D-Q4497: Difference between revisions

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== Commentary ==
== Commentary ==
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== Transcript ==
== Transcript ==
<poem>
<poem>
Der Bruder Aemilius ist gebohren zu Braunschweig, den 16. Januar 1731. Sein Vater Joh. Georg B. war ein Mann von vielem Genie, das unterdrückt, und von vielen grossen Anlagen, die ganz falsch entwickelt worden; dabey besaß er viele Ambition und eine bis zur Heftigkeit gehende Lebhaftigkeit des Charakters; dieses alles verleitete ihn zu Unternehmungen, welche ihn in grosse Armuth stürzten, als Aemilius kaum 9 Jahre alt war. Seine Mutter, eine geborne Knigge,  hatte ein edles, und sanftes Herz, weibliches Herz. Furchtsam, religieus, und im höchsten Grade mitleidig und duldend. Die Einflüsse der Vermischung von beyden Charakteren seiner Aeltern fühlt Aemilius noch sehr lebhaft.  
Der Bruder Aemilius ist gebohren zu Braunschweig, den 16. Januar  
1731. Sein Vater Joh. Georg B. war ein Mann von vielem  
Genie, das unterdrückt, und von vielen grossen Anlagen, die ganz falsch  
entwickelt worden; dabey besaß er viele Ambition und eine  
bis zur Heftigkeit gehende Lebhaftigkeit des Charakters; dieses  
alles verleitete ihn zu Unternehmungen, welche ihn in grosse  
Armuth stürzten, als Aemilius kaum 9 Jahre alt war. Seine  
Mutter, eine geborne Knigge,  hatte ein edles, und sanftes  
Herz, weibliches Herz. Furchtsam, religieus, und im höchsten Grade  
mitleidig und duldend. Die Einflüsse der Vermischung von beyden  
Charakteren seiner Aeltern fühlt Aemilius noch sehr lebhaft.  


In der frühesten Kindheit  thaten ihn seine Aeltern zu einem lutherischen Prediger zur Erziehung aufs Land, und meinten ihn zu einem künftigen Theologen zu bestimmen. Als Anno 1740 die Umstände seines Vaters völlig ruinirt wurden, ließ ihn sein Lehrer merken, daß er ihn nicht behalten könne. Der Mann hatte wirklich selbst eine zahlreiche Familie und wenig Einkommen. So viel erinnert sich Aemilius noch von ihm, daß er redlich, aber hart und streng war. Das Latein ward dem Aem. nicht liblich gemacht, in der Religion aber, worin er zugleich mit ein Paar Junkern und einem Fräulein, einen höchst orthodoxen Unterricht genoß, that er vor den Uebrigen starke Schritte, und solcher gestalt ward er durch öfteres Lob darüber, schon damals intolerant gegen alles, was sein orthodoxer Lehrer verdammte, besonders waren dies die Juden und Menonisten; und sein meistes Betreben, waren wirkliche, obgleich kindische Spekulationen über die Unterscheidungslehre. / Da ich nur ''einige Züge'' seines Lebens aufzeichnen kann, die seinen Charakter, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, andeuten, und zugleich darauf führen können, wie dieser sich nach und nach gebildet (mit dem Versprechen, so bald ich Zeit habe, eine etwas ausführlichere Biographie voller Vertrauen in das O.sArchiv nieder zu legen, so kann ich, der Kürze der Zeit wegen nur abgebrochen, nach der cronologischen Ordnung schreiben.
In der frühesten Kindheit  thaten ihn seine Aeltern zu einem  
lutherischen Prediger zur Erziehung aufs Land, und meinten ihn  
zu einem künftigen Theologen zu bestimmen. Als Anno 1740 die  
Umstände seines Vaters völlig ruinirt wurden, ließ ihn  
sein Lehrer merken, daß er ihn nicht behalten könne. Der Mann  
hatte wirklich selbst eine zahlreiche Familie und wenig Einkommen.  
So viel erinnert sich Aemilius noch von ihm, daß er redlich, aber  
hart und streng war. Das Latein ward dem Aem. nicht liblich ge-
macht, in der Religion aber, worin er zugleich mit ein Paar Junkern  
und einem Fräulein, einen höchst orthodoxen Unterricht genoß,  
that er vor den Uebrigen starke Schritte, und solcher gestalt ward  
er durch öfteres Lob darüber, schon damals intolerant gegen  
alles, was sein orthodoxer Lehrer verdammte, besonders waren  
dies die Juden und Menonisten; und sein meistes Betreben, waren  
wirkliche, obgleich kindische Spekulationen über die Unterscheidungslehre. /  


Als Aemilius 1740 von seinem alten Pfarre[r] weg mußte, führte ihn sein Weg über Wolfenbüttel, woselbst er eine ziemlich wohlhabende Tante besuchte, die ihn einige Wochen bey sich behalten wollte. Aemil, ohne Bücher und andre Beschäftigung, erkundigte sich in aller Stille nach der lateinischen Schule und ihren Lektionen in den Klassen. Was wußte er andres, als man dürfe nur hingehen um zu lernen? Das that er, bald nach seiner Ankunft in Wolfenb. Er ging hin in die 4 Classe, deren Lexionen er sich gewachsen meinte, und setzte sich unten hin, noch ehe der Lehrer kam. Dieser verbarg seine Verwundrung, während der ordentlichen 2 Stunden, und als die PrivatStunde anging, und Aem. nicht weggehen, sondern auch da lernen wollte, gings an ein Examen über meine Umstände, wohin, woher? u.s.w. Er antwortete wahr. – Die Sache ward dem Vorgesetzten gemeldet, und der Herr Gen Superintend, sah den Knaben aus Neugierde, ward ihm ziemlich gewogen, und wollte ihn in seinen Studiis unterstützen. Es ward für seinen kümmerlichen Unterhalt gesorgt. Einst kam ein Landprediger nach W. Aß bey dem Gen. Superintendent, der ihm vom Aem. erzähte. Der Prediger hatte keine Kinder und dabey eine einträgliche Stelle. Er machte es mit dem Gen. Sup. aus, daß er mich an Kindes statt annehmen wolle. Mein Glück schien gemacht. Mein Prediger war ein / übergetretener Mönch und hatte eine übergetretene Nonne, die vom Braunschweigischen Hofe mit dieser Pfarre dotirt, geheyrathet. Aem. zog im Herbste zu ihm. Er hatte versprochen, Em. zu unterrichten, das amusirte ihn aber nicht. Bey den Examen der Kinder, die er zur Confirmation, nach Amtspflicht, bereitete, war Aem. zugegen, und bald der Unterlehrer. Im Jahr 1741 Ostern, also im 11 Jahre, nahm er ihn zum Abendmahl an; und bis dahin hatte Aem. ihn für einen recht guten Christen, der Lehre nach, gehalten. Den Sommer darauf  ward Em. in diesem Glauben irre, als der bekannte Heterodoxe Edelmann, seine Wohnung bey dem Pfr. aufschlug, und man so unvorsichtig war, nicht nur ihn ihre Gespräche mit anhören zu lassen: sondern sogar über die Religiosität dieses Knabens zu spotten. Dieses, und der Umstand, daß der Pfarrer mit der Absicht hervorging (der Gen. Superintendent, war gestorben) als kleinen Lacqaien zu brauchen, und zu kleiden. Dies machte, daß Aem. nach Rücksprache mit seinem Vater, lieber jedes Handwerk, die ihm alle gleich waren, zu lernen, und den Pfarrer verlies. Aemilius versuchte es bey einem Kunstdrechsler, konnte es aber, weil er bis in sein 14tes Jahr sehr klein und schwach war, nicht aushalten. Ein Freund des Vaters [...] rieth ihm, die Musik zu lernen. Der Rath ward angenommen, obgleich Aem. noch keine Note kannte, und sich weder Neigung noch Talente zur Musik fühlte, sondern bloß wünschte, seinen Aeltern aus der Unterhaltung zu kommen. Seine Lehrjahre, bey einem ordentlichen Kunstpfeifer fingen Himmelfarth 1742 an. Er war so fleissig in der Musik, als es bey de[n] Hausarbeiten, dazu man ihn brauchte seyn konnte, und er reussirte so gut, als es seine Meister erlaubten. Sein Herz, das leicht beweglich und sehr empfindlich war, haftete, bey der Folge von traurigen Widerwärtigkeiten, voll Hoffnung, an die Religion, / und ward er durch diesen Hang des Herzens zur Parthey eines Predigers in Braunschweig geführt, der Privatversammlungen, und, wie man sagte, pietistisch, für mich aber rührend predigte. Dieser Prediger ward zwar als ein gottloser Heuchler entdeckt. Aem. aber hatte durch ihn den Vortheil, daß er allerley gute Bücher zum Lesen, und mit besseren Leuten, als seinen Kameraden eine Art Umgang bekam. Sein Hang zum Nachdenken gewann gleichfalls dabey; und der kindisch fromme Trieb, etwas zur PrivatErbauung beyzutragen, vielleicht auch Ambition, sich hervorzuthun, bewog ihn, Lieder mit Melodien zu machen. Zur Poesie hatte er gar keine Anleitung, zur Composition treib er Bücher auf, die er nebst einigen Partituren, die er habhaft werden konnte, studirte. Er ward bald der beste unter seinen Mitgenossen, und das minderte seine Trübsal um Nichts. Die gütige Aufmunterung des Kapelldirektors v. B. erhielt seine Geduld und seinen Fleiß, da zumal der damals regirende Herzog ihm versprach, ihn einst auf seine Kosten reisen zu lassen.
Da ich nur ''einige Züge'' seines Lebens aufzeichnen kann, die seinen
Charakter, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, andeuten, und zugleich
darauf führen können, wie dieser sich nach und nach gebildet (mit
dem Versprechen, so bald ich Zeit habe, eine etwas ausführlichere
Biographie voller Vertrauen in das O.sArchiv nieder zu  
legen, so kann ich, der Kürze der Zeit wegen nur abgebrochen,  
nach der cronologischen Ordnung schreiben.


Anno 1747 schickte Braunschweig Truppen zur alli[ie]rten Armee nach Holland. Es fehlte dabey an Hoboisten. Aemilius ließ sich bewegen, als solcher Dienste zu nehmen, und ging mit, voll täuschender Freude, über seine Erlösung aus seinen sklavischen Lehrjahren, bey einem harten geizigen [Cho]prinz und neidischen boßhaften Gesellen. Er hatte Umgang gehabt bey dem obgedachten Freunde seines Vaters, der auch Musik liebte, und hatte eine aufkeimende Neigung gegen dessen sehr hübsche 13 jährige Tochter empfunden. In Holland, in den Winterquartieren ward Aemilius in seinem Quartier bey Menoniten, sehr krank. Die ausserordentlich gute / Pflege, die ihm von der ältesten Tochter des begüterten Hauses widerfuhr, machten ihn erst sehr dankbar, und nach und nach, ward diese Dankbarkeit heftige Liebe, welche Gegenliebe erweckte. Die Aeltern, die ihre Tochter sehr zärtlich liebten, willigten mit der Bedingung ein, wenn ich die Einwillig[ung] der Meinigen herbeyschafte. Aem. zweifelte daran nicht, weil es eine reiche Verbindung, auf die arme Aeltern gerne zu sehen pflegen. Er betrog sich. Sein Vater hatte andre Plane auf das Versprechen des Herzogs gebauet, an der seine Ambition Theil hatte. Und bey seiner Zurückkunft Anfangs 1749, drohete er mit dem Väterlichen Fluche, wenn er nicht einer Verbindung mit einer Menonitinn entsagte. Er<ref>Er } Ich</ref> gehorchte. Der Freund seines Vaters war während seiner Abwesenheit gestorben und hatte die Seinigen in traurigen Umständen hinterlassen. Aemils blutendes Herz fühlte mit ihnen herzliches Mitleiden. Bey seiner verlornen Hofnung auf Holland reichte dies Mitleiden zu einer Empfindung, die ein 17jähriger junger Mensch für Liebe halten kann. Der Kapelldirektor war ein Freund der Nachgelassenen. Aemils Aeltern sahen diese Neigung gerne, weil solche den Sohn an sein Vaterland fesseln würde. Solcher gestallt von Innen und Aussen aufgemuntert heyrathete er mit 17 Jahren ein schönes Mädchen, die kaum 15 war, und mit der er, alles gerechnet, ein festes Einkommen von etwas 70 bis 80 Rtl hatte. Aber reich an Hofnung, durch Fleiß ein bedeutender Musikus zu werden. Er hatte zugestandner Weise Talente zur Musik. Er fühlte sich aber, daß es ihm an HülfsWissenschaften fehlte, um aus der gemeinen Klasse heraus zu gehen. Mit einer Knabenzuversichtigkeit aufs Glück oder Gott und sich selbst, ging er im Herbst 1749 nach Helmstädt um zu studieren, Musik zu üben, und sich durch Unterricht geben / durchzuhelfen. Hier nahm sich seiner der jezige Superintendent Stockhausen, in Hanau, der damals Magister lagers war, mit Güte und freundschaftlichen Rathe an. Wie kümmerlich seine Umstände waren, indem er ausser sich selbst, von 70 bis 80 Thalern das folgende Jahr schon eine Frau nebst einem Kinde zu ernähren hätte, läßt sich schliessen. Indessen that er war er konnte, bey seiner gezwungenen einsamen Lebensart, seine Kunst und sich selbst immer besser kennen zu lernen. Stockhausen entdeckte an ihm Fähigkeiten, die er sich selbst nie zugetrauet hatte, und diese Entdeckung war ihm Trost. Indessen erlaubten ihm seine Mittel nicht von Professoren Hülfe zu deren Ausbildung zu erwarten. Jedoch blieb er in Helmstädt bis 52, um sich der Gelegenheit Bücher, die ihm Stockhausen vorschlug, zu erhalten, zu bedienen, welche er in Braunschweig nicht haben konnte. Dieser 3jährige Aufenthalt, der selten durch eine kleine Reise zu Fuß nach Braunschweig zu seiner Frau, und zur Revue unterbrochen ward, machte eine grosse Aendrung in der Denkart Aemils. Er war sehr wißbegierig; mußte aber zu allem, was er wissen wollte, durch selbst gesuchte Wege, durch Lesen gelangen, die dann sehr krumm und mühsam waren. Sein Herz gewann indessen dabey mehr, als sein Kopf. Soviel erinnert Aemil sich noch, daß er die Musik nach der Poesie und Beredsamkeit studirte. Als er 1752 Helmstädt ganz verließ, war es natürlich, daß er am Umgange mit seinen Kameraden keinen Geschmack fand, um desto mehr, da die Herrn Gärtner, Zachariae, Ebert und andre ihres Standes [Zutritt erlaubten]. Seine Kameraden neideten, haßten, verfolgten ihn, und selbst seine vorgesetzten RegimentsOfficiere spotteten / über den Buchgrübler. Sein Gönner, der Kapelldirektor, war gestorben, der Herzog schien sein Versprechen vergessen zu haben, und Blödigkeit hinderte Aemilius, ihn daran zu erinnern. Alles das, wozu noch kam, daß seine Frau gar keine Haushälterin zu seinem geringen Einkommen war, bewegte ihn, zumal auch sein Vater, gegen den er immer eine furchtsame ehrerbietige Folgsamkeit, auch noch als freyer Mann behielt, gestorben war, und es nicht hindern konnte, sein Vaterland zu verlassen und in Zelle, bey einem Regiment, die Stelle als Premier-Hautbois, mit ungefehr dreymal soviel Gehalt, als in Braunschweig anzunehmen. Diese merkliche Verbesserung, die noch nach und nach dreymahl erhöht ward, und die Nebeneinnahmen, die er durch Unterricht, und Direktion der Concerte erhielt, beruhigten seine Besorgnisse, und erleichterten ihm die Mittel, sich Bücher anzuschaffen. Sein Hauptfach war die Composition, in dem er mit Beyfall arbeitete, und Kirchenmusik, wäre seine Stärke geworden. Dabey legte er sich jezt auf Sprachen, als Italiänisch, Französisch und Englisch. Stockhausen, welcher derweilen nach Lüneburg als Rektor gezogen war, war sein vertrauter Correspondent und Rathgeber seines Studierens. Wider dessen Rath trieb er so viel auf einmal; Indessen war es das Schicksal Aemils, grössere Schwierigkeiten, nicht nur von Aussen, sondern, auch die er sich Selbst, als eigener blinder Leiter selbst machte, zu überwinden. Er würde in dieser ausser der schlechten HaushaltungsKunst, ganz Brodsorgen freyen Lage, sein Studieren bis zu einem Punkte fortgetrieben haben, um mit einem Mahle, mit Vortheile aufzutreten, denn er hatte schon einige Beförderungen ausgeschlagen, die ihm / dadurch zugekommen waren, daß er einige Reisen gethan, um grosse Leute zu hören, und auch eine OpernGesellschaft, mit Bewilligung seiner Obern, in Lübeck 1754 dirigirt hatte. Aber das Schicksal wollte es anders.
Als Aemilius 1740 von seinem alten Pfarre[r] weg mußte, führte
ihn sein Weg über Wolfenbüttel, woselbst er eine ziemlich wohlhabende
Tante besuchte, die ihn einige Wochen bey sich behalten wollte. Aemil,  
ohne Bücher und andre Beschäftigung, erkundigte sich in aller Stille nach  
der lateinischen Schule und ihren Lektionen in den Klassen. Was
wußte er andres, als man dürfe nur hingehen um zu lernen?


Anno 1756 war für ihn durch eine schwere Krankheit, durch die Krankheit seiner beyden Kinder, wovon der älteste erst an den Blattern, drauf seine Frau, in einem schweren Wochenbette nebst dem Neugebornen, und bald darauf das noch übrige Kind an der Auszehrung starb. In Zeit von ein Paar Monathen war er also nur allein noch übrig, und sein empfindliches Herz ward von schwarzer Melancholey gedrückt. Der Ort war ihm zuwider, wo er so viel Verlust erlitten hatte. Er fand, bey genauer Untersuchung, daß er etwa 100 Rt. schuldig bliebe. Er nahm auf etliche Monate Urlaub, verschloß sich bey einem Freunde im Hause. Komponirte und schrieb für Liebhaber so viele Noten, bis er das Geld verdient hatte, wobey er wenig verzehrte, und noch weniger schlief. Da um diese Zeit der Krieg zwischen England und Frankreich losbrach, wobey es wahrscheinlich ward, daß das Regiment, worunter er stund, gleichfalls würde zu Felde ziehen müssen, so wollte er dies ihm bekannte Leben nicht noch Einmal versuchen, und nahm seinen Abschied, zur Verwundrung seines Chefs, der meinte ein so grosser Gehalt, der wirklich monatlich an 20 Rt. lief, wäre schwerlich wiederzufinden. Aemil reisete zu seinem Freunde Stockhausen, Anfangs 175[7] der in dem 2 Monatlichen Aufenthalte bey ihm, sein Herz wie seine Aussichten aufzuheitern suchte. Er machte Aemil den Plan, daß er über Hamburg nach England gehen sollte, und gab ihm Adress Briefe nach Hamburg / an einige Kaufleute und Gelehrte mit. Aemil, der durch den Zustand seiner Börse gar nicht zuversichtlich war, gab ein Paar von den Briefen ab, an Leute, die, ob sie gleich Musikliebhaber waren, doch sonst wohl etwa zu thun hatten, als sich um einem Musikum zu bekümmern, der in keinem reichen Kleide, und von keinem grossen Hofe kam. Er behielt die übrigen Briefe in der Tasche, und nahm die Direction der Musik beym schönemannischen Theater an. Ein Freund, Namen[s] Olde, Dr. Med. den Stockhausen über meine Ankunft geschrieben hatte, suchte den Aemil auf, und machte ihm die gütigsten Vorwürfe über sein allgemeines Mißtrauen in die Menschheit. Seine Bekanntschaft, und nachherige warme Freundschaft waren höchst ersprießlich. Er und der Sindicus Schuback, bewogen mich, die Direction des Schonemannischen Orquesters zu verlassen, und in Sprachen zu unterrichten, wozu sie mir beyde Gelegenheit in ihrer Verwandschaft gaben. Und so sehr schwer es hielt, Aemil zu überzeugen, daß ich dazu fähig sey, so sehr glückte es ihm, ihren Empfehlungen keine Schande zu machen; Indem sich Aemil verpflichtet hielt, fast jede Nacht vorher auf die Lectionen des folgenden Tages zu praepariren, lernte er hierduch am meisten, erwarb sich reichliches Auskommen, eines guten Lehrers und redlichen Mannes. Madame Olde, eine der besten und klügsten Frauen, rieth dem Aemil, Eintritt in die Fr. Mrey. zu erhalten. Er erhielt ihn, und ist seit 1759 immer ein sehr thätiges Mitglied des Ordens gewesen, den er gerne zu dem wohlthätigen Endzwecke längst hätte [...] bringen / helfen, wozu, andre weisere und einsichtsvolle Männer selbigen, zu seiner höchsten Zufriedenheit gebracht haben.
Das that er, bald nach seiner Ankunft in Wolfen. Er ging hin in
die 4 Classe, deren Lexionen er sich gewachsen meinte, und setzte
sich unten hin, noch ehe der Lehrer kam. Dieser verbarg seine  
Verwundrung, während der ordentlichen 2 Stunden, und als die
PrivatStunde anging, und Aem. nicht weggehen, sondern auch da
lernen wollte, gings an ein Examen über meine Umstände, wohin,  
woher? u.s.w. Er antwortete wahr. – Die Sache ward dem Vorge-
setzten gemeldet, und der Herr Gen Superintend, sah den Knaben
aus Neugierde, ward ihm ziemlich gewogen, und wollte ihn in
seinen Studiis unterstützen. Es ward für seinen kümmerlichen
Unterhalt gesorgt. Einst kam ein Landprediger nach W. Aß bey
dem Gen. Superintendent, der ihm vom Aem. erzähte. Der Prediger
hatte keine Kinder und dabey eine einträgliche Stelle. Er machte es
mit dem Gen. Sup. aus, daß er mich an Kindes statt annehmen
wolle. Mein Glück schien gemacht. Mein Prediger war ein /
übergetretener Mönch und hatte eine übergetretene Nonne, die  
vom Braunschweigischen Hofe mit dieser Pfarre dotirt, geheyrathet. Aem. zog
im Herbste zu ihm. Er hatte versprochen, Em. zu unterrichten,  
das amusirte ihn aber nicht. Bey den Examen der Kinder, die er zur
Confirmation, nach Amtspflicht, bereitete, war Aem. zugegen, und  
bald der Unterlehrer. Im Jahr 1741 Ostern, also im 11 Jahre, nahm
er ihn zum Abendmahl an; und bis dahin hatte Aem. ihn für einen
recht guten Christen, der Lehre nach, gehalten. Den Sommer darauf 
ward Em. in diesem Glauben irre, als der bekannte Heterodoxe Edel-
mann, seine Wohnung bey dem Pfr. aufschlug, und man so unvorsichtig
war, nicht nur ihn ihre Gespräche mit anhören zu lassen: sondern
sogar über die Religiosität dieses Knabens zu spotten.  


Aemils Leben in Hamburg ist reich genug an Begebenheiten, die aber mehr Einfluß auf sein zeitliches Glück, als auf die ''Bildung'' seines Charakters gehabt haben. Bey der Voraussetzung , daß er einst hierüber selbst ausführlicher seyn wird, und bey der wenigen Zeit, die ich bey meiner vorstehenden Reise habe, kann ich nur noch ''kurz'' folgendes anführen.
Dieses, und der Umstand, daß der Pfarrer mit der Absicht hervor-
ging (der Gen. Superintendent, war gestorben) als kleinen Lacqaien
zu brauchen, und zu kleiden. Dies machte, daß Aem. nach
Rücksprache mit seinem Vater, lieber jedes Handwerk, die ihm alle
gleich waren, zu lernen, und den Pfarrer verlies. Aemilius ver-
suchte es bey einem Kunstdrechsler, konnte es aber, weil er bis in
sein 14tes Jahr sehr klein und schwach war, nicht aushalten. Ein
Freund des Vaters [...] rieth ihm, die Musik zu lernen. Der
Rath ward angenommen, obgleich Aem. noch keine Note kannte, und
sich weder Neigung noch Talente zur Musik fühlte, sondern bloß
wünschte, seinen Aeltern aus der Unterhaltung zu kommen. Seine
Lehrjahre, bey einem ordentlichen Kunstpfeifer fingen Himmelfarth
1742 an. Er war so fleissig in der Musik, als es bey de[n] Haus-
arbeiten, dazu man ihn brauchte seyn konnte, und er reussirte
so gut, als es seine Meister erlaubten. Sein Herz, das leicht be-
weglich und sehr empfindlich war, haftete, bey der Folge von
traurigen Widerwärtigkeiten, voll Hoffnung, an die Religion, /
und ward er durch diesen Hang des Herzens zur Parthey eines Predigers
in Braunschweig geführt, der Privatversammlungen, und, wie man
sagte, pietistisch, für mich aber rührend predigte. Dieser Prediger ward
zwar als ein gottloser Heuchler entdeckt. Aem. aber hatte durch ihn
den Vortheil, daß er allerley gute Bücher zum Lesen, und  
mit besseren Leuten, als seinen Kameraden eine Art Umgang
bekam. Sein Hang zum Nachdenken gewann gleichfalls dabey;
und der kindisch fromme Trieb, etwas zur PrivatErbauung
beyzutragen, vielleicht auch Ambition, sich hervorzuthun, bewog
ihn, Lieder mit Melodien zu machen. Zur Poesie hatte er
gar keine Anleitung, zur Composition treib er Bücher auf, die
er nebst einigen Partituren, die er habhaft werden konnte, studirte.
Er ward bald der beste unter seinen Mitgenossen, und das
minderte seine Trübsal um Nichts. Die gütige Aufmunte-
rung des Kapelldirektors v. B. erhielt seine Geduld und seinen
Fleiß, da zumal der damals regirende Herzog ihm versprach,  
ihn einst auf seine Kosten reisen zu lassen.


Anno 1765 verheyrathete er sich mit der Tochter eines Rathsherrn in Hamburg, die ihm ein ''grosses'' Vermögen zubrachte, von dem er aber nach ihrem Tode der 1766 im Jenner, Kinderlos erfolgte, nicht mehr als circa 10000 Rt. für sich behielt, und das Uebrige ihren Schwestern wieder auskehrte. Worüber er von einigen getadelt, von einigen gelobt, von seinen Schwägern mit Undank belohnt, von seinem Herzen aber mit beständigen Beyfall bezahlt wurde.
Anno 1747 schickte Braunschweig Truppen zur alli[ie]rten Armee
nach Holland. Es fehlte dabey an Hoboisten. Aemilius ließ sich  
bewegen, als solcher Dienste zu nehmen, und ging mit, voll
täuschender Freude, über seine Erlösung aus seinen sklavi-
schen Lehrjahren, bey einem harten geizigen [Cho]prinz und
neidischen boßhaften Gesellen. Er hatte Umgang gehabt
bey dem obgedachten Freunde seines Vaters, der auch Musik
liebte, und hatte eine aufkeimende Neigung gegen dessen
sehr hübsche 13 jährige Tochter empfunden. In Holland, in  
den Winterquartieren ward Aemilius in seinem Quartier
bey Menoniten, sehr krank. Die ausserordentlich gute /
Pflege, die ihm von der ältesten Tochter des begüterten
Hauses widerfuhr, machten ihn erst sehr dankbar, und
nach und nach, ward diese Dankbarkeit heftige Liebe, welche Gegenliebe erweckte.
Die Aeltern, die ihre Tochter sehr zärtlich liebten, willigten mit der
Bedingung ein, wenn ich die Einwillig[ung] der Meinigen herbeyschafte.
Aem. zweifelte daran nicht, weil es eine reiche Verbindung, auf
die arme Aeltern gerne zu sehen pflegen. Er betrog sich. Sein
Vater hatte andre Plane auf das Versprechen des Herzogs gebauet,  
an der seine Ambition Theil hatte. Und bey seiner Zurückkunft
Anfangs 1749, drohete er mit dem Väterlichen Fluche, wenn
er nicht einer Verbindung mit einer Menonitinn entsagte.  


1768 verheyrathete er sich zum 3 Mahle, nachdem er eine Buchdruckerey errichtet hatte, mit der Tochter des Buchhändlers Carl Bohn, die ihm ''Nichts'' zubrachte und die Anno 1777 wieder starb, ohne ihm Kinder zu hinterlassen. Nachdem Aem. dergestallt drey Gattinnen und zehn Kinder verloren hatte, nahm er, so trieb und kinderlos, / das Anerbieten der Frau Gräfinn von Bernstorf an, welches ihn Logis und Tisch auf einem schönen Landguthe bestand. wogegen ich ihre Geldgeschäfte und ihre Haushaltung zu übersehen übernahm, und also die Buchdruckerey, und den damit verknüpften Buchhandel aufgab. Anno 1778 ernannte ihn der Herzog von Meynungen zum Hofrath, und 1782 Sr. Durchl. von Gotha zum Legationsrath. Als Anno 1779 die Frau Gräfinn von Bernstorff zu ihrer Niece nach Weimar reisete, begleitete er sie dahin, und ist seit dort geblieben, woselbst er sich die ersten Jahre mit Uebersetzen fürs Publikum, seit ein Paar Jahren bloß mit Ordensarbeiten beschäftigt. Dabey hat er seit einem Jahre verschiedene Anfälle von Schwindel gehabt, daher ihm verboten ist, des Nachmittags zu schreiben. Sein Lieblings Zeitvertreib, ausser dem Lesen, ist Musik und Blumengärtnerey.
Er gehorchte. Der Freund seines Vaters war während seiner Abwesen-
heit gestorben und hatte die Seinigen in traurigen Umständen
hinterlassen. Aemils blutendes Herz fühlte mit ihnen herzliches
Mitleiden. Bey seiner verlornen Hofnung auf Holland reichte
dies Mitleiden zu einer Empfindung, die ein 17jähriger jun-
ger Mensch für Liebe halten kann. Der Kapelldirektor war ein
Freund der Nachgelassenen. Aemils Aeltern sahen diese
Neigung gerne, weil solche den Sohn an sein Vaterland fesseln
würde. Solcher gestallt von Innen und Aussen aufgemuntert
heyrathete er mit 17 Jahren ein schönes Mädchen, die kaum 15 war,  
und mit der er, alles gerechnet, ein festes Einkommen von  
etwas 70 bis 80 Rtl hatte. Aber reich an Hofnung, durch
Fleiß ein bedeutender Musikus zu werden. Er hatte zugestandner
Weise Talente zur Musik. Er fühlte sich aber, daß es ihm
an HülfsWissenschaften fehlte, um aus der gemeinen Klasse
heraus zu gehen. Mit einer Knabenzuversichtigkeit aufs Glück
oder Gott und sich selbst, ging er im Herbst 1749 nach Helmstädt
um zu studieren, Musik zu üben, und sich durch Unterricht geben /
durchzuhelfen. Hier nahm sich seiner der jezige Superintendent
Stockhausen, in Hanau, der damals Magister lagers war, mit Güte
und freundschaftlichen Rathe an. Wie kümmerlich seine Umstände
waren, indem er ausser sich selbst, von 70 bis 80 Thalern das folgende
Jahr schon eine Frau nebst einem Kinde zu ernähren hätte, läßt
sich schliessen. Indessen that er war er konnte, bey seiner gezwungenen
einsamen Lebensart, seine Kunst und sich selbst immer besser
kennen zu lernen. Stockhausen entdeckte an ihm Fähigkeiten,  
die er sich selbst nie zugetrauet hatte, und diese Entdeckung
war ihm Trost. Indessen erlaubten ihm seine Mittel nicht
von Professoren Hülfe zu deren Ausbildung zu erwarten.  


Seinen Charakter ganz zu entwerfen, möchte nur zu schwer werden. Hier einige Züge davon.
Jedoch blieb er in Helmstädt bis 52, um sich der Gelegenheit
Bücher, die ihm Stockhausen vorschlug, zu erhalten, zu bedienen,
welche er in Braunschweig nicht haben konnte. Dieser 3jährige
Aufenthalt, der selten durch eine kleine Reise zu Fuß nach
Braunschweig zu seiner Frau, und zur Revue unterbrochen ward,
machte eine grosse Aendrung in der Denkart Aemils. Er war
sehr wißbegierig; mußte aber zu allem, was er wissen
wollte, durch selbst gesuchte Wege, durch Lesen gelangen,
die dann sehr krumm und mühsam waren. Sein Herz gewann
indessen dabey mehr, als sein Kopf. Soviel erinnert Aemil
sich noch, daß er die Musik nach der Poesie und Beredsamkeit
studirte. Als er 1752 Helmstädt ganz verließ, war es
natürlich, daß er am Umgange mit seinen Kameraden keinen
Geschmack fand, um desto mehr, da die Herrn Gärtner, Zachariae,
Ebert und andre ihres Standes [Zutritt erlaubten].
Seine Kameraden neideten, haßten, verfolgten ihn, und
selbst seine vorgesetzten RegimentsOfficiere spotteten /
über den Buchgrübler. Sein Gönner, der Kapelldirektor,
war gestorben, der Herzog schien sein Versprechen vergessen zu haben,  
und Blödigkeit hinderte Aemilius, ihn daran zu erinnern.  


Er hat ein sehr empfindliches Herz, und starke Leidenschaften, ist mehr zur Melancholey, als zur Fröhlichkeit geneigt; von Natur dem Jaehzürnen unterworfen, ist aber nach und nach darüber ziemlich Meister geworden; anhaltend zu hassen ist ihm unmöglich. Sein Geist ist sehr activ; seine Imagination kann grosse Ideen fassen, ''jedoch'' ob er gleich mehr Witz hat als Verstand, nur wenig poetisch schön hervorbringen.
Alles das, wozu noch kam, daß seine Frau gar keine Haushälterin
zu seinem geringen Einkommen war, bewegte ihn, zu-
mal auch sein Vater, gegen den er immer eine furchtsame
ehrerbietige Folgsamkeit, auch noch als freyer Mann behielt,
gestorben war, und es nicht hindern konnte, sein Vaterland
zu verlassen und in Zelle, bey einem Regiment, die
Stelle als Premier-Hautbois, mit ungefehr dreymal soviel
Gehalt, als in Braunschweig anzunehmen. Diese merkliche
Verbesserung, die noch nach und nach dreymahl erhöht ward,
und die Nebeneinnahmen, die er durch Unterricht, und Di-
rektion der Concerte erhielt, beruhigten seine Besorgnisse,
und erleichterten ihm die Mittel, sich Bücher anzuschaffen.
Sein Hauptfach war die Composition, in dem er mit Beyfall
arbeitete, und Kirchenmusik, wäre seine Stärke geworden.
 
Dabey legte er sich jezt auf Sprachen, als Italiänisch, Französisch
und Englisch. Stockhausen, welcher derweilen nach Lüneburg
als Rektor gezogen war, war sein vertrauter Correspondent
und Rathgeber seines Studierens. Wider dessen Rath trieb er
so viel auf einmal; Indessen war es das Schicksal
Aemils, grössere Schwierigkeiten, nicht nur von Aussen,
sondern, auch die er sich Selbst, als eigener blinder Leiter
selbst machte, zu überwinden. Er würde in dieser ausser
der schlechten HaushaltungsKunst, ganz Brodsorgen
freyen Lage, sein Studieren bis zu einem Punkte fortgetrieben
haben, um mit einem Mahle, mit Vortheile aufzutreten,
denn er hatte schon einige Beförderungen ausgeschlagen, die ihm /
dadurch zugekommen waren, daß er einige Reisen
gethan, um grosse Leute zu hören, und auch eine OpernGesell-
schaft, mit Bewilligung seiner Obern, in Lübeck 1754 dirigirt
hatte. Aber das Schicksal wollte es anders.
 
Anno 1756 war für ihn durch eine schwere Krankheit, durch die
Krankheit seiner beyden Kinder, wovon der älteste erst an
den Blattern, drauf seine Frau, in einem schweren Wochen-
bette nebst dem Neugebornen, und bald darauf das
noch übrige Kind an der Auszehrung starb. In Zeit
von ein Paar Monathen war er also nur allein noch
übrig, und sein empfindliches Herz ward von schwarzer
Melancholey gedrückt. Der Ort war ihm zuwider, wo er
so viel Verlust erlitten hatte. Er fand, bey genauer Untersuchung,
daß er etwa 100 Rt. schuldig bliebe. Er nahm auf etliche
Monate Urlaub, verschloß sich bey einem Freunde im Hause.
Komponirte und schrieb für Liebhaber so viele Noten, bis er das
Geld verdient hatte, wobey er wenig verzehrte, und noch weniger
schlief. Da um diese Zeit der Krieg zwischen England und Frank-
reich losbrach, wobey es wahrscheinlich ward, daß das Regiment,
worunter er stund, gleichfalls würde zu Felde ziehen müssen,
so wollte er dies ihm bekannte Leben nicht noch Einmal
versuchen, und nahm seinen Abschied, zur Verwundrung
seines Chefs, der meinte ein so grosser Gehalt, der wirklich
monatlich an 20 Rt. lief, wäre schwerlich wiederzufinden.
 
Aemil reisete zu seinem Freunde Stockhausen, Anfangs 175[7]
der in dem 2 Monatlichen Aufenthalte bey ihm, sein
Herz wie seine Aussichten aufzuheitern suchte. Er machte
Aemil den Plan, daß er über Hamburg nach England
gehen sollte, und gab ihm Adress Briefe nach Hamburg /
an einige Kaufleute und Gelehrte mit. Aemil, der durch
den Zustand seiner Börse gar nicht zuversichtlich war, gab
ein Paar von den Briefen ab, an Leute, die, ob sie gleich Musik-
liebhaber waren, doch sonst wohl etwa zu thun hatten, als sich
um einem Musikum zu bekümmern, der in keinem reichen
Kleide, und von keinem grossen Hofe kam. Er behielt die
übrigen Briefe in der Tasche, und nahm die Direction der Musik
beym schönemannischen Theater an. Ein Freund, Namen[s] Olde,
Dr. Med. den Stockhausen über meine Ankunft geschrieben
hatte, suchte den Aemil auf, und machte ihm die gütigsten
Vorwürfe über sein allgemeines Mißtrauen in die Menschheit.
 
Seine Bekanntschaft, und nachherige warme Freundschaft waren
höchst ersprießlich. Er und der Sindicus Schuback, bewogen
mich, die Direction des Schonemannischen Orquesters zu
verlassen, und in Sprachen zu unterrichten, wozu sie mir
beyde Gelegenheit in ihrer Verwandschaft gaben. Und so sehr
schwer es hielt, Aemil zu überzeugen, daß ich dazu fähig
sey, so sehr glückte es ihm, ihren Empfehlungen keine
Schande zu machen; Indem sich Aemil verpflichtet hielt,
fast jede Nacht vorher auf die Lectionen des folgenden
Tages zu praepariren, lernte er hierduch am meisten,
erwarb sich reichliches Auskommen, eines guten Lehrers und
redlichen Mannes. Madame Olde, eine der besten
und klügsten Frauen, rieth dem Aemil, Eintritt in die
Fr. Mrey. zu erhalten. Er erhielt ihn, und ist seit 1759 immer ein
sehr thätiges Mitglied des Ordens gewesen, den er
gerne zu dem wohlthätigen Endzwecke längst hätte [...] bringen /
helfen, wozu, andre weisere und einsichtsvolle
Männer selbigen, zu seiner höchsten Zufriedenheit gebracht
haben.
Aemils Leben in Hamburg ist reich genug an Begebenheiten,
die aber mehr Einfluß auf sein zeitliches Glück, als auf die
''Bildung'' seines Charakters gehabt haben. Bey der Voraus-
setzung , daß er einst hierüber selbst ausführlicher seyn
wird, und bey der wenigen Zeit, die ich bey meiner
vorstehenden Reise habe, kann ich nur noch ''kurz'' folgendes
anführen.
 
Anno 1765 verheyrathete er sich mit der Tochter
eines Rathsherrn in Hamburg, die ihm ein ''grosses'' Ver-
mögen zubrachte, von dem er aber nach ihrem Tode
der 1766 im Jenner, Kinderlos erfolgte, nicht mehr als
circa 10000 Rt. für sich behielt, und das Uebrige
ihren Schwestern wieder auskehrte. Worüber er
von einigen getadelt, von einigen gelobt, von
seinen Schwägern mit Undank belohnt, von
seinem Herzen aber mit beständigen Beyfall bezahlt
wurde.
 
1768 verheyrathete er sich zum 3 Mahle, nachdem
er eine Buchdruckerey errichtet hatte, mit der Tochter
des Buchhändlers Carl Bohn, die ihm ''Nichts'' zubrachte
und die Anno 1777 wieder starb, ohne ihm Kinder zu
hinterlassen. Nachdem Aem. dergestallt drey Gattinnen
und zehn Kinder verloren hatte, nahm er, so trieb und kinderlos, /
das Anerbieten der Frau Gräfinn von
Bernstorf an, welches ihn Logis und Tisch auf einem schönen
Landguthe bestand. wogegen ich ihre Geldgeschäfte und ihre
Haushaltung zu übersehen übernahm, und also die Buch-
druckerey, und den damit verknüpften Buchhandel aufgab.
 
Anno 1778 ernannte ihn der Herzog von Meynungen
zum Hofrath, und 1782 Sr. Durchl. von Gotha zum Legations
Rath. Als Anno 1779 die Frau Gräfinn von Bernstorff
zu ihrer Niece nach Weimar reisete, begleitete er sie dahin,
und ist seit dort geblieben, woselbst er sich die ersten
Jahre mit Uebersetzen fürs Publikum, seit ein Paar Jahren
bloß mit Ordensarbeiten beschäftigt. Dabey hat er
seit einem Jahre verschiedene Anfälle von Schwindel
gehabt, daher ihm verboten ist, des Nachmittags zu schreiben.
 
Sein Lieblings Zeitvertreib, ausser dem Lesen, ist Musik und
Blumengärtnerey.
Seinen Charakter ganz zu entwerfen, möchte nur zu
schwer werden. Hier einige Züge davon.
Er hat ein sehr empfindliches Herz, und starke Leidenschaften,  
ist mehr zur Melancholey, als zur Fröhlichkeit geneigt; von  
Natur dem Jaehzürnen unterworfen, ist aber nach und  
nach darüber ziemlich Meister geworden; anhaltend  
zu hassen ist ihm unmöglich. Sein Geist ist sehr activ; seine  
Imagination kann grosse Ideen fassen, ''jedoch'' ob er gleich  
mehr Witz hat als Verstand, nur wenig poetisch schön hervorbringen.


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Latest revision as of 18:23, 25 January 2022

Commentary

Biographie Bodes, verfasst in der 3. Person wobei Bode immer wieder in die 1. Person verfällt. Beschreibt Kindheit, Ausbildung, drei Ehen und seine Lebensstationen bis zur Ankunft in Weimar


Transcript

Der Bruder Aemilius ist gebohren zu Braunschweig, den 16. Januar
1731. Sein Vater Joh. Georg B. war ein Mann von vielem
Genie, das unterdrückt, und von vielen grossen Anlagen, die ganz falsch
entwickelt worden; dabey besaß er viele Ambition und eine
bis zur Heftigkeit gehende Lebhaftigkeit des Charakters; dieses
alles verleitete ihn zu Unternehmungen, welche ihn in grosse
Armuth stürzten, als Aemilius kaum 9 Jahre alt war. Seine
Mutter, eine geborne Knigge, hatte ein edles, und sanftes
Herz, weibliches Herz. Furchtsam, religieus, und im höchsten Grade
mitleidig und duldend. Die Einflüsse der Vermischung von beyden
Charakteren seiner Aeltern fühlt Aemilius noch sehr lebhaft.

In der frühesten Kindheit thaten ihn seine Aeltern zu einem
lutherischen Prediger zur Erziehung aufs Land, und meinten ihn
zu einem künftigen Theologen zu bestimmen. Als Anno 1740 die
Umstände seines Vaters völlig ruinirt wurden, ließ ihn
sein Lehrer merken, daß er ihn nicht behalten könne. Der Mann
hatte wirklich selbst eine zahlreiche Familie und wenig Einkommen.
So viel erinnert sich Aemilius noch von ihm, daß er redlich, aber
hart und streng war. Das Latein ward dem Aem. nicht liblich ge-
macht, in der Religion aber, worin er zugleich mit ein Paar Junkern
und einem Fräulein, einen höchst orthodoxen Unterricht genoß,
that er vor den Uebrigen starke Schritte, und solcher gestalt ward
er durch öfteres Lob darüber, schon damals intolerant gegen
alles, was sein orthodoxer Lehrer verdammte, besonders waren
dies die Juden und Menonisten; und sein meistes Betreben, waren
wirkliche, obgleich kindische Spekulationen über die Unterscheidungslehre. /

Da ich nur einige Züge seines Lebens aufzeichnen kann, die seinen
Charakter, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, andeuten, und zugleich
darauf führen können, wie dieser sich nach und nach gebildet (mit
dem Versprechen, so bald ich Zeit habe, eine etwas ausführlichere
Biographie voller Vertrauen in das O.sArchiv nieder zu
legen, so kann ich, der Kürze der Zeit wegen nur abgebrochen,
nach der cronologischen Ordnung schreiben.

Als Aemilius 1740 von seinem alten Pfarre[r] weg mußte, führte
ihn sein Weg über Wolfenbüttel, woselbst er eine ziemlich wohlhabende
Tante besuchte, die ihn einige Wochen bey sich behalten wollte. Aemil,
ohne Bücher und andre Beschäftigung, erkundigte sich in aller Stille nach
der lateinischen Schule und ihren Lektionen in den Klassen. Was
wußte er andres, als man dürfe nur hingehen um zu lernen?

Das that er, bald nach seiner Ankunft in Wolfen. Er ging hin in
die 4 Classe, deren Lexionen er sich gewachsen meinte, und setzte
sich unten hin, noch ehe der Lehrer kam. Dieser verbarg seine
Verwundrung, während der ordentlichen 2 Stunden, und als die
PrivatStunde anging, und Aem. nicht weggehen, sondern auch da
lernen wollte, gings an ein Examen über meine Umstände, wohin,
woher? u.s.w. Er antwortete wahr. – Die Sache ward dem Vorge-
setzten gemeldet, und der Herr Gen Superintend, sah den Knaben
aus Neugierde, ward ihm ziemlich gewogen, und wollte ihn in
seinen Studiis unterstützen. Es ward für seinen kümmerlichen
Unterhalt gesorgt. Einst kam ein Landprediger nach W. Aß bey
dem Gen. Superintendent, der ihm vom Aem. erzähte. Der Prediger
hatte keine Kinder und dabey eine einträgliche Stelle. Er machte es
mit dem Gen. Sup. aus, daß er mich an Kindes statt annehmen
wolle. Mein Glück schien gemacht. Mein Prediger war ein /
übergetretener Mönch und hatte eine übergetretene Nonne, die
vom Braunschweigischen Hofe mit dieser Pfarre dotirt, geheyrathet. Aem. zog
im Herbste zu ihm. Er hatte versprochen, Em. zu unterrichten,
das amusirte ihn aber nicht. Bey den Examen der Kinder, die er zur
Confirmation, nach Amtspflicht, bereitete, war Aem. zugegen, und
bald der Unterlehrer. Im Jahr 1741 Ostern, also im 11 Jahre, nahm
er ihn zum Abendmahl an; und bis dahin hatte Aem. ihn für einen
recht guten Christen, der Lehre nach, gehalten. Den Sommer darauf
ward Em. in diesem Glauben irre, als der bekannte Heterodoxe Edel-
mann, seine Wohnung bey dem Pfr. aufschlug, und man so unvorsichtig
war, nicht nur ihn ihre Gespräche mit anhören zu lassen: sondern
sogar über die Religiosität dieses Knabens zu spotten.

Dieses, und der Umstand, daß der Pfarrer mit der Absicht hervor-
ging (der Gen. Superintendent, war gestorben) als kleinen Lacqaien
zu brauchen, und zu kleiden. Dies machte, daß Aem. nach
Rücksprache mit seinem Vater, lieber jedes Handwerk, die ihm alle
gleich waren, zu lernen, und den Pfarrer verlies. Aemilius ver-
suchte es bey einem Kunstdrechsler, konnte es aber, weil er bis in
sein 14tes Jahr sehr klein und schwach war, nicht aushalten. Ein
Freund des Vaters [...] rieth ihm, die Musik zu lernen. Der
Rath ward angenommen, obgleich Aem. noch keine Note kannte, und
sich weder Neigung noch Talente zur Musik fühlte, sondern bloß
wünschte, seinen Aeltern aus der Unterhaltung zu kommen. Seine
Lehrjahre, bey einem ordentlichen Kunstpfeifer fingen Himmelfarth
1742 an. Er war so fleissig in der Musik, als es bey de[n] Haus-
arbeiten, dazu man ihn brauchte seyn konnte, und er reussirte
so gut, als es seine Meister erlaubten. Sein Herz, das leicht be-
weglich und sehr empfindlich war, haftete, bey der Folge von
traurigen Widerwärtigkeiten, voll Hoffnung, an die Religion, /
und ward er durch diesen Hang des Herzens zur Parthey eines Predigers
in Braunschweig geführt, der Privatversammlungen, und, wie man
sagte, pietistisch, für mich aber rührend predigte. Dieser Prediger ward
zwar als ein gottloser Heuchler entdeckt. Aem. aber hatte durch ihn
den Vortheil, daß er allerley gute Bücher zum Lesen, und
mit besseren Leuten, als seinen Kameraden eine Art Umgang
bekam. Sein Hang zum Nachdenken gewann gleichfalls dabey;
und der kindisch fromme Trieb, etwas zur PrivatErbauung
beyzutragen, vielleicht auch Ambition, sich hervorzuthun, bewog
ihn, Lieder mit Melodien zu machen. Zur Poesie hatte er
gar keine Anleitung, zur Composition treib er Bücher auf, die
er nebst einigen Partituren, die er habhaft werden konnte, studirte.
Er ward bald der beste unter seinen Mitgenossen, und das
minderte seine Trübsal um Nichts. Die gütige Aufmunte-
rung des Kapelldirektors v. B. erhielt seine Geduld und seinen
Fleiß, da zumal der damals regirende Herzog ihm versprach,
ihn einst auf seine Kosten reisen zu lassen.

Anno 1747 schickte Braunschweig Truppen zur alli[ie]rten Armee
nach Holland. Es fehlte dabey an Hoboisten. Aemilius ließ sich
bewegen, als solcher Dienste zu nehmen, und ging mit, voll
täuschender Freude, über seine Erlösung aus seinen sklavi-
schen Lehrjahren, bey einem harten geizigen [Cho]prinz und
neidischen boßhaften Gesellen. Er hatte Umgang gehabt
bey dem obgedachten Freunde seines Vaters, der auch Musik
liebte, und hatte eine aufkeimende Neigung gegen dessen
sehr hübsche 13 jährige Tochter empfunden. In Holland, in
den Winterquartieren ward Aemilius in seinem Quartier
bey Menoniten, sehr krank. Die ausserordentlich gute /
Pflege, die ihm von der ältesten Tochter des begüterten
Hauses widerfuhr, machten ihn erst sehr dankbar, und
nach und nach, ward diese Dankbarkeit heftige Liebe, welche Gegenliebe erweckte.
Die Aeltern, die ihre Tochter sehr zärtlich liebten, willigten mit der
Bedingung ein, wenn ich die Einwillig[ung] der Meinigen herbeyschafte.
Aem. zweifelte daran nicht, weil es eine reiche Verbindung, auf
die arme Aeltern gerne zu sehen pflegen. Er betrog sich. Sein
Vater hatte andre Plane auf das Versprechen des Herzogs gebauet,
an der seine Ambition Theil hatte. Und bey seiner Zurückkunft
Anfangs 1749, drohete er mit dem Väterlichen Fluche, wenn
er nicht einer Verbindung mit einer Menonitinn entsagte.

Er gehorchte. Der Freund seines Vaters war während seiner Abwesen-
heit gestorben und hatte die Seinigen in traurigen Umständen
hinterlassen. Aemils blutendes Herz fühlte mit ihnen herzliches
Mitleiden. Bey seiner verlornen Hofnung auf Holland reichte
dies Mitleiden zu einer Empfindung, die ein 17jähriger jun-
ger Mensch für Liebe halten kann. Der Kapelldirektor war ein
Freund der Nachgelassenen. Aemils Aeltern sahen diese
Neigung gerne, weil solche den Sohn an sein Vaterland fesseln
würde. Solcher gestallt von Innen und Aussen aufgemuntert
heyrathete er mit 17 Jahren ein schönes Mädchen, die kaum 15 war,
und mit der er, alles gerechnet, ein festes Einkommen von
etwas 70 bis 80 Rtl hatte. Aber reich an Hofnung, durch
Fleiß ein bedeutender Musikus zu werden. Er hatte zugestandner
Weise Talente zur Musik. Er fühlte sich aber, daß es ihm
an HülfsWissenschaften fehlte, um aus der gemeinen Klasse
heraus zu gehen. Mit einer Knabenzuversichtigkeit aufs Glück
oder Gott und sich selbst, ging er im Herbst 1749 nach Helmstädt
um zu studieren, Musik zu üben, und sich durch Unterricht geben /
durchzuhelfen. Hier nahm sich seiner der jezige Superintendent
Stockhausen, in Hanau, der damals Magister lagers war, mit Güte
und freundschaftlichen Rathe an. Wie kümmerlich seine Umstände
waren, indem er ausser sich selbst, von 70 bis 80 Thalern das folgende
Jahr schon eine Frau nebst einem Kinde zu ernähren hätte, läßt
sich schliessen. Indessen that er war er konnte, bey seiner gezwungenen
einsamen Lebensart, seine Kunst und sich selbst immer besser
kennen zu lernen. Stockhausen entdeckte an ihm Fähigkeiten,
die er sich selbst nie zugetrauet hatte, und diese Entdeckung
war ihm Trost. Indessen erlaubten ihm seine Mittel nicht
von Professoren Hülfe zu deren Ausbildung zu erwarten.

Jedoch blieb er in Helmstädt bis 52, um sich der Gelegenheit
Bücher, die ihm Stockhausen vorschlug, zu erhalten, zu bedienen,
welche er in Braunschweig nicht haben konnte. Dieser 3jährige
Aufenthalt, der selten durch eine kleine Reise zu Fuß nach
Braunschweig zu seiner Frau, und zur Revue unterbrochen ward,
machte eine grosse Aendrung in der Denkart Aemils. Er war
sehr wißbegierig; mußte aber zu allem, was er wissen
wollte, durch selbst gesuchte Wege, durch Lesen gelangen,
die dann sehr krumm und mühsam waren. Sein Herz gewann
indessen dabey mehr, als sein Kopf. Soviel erinnert Aemil
sich noch, daß er die Musik nach der Poesie und Beredsamkeit
studirte. Als er 1752 Helmstädt ganz verließ, war es
natürlich, daß er am Umgange mit seinen Kameraden keinen
Geschmack fand, um desto mehr, da die Herrn Gärtner, Zachariae,
Ebert und andre ihres Standes [Zutritt erlaubten].
Seine Kameraden neideten, haßten, verfolgten ihn, und
selbst seine vorgesetzten RegimentsOfficiere spotteten /
über den Buchgrübler. Sein Gönner, der Kapelldirektor,
war gestorben, der Herzog schien sein Versprechen vergessen zu haben,
und Blödigkeit hinderte Aemilius, ihn daran zu erinnern.

Alles das, wozu noch kam, daß seine Frau gar keine Haushälterin
zu seinem geringen Einkommen war, bewegte ihn, zu-
mal auch sein Vater, gegen den er immer eine furchtsame
ehrerbietige Folgsamkeit, auch noch als freyer Mann behielt,
gestorben war, und es nicht hindern konnte, sein Vaterland
zu verlassen und in Zelle, bey einem Regiment, die
Stelle als Premier-Hautbois, mit ungefehr dreymal soviel
Gehalt, als in Braunschweig anzunehmen. Diese merkliche
Verbesserung, die noch nach und nach dreymahl erhöht ward,
und die Nebeneinnahmen, die er durch Unterricht, und Di-
rektion der Concerte erhielt, beruhigten seine Besorgnisse,
und erleichterten ihm die Mittel, sich Bücher anzuschaffen.
Sein Hauptfach war die Composition, in dem er mit Beyfall
arbeitete, und Kirchenmusik, wäre seine Stärke geworden.

Dabey legte er sich jezt auf Sprachen, als Italiänisch, Französisch
und Englisch. Stockhausen, welcher derweilen nach Lüneburg
als Rektor gezogen war, war sein vertrauter Correspondent
und Rathgeber seines Studierens. Wider dessen Rath trieb er
so viel auf einmal; Indessen war es das Schicksal
Aemils, grössere Schwierigkeiten, nicht nur von Aussen,
sondern, auch die er sich Selbst, als eigener blinder Leiter
selbst machte, zu überwinden. Er würde in dieser ausser
der schlechten HaushaltungsKunst, ganz Brodsorgen
freyen Lage, sein Studieren bis zu einem Punkte fortgetrieben
haben, um mit einem Mahle, mit Vortheile aufzutreten,
denn er hatte schon einige Beförderungen ausgeschlagen, die ihm /
dadurch zugekommen waren, daß er einige Reisen
gethan, um grosse Leute zu hören, und auch eine OpernGesell-
schaft, mit Bewilligung seiner Obern, in Lübeck 1754 dirigirt
hatte. Aber das Schicksal wollte es anders.

Anno 1756 war für ihn durch eine schwere Krankheit, durch die
Krankheit seiner beyden Kinder, wovon der älteste erst an
den Blattern, drauf seine Frau, in einem schweren Wochen-
bette nebst dem Neugebornen, und bald darauf das
noch übrige Kind an der Auszehrung starb. In Zeit
von ein Paar Monathen war er also nur allein noch
übrig, und sein empfindliches Herz ward von schwarzer
Melancholey gedrückt. Der Ort war ihm zuwider, wo er
so viel Verlust erlitten hatte. Er fand, bey genauer Untersuchung,
daß er etwa 100 Rt. schuldig bliebe. Er nahm auf etliche
Monate Urlaub, verschloß sich bey einem Freunde im Hause.
Komponirte und schrieb für Liebhaber so viele Noten, bis er das
Geld verdient hatte, wobey er wenig verzehrte, und noch weniger
schlief. Da um diese Zeit der Krieg zwischen England und Frank-
reich losbrach, wobey es wahrscheinlich ward, daß das Regiment,
worunter er stund, gleichfalls würde zu Felde ziehen müssen,
so wollte er dies ihm bekannte Leben nicht noch Einmal
versuchen, und nahm seinen Abschied, zur Verwundrung
seines Chefs, der meinte ein so grosser Gehalt, der wirklich
monatlich an 20 Rt. lief, wäre schwerlich wiederzufinden.

Aemil reisete zu seinem Freunde Stockhausen, Anfangs 175[7]
der in dem 2 Monatlichen Aufenthalte bey ihm, sein
Herz wie seine Aussichten aufzuheitern suchte. Er machte
Aemil den Plan, daß er über Hamburg nach England
gehen sollte, und gab ihm Adress Briefe nach Hamburg /
an einige Kaufleute und Gelehrte mit. Aemil, der durch
den Zustand seiner Börse gar nicht zuversichtlich war, gab
ein Paar von den Briefen ab, an Leute, die, ob sie gleich Musik-
liebhaber waren, doch sonst wohl etwa zu thun hatten, als sich
um einem Musikum zu bekümmern, der in keinem reichen
Kleide, und von keinem grossen Hofe kam. Er behielt die
übrigen Briefe in der Tasche, und nahm die Direction der Musik
beym schönemannischen Theater an. Ein Freund, Namen[s] Olde,
Dr. Med. den Stockhausen über meine Ankunft geschrieben
hatte, suchte den Aemil auf, und machte ihm die gütigsten
Vorwürfe über sein allgemeines Mißtrauen in die Menschheit.

Seine Bekanntschaft, und nachherige warme Freundschaft waren
höchst ersprießlich. Er und der Sindicus Schuback, bewogen
mich, die Direction des Schonemannischen Orquesters zu
verlassen, und in Sprachen zu unterrichten, wozu sie mir
beyde Gelegenheit in ihrer Verwandschaft gaben. Und so sehr
schwer es hielt, Aemil zu überzeugen, daß ich dazu fähig
sey, so sehr glückte es ihm, ihren Empfehlungen keine
Schande zu machen; Indem sich Aemil verpflichtet hielt,
fast jede Nacht vorher auf die Lectionen des folgenden
Tages zu praepariren, lernte er hierduch am meisten,
erwarb sich reichliches Auskommen, eines guten Lehrers und
redlichen Mannes. Madame Olde, eine der besten
und klügsten Frauen, rieth dem Aemil, Eintritt in die
Fr. Mrey. zu erhalten. Er erhielt ihn, und ist seit 1759 immer ein
sehr thätiges Mitglied des Ordens gewesen, den er
gerne zu dem wohlthätigen Endzwecke längst hätte [...] bringen /
helfen, wozu, andre weisere und einsichtsvolle
Männer selbigen, zu seiner höchsten Zufriedenheit gebracht
haben.
Aemils Leben in Hamburg ist reich genug an Begebenheiten,
die aber mehr Einfluß auf sein zeitliches Glück, als auf die
Bildung seines Charakters gehabt haben. Bey der Voraus-
setzung , daß er einst hierüber selbst ausführlicher seyn
wird, und bey der wenigen Zeit, die ich bey meiner
vorstehenden Reise habe, kann ich nur noch kurz folgendes
anführen.

Anno 1765 verheyrathete er sich mit der Tochter
eines Rathsherrn in Hamburg, die ihm ein grosses Ver-
mögen zubrachte, von dem er aber nach ihrem Tode
der 1766 im Jenner, Kinderlos erfolgte, nicht mehr als
circa 10000 Rt. für sich behielt, und das Uebrige
ihren Schwestern wieder auskehrte. Worüber er
von einigen getadelt, von einigen gelobt, von
seinen Schwägern mit Undank belohnt, von
seinem Herzen aber mit beständigen Beyfall bezahlt
wurde.

1768 verheyrathete er sich zum 3 Mahle, nachdem
er eine Buchdruckerey errichtet hatte, mit der Tochter
des Buchhändlers Carl Bohn, die ihm Nichts zubrachte
und die Anno 1777 wieder starb, ohne ihm Kinder zu
hinterlassen. Nachdem Aem. dergestallt drey Gattinnen
und zehn Kinder verloren hatte, nahm er, so trieb und kinderlos, /
das Anerbieten der Frau Gräfinn von
Bernstorf an, welches ihn Logis und Tisch auf einem schönen
Landguthe bestand. wogegen ich ihre Geldgeschäfte und ihre
Haushaltung zu übersehen übernahm, und also die Buch-
druckerey, und den damit verknüpften Buchhandel aufgab.

Anno 1778 ernannte ihn der Herzog von Meynungen
zum Hofrath, und 1782 Sr. Durchl. von Gotha zum Legations
Rath. Als Anno 1779 die Frau Gräfinn von Bernstorff
zu ihrer Niece nach Weimar reisete, begleitete er sie dahin,
und ist seit dort geblieben, woselbst er sich die ersten
Jahre mit Uebersetzen fürs Publikum, seit ein Paar Jahren
bloß mit Ordensarbeiten beschäftigt. Dabey hat er
seit einem Jahre verschiedene Anfälle von Schwindel
gehabt, daher ihm verboten ist, des Nachmittags zu schreiben.

Sein Lieblings Zeitvertreib, ausser dem Lesen, ist Musik und
Blumengärtnerey.
Seinen Charakter ganz zu entwerfen, möchte nur zu
schwer werden. Hier einige Züge davon.
Er hat ein sehr empfindliches Herz, und starke Leidenschaften,
ist mehr zur Melancholey, als zur Fröhlichkeit geneigt; von
Natur dem Jaehzürnen unterworfen, ist aber nach und
nach darüber ziemlich Meister geworden; anhaltend
zu hassen ist ihm unmöglich. Sein Geist ist sehr activ; seine
Imagination kann grosse Ideen fassen, jedoch ob er gleich
mehr Witz hat als Verstand, nur wenig poetisch schön hervorbringen.

Notes