde in dieser ausser
der schlechten HaushaltungsKunst, ganz Brodsorgen
freyen Lage, sein Studieren bis zu einem Punkte fortgetrieben
haben, um mit einem Mahle, mit Vortheile aufzutreten,
denn er hatte schon einige Beförderungen ausgeschlagen, die ihm /
dadurch zugekommen waren, daß er einige Reisen
gethan, um grosse Leute zu hören, und auch eine OpernGesell-
schaft, mit Bewilligung seiner Obern, in Lübeck 1754 dirigirt
hatte. Aber das Schicksal wollte es anders.


hielten in meinen Gebeten, die ich mir gewöhnlich selbst er er-
Anno 1756 war für ihn durch eine schwere Krankheit, durch die  
fertigen pflegte, eine desto vorzüglichere Stelle. Denn Gottes
Krankheit seiner beyden Kinder, wovon der älteste erst an
Amt ist es, Blitze zu werfen; wer hinein greift, wird davon
den Blattern, drauf seine Frau, in einem schweren Wochen-
getroffen.
bette nebst dem Neugebornen, und bald darauf das
  Ich machte nun Anstalt, mit denen zehn Thalern, die ich
noch übrige Kind an der Auszehrung starb. In Zeit
im Erbe bekommen hatte, die Universität zu beziehen. Mein
von ein Paar Monathen war er also nur allein noch
Haußwirth hatte sie so sorgfältig aufbewahret, daß ich sie in
übrig, und sein empfindliches Herz ward von schwarzer
den nehmlichen Sorten wieder bekam. Diese Genauigkeit, das
Melancholey gedrückt. Der Ort war ihm zuwider, wo er
damit verknüpfte Andenken an meine Eltern, und die gut[en]
so viel Verlust erlitten hatte. Er fand, bey genauer Untersuchung,
Lehren, unter denen sie mir mein Haußwirth auszahlte,
daß er etwa 100 Rt. schuldig bliebe. Er nahm auf etliche
machte mir diese kleine Summe zum großen Capital.
Monate Urlaub, verschloß sich bey einem Freunde im Hause.
Wende er sie wohl an! hieß es. Vertraue er Gott, und
Komponirte und schrieb für Liebhaber so viele Noten, bis er das  
(ultima pagella me puguit) meide er vorzüglich böse Gesell-
Geld verdient hatte, wobey er wenig verzehrte, und noch weniger
schaft und Frauenzimmer!
schlief. Da um diese Zeit der Krieg zwischen England und Frank-
  Indem ich ringsum Abschied nahm, fand sich ein Mann
reich losbrach, wobey es wahrscheinlich ward, daß das Regiment,  
der in der Einladung zum Schulaktus, as Versehen übergang[en]
worunter er stund, gleichfalls würde zu Felde ziehen müssen,  
worden war, und dar darüber einen ziemlichen Vorwurf
so wollte er dies ihm bekannte Leben nicht noch Einmal
machte.
versuchen, und nahm seinen Abschied, zur Verwundrung
  In Fällen, wo uns starke Freundschaft an andere bindet
seines Chefs, der meinte ein so grosser Gehalt, der wirklich
oder frappanter Unwille von ihnen entfernt, pflegen uns |<14>
monatlich an 20 Rt. lief, wäre schwerlich wiederzufinden.  


Aemil reisete zu seinem Freunde Stockhausen, Anfangs 175[7]
der in dem 2 Monatlichen Aufenthalte bey ihm, sein
Herz wie seine Aussichten aufzuheitern suchte. Er machte
Aemil den Plan, daß er über Hamburg nach England
gehen sollte, und gab ihm Adress Briefe nach Hamburg /
an einige Kaufleute und Gelehrte mit. Aemil, der durch
den Zustand seiner Börse gar nicht zuversichtlich war, gab
ein Paar von den Briefen ab, an Leute, die, ob sie gleich Musik-
liebhaber waren, doch sonst wohl etwa zu thun hatten, als sich
um einem Musikum zu bekümmern, der in keinem reichen
Kleide, und von keinem grossen Hofe kam. Er behielt die
übrigen Briefe in der Tasche, und nahm die Direction der Musik
beym schönemannischen Theater an. Ein Freund, Namen[s] Olde,
Dr. Med. den Stockhausen über meine Ankunft geschrieben
hatte, suchte den Aemil auf, und machte ihm die gütigsten
Vorwürfe über sein allgemeines Mißtrauen in die Menschheit.


so gar einzelne Ausdrüke gegenwärtig zu bleiben, und ich erinnere
Seine Bekanntschaft, und nachherige warme Freundschaft waren
mich, daß er sagte: hat die hiesige Literatur schon längst auf eigenen
höchst ersprießlich. Er und der Sindicus Schuback, bewogen
Füßen gestanden? Bin ich zu klein, um übersehen zu werden, oder
mich, die Direction des Schonemannischen Orquesters zu
woran hat es gelegen?
verlassen, und in Sprachen zu unterrichten, wozu sie mir
  Ich erwiederte, daß Rath R.. ais leomer amdern Ursache über-
beyde Gelegenheit in ihrer Verwandschaft gaben. Und so sehr
sehen werden könne, als weil sein Worth zu sehr vor Augen liege.
schwer es hielt, Aemil zu überzeugen, daß ich dazu fähig
Welches Lob mit einem Stachel begleitet, ihn auf der Stelle beruhigte.
sey, so sehr glückte es ihm, ihren Empfehlungen keine
Er billigte meine Wahl des iuristischen Studiums, und trug mir
Schande zu machen; Indem sich Aemil verpflichtet hielt,  
seine Unterstützung an, im Fall es, wie er vermuthe, an den nöthigen
fast jede Nacht vorher auf die Lectionen des folgenden
Büchern, und zu andern dringenden Ausgaben zuweilen an Gelde
Tages zu praepariren, lernte er hierduch am meisten,  
fehlen sollte.  
erwarb sich reichliches Auskommen, eines guten Lehrers und  
  Ließ sich die Freude nach Flächen ausmeßen, so war ich damahls
redlichen Mannes. Madame Olde, eine der besten
durchaus ein solches Stük Freude; zog nun hin im Triumph über
und klügsten Frauen, rieth dem Aemil, Eintritt in die  
die eingebildete Poße der Armuth; kam nach Jena; erhielt
Fr. Mrey. zu erhalten. Er erhielt ihn, und ist seit 1759 immer ein
die Vorlesungen frey, und freyes Logis bey einem Manne, der
sehr thätiges Mitglied des Ordens gewesen, den er
ebenfalls die Stürme rauher Jugend erlitten, aber iezt überstanden
gerne zu dem wohlthätigen Endzwecke längst hätte [...] bringen /
hatte, und aus eben dem Grunde viel richtige Erfahrung zu
helfen, wozu, andre weisere und einsichtsvolle
besitzen schien, so, daß ich mich glüklich schäzte, unter seiner
Männer selbigen, zu seiner höchsten Zufriedenheit gebracht
freundschaftlichen Leitung die Universitäts-Jahre angetreten
haben.
zu haben. Ich wohnte beyständig bey ihm, und speißte an einer
Aemils Leben in Hamburg ist reich genug an Begebenheiten,
seiner beyden Freystellen im Convikt, die er mir zu creditiren |<15>
die aber mehr Einfluß auf sein zeitliches Glück, als auf die
''Bildung'' seines Charakters gehabt haben. Bey der Voraus-
setzung , daß er einst hierüber selbst ausführlicher seyn
wird, und bey der wenigen Zeit, die ich bey meiner
vorstehenden Reise habe, kann ich nur noch ''kurz'' folgendes
anführen.


Anno 1765 verheyrathete er sich mit der Tochter
eines Rathsherrn in Hamburg, die ihm ein ''grosses'' Ver-
mögen zubrachte, von dem er aber nach ihrem Tode
der 1766 im Jenner, Kinderlos erfolgte, nicht mehr als
circa 10000 Rt. für sich behielt, und das Uebrige
ihren Schwestern wieder auskehrte. Worüber er
von einigen getadelt, von einigen gelobt, von
seinen Schwägern mit Undank belohnt, von
seinem Herzen aber mit beständigen Beyfall bezahlt
wurde.


versprach, biß ich ihn zu befriedigen im Stande seyn würde.
1768 verheyrathete er sich zum 3 Mahle, nachdem
Er erklährte mir die vornehmsten Lebensregeln, die ich zu beob-
er eine Buchdruckerey errichtet hatte, mit der Tochter
achten hätte; machte mich mit der guten und bösen Seite der
des Buchhändlers Carl Bohn, die ihm ''Nichts'' zubrachte
Academie, mit der besonderen Aufsicht über die Landeskinder, mit
und die Anno 1777 wieder starb, ohne ihm Kinder zu  
dem Fleiße der Profeßoren, mit der Möglichkeit, hier leichter
hinterlassen. Nachdem Aem. dergestallt drey Gattinnen
unverführt und unverdorben zu bleiben, als auf andern
und zehn Kinder verloren hatte, nahm er, so trieb und kinderlos, /
Universitäten, wie auch mit dem Charakter der verschiedenen
das Anerbieten der Frau Gräfinn von
Ausländer, bekannt, und lobte die (*) Ungarn. Wenn er: iunger
Bernstorf an, welches ihn Logis und Tisch auf einem schönen
Herr! sagte, so hieß das so viel: Lernt einsehen, wo es auch
Landguthe bestand. wogegen ich ihre Geldgeschäfte und ihre
fehlt, und warum ihr in der Welt seyd. Er liebte die Ordnung,
Haushaltung zu übersehen übernahm, und also die Buch-
auch im Kleinen, biß zum Enthusiasmus. Das Buch mußte,
druckerey, und den damit verknüpften Buchhandel aufgab.  
nach dem Gebrauch, heute wie gestern mit dem Schnitt nach der
Wand zu stehen, und die Nadel stets eingefädelt am Kißen
hangen. Dieß, mit ein weinig Jahzorn vereiniget, machte ihn
indeßen für mich zur Freundschaft nicht ungeschikt, doch
unterhielten wir bloß eine vernünftige.
  Ich besuchte nunmehro die Vorlesungen, und sie gefielen
_______________________________________________________________
(*) Es mochte das Werk des Clima, der Erziehung oder der Gesetze seyn, so
zeichneten sich damahls die mehresten Ungarn und Siebenbürgen aufs vor-
theilhafteste aus, und wenn hier ein gepuztes Herrgen vorbeyfaselte,
und dort im Schwarm in lautem Gelächtereinherstürzte, blieb sich diese
iunge solide Mann immer gleich, und sein Denken schien ein Gedanke
des Aristoteles oder des Augustinus zu seyn.|<16>


Anno 1778 ernannte ihn der Herzog von Meynungen
zum Hofrath, und 1782 Sr. Durchl. von Gotha zum Legations
Rath. Als Anno 1779 die Frau Gräfinn von Bernstorff
zu ihrer Niece nach Weimar reisete, begleitete er sie dahin,
und ist seit dort geblieben, woselbst er sich die ersten
Jahre mit Uebersetzen fürs Publikum, seit ein Paar Jahren
bloß mit Ordensarbeiten beschäftigt. Dabey hat er
seit einem Jahre verschiedene Anfälle von Schwindel
gehabt, daher ihm verboten ist, des Nachmittags zu schreiben.


mir, die einzige Logik ausgenommen. Nach ihr mochte ich nicht
Sein Lieblings Zeitvertreib, ausser dem Lesen, ist Musik und  
denken noch schließen lernen. Weit beßer hatten mich das der
Blumengärtnerey.
Umsturz meiner Familie, meine verweißte Jugend, mein
Seinen Charakter ganz zu entwerfen, möchte nur zu  
Haußwirth auf Schulen, das versagte Stipendium, und der nicht
schwer werden. Hier einige Züge davon.
eingeladene fürstliche Rath, gelehrt, als es im guten Reusch
Er hat ein sehr empfindliches Herz, und starke Leidenschaften,  
enthalten seyn mochte.
ist mehr zur Melancholey, als zur Fröhlichkeit geneigt; von
  Ich bringe ihnen etwas mit, sagte ich instmahls zu meinem
Natur dem Jaehzürnen unterworfen, ist aber nach und  
Con#, das zu keinem von den dreyen Reichen gehört,
nach darüber ziemlich Meister geworden; anhaltend
auch weder Erde, Luft, Waßer, noch Feuer, und dich in der Welt
zu hassen ist ihm unmöglich. Sein Geist ist sehr activ; seine
ist, eine Apperceptio appercepta. Geben sie Rath, wie
Imagination kann grosse Ideen fassen, ''jedoch'' ob er gleich
man die Sache hinunter bringt!
mehr Witz hat als Verstand, nur wenig poetisch schön hervorbringen.
  Ein unglüklicher Zufall schien mich iezt für die verachtete
Logik bestrafen zu wollen. Ich wurde krank und wäre es
vielleicht weniger geworden, wenn ich Reuschen mehr geliebt hätte.
Ich schloß beym Anfall des Schauers auf Fluße, und dann
gerade auf D. Wedels Flußeßenz. Weil ich eine ziemliche
Portion davon zu mir genommen hatte, so gerieth ich in eine
Hitze und Angst, daß ich unter dem kläglichsten Beginnen
auf keiner Stelle zu bleiben wußte. Eine Menge Thee und
Waßer milderte die Angst wieder, allein, wie sich bey
Feuersbrünsten nicht sagen läßt, daß die Gefahr vorüber |<17>


sey, wenn von außen die Flamme gelöscht ist, so glomm
mein Fieber iezt tief in Adern und Gebeinen, und ich lag am
Morgen wie zerschlagen.
  Der mit Weinreben besezte nahe Hügel; die feyerliche
Sonne der aufgehenden Sonne, und die vergnügten Gesänge der
kleinen Waldbewohner, vermochten iezt nicht, einen Strahl von
Heiterkeit in meine Seele zu gießen. Düstere Todtesgedanken
umhüllten sie, und selbst keiner von meinen Sodalen, die mich
besuchten, war vermögend, ein kurzes schwaches Lächeln über
meine blaßen Lippen zu verbreiten, als mir mein angenehmer,
tugendhafter, längst seeliger M . . . Dieser geschikte, edle
Jüngling, sehe die Furcht, die Zweifel, die sich wieder mich
rüsteten, mit mehr als Freundes-Theilnehmung, und nie
verließ er mich, ohne eines neuen für mich erfochtenen
Siegs versichert zu seyn.
  Siehe! in welchem Frieden ein Christ stirbt, sagte Addison;
aber hier konnte es heißen: siehe! wie ein Freund uns
sterben sieht.
  Mein Medicus war der damahlige geheime Rath K..
der mich durch seinen Famulus, einen zwar anstelligen
aber iungen Mann, beschikte, und der unentschlüßig |<18>
genug zu seyn schien, an welcher Curmethode ich die Welt
verlaßen sollte. (*)
  Ich lag vierzehn Tage ohn Unterschied. Mein hitziges Fieber
war gleich einem bösen Hunde an Ketten gelegt, aber nicht
zum Schweigen gebracht. Mit Zwang verließ ich endlich
das Bett. Weder Eß- noch Arbeits-Lust, noch Kräfte, fanden
sich wieder, und mein Ende würde die Auszehrung geworden
seyn, wenn ich nicht bald einen Arzt getroffen hätte, der
mir von neuem Medicamente verordnete, die ich an dem
Orte meines vorherigen Aufenthaltes brauchen sollte.
  Ich miethete ein Pferd. Jeder Schritt war Tortur, und
kaum hatte ich eine Stunde zurükgelegt, als mich ein Donner-
wetter auf freyem Felde überraschte. Wie darfst du
deine Gesundheit wieder hoffen, da dich auch dieß nich
betrifft?
  Unter diesem und ähnlichen Gedanken verzog sich das
Gewitter. Die Sonne drang durch die diken Deken von Neben
mit neuem verdoppelten Glanze, und die auflebende Natur
_____________________________________________________________
(+)Combien es Cimetieres avez vous rempli mon cher Z...am?
O! plusieurs, Sire,  à present les chosès vont mieux! |<19>
schien zu sagen: Für dich war diese Erschütterung, dieser
Balsam. Bald wirst du das Wohlthätige davon empfinden.
  In der that, ehe ich noch weit gekommen war, fühlte
ich mich als neu belebt; ritt mit mehrerm Anstande; ver-
suchte das Gehen; aß, trank etwas mit gesundem Appetit,
und erreichte Abends den Ort meiner Bestimmung. Ich
versuchte nun die mitgenommene Medizin, verfiel in
eine Art heilsamen kalten Fiebers, und wanderte nach
ein Paar Wochen völlig gesund wieder auf meine Aca-
demie zurük.
  Bester! Ein Student ward krank und wieder gesund;
welche Kleinigkeit!
  Aber der Weise, der den Werth eines Menschen nicht
verkennt, und bey dem Reichthum der Zeit an intereßanten
Schriften, die meinige nicht verschmähet; wie leicht
wirds ihm, die Beschreibung kleiner Begebenheiten zu
billigen!
  Auf meiner zurükreise konnte es mir nicht an aller-
ley Betrachtungen fehlen. Ich dachte vorzüglich dem Glük
der Gesundheit nach, welches zu wenig erkannt, und oft |<20>
gar gemißbraucht wird. Schreklicher Gedanke!
  Dichter und Redner, sollten, nachdem sie die Jahreszeiten,
den Morgen, Mittag und Abend, das Landleben, den Wein,
die Freundschaft, und die Liebe, beschwazt und besungen genug
haben, diese Ehre doch billig auch der Gesundheit erzeigen,
die in viel stärkerer Bedeutung Wohlthat des Lebens ist.
Dieß würde die Sorgfalt für ihre Erhaltung, in einem höhren
Grade befördern, und ein, von der Natur schon dem Menschen
si nah gelegtes Intereße, weit anziehender machen. Meister-
stüke von der Art, würden sich ohnstreitig auf das, leider!
nicht mehr davor gehaltene, Verbrechen des subtilen Selbst-
mords, erstreken; iedes Übermaß, iede Unordnung, iede
heftige Leidenschaft, als so viel Dolche darstellen müßen,
die sich die Menschen selbst ins Herz stoßen. Sie würden uns
von der traurigen Wahrheit überführen, daß diese alle
keines natürlichen Todtes starben; daß sie der Gesellschaft
vor der Zeit Mitglieder entzogen, folglich die Ordnung Gottes
stöhrten, und Eingriffe in seine Maiestätsrechte begingen.
  Doch, wollte der Herr Sünde zurechnen, dann dürfte auch
der vorwitzige Selbstarzt nicht ganz vor ihm bestehen.|<21>
  Mit der redlichsten Gewißenhaftigkeit überlegte ich i#
auf meinem Rükwege den Umstand mit der Flußeßen[z]
zergliederte ihn nach der mir eigenen Geblütsmischung; gi[ng]
davon wieder zu meinen andern Sorgen über, und besonde[rs]
wie ich zween Arzte zugleich befriedigen wollte, im Fa[ll]
sie sich nicht höchst billig würden finden laßen. Die Blu[men]
auf dem Felde; der darüber fliegende Vogel, der nicht säet u[nd]
spinnet, und doch #ühret wird, schüzten mich bloß wied[er]
die ängstliche Kleinmuth. Niemand reichte die Schultern,
um tragen zu helfen. Mein freiwiliger Unterstützer, sah
nach diesem Vorfall, seinen Vorschß mit dem Maaßsta[b]
der Gefahr zu meßen, welcher er sich auf meine Todesfa#
aussetzen würde, und es gehörte gewiß (+) Platos weite und
starke Brust dazu, meine ohne Munition angetretene
Schiffarth zu überdenken, und Muth dabey zu behalten
Man muß ein solcher Schiffer gewesen seyn, wenn ma[n]
richtig davon urtheilen will.
________________________________________________________________
(*)Erat quioem corpus validum ac forte fortitus, et ille
nomen latitudo pectoris fecerat; Sed navigationes ac
pericula muttum detraxerunt viribus. Senec. ep. 58.|<22>
</poem>
</poem>


== Anmerkungen ==
== Notes ==
<references/>
<references/>
[[Category:Biografie]]
[[Category:SK10]]
[[Category:Datierung fraglich]]
[[Category:Bode (Aemilius)]]

Latest revision as of 18:23, 25 January 2022

Commentary

Biographie Bodes, verfasst in der 3. Person wobei Bode immer wieder in die 1. Person verfällt. Beschreibt Kindheit, Ausbildung, drei Ehen und seine Lebensstationen bis zur Ankunft in Weimar


Transcript

Der Bruder Aemilius ist gebohren zu Braunschweig, den 16. Januar
1731. Sein Vater Joh. Georg B. war ein Mann von vielem
Genie, das unterdrückt, und von vielen grossen Anlagen, die ganz falsch
entwickelt worden; dabey besaß er viele Ambition und eine
bis zur Heftigkeit gehende Lebhaftigkeit des Charakters; dieses
alles verleitete ihn zu Unternehmungen, welche ihn in grosse
Armuth stürzten, als Aemilius kaum 9 Jahre alt war. Seine
Mutter, eine geborne Knigge, hatte ein edles, und sanftes
Herz, weibliches Herz. Furchtsam, religieus, und im höchsten Grade
mitleidig und duldend. Die Einflüsse der Vermischung von beyden
Charakteren seiner Aeltern fühlt Aemilius noch sehr lebhaft.

In der frühesten Kindheit thaten ihn seine Aeltern zu einem
lutherischen Prediger zur Erziehung aufs Land, und meinten ihn
zu einem künftigen Theologen zu bestimmen. Als Anno 1740 die
Umstände seines Vaters völlig ruinirt wurden, ließ ihn
sein Lehrer merken, daß er ihn nicht behalten könne. Der Mann
hatte wirklich selbst eine zahlreiche Familie und wenig Einkommen.
So viel erinnert sich Aemilius noch von ihm, daß er redlich, aber
hart und streng war. Das Latein ward dem Aem. nicht liblich ge-
macht, in der Religion aber, worin er zugleich mit ein Paar Junkern
und einem Fräulein, einen höchst orthodoxen Unterricht genoß,
that er vor den Uebrigen starke Schritte, und solcher gestalt ward
er durch öfteres Lob darüber, schon damals intolerant gegen
alles, was sein orthodoxer Lehrer verdammte, besonders waren
dies die Juden und Menonisten; und sein meistes Betreben, waren
wirkliche, obgleich kindische Spekulationen über die Unterscheidungslehre. /

Da ich nur einige Züge seines Lebens aufzeichnen kann, die seinen
Charakter, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, andeuten, und zugleich
darauf führen können, wie dieser sich nach und nach gebildet (mit
dem Versprechen, so bald ich Zeit habe, eine etwas ausführlichere
Biographie voller Vertrauen in das O.sArchiv nieder zu
legen, so kann ich, der Kürze der Zeit wegen nur abgebrochen,
nach der cronologischen Ordnung schreiben.

Als Aemilius 1740 von seinem alten Pfarre[r] weg mußte, führte
ihn sein Weg über Wolfenbüttel, woselbst er eine ziemlich wohlhabende
Tante besuchte, die ihn einige Wochen bey sich behalten wollte. Aemil,
ohne Bücher und andre Beschäftigung, erkundigte sich in aller Stille nach
der lateinischen Schule und ihren Lektionen in den Klassen. Was
wußte er andres, als man dürfe nur hingehen um zu lernen?

Das that er, bald nach seiner Ankunft in Wolfen. Er ging hin in
die 4 Classe, deren Lexionen er sich gewachsen meinte, und setzte
sich unten hin, noch ehe der Lehrer kam. Dieser verbarg seine
Verwundrung, während der ordentlichen 2 Stunden, und als die
PrivatStunde anging, und Aem. nicht weggehen, sondern auch da
lernen wollte, gings an ein Examen über meine Umstände, wohin,
woher? u.s.w. Er antwortete wahr. – Die Sache ward dem Vorge-
setzten gemeldet, und der Herr Gen Superintend, sah den Knaben
aus Neugierde, ward ihm ziemlich gewogen, und wollte ihn in
seinen Studiis unterstützen. Es ward für seinen kümmerlichen
Unterhalt gesorgt. Einst kam ein Landprediger nach W. Aß bey
dem Gen. Superintendent, der ihm vom Aem. erzähte. Der Prediger
hatte keine Kinder und dabey eine einträgliche Stelle. Er machte es
mit dem Gen. Sup. aus, daß er mich an Kindes statt annehmen
wolle. Mein Glück schien gemacht. Mein Prediger war ein /
übergetretener Mönch und hatte eine übergetretene Nonne, die
vom Braunschweigischen Hofe mit dieser Pfarre dotirt, geheyrathet. Aem. zog
im Herbste zu ihm. Er hatte versprochen, Em. zu unterrichten,
das amusirte ihn aber nicht. Bey den Examen der Kinder, die er zur
Confirmation, nach Amtspflicht, bereitete, war Aem. zugegen, und
bald der Unterlehrer. Im Jahr 1741 Ostern, also im 11 Jahre, nahm
er ihn zum Abendmahl an; und bis dahin hatte Aem. ihn für einen
recht guten Christen, der Lehre nach, gehalten. Den Sommer darauf
ward Em. in diesem Glauben irre, als der bekannte Heterodoxe Edel-
mann, seine Wohnung bey dem Pfr. aufschlug, und man so unvorsichtig
war, nicht nur ihn ihre Gespräche mit anhören zu lassen: sondern
sogar über die Religiosität dieses Knabens zu spotten.

Dieses, und der Umstand, daß der Pfarrer mit der Absicht hervor-
ging (der Gen. Superintendent, war gestorben) als kleinen Lacqaien
zu brauchen, und zu kleiden. Dies machte, daß Aem. nach
Rücksprache mit seinem Vater, lieber jedes Handwerk, die ihm alle
gleich waren, zu lernen, und den Pfarrer verlies. Aemilius ver-
suchte es bey einem Kunstdrechsler, konnte es aber, weil er bis in
sein 14tes Jahr sehr klein und schwach war, nicht aushalten. Ein
Freund des Vaters [...] rieth ihm, die Musik zu lernen. Der
Rath ward angenommen, obgleich Aem. noch keine Note kannte, und
sich weder Neigung noch Talente zur Musik fühlte, sondern bloß
wünschte, seinen Aeltern aus der Unterhaltung zu kommen. Seine
Lehrjahre, bey einem ordentlichen Kunstpfeifer fingen Himmelfarth
1742 an. Er war so fleissig in der Musik, als es bey de[n] Haus-
arbeiten, dazu man ihn brauchte seyn konnte, und er reussirte
so gut, als es seine Meister erlaubten. Sein Herz, das leicht be-
weglich und sehr empfindlich war, haftete, bey der Folge von
traurigen Widerwärtigkeiten, voll Hoffnung, an die Religion, /
und ward er durch diesen Hang des Herzens zur Parthey eines Predigers
in Braunschweig geführt, der Privatversammlungen, und, wie man
sagte, pietistisch, für mich aber rührend predigte. Dieser Prediger ward
zwar als ein gottloser Heuchler entdeckt. Aem. aber hatte durch ihn
den Vortheil, daß er allerley gute Bücher zum Lesen, und
mit besseren Leuten, als seinen Kameraden eine Art Umgang
bekam. Sein Hang zum Nachdenken gewann gleichfalls dabey;
und der kindisch fromme Trieb, etwas zur PrivatErbauung
beyzutragen, vielleicht auch Ambition, sich hervorzuthun, bewog
ihn, Lieder mit Melodien zu machen. Zur Poesie hatte er
gar keine Anleitung, zur Composition treib er Bücher auf, die
er nebst einigen Partituren, die er habhaft werden konnte, studirte.
Er ward bald der beste unter seinen Mitgenossen, und das
minderte seine Trübsal um Nichts. Die gütige Aufmunte-
rung des Kapelldirektors v. B. erhielt seine Geduld und seinen
Fleiß, da zumal der damals regirende Herzog ihm versprach,
ihn einst auf seine Kosten reisen zu lassen.

Anno 1747 schickte Braunschweig Truppen zur alli[ie]rten Armee
nach Holland. Es fehlte dabey an Hoboisten. Aemilius ließ sich
bewegen, als solcher Dienste zu nehmen, und ging mit, voll
täuschender Freude, über seine Erlösung aus seinen sklavi-
schen Lehrjahren, bey einem harten geizigen [Cho]prinz und
neidischen boßhaften Gesellen. Er hatte Umgang gehabt
bey dem obgedachten Freunde seines Vaters, der auch Musik
liebte, und hatte eine aufkeimende Neigung gegen dessen
sehr hübsche 13 jährige Tochter empfunden. In Holland, in
den Winterquartieren ward Aemilius in seinem Quartier
bey Menoniten, sehr krank. Die ausserordentlich gute /
Pflege, die ihm von der ältesten Tochter des begüterten
Hauses widerfuhr, machten ihn erst sehr dankbar, und
nach und nach, ward diese Dankbarkeit heftige Liebe, welche Gegenliebe erweckte.
Die Aeltern, die ihre Tochter sehr zärtlich liebten, willigten mit der
Bedingung ein, wenn ich die Einwillig[ung] der Meinigen herbeyschafte.
Aem. zweifelte daran nicht, weil es eine reiche Verbindung, auf
die arme Aeltern gerne zu sehen pflegen. Er betrog sich. Sein
Vater hatte andre Plane auf das Versprechen des Herzogs gebauet,
an der seine Ambition Theil hatte. Und bey seiner Zurückkunft
Anfangs 1749, drohete er mit dem Väterlichen Fluche, wenn
er nicht einer Verbindung mit einer Menonitinn entsagte.

Er gehorchte. Der Freund seines Vaters war während seiner Abwesen-
heit gestorben und hatte die Seinigen in traurigen Umständen
hinterlassen. Aemils blutendes Herz fühlte mit ihnen herzliches
Mitleiden. Bey seiner verlornen Hofnung auf Holland reichte
dies Mitleiden zu einer Empfindung, die ein 17jähriger jun-
ger Mensch für Liebe halten kann. Der Kapelldirektor war ein
Freund der Nachgelassenen. Aemils Aeltern sahen diese
Neigung gerne, weil solche den Sohn an sein Vaterland fesseln
würde. Solcher gestallt von Innen und Aussen aufgemuntert
heyrathete er mit 17 Jahren ein schönes Mädchen, die kaum 15 war,
und mit der er, alles gerechnet, ein festes Einkommen von
etwas 70 bis 80 Rtl hatte. Aber reich an Hofnung, durch
Fleiß ein bedeutender Musikus zu werden. Er hatte zugestandner
Weise Talente zur Musik. Er fühlte sich aber, daß es ihm
an HülfsWissenschaften fehlte, um aus der gemeinen Klasse
heraus zu gehen. Mit einer Knabenzuversichtigkeit aufs Glück
oder Gott und sich selbst, ging er im Herbst 1749 nach Helmstädt
um zu studieren, Musik zu üben, und sich durch Unterricht geben /
durchzuhelfen. Hier nahm sich seiner der jezige Superintendent
Stockhausen, in Hanau, der damals Magister lagers war, mit Güte
und freundschaftlichen Rathe an. Wie kümmerlich seine Umstände
waren, indem er ausser sich selbst, von 70 bis 80 Thalern das folgende
Jahr schon eine Frau nebst einem Kinde zu ernähren hätte, läßt
sich schliessen. Indessen that er war er konnte, bey seiner gezwungenen
einsamen Lebensart, seine Kunst und sich selbst immer besser
kennen zu lernen. Stockhausen entdeckte an ihm Fähigkeiten,
die er sich selbst nie zugetrauet hatte, und diese Entdeckung
war ihm Trost. Indessen erlaubten ihm seine Mittel nicht
von Professoren Hülfe zu deren Ausbildung zu erwarten.

Jedoch blieb er in Helmstädt bis 52, um sich der Gelegenheit
Bücher, die ihm Stockhausen vorschlug, zu erhalten, zu bedienen,
welche er in Braunschweig nicht haben konnte. Dieser 3jährige
Aufenthalt, der selten durch eine kleine Reise zu Fuß nach
Braunschweig zu seiner Frau, und zur Revue unterbrochen ward,
machte eine grosse Aendrung in der Denkart Aemils. Er war
sehr wißbegierig; mußte aber zu allem, was er wissen
wollte, durch selbst gesuchte Wege, durch Lesen gelangen,
die dann sehr krumm und mühsam waren. Sein Herz gewann
indessen dabey mehr, als sein Kopf. Soviel erinnert Aemil
sich noch, daß er die Musik nach der Poesie und Beredsamkeit
studirte. Als er 1752 Helmstädt ganz verließ, war es
natürlich, daß er am Umgange mit seinen Kameraden keinen
Geschmack fand, um desto mehr, da die Herrn Gärtner, Zachariae,
Ebert und andre ihres Standes [Zutritt erlaubten].
Seine Kameraden neideten, haßten, verfolgten ihn, und
selbst seine vorgesetzten RegimentsOfficiere spotteten /
über den Buchgrübler. Sein Gönner, der Kapelldirektor,
war gestorben, der Herzog schien sein Versprechen vergessen zu haben,
und Blödigkeit hinderte Aemilius, ihn daran zu erinnern.

Alles das, wozu noch kam, daß seine Frau gar keine Haushälterin
zu seinem geringen Einkommen war, bewegte ihn, zu-
mal auch sein Vater, gegen den er immer eine furchtsame
ehrerbietige Folgsamkeit, auch noch als freyer Mann behielt,
gestorben war, und es nicht hindern konnte, sein Vaterland
zu verlassen und in Zelle, bey einem Regiment, die
Stelle als Premier-Hautbois, mit ungefehr dreymal soviel
Gehalt, als in Braunschweig anzunehmen. Diese merkliche
Verbesserung, die noch nach und nach dreymahl erhöht ward,
und die Nebeneinnahmen, die er durch Unterricht, und Di-
rektion der Concerte erhielt, beruhigten seine Besorgnisse,
und erleichterten ihm die Mittel, sich Bücher anzuschaffen.
Sein Hauptfach war die Composition, in dem er mit Beyfall
arbeitete, und Kirchenmusik, wäre seine Stärke geworden.

Dabey legte er sich jezt auf Sprachen, als Italiänisch, Französisch
und Englisch. Stockhausen, welcher derweilen nach Lüneburg
als Rektor gezogen war, war sein vertrauter Correspondent
und Rathgeber seines Studierens. Wider dessen Rath trieb er
so viel auf einmal; Indessen war es das Schicksal
Aemils, grössere Schwierigkeiten, nicht nur von Aussen,
sondern, auch die er sich Selbst, als eigener blinder Leiter
selbst machte, zu überwinden. Er würde in dieser ausser
der schlechten HaushaltungsKunst, ganz Brodsorgen
freyen Lage, sein Studieren bis zu einem Punkte fortgetrieben
haben, um mit einem Mahle, mit Vortheile aufzutreten,
denn er hatte schon einige Beförderungen ausgeschlagen, die ihm /
dadurch zugekommen waren, daß er einige Reisen
gethan, um grosse Leute zu hören, und auch eine OpernGesell-
schaft, mit Bewilligung seiner Obern, in Lübeck 1754 dirigirt
hatte. Aber das Schicksal wollte es anders.

Anno 1756 war für ihn durch eine schwere Krankheit, durch die
Krankheit seiner beyden Kinder, wovon der älteste erst an
den Blattern, drauf seine Frau, in einem schweren Wochen-
bette nebst dem Neugebornen, und bald darauf das
noch übrige Kind an der Auszehrung starb. In Zeit
von ein Paar Monathen war er also nur allein noch
übrig, und sein empfindliches Herz ward von schwarzer
Melancholey gedrückt. Der Ort war ihm zuwider, wo er
so viel Verlust erlitten hatte. Er fand, bey genauer Untersuchung,
daß er etwa 100 Rt. schuldig bliebe. Er nahm auf etliche
Monate Urlaub, verschloß sich bey einem Freunde im Hause.
Komponirte und schrieb für Liebhaber so viele Noten, bis er das
Geld verdient hatte, wobey er wenig verzehrte, und noch weniger
schlief. Da um diese Zeit der Krieg zwischen England und Frank-
reich losbrach, wobey es wahrscheinlich ward, daß das Regiment,
worunter er stund, gleichfalls würde zu Felde ziehen müssen,
so wollte er dies ihm bekannte Leben nicht noch Einmal
versuchen, und nahm seinen Abschied, zur Verwundrung
seines Chefs, der meinte ein so grosser Gehalt, der wirklich
monatlich an 20 Rt. lief, wäre schwerlich wiederzufinden.

Aemil reisete zu seinem Freunde Stockhausen, Anfangs 175[7]
der in dem 2 Monatlichen Aufenthalte bey ihm, sein
Herz wie seine Aussichten aufzuheitern suchte. Er machte
Aemil den Plan, daß er über Hamburg nach England
gehen sollte, und gab ihm Adress Briefe nach Hamburg /
an einige Kaufleute und Gelehrte mit. Aemil, der durch
den Zustand seiner Börse gar nicht zuversichtlich war, gab
ein Paar von den Briefen ab, an Leute, die, ob sie gleich Musik-
liebhaber waren, doch sonst wohl etwa zu thun hatten, als sich
um einem Musikum zu bekümmern, der in keinem reichen
Kleide, und von keinem grossen Hofe kam. Er behielt die
übrigen Briefe in der Tasche, und nahm die Direction der Musik
beym schönemannischen Theater an. Ein Freund, Namen[s] Olde,
Dr. Med. den Stockhausen über meine Ankunft geschrieben
hatte, suchte den Aemil auf, und machte ihm die gütigsten
Vorwürfe über sein allgemeines Mißtrauen in die Menschheit.

Seine Bekanntschaft, und nachherige warme Freundschaft waren
höchst ersprießlich. Er und der Sindicus Schuback, bewogen
mich, die Direction des Schonemannischen Orquesters zu
verlassen, und in Sprachen zu unterrichten, wozu sie mir
beyde Gelegenheit in ihrer Verwandschaft gaben. Und so sehr
schwer es hielt, Aemil zu überzeugen, daß ich dazu fähig
sey, so sehr glückte es ihm, ihren Empfehlungen keine
Schande zu machen; Indem sich Aemil verpflichtet hielt,
fast jede Nacht vorher auf die Lectionen des folgenden
Tages zu praepariren, lernte er hierduch am meisten,
erwarb sich reichliches Auskommen, eines guten Lehrers und
redlichen Mannes. Madame Olde, eine der besten
und klügsten Frauen, rieth dem Aemil, Eintritt in die
Fr. Mrey. zu erhalten. Er erhielt ihn, und ist seit 1759 immer ein
sehr thätiges Mitglied des Ordens gewesen, den er
gerne zu dem wohlthätigen Endzwecke längst hätte [...] bringen /
helfen, wozu, andre weisere und einsichtsvolle
Männer selbigen, zu seiner höchsten Zufriedenheit gebracht
haben.
Aemils Leben in Hamburg ist reich genug an Begebenheiten,
die aber mehr Einfluß auf sein zeitliches Glück, als auf die
Bildung seines Charakters gehabt haben. Bey der Voraus-
setzung , daß er einst hierüber selbst ausführlicher seyn
wird, und bey der wenigen Zeit, die ich bey meiner
vorstehenden Reise habe, kann ich nur noch kurz folgendes
anführen.

Anno 1765 verheyrathete er sich mit der Tochter
eines Rathsherrn in Hamburg, die ihm ein grosses Ver-
mögen zubrachte, von dem er aber nach ihrem Tode
der 1766 im Jenner, Kinderlos erfolgte, nicht mehr als
circa 10000 Rt. für sich behielt, und das Uebrige
ihren Schwestern wieder auskehrte. Worüber er
von einigen getadelt, von einigen gelobt, von
seinen Schwägern mit Undank belohnt, von
seinem Herzen aber mit beständigen Beyfall bezahlt
wurde.

1768 verheyrathete er sich zum 3 Mahle, nachdem
er eine Buchdruckerey errichtet hatte, mit der Tochter
des Buchhändlers Carl Bohn, die ihm Nichts zubrachte
und die Anno 1777 wieder starb, ohne ihm Kinder zu
hinterlassen. Nachdem Aem. dergestallt drey Gattinnen
und zehn Kinder verloren hatte, nahm er, so trieb und kinderlos, /
das Anerbieten der Frau Gräfinn von
Bernstorf an, welches ihn Logis und Tisch auf einem schönen
Landguthe bestand. wogegen ich ihre Geldgeschäfte und ihre
Haushaltung zu übersehen übernahm, und also die Buch-
druckerey, und den damit verknüpften Buchhandel aufgab.

Anno 1778 ernannte ihn der Herzog von Meynungen
zum Hofrath, und 1782 Sr. Durchl. von Gotha zum Legations
Rath. Als Anno 1779 die Frau Gräfinn von Bernstorff
zu ihrer Niece nach Weimar reisete, begleitete er sie dahin,
und ist seit dort geblieben, woselbst er sich die ersten
Jahre mit Uebersetzen fürs Publikum, seit ein Paar Jahren
bloß mit Ordensarbeiten beschäftigt. Dabey hat er
seit einem Jahre verschiedene Anfälle von Schwindel
gehabt, daher ihm verboten ist, des Nachmittags zu schreiben.

Sein Lieblings Zeitvertreib, ausser dem Lesen, ist Musik und
Blumengärtnerey.
Seinen Charakter ganz zu entwerfen, möchte nur zu
schwer werden. Hier einige Züge davon.
Er hat ein sehr empfindliches Herz, und starke Leidenschaften,
ist mehr zur Melancholey, als zur Fröhlichkeit geneigt; von
Natur dem Jaehzürnen unterworfen, ist aber nach und
nach darüber ziemlich Meister geworden; anhaltend
zu hassen ist ihm unmöglich. Sein Geist ist sehr activ; seine
Imagination kann grosse Ideen fassen, jedoch ob er gleich
mehr Witz hat als Verstand, nur wenig poetisch schön hervorbringen.

Notes